Das Sakrament des Konflikts
Predigt am 24. Juli 2022 zu Römer 6,3-11
3 Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind?
4 Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln. 5 Wenn wir nämlich mit der Gestalt seines Todes verbunden wurden, dann werden wir es auch mit der seiner Auferstehung sein.
6 Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde, sodass wir nicht mehr Sklaven der Sünde sind. 7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. 8 Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.
9 Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. 10 Denn durch sein Sterben ist er ein für alle Mal gestorben für die Sünde, sein Leben aber lebt er für Gott. 11 So begreift auch ihr euch als Menschen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus.
Stellen Sie sich mal vor, wir hätten heute im Gottesdienst eine Taufe gehabt – das wäre ja gar nicht unwahrscheinlich. Und dann sitzen also Eltern und Patinnen hier mit dem niedlichen kleinen Kind auf dem Arm und hören: wisst ihr nicht, dass wir auf den Tod Jesu getauft worden sind? Durch die Taufe wurden wir mit ihm zusammen begraben. Wisst ihr das echt nicht? Ich könnte mir vorstellen, dass die Eltern da zusammenzucken und denken: o, das hat uns aber vorher keiner gesagt!
Der Tod Jesu: Zuspitzung eines Fundamentalkonflikts
Nein, das weiß im Grunde kaum einer. Bei Taufen wird viel lieber die Geschichte aus dem Evangelium vorgelesen, wo Jesus die Kinder segnet, aber nicht dieser Text mit der Taufe in den Tod. Damit ein Kind geschützt ist, dafür wird es doch getauft, manchmal auch, damit es in den Himmel kommt, wenn es früh sterben sollte, damit es zu Gott gehört oder damit sein Leben gelingt. Aber hier heißt es, wir werden bei der Taufe mit dem Tod Jesu verbunden. Allerdings dann auch mit der Auferstehung, das steht da ja auch, aber die Verbindung zur Auferstehung bekommt man nicht ohne die Verbindung zum Tod, zum Kreuz. Warum? Und was ist damit gemeint?
Der Tod Jesu war ja die konzentrierte Zuspitzung des Konflikts zwischen ihm und den religiös-politischen Führungsschichten. Wenn man eins der Evangelien im Zusammenhang liest, nicht nur in Häppchen, sondern hintereinander, dann merkt man, wie sich dieser Konflikt die ganze Zeit aufbaut, von Anfang an schon. Ich erspare uns heute mal die Einzelheiten, das müsst ihr mir jetzt glauben, sonst wird die Predigt zu lang. Aber immer wieder gibt es Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Gegnern, und Jesus warnt seine Jünger im Geheimen und sagt ihnen: hütet euch vor denen! Habt mit denen nichts zu tun!
Und am Ende packt er den Stier bei den Hörnern und geht nach Jerusalem, genau da hin, wo die Macht konzentriert ist: in den Tempel. Religiös, finanziell, politisch und militärisch ist das das Machtzentrum des ganzen Landes. Und er fordert seine Feinde in ihrem Zentrum heraus, bis sie ihn festnehmen und kreuzigen. Und damit macht er deutlich: hier gibt es einen unüberwindbaren Konflikt. Mit mir kommt Gott, und wenn Gott in seine Welt kommt, dann wehren sich alle Mächte dieser Welt dagegen, dass er sich in ihre Geschäfte einmischt.
Auf Gott wartet keiner
Es ist doch nicht so, dass die ganze Welt nur darauf warten würde, dass Gott endlich mal auftaucht. Es gibt ja Menschen, die sagen, dass sie auf der Suche nach Gott sind, aber ich glaube, das kann man meistens eher mit der Suche einer Maus nach der Katze vergleichen. Gott will Gerechtigkeit, im Großen und im Kleinen. Und das passt überhaupt nicht allen.
Wenn Gott sich zeigt, und er zeigt sich in der Gestalt von Jesus, in der Gestalt eines Menschen, dann sagen keineswegs alle: Hallo, schön, dass du da bist, wir haben schon auf dich gewartet, komm, setz dich, es ist noch Torte da! Nein, wenn Gott kommt, dann überlegt ein Haufen Leute, wie man es verhindern kann, dass er sich in ihre Geschäfte einmischt. Das gibt einen riesigen Konflikt, wenn Gott kommt. Und wenn er sich nicht in die religlöse Harmlosigkeit abschieben lässt, irgendwo ins Jenseits, wenn er wirklich für Gerechtigkeit auf Erden steht, dann versucht man ihn eben aus der Welt zu verdrängen, und am Ende landet er am Kreuz. Am Ende ist er tot, und ein paar Tage lang konnten seine Mörder hoffen, nun wäre endlich Ruhe.
In den Konflikt hineingezogen
Und nur weil Gott Jesus auferstehen ließ, geht seine Geschichte weiter, bis zu uns. Aber es ist eine Konfliktgeschichte geblieben, bis heute. Und um jetzt wieder an das Stichwort der »Taufe in den Tod« anzuknüpfen: wer getauft wird, wird in diesen tödlichen Konflikt hineingezogen. Das ist schon manchen Christen so gegangen, dass sie dachten: ach schön, jetzt sind meine Sünden vergeben, wahrscheinlich komme ich in den Himmel, die paar Jährchen bis dahin schaffe ich auch noch – und dann finden sie sich plötzlich in einem Konflikt auf Tod und Leben vor, mit dem sie gar nicht gerechnet haben.
Vielleicht erinnern sich einige an Oscar Romero, den katholischen Erzbischof von El Salvador. Das war eigentlich ein ganz konservativer Kirchenmann, sehr begabt, der machte Karriere, bis er schließlich Erzbischof war. Aber dann scheint sich bei ihm etwas verändert zu haben: er kritisierte die Ungerechtigkeit im Land und die Gewalt gegen die Opposition. Ich lasse die Einzelheiten weg. Aber er wurde den herrschenden Militärs so gefährlich, dass er 1980 im Auftrag der Sicherheitskräfte von einem Auftragsmörder am Altar erschossen wurde. 2018 hat ihn Papst Franziskus heiliggesprochen.
Das ist ein krasses Beispiel dafür, was es heißt, mit dem Tod Jesu verbunden zu sein. So ist das zum Glück nicht die Regel, aber Taufe bedeutet immer: in den Konflikt hineingezogen zu werden, den Jesus begonnen und bis zum Ende durchgefochten hat. Das göttliche Leben, das Jesus bringt, ist umstritten, es bringt Spaltungen und Konflikte, und wer Jesus folgt, wird da unweigerlich mit hineingezogen. Dafür gibt es kein Standardmodell, das passiert bei allen auf ganz unterschiedliche Weise, aber erspart bleibt es keinem.
Das Kreuz ist der Rahmen
Paulus selbst hat das am eigenen Leib erfahren. Wahrscheinlich hat es ihn am Ende auch sein Leben gekostet. Oder Martin Luther: der hat jahrelang hinten in der Provinz biblische Theologie unterrichtet, und plötzlich stand er im Zentrum eines europäischen Konflikts. Beide haben darauf bestanden, dass man vom Kreuz Jesu her denken muss, also von diesem fundamentalen Streit her, den Gott in der Welt anzettelt, weil er Gerechtigkeit will.
Und alles, was Paulus dann über die Auferstehung sagt, das sagt er unter dieser Voraussetzung, dass man die Auferstehung als Gottes Stellungnahme in diesem Kampf verstehen muss, als Gottes Bestätigung: Ja, signalisiert Gott, Jesus hatte Recht, es ist mein Kampf, den er geführt hat. Ich stehe hinter ihm, ich bestätige ihn, ich gebe ihm neues Leben. Ich gebe neues Leben ihm und allen, die so wie er für Gerechtigkeit stehen.
Es ist klar, wir sind nicht Jesus, wir machen das längst nicht so gut wie er, wir sind nicht die Pioniere, die so wie er vorangehen und eine Lücke reißen in die Macht des Todes und der Finsternis. Aber wir sind durch die Taufe mit seinem Tod verbunden, wir sind in seinen Konflikt eingetreten, wir gehen hoffentlich in seinen Spuren, wir gehen den Weg, den er eröffnet hat, und dann werden wir so wie mit seinem Tod auch mit seiner Auferstehung verbunden sein.
Auferstehung praktisch
Und woran zeigt sich das? Die Auferstehung bildet sich hier in uns ab, wenn in uns und zwischen uns ein neues Leben wächst, das auch uns selbst befreit aus der Verstrickung in die Todesmächte. Heute kann es jeder sehen, dass es Mächte und Gewalten gibt, die diese Welt zerstören wollen, die diese einzigartige Zone des Lebens verwüsten wollen, in der wir zu Hause sind: diese vier oder sechs Kilometer dünne Zone des Lebens auf unserem Planeten, die so schön ist, so unglaublich reich an lebendigen Formen und so kostbar. Wir haben alle schon mal die Bilder von diesem unglaublich schönen blauen Planeten gesehen, auf dem wir zu Hause sind. Und diese hauchdünne Atmosphäre darum, die das Leben erst möglich macht.
Aber die Todesmächte wollen dieses Leben rückgängig machen, zerstören. Und sie machen uns zu ihren Komplizen, sie haben uns in ein System eingewoben, wo wir mit all unseren alltäglichen Lebensvollzügen an ihrem Zerstörungswerk teilnehmen. Und wir glauben, es geht nicht anders, es müsste so sein.
Aber Paulus sagt: wenn wir uns mit Jesu Tod verbinden – und das wird in der Taufe konzentriert sichtbar – dann sind wir nicht mehr an diese Todes- und Sündenmächte gebunden. Jesus war frei von ihnen, und er macht alle frei, die ihm auf seinem Weg nachfolgen. Wir sind keine Gefangenen dieser Mächte mehr, keine Sklaven, die gezwungen sind, unsere eigenen Lebensgrundlagen zu untergraben. Jesus hat diese Bindung zerstört, er hat das Tischtuch zerschnitten, und wenn wir zu ihm gehören, gilt das auch für uns.
Nachdenken wird unterschätzt
Das Gute ist nämlich: weil diese Mächte so universal sind und alles durchdringen, deshalb können wir ihnen auch an so vielen verschiedenen Punkten den Gehorsam kündigen. Wir können unseren Energieverbrauch drosseln, wir können weniger und langsamer Auto fahren, wir können beim Wählen das Kreuz bei denen machen, die sich nicht an den Reichen und Schönen orientieren (das spart übrigens das meiste CO2 ein), wir fragen uns beim Einkaufen: brauch ich das ganze Zeug denn wirklich?, und wir stellen dann auch im Kleinen die Unterstützung ein für Minityrannen und Mobberinnen und alle, die die zwischenmenschliche Atmosphäre vergiften. Und mit jedem bewussten Schritt, mit dem wir den Mächten auch praktisch die Solidarität kündigen, wird unsere Verbindung mit Jesus Christus stärker.
Aber dafür muss man auch intensiv überlegen, da braucht es mehr Gedanken, als jetzt in eine Sonntagspredigt passen. Deshalb die vielleicht wichtigste Frage: wärst du bereit, für dieses Nachdenken Zeit zu investieren? Wärst du bereit, andere Termine sausen zu lassen, um gemeinsam mit anderen zu überlegen, wie wir denn überall unsere Bindungen an diese Mächte der Zerstörung kappen können? Das funktioniert erst dann richtig, wenn man es zusammen macht. Das wäre eigentlich ein richtiger Taufkurs. Die meisten von uns sind ja als Kinder getauft worden, deswegen müssen wir das im Grunde alle nachholen: Wie kappen wir jetzt auch real die ganzen Verbindungen zu den Sünden- und Todesmächten, denen wir in der Taufe grundsätzlich, fundamental gestorben sind? Mit Jesu Tod verbunden sein, das heißt als erstes: für solche Gedanken Zeit und Kraft einsetzen. Nicht nur Fragen und Probleme haben, sondern Lösungen finden und Teil der Lösung sein.
Gott finden im Konflikt
Jesus ist endgültig auferstanden. Sein ewiges Leben ist jetzt unzerstörbar. Aber die Kraft seiner Auferstehung soll sich in unserem aktuellen Leben wiederfinden und zeigen. Das ist unsere Art, wie wir jetzt mit der Auferstehung verbunden sind. Wer den Konflikt wahrnimmt, den Gott angezettelt und im Bund mit Jesus durchgezogen hat, und wer sich in diesen Konflikt hineinziehen lässt, an der Seite Jesu natürlich, der ist so nah an der Auferstehung dran, wie man es in dieser Zeit nur sein kann.
All die guten Dinge, die wir als Christen laut Bibel in unserem Leben und darüber hinaus erwarten dürfen, die sind im Rahmen dieses Konflikts zu finden. Die meisten Menschen fürchten sich vor Konflikten und vermeiden sie, wenn es irgend geht. Aber Gott verheißt uns, dass wir da mittendrin ihn finden werden, stärker und klarer, als in den Komfortzonen des Lebens. Es gibt die Zonen mitten im Streit, wo man sich in Gott sicher und geborgen fühlt. Da ist etwas davon zu ahnen, wie es ist, wenn in der neuen Welt die Finsternis vertrieben und das ganze Land voll der Gerechtigkeit ist.
Sehr spannend!
Das Leben als Christenmensch als Abenteuer, Teil eines kosmischen Konflikts.
Mich hat noch was anderes beschäftigt, was bei dir am Ende kurz anklingt: Die Formulierung „Sakrament des Konflikts“ kann man ja auch umdrehen, dass also auch ein Konflikt was sakramentales haben kann, nämlich weil uns Gott darin begegnet. So ähnlich klingt es bei John Paul Lederach in seinem Buch „Vom Konflikt zur Versöhnung“ auch an.
Pardon, ich habe gerade erst gesehen, dass ich deinen Kommentar noch freischalten muss.
Ich denke, dass man in vielen Situationen auf Gott stoßen kann, und nicht selten tatsächlich im Konflikt. Das Spezifikum der „klassischen“ Sakramente ist demgegenüber, dass sie quasi die Originalhandschrift Gottes sind. Wer Ihn von dort kennt, erkennt Seine Handschrift dann auch anderswo wieder.