Gott kommt!
Predigt am 2. Dezember 2018 (1. Advent) zu Sacharja 9,9-10
9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Es gibt nur wenige Bibelstellen, wo die Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament so eng ist wie hier: nach diesen Versen Sacharjas hat Jesus seine Ankunft in Jerusalem gestaltet, und Matthäus weist auch noch ausdrücklich darauf hin, wenn er davon erzählt (Matthäus 21,5).
Bei Sacharja war das noch ein durchaus rätselhaftes Bild, bei Jesus wird es anschauliche Wirklichkeit: er lässt sich extra einen Esel und ein Füllen, ein Eseljunges, holen. Sonst ist er immer zu Fuß gegangen, dies ist die einzige Stelle, wo wir von ihm hören, dass er reitet. Jesus imitiert den Einzug eines Königs in eine seiner Städte, aber er reitet auf einem Esel, was denkbar unkriegerisch und unköniglich ist. Und so war es schon bei Sacharja gemeint: der von Gott gesandte Friedenskönig wird die Kriegswaffen vernichten und Frieden durchsetzen.
Die Welt war weit geworden
Und das nicht nur für Israel, sondern weltweit. Dieser Spruch aus dem Prophetenbuch Sacharja kommt deutlich aus einer Zeit, in der Alexander der Große das Perserreich besiegt hatte und anschließend seine Nachfolger um sein Erbe kämpften. Da hatte sich der Horizont der Menschen gewaltig ausgeweitet. Von einem Meer zum anderen – das heißt: vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean.
Damals wurde zum ersten Mal ansatzweise so etwas sichtbar wie die Menschheit. Auf jeden Fall begann man über die Grenzen Israles hinaus zu denken und verstand: Gott ist der Gott aller Menschen. Er ist kein Lokalgott oder Nationalgott, er hat die ganze Welt im Blick, seine Schöpfung. Und der Blick ging schon mal bis zum Indischen Ozean.
Länder voller Waffen
Heute ist das auch wieder ein Gebiet, das voller Krieg und Gewalt ist: Syrien gehört dazu, der Irak, der Iran, Afghanistan – all diese Länder, aus denen wir dauernd Berichte von Kämpfen und Zerstörungen bekommen, die waren in Sacharjas Zeit auch von Krieg und Kampf erfüllt. Auch damals jede Menge Soldaten, die ihre Heimat weit hinter sich gelassen hatten, deren Leben von Kampf und Unsicherheit erfüllt war, und die dann immer weiter kämpften, unter wechselnden Befehlshabern, für alle möglichen Ziele.
Und wo wir von Geschützen und Flugzeugen hören, von gepanzerten Fahrzeugen und Bomben, da spricht Sacharja von den modernsten, zerstörerischsten Waffen seiner Zeit:: von den Kriegswagen und den Bogen, Produkte der Spitzentechnologie, wo das Töten der Menschen schon nicht mehr in Handarbeit geschieht, im Kampf Mann gegen Mann, sondern aus der sicheren Ferne oder durch mechanische Vorrichtungen wie rotierende Klingen, die die Kampfwagen zu tödlichen Maschinen machten.
Die Bergpredigt, ins Große übersetzt
Und schon Sacharja geht nicht dem Mythos der rettenden Gewalt auf den Leim, wo behauptet wird, gerade die schrecklichsten Waffen würden am sichersten Krieg und Gewalt verhindern. Schon bei Sacharja hören wir die Parole vom »Frieden schaffen ohne Waffen«. Jesus hat das aufgenommen – es passte einfach wunderbar zu seiner Bergpredigt, wo er ja auch der Gewalt eine Absage erteilt, auch schon der Gewalt in der weniger offensichtlichen Form des bösen Wortes. Wahrscheinlich gehörte ja Sacharja auch zu den biblischen Quellen, die Jesus zu seiner Vision der Gewaltlosigkeit inspiriert haben.
In dieser Vision von den zerbrochenen Kriegswaffen ist die Bergpredigt quasi ins Große übersetzt: bei Sacharja noch als eine Vision, von der man sich nicht vorstellen kann, wie das jemals Realität werden soll, und man kann dann nur sagen: Gott wird das irgendwie tun. Er ist schließlich Gott.
Bei Jesus wird dann eine Art von menschlichem Handeln sichtbar, das tatsächlich die Gewalt überwinden kann. Auch da werden viele sagen: das werden wir nie schaffen, aber immerhin wird ein menschlicher Weg sichtbar, der prinzipiell die Kraft hat, die Gewalt zu überwinden. In der Bergpredigt wird es noch deutlicher beschrieben: es geht um ein Verhalten, das aus dem Kreislauf der Gewalt ausbricht, das einseitig Verantwortung übernimmt und sich nicht mehr vom Gegner die Art der Auseinandersetzung aufzwingen lässt. Nicht mehr: der hat angefangen, da muss ich mich auf seine Art wehren, sondern: ich bestimme die Art, wie ich mit Menschen umgehe, auch mit Feinden. Von denen lasse ich mir meine Freundlichkeit und Liebe nicht verderben. Meine Liebe ist Aktion, nicht Reaktion. Ich reagiere nicht einfach, sondern entscheide von mir aus, wie ich mit Freund und Feind umgehe.
Martin Luther King hat das in dem berühmten Satz zusammengefasst:
Dunkelheit kann nicht die Dunkelheit vertreiben – nur Licht kann das.
Hass kann nicht Hass vertreiben – nur Liebe kann das tun.
Und es geht ja normalerweise gar nicht um diese Spitzensituationen, wo man auch noch die rechte Wange hinhalten soll und viele sagen: das geht doch nicht. Jesus spitzt es zu, um eine Logik deutlich zu machen, die auch in vielen anderen Situationen gilt. Auch ganz realpolitisch wäre es gar keine schlechte Lösung, mindestens so viel Geld in Liebe zu investieren wie in Gewalt.
Liebe ist realistisch
Was wäre das für eine andere Welt, wenn die internationale Gemeinschaft mindestens so viel Geld in humanitäre Hilfe investieren würde wie in Waffen. Es ist oft genug gesagt worden, aber man muss wohl immer wieder daran erinnern: Mit dem Geld, das für Waffen ausgegeben wird, könnte man allen Menschen auf der Welt ein gutes Leben finanzieren, ohne Armut und in Würde. Viele Konflikte würden sich dann von selbst erledigen oder gar nicht erst entstehen.
Um es noch konkreter zu machen: Fluchtursachen bekämpfen klingt gut, das würden wir alle unterschreiben – aber warum ist dann kein Geld da, um all den Flüchtlinge in dieser Region zwischen Mittelmeer und indischem Ozean ein Leben zu geben, das sie nicht an den Rand des Existenzminimums bringt? Stattdessen hat man 2015 die Essensrationen in den Flüchtlingslagern in und um Syrien dramatisch gekürzt, woraufhin sich die Menschen dann nach Europa aufgemacht haben.
Sacharja widersteht dem Mythos, das Gewalt und Waffen eine Lösung sein könnten, und Jesus stellt sich hinter Sacharja und nimmt seine Vision von einer Herrschaft ohne Gewalt auf. Nicht Verzicht auf Gewalt ist das größte Risiko, sondern immer mehr Waffen in die Welt zu exportieren und die Konflikte anzuheizen, denn die Waffen finden dann schon ihren Weg dahin, wo sie »gebraucht« werden.
Ein armer Herrscher für normale Leute
Sacharja setzt auf einen Herrscher, der »arm« ist. Wenn Matthäus die Stelle zitiert gibt er dieses Wort wieder mit »sanftmütig«. Es geht also nicht einfach nur darum, dass der König nicht große Reichtümer hat, sondern dass er deswegen auch nicht mit dieser Geste »Ich hab‘s ja, ich kann es mir leisten« auftritt. Wenn Gott in seine Welt kommt, dann schiebt er Menschen nicht einfach beiseite, weil er es sich ja als Gott leisten kann. Gott teilt das Leben der einfachen Leute, und wenn er schon mal reitet, dann auf dem Reittier der normalen Leute. Und wenn er nach Jerusalem kommt, dann hat er auch die ganz normalen Leute im Gefolge, und die festliche Stimmung, die über all dem liegt, die ist nicht für teures Geld inszeniert, sondern die kommt aus der Sache selbst, und der rote Teppich wird nicht vom Protokoll vorbereitet, sondern dafür reißen sie einfach spontan Blätter von den Bäumen am Weg oder legen sogar ihre Mäntel in den Dreck.
So macht Gott seinen Weg durch die Welt: improvisiert, nicht professionell, aber deshalb können auch alle dabei sein. Wenn Gott kommt, dann ist das nicht alles 100%ig, es ist nicht perfekt, aber die Freude ist echt. Deswegen kann Gott aber auch Jesus nicht davor schützen, dass er leiden muss. Leidensfreiheit kann man auf dieser Welt nur so erreichen, dass man anderen mit Gewalt seine eigenen Schwierigkeiten aufdrückt. Wer Macht hat, kann sich Diener leisten, die für ihn das Unangenehme aus dem Weg räumen. Mit Macht ist man sicher davor, anderen zum Opfer zu fallen – jedenfalls hoffen viele das, und diese Hoffnung scheitert durchaus nicht immer.
Gottes Ankunft unter uns, sein Weg durch die Welt geht anders. Auch wenn Kirchen das immer mal wieder vergessen und sich mehr Sicherheit und Berechenbarkeit wünschen. Auch wenn Kirchen denken, sie seien es sich und ihrem Herrn schuldig, ab und zu doch mal etwas mehr Glanz zu entfalten. Aber Jesus hat das auch am entscheidenden Wendepunkt seines Weges nicht getan. Sein Schmuck waren die normalen Leute, deren Leben und deren Potential durch ihn aufzublühen begann. Und paradoxer Weise ist das die Quelle seiner wirklichen Macht. Das ist der Weg, auf dem Gott seine Schöpfung zurückgewinnt, der Weg, auf dem er der König wird, dem die Menschen ihr Vertrauen schenken.