Das Fundament des neuen Lebens

Predigt am 18. Juli 2004 zu Römer 6,3-8.12-14

3 Wisst ihr nicht, was es heißt, auf Jesus Christus getauft zu sein? Wisst ihr nicht, dass wir alle durch diese Taufe mit einbezogen worden sind in seinen Tod? 4 Durch die Taufe sind wir mit Christus gestorben und sind daher auch mit ihm begraben worden. Weil nun aber Christus durch die unvergleichlich herrliche Macht des Vaters von den Toten auferstanden ist, ist auch unser Leben neu geworden, und das bedeutet: wir sollen jetzt ein neues Leben führen. 5 Denn wenn sein Tod gewissermaßen unser Tod geworden ist und wir auf diese Weise mit ihm eins geworden sind, dann werden wir auch im Hinblick auf seine Auferstehung mit ihm eins sein.
Was wir verstehen müssen, ist dies: der Mensch, der wir waren, als wir noch ohne Christus lebten, ist mit ihm gekreuzigt worden, damit unser sündiges Wesen unwirksam gemacht wird und wir nicht länger der Sünde dienen. 7 Denn wer gestorben ist, ist vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit. 8 Und da wir mit Christus gestorben sind, vertrauen wir darauf, dass wir auch mit ihm leben werden.

12 Euer vergängliches Leben darf also nicht mehr von der Sünde beherrscht werden, die euch dazu bringen will, euren Begierden zu gehorchen. 13 Stellt euch nicht mehr der Sünde zur Verfügung, und lasst euch in keinem Bereich eures Lebens mehr zu Werkzeugen des Unrechts machen. Denkt vielmehr daran, dass ihr ohne Christus tot wart und dass Gott euch lebendig gemacht hat, und stellt euch ihm als Werkzeuge der Gerechtigkeit zur Verfügung, ohne ihm irgendeinen Bereich eures Lebens vorzuenthalten. 14 Dann wird nämlich die Sünde ihre Macht nicht mehr über euch ausüben. Denn ihr lebt nicht unter dem Gesetz; euer Leben steht vielmehr unter der Gnade.

In diesen mittleren Kapiteln des Römerbriefs geht Paulus ganz tief hinein in die innere Logik des christlichen Lebens. Er arbeitet tief unter der Motorhaube – oder für alle, die sich mit Computerprogrammen auskennen: in den Tiefen der Registry – da, wo die Einstellungen sitzen, die sich dann im täglichen Umgang mit dem Auto oder dem Computer sehr umfassend auswirken, und zwar gerade deswegen, weil man auf diese Einstellungen im Normalbetrieb gar nicht stößt, sie sind für den normalen Nutzer selbstverständlich, und er weiß vielleicht gar nicht, dass man hier etwas verstellen kann.

Genauso sind die Einstellungen, die für das christliche Leben hier im Römerbrief vorgenommen werden, auch fundamental und weitreichend, und wenn hier ein Fehler sitzt, dann behindert er die Funktion des ganzen Systems. Und in der Tat hat es hier im Lauf der Jahrhunderte oft Fehler und Missverständnisse gegeben, und die haben sich dann auch in vielen Bereichen ausgewirkt. Und viele normale Christen haben diese Grundeinstellungen als so kompliziert empfunden, dass sie das lieber den Fachleuten überlassen haben.

Aber nicht umsonst haben wir mit diesen Kapiteln im Römerbrief sozusagen ein Handbuch für die komplizierten Grundeinstellungen des christlichen Leben, und wir sollen es auch zu Rate ziehen, auch wenn es zugegebenermaßen nicht einfach ist.

Paulus beschreibt hier die Funktion, die Arbeitsweise der Taufe für das Leben eines Christen. Und er sagt: die Taufe verbindet uns mit dem Tod Jesu. Die Taufe zieht uns mit hinein in dieses Geschehen, dass Jesus mit seinem Leben und endgültig mit seinem Tod auf Golgatha der Sünde, dem Bösen und dem Verderben in der Welt den entscheidenden Schlag versetzt hat.

Jesus hat das ja auf eine Art getan, die uns spontan gar nicht in den Sinn kommen würde, aber wenn man überlegt, dann ist es die bestmögliche Art, wie man das machen kann: Jesus hat dieser gottlosen Welt voller Unrecht, Gewalt und Tod eine Alternative entgegengesetzt, und zwar nicht in Gedanken oder als Idee, sondern er hat diese Alternative gelebt. Er hat ein Leben praktiziert, in dem sich Gott und sein guter Plan mit der Welt so deutlich widerspiegelte, dass die allermeisten Menschen davon restlos begeistert waren. Da wurde in den Menschen wieder eine Saite angeschlagen, von der sie schon gar nicht mehr wussten, dass es sie gibt. Da erwachte in ihnen etwas, was niemand ihnen zugetraut hätte. Und sie konnten Anteil bekommen an einem Leben, das Gottes Art widerspiegelte, ein Leben voll Güte und Vollmacht, und die Welt verwandelte sich überall dort, wo diese Menschen hingingen.

Dass diese Alternative stabil blieb und auch durch den Tod Jesu nicht kaputtzumachen war, das ist der entscheidende Sieg Gottes gewesen. Und was könnte die Welt des Unrechts und der Gewalt stärker in Frage stellen? Man kann gegen Unrecht protestieren, man kann meckern und maulen, man kann das Böse entlarven, anklagen und bloßstellen, aber dadurch kommt es nicht wirklich ins Wanken. Aber wenn es eine Alternative gibt, dann ist seine Herrschaft wirklich bedroht.

Stellen Sie sich vor, da arbeitet jemand in einer schrecklichen Firma: die Arbeit ist öde, die Bezahlung schlecht, das Betriebsklima mies, die Vorgesetzten arrogant. Wahrscheinlich werden die Beschäftigten darüber schimpfen, sie werden vielleicht protestieren oder im einen oder anderen Fall auch klagen. Vielleicht steht auch mal was in der Zeitung über die Zustände im Betrieb. Aber wenn die Betriebsleitung nichts ändern will, dann wird das alles nicht viel nützen. Und wenn die Firma auch noch der einzige größere Arbeitgeber am Ort ist, dann kommen die Beschäftigten einfach nicht darum herum, viele Stunden am Tag in dieser schrecklichen Umgebung zu verbringen.

Was würde diesen Zuständen den entscheidenden Schlag versetzen? Ganz klar, wenn daneben ein Firma aufmacht, die besser zahlt, die interessante Arbeitsplätze anbietet, wo das Betriebsklima angenehm ist usw. Wenn es eine echte Alternative gibt, dann werden die meisten Beschäftigten keinen Tag zögern, zu kündigen und bei der anderen Firma anzufangen. Protestieren ist gut und schön, aber erst wenn eine Alternative da ist, dann wird sich etwas ändern.

Und so lebte Jesus eine wirkliche Alternative zum Weltsystem, das auf Unrecht und Gewalt beruht. Den Vertretern der alten Ordnung blieb nur der Versuch, diese Konkurrenz mit aller Gewalt kaputtzumachen, aber sogar die Kreuzigung Jesu erreichte ihr Ziel nicht. Jesus starb so wie er gelebt hatte: in Treue zu Gott, und Gott antwortete darauf mit der Auferstehung. Da waren die Priester und Machthaber am Ende. Es gab nichts mehr, womit sie die andere Art zu leben, die Jesus gebracht hatte, noch hätten zerstören können. Sie waren erledigt, sie hatten mit der Kreuzigung nicht Jesus den entscheidenden Schlag versetzt, sondern ihrem eigenen Herrschaftssystem. Und weil sie ja nur Erfüllungsgehilfen des Bösen waren, bedeutet das auch: der Herrschaft des Bösen in der Welt ist der tödliche Schlag versetzt.

Und nun schreibt Paulus hier im Römerbrief: Die Taufe verbindet uns mit diesem Tod Jesu am Kreuz, der sich nach der Auferstehung als der entscheidende Sieg herausstellte. Damals auf Golgatha hat der alte Adam, der Mensch, der noch von der alten Ordnung geprägt ist, sein Ende gefunden. Und in der Auferstehung Jesu wurde der neue Mensch endgültig ins Leben gerufen. Was im Tod und in der Auferstehung Jesu für die ganze Welt entschieden ist, das wird in der Taufe noch einmal individuell auf mich angewendet. »Du gehörst jetzt nicht mehr der Sünde, dem Bösen, der Zerstörung. Du gehörst von nun an Gott.«

Paulus nennt die Taufe ein Begräbnis, und das passt ja gut, wenn man bedenkt, dass man damals durch Untertauchen getauft wurde. Und er meint damit: der alte Mensch, die ganze alte Lebensweise, die am Kreuz Jesu den tödlichen Schlag bekommen hat, die war trotzdem noch nicht verschwunden. Die lag als Leiche immer noch in deinem Leben rum. Aber obwohl sie tot ist, ist sie deswegen nicht ungefährlich. Sie verpestet die Luft, sie vergiftet dich, und deshalb musste sie begraben werden durch die Taufe, und jetzt ist die Luft endlich sauber, und du kannst nun das neue Leben mit Jesus leben, ohne dass diese Giftstoffe aus dem alten immer wieder alles verderben.

Das war jetzt kompliziert, nicht wahr? Ich sage ja: Paulus arbeitet unter der Motorhaube! Ich fasse es noch einmal kurz zusammen: Jesus hat durch sein Leben und seinen Tod am Kreuz in Wirklichkeit der alten Art zu leben den tödlichen Schlag versetzt. Die ist jetzt eine Leiche, vielleicht auch ein Zombie. Und durch die Taufe wird diese Leiche aus meinem Leben entfernt, damit Jesus in mir leben kann, damit das neue Leben von Jesus her auf einem gereinigten Fundament gebaut werden kann. Das ist die Funktion der Wassertaufe. Sie ist die entscheidende Grundlage des individuellen christlichen Lebens, und so wie Paulus das hier schreibt, klingt es danach, dass das damals in den Gemeinden eigentlich unbestritten war.

Aber erst jetzt wird es eigentlich interessant Die Frage ist ja: wie kommt es denn dazu, dass sich dieser Neuanfang auch praktisch in unserem Leben zeigt? Das war schon damals eine Frage, obwohl die meisten Menschen als Erwachsene getauft wurden und die Taufe ein ganz deutliches Bekenntnis zu Jesus war. Kommt das von selbst, oder wie?

Und allein die Tatsache, dass Paulus hier so kompliziert argumentieren muss, die zeigt: das kommt nicht von selbst. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, dass viele Christen glauben, dass das irgendwie automatisch kommt oder dass Gott das für uns macht. Und das führt dann dazu, dass die Christen und die Gemeinden nicht das Leben praktizieren und ausstrahlen, für das sie eigentlich bestimmt sind. Es führt dazu, dass Christen nicht wachsen in der Liebe und nicht wachsen in der Erkenntnis, sondern manchmal sogar im Laufe der Zeit griesgrämiger und ängstlicher werden und sich manchmal gerade dadurch auszeichnen, wie schnell sie andere Menschen kritisieren und verurteilen.

Es ist ähnlich wie mit dem Missionsbefehl: da sagt Jesus am Anfang »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden«, aber dann fährt er nicht fort: also macht Pause, bis ich alles geregelt habe, sondern »geht hin in alle Welt«. Jesus hat alle Macht, aber auf dieser Basis müssen sich die Jünger aufraffen und in alle Welt gehen. Die Welt wird nicht automatisch missioniert, und ein menschliches Leben wird durch die Taufe nicht automatisch neu.

Eine ganze Menge von Glaubensrichtungen haben gedacht, dass das Problem darin besteht, dass Menschen als Säuglinge getauft werden, und deshalb gar nicht wissen, was da mit ihnen geschieht. Das ist natürlich wirklich ein Unterschied, ob sich ein Erwachsener mit Klarheit und Verantwortung zu Jesus bekennt, oder ob es ein Säugling ist, dessen Eltern vielleicht selbst kaum wissen, worum es da geht. Aber der eigentliche Knackpunkt ist nicht, dass die Taufe mit keiner klaren Entscheidung für Jesus verbunden ist, sondern das Problem ist, wenn man erwartet, dass aus der Taufe (egal ob Säuglings- oder Erwachsenentaufe) automatisch und selbstverständlich auch eine neue Lebenspraxis entsteht. Es gibt genügend Erfahrungen, die zeigen, dass das nicht funktioniert.

Paulus unterscheidet hier deutlich zwischen dem Fundament, dass wir getauft und mit Christus gestorben sind, und den Konsequenzen, die wir daraus ziehen. Weil Christus, mit dem wir verbunden sind, auferstanden ist, ist auch unser Leben neu geworden, damit wir ein neues Leben führen, schreibt Paulus (v.4). Wenn man diesen Satz genau auseinandernimmt, dann sieht man: Dass Christus gestorben ist und dass wir durch die Taufe mit seinem Tod verbunden sind, das ist Tatsache. Aber dass wir jetzt auch praktisch ein neues Leben führen, das ist noch keine Tatsache, auf die wir zurückblicken können wie auf den Tod Jesu, sondern ein Ziel, das nicht automatisch erreicht wird.

Deswegen wechselt Paulus jetzt den Ton und schreibt Aufforderungen: Stellt euch nicht mehr der Sünde zur Verfügung, sondern stellt euch Gott als Werkzeuge der Gerechtigkeit zur Verfügung, ohne ihm irgendeinen Bereich eures Lebens vorzuenthalten (v. 13)! D.h., hier geht es um Entscheidungen, die wir treffen sollen. Es gibt Dinge zu bedenken und zu begreifen, wir müssen uns von Gott beraten lassen, wir müssen unseren Verstand benutzen, wir sind darauf angewiesen, dass andere Menschen uns beraten – alle Methoden, mit denen wir auch sonst zu guten Entscheidungen kommen, müssen wir auch hier einsetzen. Wir müssen Energie und Zeit einsetzen, um die Pflanze des neuen Lebens zu hegen und zu pflegen. Der Boden ist durch die Taufe gereinigt und entgiftet – aber das Wachstum auf diesem Boden müssen wir fördern.

Die Taufe hat den Grundstein gelegt, aber jetzt geht es darum, dass wir diese Wahrheit, dass wir mit Jesus verbunden sind, Tag für Tag praktisch auf unser Leben beziehen. Die Wirklichkeit, dass wir durch Jesus neues Leben, Auferstehungsleben, haben, das ist eine verborgene Wirklichkeit. Der Epheserbrief sagt sogar: die liegt im Himmel. Die kann man nicht überprüfen oder beobachten. Aber hier auf der Erde soll sie Konsequenzen haben und sich verwirklichen.

Das ist etwas anderes als die Anstrengungen, die anständige Menschen sonst unternehmen, wenn sie merken, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Diese Anstrengungen heißen bei Paulus das Gesetz. Unter dem Gesetz leben bedeutet, dass wir sündigen und die Sünde dann bekennen und uns von Gott vergeben lassen und dann doch wieder sündigen und uns wieder vergeben lassen und es geht eigentlich nicht voran. Dieser ganze Kreislauf ist noch keine Befreiung von der Sünde. Es ist Flickwerk am alten Adam, sicher manchmal notwendig und sinnvoll, aber es geschieht alles noch auf der Grundlage des alten Menschen, dessen Gift uns lähmt.

Wenn ihr noch einmal an das Beispiel mit den zwei Betrieben denkt: solange wir in dem schlechten Betrieb arbeiten, werden wir meckern und kritisieren, wir werden auch versuchen, es besser zu machen, aber wir werden mit unseren Bemühungen immer wieder auf Granit beißen und scheitern. Wir werden dass Gefühl haben, dass wir uns viel Mühe geben und trotzdem immer wieder scheitern. Genau dieses Gefühl: »immer wieder scheitere ich, obwohl ich mir solche Mühe gebe« ist typisch für ein Leben unter dem Gesetz. Aber das Problem ist nicht, dass wir schlecht arbeiten, sondern dass wir im falschen Betrieb sind. Erst wenn wir in dem guten Betrieb arbeiten, dann gibt es eine Chance, dass unsere Bemühungen auch Früchte tragen. Wir werden uns auch da anstrengen müssen, wir und andere werden auch dort Fehler machen, aber die ganze Grundlage ist anders.

So schreibt hier Paulus, dass die Verhältnisse für uns grundlegend anders sind, weil die Basis sich geändert hat. Unser alter Mensch ist tot und begraben. Jetzt erst haben alle Bemühungen, frei zu werden von der Sünde, ein realistisches Fundament. Jetzt erst kommt das Auferstehungsleben Jesu zu uns. Und Paulus ist überzeugt, dass wir das wissen müssen, dass wir das in unseren Gedanken klar bekommen sollen. Wir müssen nach diesem Muster denken, damit es dann auch wirklich geschehen kann.