Initiative entwickeln (Weisheit II)
Predigt am 30. Januar 2000 zu Sprüche 6,6-11
Ein reicher Mann stellte zur Betreuung seines ganzen Vermögens einen Vermögensverwalter ein. Dieser machte seine Sache zunächst recht gut, doch dann wurde dem Mann zugetragen, dass sein Verwalter ein wenig sorglos mit seinem Vermögen umzugehen begann. Der reiche Mann reagierte schnell: »Mir gefällt nicht, was ich höre«, sagte er. »Es ist Zeit, dass du gehst.«
Der Verwalter geriet in Panik; er wusste nur zu gut, dass er nach all den Jahren im Finanzgeschäft sehr schlecht auf andere Arbeit vorbereitet war. Und zum Betteln war er zu stolz. Was sollte er tun? An wen konnte er sich wenden? Wie sollte er seinen Lebensunterhalt verdienen?
Schließlich entwickelte sein verzweifeltes Gehirn einen kreativen Plan. Er ging zu zwei Leuten, die seinem Chef Geld schuldeten, und bot ihnen an, die Schulden zu reduzieren. Zum Ersten sagte er: »Setz dich hin, schreib auf was du ihm noch schuldig bist, und dann streich die Hälfte weg.« Dem zweiten bot er an: »Nimm deine Schulden und rechne 20 % ab.«
Das tat er in der Hoffnung, dass diese beiden ihm dankbar sein und später helfen würden, bis er wieder auf eigenen Füßen stand; vielleicht würden sie ihn eine Weile in ihrem Gästezimmer wohnen lassen oder gute Kontakte für ihn herstellen. Also zahlten die Schuldner ihre verringerten Kredite zurück und der Anlageberater verlor seinen Job.
Und? Wo ist die Pointe? Jesus benutzt diese Geschichte (Lukas 16,1-9) nicht etwa, um uns den Wert der Ehrlichkeit einzuschärfen, sondern er sagt: Habt ihr gesehen, wie klug der Mann war? Der hat Format! Der war in einer schwierigen Situation, er hatte eigentlich keine Chance mehr, aber er ergriff die Initiative, er ließ sich etwas einfallen, und er löste sein Problem. Das kann man jedem empfehlen.
Obwohl der Mann natürlich unehrlich war und wegen Untreue angeklagt werden könnte, wenn die Sache rauskommt, lobt Jesus ihn trotzdem für etwas, was er offensichtlich für extrem wichtig hält: Der Mann ergreift die Initiative. Er jammert nicht, er klagt nicht, sondern er sagt sich: jetzt kommt es auf mich an. Und er gebraucht seine ganze Fantasie und seinen Grips und findet eine Lösung.
Offensichtlich meinte Jesus, daß das nicht selbstverständlich ist. Der Mann hätte ja genauso gut auch die Augen zumachen können und hoffen, daß es nicht so schlimm kommen würde. Er hätte so lange wie möglich noch sein angenehmes Leben genießen können, er hätte sich besaufen oder sich die Gedanken vom Fernseher vernebeln lassen können. Alles das machen Menschen in so einer Lage, einfach weil es unangenehm ist, über zukünftige Probleme rechtzeitig nachzudenken. Aber der Mann war zu klug dazu.
Es ist auch einfacher, über die Ungerechtigkeit der Welt zu klagen oder sich intensiv zu bemitleiden. Warum die Initiative ergreifen und die Probleme anpacken, wenn wir die Schuld ja auch anderen in die Schuhe schieben können – unseren Eltern oder unseren Kindern, den Lehrern und Chefs, dem vorhandenen oder dem Ex-Ehepartner und den Freunden, den Politikern und der Gesellschaft, und am Ende sogar Gott.
Eine weitere Alternative zum Aktivwerden ist, sich bequem zurückzulehnen und daran zu glauben, daß irgendwie einfach alles von selbst besser werden wird. Irgendwann wird diese schwierige Phase vorbei sein. Irgendwer muß sich doch mal darum kümmern – es kann schließlich nicht ewig so weitergehen. Eines Tages werde ich aufhören, meine Zeit zu verschwenden. Eines Tages wird das Verhältnis zu meinem Partner wieder besser werden. Dann ist mein Kind durch das schwierige Alter durch. Eines Tages werde ich ganz von allein früher aufwachen. Dann werde ich auch alle Dinge rechtzeitig erledigen. Der Tag kommt, wo ich aufhöre, meine Zeit zu verschwenden. Dann werde ich auch aufhören zu rauchen. Und ich werde irgendwann auch genug Geld haben.
Eines Tages wird es einfach irgendwie passieren.
Stimmt das? Glauben Sie, daß das einfach so von allein kommt? Jeder Fluß fließt bergab, und wer sich einfach treiben läßt, landet irgendwo unten. Der Vermögensverwalter hatte keine Chance, daß das irgendwie von selbst in Ordnung kommt. Er mußte handeln.
Jesus aktualisiert in dieser Geschichte eigentlich nur die alte Weisheit der Sprichwörter. Da heißt es z.B. in Kap. 6,6-11:
6 Sieh dir die Ameise an, du Faulpelz! Nimm dir ein Beispiel an ihr, damit du weise wirst! 7 Sie hat keinen Aufseher und keinen Antreiber. 8 Und doch sorgt sie im Sommer für ihre Nahrung und sammelt zur Erntezeit ihre Vorräte. 9 Wie lange willst du noch liegen bleiben, du Faulpelz? Wann geruhst du endlich aufzustehen? 10 »Nur ein kurzes Nickerchen«, sagst du, »nur einen Moment die Augen zumachen und die Hände in den Schoß legen.« 11 Und während du das tust, kommt die Armut zu dir wie ein Landstreicher, und die Not überfällt dich wie ein Einbrecher.
Ist das nicht so richtig aus dem Leben gegriffen? Nur noch einen Augenblick ein bißchen schlummern, es ist gerade so schön kuschelig, noch ein bißchen liegenbleiben! Vielleicht hat das ja der eine oder andere von uns vor einer Stunde auch noch gedacht. Aber das ist ein schlechter Start in den Tag. Die Sprichwörter sagen ganz massiv: so kommt man in Not. Auf keinem Arbeitsplatz wird jemand lange bleiben, wenn er immer zu spät kommt. Aber diese Weisheit gilt sicher nicht nur für das Geld, das einer verdient, sondern überhaupt: wer so müde ans Leben herangeht, der bekommt Probleme. Stattdessen sollten wir einen Blick auf die Ameise werfen und von ihr lernen. Auch wenn ihre innere Steuerung natürlich anders funktioniert als unsere, aber im Effekt nach außen kann man von ihr lernen:
Ameisen sind zunächst einmal nicht davon abhängig, daß jemand hinter ihnen steht und sie antreibt. Ameisen arbeiten von allein. Sie regen sich auch nicht darüber auf, daß jemand sie schon wieder losgeschickt hat. Sie tun einfach das, was nötig ist, um den nächsten Winter zu überstehen. Ihr Instinkt sorgt dafür, daß sie immer ihr Ziel vor Augen hat, das darin besteht, möglichst viel an Nahrungsmitteln einzusammeln. Wer davon abhängig ist, daß ein Chef oder Lehrer ihn antreibt, der hat ein Problem, sobald niemand hinsieht. Und wer sich von andern motivieren lassen möchte, der ist davon abhängig, daß er den richtigen Antreiber findet. Die Ameise dagegen arbeitet mit Selbstmotivation. Sie hat ihr Ziel vor Augen: Nahrung. Wenn wir unser Ziel kennen und es immer vor Augen haben, dann fällt es uns viel leichter, es von selbst anzupacken, ohne auf jemanden zu warten, der uns anschiebt.
Die andere Lektion der Ameisen besteht darin, daß sie rechtzeitig mit einer Sache anfangen. Sie arbeiten im Sommer hart, um die Versorgung im Winter zu sichern. Sie schieben eine Sache nicht auf, wenn sie gemacht werden muß.
Die Verantwortung auf andere abzuwälzen und eine Aufgabe aufzuschieben sind zwei Wege, sich vor der Verantwortung zu drücken. Der dritte Weg sind die Ausreden. Im Buch der Sprichwörter heißt es (22,13): Der Faulpelz sagt: »Ich kann nicht hinausgehen; draußen ist ein Löwe, der bringt mich um!« Kennen Sie auch die vielen Gründe, weshalb man irgendeine Sache nun wirklich nicht anpacken konnte? Wenn man dran denkt, was alles schiefgehen kann, welche Schwierigkeiten und Gefahren überall lauern, dann bleibt man doch lieber im sicheren Haus statt geduldig eine Schwierigkeit nach der anderen zu überwinden.
Und was ist, wenn draußen tatsächlich ein Löwe rumläuft? Ganz einfach: das Gewehr aus dem Schrank holen und auf die Jagd gehen! Schwierigkeiten gibt es immer, aber nur ein Faulpelz läßt sich von ihnen lahmlegen. Übrigens habe ich auch schon erlebt, daß einer anderen die Probleme so intensiv geschildert hat, daß sie am Ende ganz mutlos wurden und es gar nicht erst probiert haben. Man kann, wenn man vor allem die Probleme sieht, nicht nur sich selbst vor den Anforderungen des Lebens drücken, man kann damit auch andere anstecken und sie ängstlich und faul machen. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, aber wo kein entschlossener Wille ist, da sind viele Ausreden.
Jesus hat diese alte Weisheit aktualisiert, weil seine Zuhörer ja in der Gegenwart des Reiches Gottes lebten. In den Sprichwörtern wird einfach davon geredet, daß man im Leben Initiative entwickeln muß, wenn man zurechtkommen will. Jesus sagt, daß das erst recht gilt in dem Moment, wo Gott sein Evangelium sendet und seinen endgültigen Willen offenbart. Das passiert ja durch Jesus.
Und er sagt nun: wenn es schon in ganz praktischen Dingen wichtig ist, die Sachen nicht treiben zu lassen, wieviel nötiger ist es, mit ganzem Herzen nach dem Reich Gottes zu trachten! Seit Jesus auf der Erde war, gibt es Gottes Alternative, seinen neuen Weg für uns, und wir sollen klug sein und die Initiative ergreifen, um da dabei zu sein. Jesus sagt: verschließt nicht die Augen davor, daß eure Frist begrenzt ist, und tut alles, um aus dieser Zeit das Beste herauszuholen.
Es ist eine Frage der Klugheit, ob man versteht, daß nun eine andere Zeit gekommen ist. Bis zu Jesus da ging es darum, ehrlich und tüchtig das Leben zu bestehen und nicht gegen die Gebote Gottes zu verstoßen. Jetzt reicht das nicht mehr. Jetzt geht es darum, das ganze Leben in der Nachfolge Jesu zu führen und es vom Heiligen Geist bewegen zulassen.
Wir können hier sehen, wie die Weisheit des Alten Testaments und das Evangelium zusammenpassen: Klugheit ist weiterhin wichtig, aber der ganze übergreifende Zusammenhang ist anders. Wer klug ist, der versteht, wie wichtig Nachfolge und Glaube ist und seine Klugheit wird darin bestehen, alles auf diese Karte zu setzen. Verstand, der von Gott geleitet ist, der ist sowohl gut für das Leben in dieser Welt als auch dafür, sich auf die kommende Welt einzustellen. Beide Male ist es nicht ratsam, sich über die wirkliche Lage zu täuschen, anderen die Verantwortung zuzuschieben und die Dinge schleifen zu lassen.
Gott ergriff die Initiative, als er die Welt erschuf. Und als Menschen sich von ihm abwandten, da ergriff er noch einmal die Initiative und sandte Jesus. Das hätte er nicht tun müssen. Er hätte sich auf den Standpunkt stellen können, daß es unsere Sache sei, die Folgen des Sündenfalls irgendwie zu kurieren. Aber er machte für das Problem einen Plan und führte ihn aus. Gott ist zutiefst eine Person, die die Initiative ergreift. Und er hat uns zu seinem Abbild geschaffen.
Deshalb sollen wir genauso Verantwortung übernehmen. Wenn wir Gott nicht kennen, dann sollen wir das nicht auf sich beruhen lassen, sondern von uns aus anfangen, ihn zu suchen. Wenn wir merken, daß in uns etwas ist, was nicht zum Reich Gottes paßt, dann sollen wir uns darum kümmern, vielleicht auch Seelsorge suchen, bevor das akut wird und uns in Probleme bringt. Wenn wir ein Problem in der Familie haben, dann sollen wir nicht darauf warten, daß es von selbst geht, sondern die Sache mutig angehen. Müßten Sie mehr beten, müßten Sie verbindlicher sein in der Gemeinschaft mit andern Christen, müßten sie eigentlich öfter zum Gottesdienst kommen? Dann tun Sie den ersten Schritt. Packen Sie die Sache an. Mit jedem Mal, wo wir die Initiative ergreifen, wird es leichter. Wenn wir ein paar Mal die Erfahrung gemacht haben: na bitte, geht doch! dann wird das immer mehr zu unserem Lebenskonzept werden. Und das ist gut für unser Leben hier und es ist gut für die kommende Welt Gottes.