Die Revolutionäre des Königs Jesus
Predigt am 3. November 2024 zu Römer 13,1-7
1 Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt. 2 Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. 3 Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest! 4 Denn sie steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht nämlich im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der das Böse tut. 5 Deshalb ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6 Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. 7 Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, Steuer, wem ihr Steuer schuldet, Zoll, wem ihr Zoll schuldet, Furcht, wem ihr Furcht schuldet, Ehre, wem ihr Ehre schuldet!
Der Römerbrief des Paulus richtet sich an die Christen in der Hauptstadt des Imperium Romanum. Das war die Metropole der damals bekannten Welt, wo Macht und Reichtum konzentriert waren, und wo der Kaiser regierte. Damals, als Paulus den Brief schrieb, war das der junge Kaiser Nero, der damals gerade 19 Jahre alt und erst etwa zwei Jahre im Amt war. Und direkt unter der Nase des Kaisers gab es Christen, die Jesus Christus ihren Herrn nannten, der gut 20 Jahre zuvor von einem kaiserlichen Statthalter gekreuzigt worden war.
Messias=König
Wenn wir den Namen »Jesus Christus« hören, dann klingt das in unseren Ohren so, als ob Jesus der Vorname und Christus der Nachname wäre. In Wirklichkeit ist aber »Christus« ein Titel. Wörtlich heißt das »der Gesalbte«, und es erinnert dran, dass Könige in Israel gesalbt wurden, König David z.B. Der Christus – oder mit dem hebräischen Titel: der Messias – war der von Gott gesandte König, der Israel wieder so befreien und aufrichten sollte, wie das König David ein Jahrtausend zuvor getan hatte. Wir müssten »Jesus Christus« also eigentlich als »König Jesus« übersetzen.
Und wenn es also nun im Herzen des Imperiums Anhänger des Königs Jesus gab, wie sollten die sich verhalten, wenn sie mit den Behörden des Kaisers Nero zu tun bekamen? Das ist die Frage, um die es Paulus hier geht. Sollten die Christen in Rom darauf bestehen, dass ihnen das römische Ordnungsamt nichts zu sagen hat, weil sie zum Reich des Königs Jesus gehören?
Wir haben heute ja eine interessante Parallele dazu. Sie haben vielleicht schon von den sogenannten »Reichsbürgern« gehört, die behaupten, die Bundesrepublik Deutschland wäre kein legitimer Staat, in Wirklichkeit wäre Deutschland immer noch ein Kaiserreich und deshalb müssten sie den bundesdeutschen Behörden nicht gehorchen. Die stellen sich dann gegenseitig Ausweise und Führerscheine und Waffenscheine aus. Und sie schreiben als Antwort auf Behördenbriefe seitenlange Eingaben, die sie aus dem Internet kopiert haben, und rauben manch armer Sachbearbeiterin den letzten Nerv, die eigentlich nur die Zahlung der Grundsteuer anmahnen wollte. Und stattdessen soll sie plötzlich in zeitraubende Diskussionen über die Legitimität des Grundgesetzes verwickelt werden.
Cool bleiben!
Paulus schiebt in seinen Brief nach Rom unsere Textpassage ein, um den Christen in Rom zu sagen: versteht euch bitte nicht als so eine Art Reichsbürger, die die Steuereinnehmer und das Straßenverkehrsamt mit theologischen Diskussionen nerven. Beim Glauben an Jesus Christus geht es nicht um die Frage, ob Frank-Walter Steinmeier oder Kaiser Wilhelm unser rechtmäßiges Staatsoberhaupt ist. Wir müssen keine tiefschürfenden Diskussionen über die Legitimität der Staatsordnung führen, es reicht, dass da eben Behörden sind, die de facto Steuern einziehen und Autonummern zuteilen – macht da bitte kein großes Gewese drum, sondern überweist die Gebühren einfach.
Interessanterweise redet Paulus hier überhaupt nicht vom Kaiser, obwohl Nero direkt neben den römischen Christen thronte, und obwohl jeder Kaiser nach seinem Tod normalerweise einen Tempel bekam, wo er als göttlich verehrt wurde. Natürlich ist es für Paulus ein Gräuel, Menschen zu Göttern zu erklären, egal, ob das ausdrücklich und in aller Form geschieht oder ob man Menschen nur so behandelt, als ob das Heil des ganzen Volkes von ihnen abhängen würde. Paulus redet hier einfach nur vom Umgang mit den Ämtern und Behörden, mit denen man es als Normalbürger eben so zu tun hat.
Das war natürlich auch ein Statement, wenn man in einem Brief an die Christen im Zentrum des Imperiums kein Wort über den Kaiser verliert und stattdessen eher Frau Mustermann im Straßenverkehrsamt thematisiert. Deutlicher konnte Paulus ja auch nicht werden, er wusste ja nicht, wer alles den Brief in die Hände bekommen würde und wer zuhört, wenn er irgendwo vorgelesen wird. Aber im Hintergrund steht natürlich die Frage, wer der wahre König der Welt ist.
Gleich in den ersten Versen des Römerbriefs hat sich Paulus vorgestellt als Botschafter des Königs Jesus, der menschlich gesehen als Nachfolger Davids aus einem Königshaus stammt, das schon regierte, als Rom noch gar nicht gegründet war. Vor allem aber ist Jesus durch seine Auferstehung als König der Welt bestätigt worden. Rein menschlich gesehen stammt er sowieso schon aus einem Königsgeschlecht, aber durch den Heiligen Geist übt er eine ganz andere Art von Herrschaft aus.
Die wahre Macht und ihre Karikatur
Jesus ist der König der Welt, weil er Leben geben kann. Alle anderen Herrscher und Tyrannen können nur mit dem Tod drohen und aus der Kraft des Todes regieren, Jesus dagegen regiert aus der Fülle des göttlichen Lebens heraus. Er kann heilen, versöhnen, befreien und richtet damit eine ganz andere Art von Herrschaft auf. Besser gesagt: er definiert neu, was Herrschaft eigentlich ist und worin Macht eigentlich besteht. Wir denken beim Wort »Macht« immer gleich an die Macht, die aus den Gewehrmündungen und von den Bankkonten kommt. Paulus macht deutlich: das ist eine Karikatur der eigentlichen göttlichen Macht.
Wenn von Gottes Macht gesprochen wird, dann dürfen wir uns Gott nicht wie eine Art Oberkaiser vorstellen, der an der himmlischen Spitze der Gesellschaftspyramide thront. Dann würden wir uns Gott einfach nach dem Bild der Herrscher gestalten, die wir zur Genüge kennen. Stattdessen sollten wir alle Formen menschlicher Herrschaft als mehr oder weniger heftige Verzerrungen der göttlichen Macht ansehen, die unsere Welt aus Liebe geschaffen hat und Tag für Tag am Leben erhält. Wenn wir an Macht denken, dann sollen wir an Jesus denken, wie er Kranke heilt und Menschen herausholt aus ihrer Schicksalsergebenheit und Ohnmacht. Jesus, um den herum die neue Welt Gottes Gestalt annimmt. Leben schenken – das ist die wirkliche Macht in der Welt, und alle anderen Mächte müssen daran gemessen werden.
Und Paulus möchte, dass die Christen diese Ebenen nicht verwechseln. Der König Jesus kämpft mit dem Kaiser nicht auf dessen Schlachtfeldern. Eine Kirche, die mit dem Kaiser um die Herrschaft konkurriert und kaiserartige Macht anzuhäufen versucht, hat ihren Job nicht verstanden. Es geht darum, eine neue Welt aufzubauen und nicht darum, sich um die Herrschaft über die alte Welt zu streiten.
Bloß nicht zu Rebellen werden
Deshalb schreibt Paulus: werdet keine Reichsbürger, sondern zahlt eure Steuern und steht geduldig an, wenn ihr euren Perso verlängern müsst. Klar, es wäre besser, wenn man das schon im Internet könnte, aber sei’s drum. Wir haben Wichtigeres zu tun, als die arme Frau Mustermann zu nerven. Wir sind keine Rebellen, wir sind Revolutionäre.
Rebellen machen Ärger, weil sie auch ein Stück vom Kuchen der Macht abhaben wollen, oder weil sie sich persönlich beleidigt fühlen. Das sieht alles sehr aufmüpfig und kritisch aus, aber dabei kann viel kaputtgehen und am Ende werden aus den Rebellen auch nur wieder die alten Tyrannen. Donald Trump inszeniert sich als Kämpfer gegen das Establishment und Anwalt der Arbeiter, und am Ende, sollte er gewählt werden, wird er doch nur für sich und seine Milliardärskollegen sorgen.
Christen sind deshalb keine Rebellen, die im Rahmen der bestehenden Machtverhältnisse denken, sondern sie sind Revolutionäre, die eine viel radikalere Alternative zum System menschlicher Herrschaftsausübung haben. Und sie haben diese Alternative nicht nur (als eine Art politisches Programm), sondern sie leben sie, sie verkörpern die Alternative. Gottes neue Gesellschaft ist unter ihnen schon präsent. Daran denkt Paulus, und deshalb sagt er: verzettelt euch nicht in Rebellionen, die in der Logik des Systems bleiben. Jesus ist kein weiterer Machthaber wie all die anderen. Er bringt eine andere Art von Macht. Noch in den Versen vor unserem Text hat Paulus gesagt (12,21): überwindet das Böse nicht so, dass ihr mit seinen Mitteln dagegen kämpft, sondern überwindet das Böse mit Gutem. Eine bessere Alternative ist die wirksamste Kritik des Bestehenden.
Und weil er so radikal denkt, deshalb kann Paulus sozusagen mit links gleich noch die Basis für staatliche Herrschaft auswechseln: eine Behörde ist Gottes Dienerin, zu deinem Nutzen. All diese Instanzen staatlicher Herrschaft sind dazu da, den Menschen das Leben leichter zu machen. Das fühlt sich zwar nicht immer so an, aber wer mal in einem Land gelebt hat, wo der Staat nicht funktioniert, oder nur gegen Schmiergeld, der weiß eine einigermaßen geordnete Verwaltung zu schätzen. Natürlich kann man mit einem funktionierenden Behördenapparat auch schlimme Dinge anrichten, das wissen wir aus der Zeit des Nationalsozialismus, aber so weit denkt Paulus hier nicht. Richtige staatliche Christenverfolgungen gab es z.B. damals noch gar nicht.
Behörden sind zum Dienst da
Stattdessen kommt hier ein neues Denken über den Staat in Sicht: sieh eine Behörde als Gottes Dienerin an, die für dich da ist. Heute ist das ein geläufiger Gedanke, wenn auch nicht immer tatsächlich so. Aber damals war das eine ganz neue Art des Denkens. Geh mit dieser Haltung zum Amt, sagt Paulus, nicht maulig, sondern mit der Erwartung: die sind für mich da! Und deshalb werde ich sie nicht ärgern. Auf die Dauer kann das was ändern und es hat was geändert.
Und genauso bezahle deine Steuern mit der Haltung: ich bin stolz darauf, dass ich dieser Dienerin Gottes Mittel zur Verfügung stellen kann, damit sie ihre Aufgabe gut erfüllen kann. Gerade den Wohlhabenden und Superreichen würde so eine Haltung besser anstehen als das ewige Nörgeln über zu hohe Steuern. Erst mit allen legalen und halblegalen Tricks die eigenen Steuern reduzieren und sich anschließend beschweren, dass die Staatsschulden wachsen und die Straßen Schlaglöcher haben – das ist doch keine Haltung! Und wenn schon die Millionäre und Milliardäre die Steuern schlecht reden, dann sollen wir uns da nicht auch reinziehen lassen. Glücklicherweise gibt es ja auch unter den sehr Wohlhabenden welche, die fordern: besteuert uns endlich vernünftig! Wir wollen doch unseren angemessenen Teil dazu beitragen, dass dieses Land funktioniert!
Ich weiß nicht, ob die alle christlich motiviert sind, aber ein Land braucht christliche Revolutionäre, die sich nicht in die Schar der Mauler und Meckerer einreihen, gerade weil sie mit der größeren Revolution des Königs Jesus beschäftigt sind. Die wächst nämlich nicht aus der Unzufriedenheit, sondern aus aus der Freude am Reichtum Gottes.
Das Land braucht Revolutionäre
So ganz nebenbei können solche Revolutionäre auch für ein gutes und pragmatisches Klima im Land sorgen, wo viele andere immer nur aus Verdrossenheit und Kränkung heraus reden und handeln. Wir brauchen das Beispiel und die Ausstrahlung von Menschen, die gemeinsam eine ganz andere Welt denken und verkörpern, aber trotzdem freundlich zu Frau Mustermann sind.
Nicht die Beleidigten und Verbitterten werden Gutes erreichen, nicht die Rebellen werden ein Land humanisieren, sondern die, die mit Stolz dem König Jesus dienen, indem sie heilen, befreien, versöhnen, den Menschen dienen und in aller Verwirrung klar und wahr bleiben.