Was seit Adam und Eva schief läuft
Predigt am 14. November 2010 zu Römer 1,18-32 (Predigtreihe Römerbrief 03)
Im vorigen Abschnitt des Römerbriefes hat Paulus von der Kraft Gottes gesprochen, vom Evangelium, von der Botschaft, dass Gott seinen Verheißungen und seiner Erde treu bleibt, und er ist überzeugt, dass dies eine effektive Kraft ist, mit der er sich nicht verstecken muss, weil sie tatsächlich etwas bewirkt, nämlich Rettung.
Heute hören wir etwas über die Welt und die Menschen, zu denen dieses Evangelium kommt. Und so hell und strahlend der Start bisher war, wie ein heller Trompetenstoß am Anfang, so dunkel ist das Bild, das Paulus nun zeichnet. Er beschreibt eine Welt, die sich zunehmend verfinstert; Menschen, die auf eine abschüssige Bahn geraten sind und immer mehr Unheil anrichten. Nicht jeder geht die Straße ganz bis zum Ende, aber es gibt eine Tendenz zum Zerstörerischen, die auch Gutwillige erfasst.
Und nun kann man merken, dass Paulus das nicht einfach alles neu erfunden hat, sondern er orientiert sich wenigstens grob an dem, was ganz am Anfang der Bibel im Alten Testament gesagt wird über den Bruch zwischen Gott und den Menschen. Wir kennen das als die Geschichte des Sündenfalls, wie Adam und Eva von der verbotenen Frucht aßen. Und man kann das, was Paulus hier schreibt, lesen als eine Auslegung der Geschichte vom Sündenfall. Nicht als eine Geschichte, die irgendwann einmal in grauer Vorzeit geschehen ist, sondern als etwas, was wieder und wieder geschieht und die Struktur des auseinander fallenden menschlichen Lebens beschreibt.
Die Pointe bei der Geschichte von Adam und Eva im Paradies ist ja, dass die beiden nicht beschlossen haben, mal etwas richtig Böses zu tun. Überhaupt nicht! Mord und Totschlag kommt erst eine Generation später, bei ihren Söhnen Kain und Abel. Aber die Eltern haben die Wurzel dazu gelegt, indem sie sich auf das falsche Bild von Gott einließen, das ihnen die Schlange nahe legte.
Adam und Eva haben auch nicht angefangen Gott zu leugnen. Das wäre sehr schwierig gewesen in dem Paradiesgarten, der noch so deutlich Gottes Handschrift zeigte. Aber sie haben sich abbringen lassen von der Liebe zu Gott, vom Vertrauen auf Gott, und dadurch ist der ganze Schaden entstanden. Und bis heute sind ja im weltweiten Maßstab nur sehr wenige Menschen Atheisten, die behaupten, das mit Gott wäre alles Humbug. Das ist eine verschwindend kleine Minderheit, die sich sich vor allem in Westeuropa konzentriert. Weltweit gesehen sind die allermeisten Menschen irgendwie religiös, auch bei uns.
Es gibt nur sehr wenige Menschen, die nie darauf stoßen, dass die Welt ein Geheimnis hat, eine Grenze, wo man mit irgendwelchen vernünftigen Reaktionen nicht mehr weiterkommt: wenn wir der Schönheit begegnen oder wenn wir in Liebe über uns hinauswachsen, wenn wir ein neugeborenes Kind zum ersten Mal im Arm halten, wenn wir angesichts der immer verwirrenderen Spekulationen der modernen Elementarphysik den Atem anhalten oder wenn wir uns fragen, ob denn unsere 70, 80 oder 90 Lebensjahre schon alles gewesen sein können: immer stoßen wir da auf etwas, was wir nicht wirklich unter Kontrolle bekommen, was wir nicht wirklich einordnen können, was größer ist als wir selbst und uns ein Hinweis sein könnte auf den Gott, der das alles geschaffen hat.
Aber der Punkt ist, dass wir diesen Hinweisen nicht wirklich nachgehen. Obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen und ihm gedankt, sagt Paulus. Adam und Eva durften die herrlichsten Früchte im Garten essen, der Zugang zum Baum des Lebens war für sie frei, es war eine wunderbare Welt, in der sie lebten, aber sie haben trotz alledem Gott nicht so vertraut, dass sie sich von dem einen verbotenen Baum ferngehalten hätten. Und obwohl wir nicht mehr im Paradies leben, gibt es immer noch genügend solcher Hinweise. Wer allein heute morgen gesehen hat, wie für einige Minuten ein goldener Lichtschein auf den Bäumen lag – das reicht eigentlich schon, um einen ganzen Tag lang einen hellen Schein im Herzen zu haben. Aber wie schnell geht das vorbei! Und wer von uns hat die Zeit, das wirklich in sich aufzunehmen? Dass Menschen andächtig vor einem beeindruckenden Wald stehen, hindert sie nicht, Aktien eines Unternehmens zu besitzen, das diesen Wald demnächst abholzen wird. Dass Menschen irgendwann erlebt haben, wie nach einem Gebet oder einfach so ihr Herz aufging und Sorgen und Angst verschwanden, das bringt sie überhaupt nicht dazu, von nun an die Quelle dieser Erfahrung zu suchen und alles daran zu setzen, auch den Urheber des Ganzen zu verstehen.
Wenn wir aber nicht den Hinweisen nachgehen, die Gott gibt, sondern uns dagegen abschotten, dann fallen wir dem Nichtigen in die Hände. Wir können nicht ohne irgend so etwas wie Gott sein. Menschen sind so geschaffen, dass sie irgendjemandem oder irgendetwas vertrauen müssen, und wenn sie nicht auf Gott hören, dann vertrauen sie eben der Schlange. Sie kamen sich besonders klug vor, als sie vom Baum der Erkenntnis aßen. Aber in Wirklichkeit verdarben sie damit alles. Menschen sind zentral in der Schöpfung, wie Gott sie eingerichtet hat. Und wenn die Menschen den falschen Weg einschlagen, dann fällt alles auseinander. Menschen sollen gegenüber der Schöpfung Gott repräsentieren, ihn vertreten. Wenn sie das nicht mehr tun, dann ist die Welt in ihrem Kern krank. Das Unheil fängt an mit dem falschen Gott. Sie verehrten nicht den Schöpfer, sondern Geschöpfe. Vor einer Woche habe ich hier eine Statue des Kaisers Augustus gezeigt, wo er eigentlich schon als Gott oder Halbgott dargestellt war. Diese Verehrung von Menschen haben die Christen nicht mitgemacht.
Aber wenn es heute bei uns keine solchen Götterbilder mehr gibt, heißt das nicht, dass wir von Götzen frei wären. Gott ist immer das, worauf wir hören, worauf wir vertrauen und wofür wir Opfer bringen. Der Gott, auf den heute bei uns de facto alle hören, ist der Markt. Ich habe in diesem Jahr ja öfter mit Leuten gesprochen, die Tierfabriken planen oder betreiben, und es war immer eindrucksvoll, mit welchem Engagement die einem darlegen, dass sie keine Wahl haben, dass sie das einfach müssen. Und sie sagen: das muss ich tun, der Markt verlangt es von mir. So ist es nun mal. Und wenn wieder mal Milliarden in das Bankensystem gepumpt werden, und bei den kleinen Leuten wird gespart, dann sind es die Gesetze des Marktes, die das unumgänglich machen. Kurzum, wenn du nicht auf den Schöpfergott hörst, der das Prinzip des Gebens und Schenkens und Vertrauens in die Welt gelegt hat, dann wirst du am Ende landen beim Raffen, Besitzen und Zerstören, und es ist dann nur noch die Frage, wie weit du auf dieser Straße gehst: nur ein paar Schritte, vorsichtig und mit Skrupeln, oder mit entschlossenem Schritt ganz bis zum Ende.
Die Folge dieses Sich-Abwendens vom Schöpfer ist ein verwirrtes Denken. Wer den Schöpfer nicht kennt, versteht auch die Welt nicht richtig. Noch einmal: die Wurzel der Zerstörung liegt nicht darin, dass Menschen sich entschließen, mal etwas richtig Fieses zu tun, sondern es ist eine zerstörte Tiefenstruktur, die führt dazu, dass man auf die falschen Impulse hört und auf Mächte vertraut, die nicht Gott sind, und das führt zu falschem, irregeleiteten Denken. Nicht die moralischen Fähigkeiten sind gestört, sondern die Erkenntnisfähigkeiten. Es kann sein, dass Menschen mit voller, ehrlicher Überzeugung behaupten, dass es gut und weise ist, das eine zu tun und das andere zu lassen – und dabei völlig falsch liegen. Die meisten Katastrophen und Verbrechen geschehen, weil Menschen einfach der Überzeugung sind, sie müssten so handeln, wie sie es tun und hätten keine andere Wahl. Und in der Regel ist das auch nicht ihr persönlicher Irrtum, sondern sie teilen ihn mit vielen anderen, oft mit ihrer ganzen Kultur. Die wenigsten Sünden sind unsere rein privaten Sünden.
Und nun beschreibt Paulus, was am Ende aus dieser Abwendung vom Schöpfer entsteht. Auch dabei hat er immer noch den Anfang der Bibel im Kopf, die Schöpfungsgeschichte und die ersten Kapitel des 1. Buches Mose. Da wird beschrieben, wie Gott Menschen als Mann und Frau geschaffen hat. Ich sage Brautpaaren öfter mal, dass ein Mann niemals verstehen wird, wie eine Frau denkt, und eine Frau wird nie wirklich nachvollziehen können, wie sich die Welt für einen Mann anfühlt. Und trotzdem gibt es die Momente, wo über diesen Graben des Nichtverstehens Brücken geschlagen werden, und wenn es gut geht, passiert das immer wieder in einer Ehe, und das Ergebnis ist Glück. Irgendetwas in der Tiefenstruktur der Welt ist darauf angelegt, dass Unterschiedliches zusammenkommt, ohne dass die Unterschiede aufgehoben werden, und dass daraus Freude und Glanz entsteht. Wenn man die Vielfalt der Kulturen betrachtet und sieht, wie gerade die Begegnung unterschiedlicher Kulturen produktiv ist und Reichtum hervorbringt, hat man ein anderes Beispiel für dieses Grundprinzip. Und deshalb benennt es Paulus als ein Zeichen für das Auseinanderfallen der Welt, dass Menschen nicht mehr diese Brücke zum anderen Geschlecht schlagen, sondern beim eigenen Geschlecht bleiben.
Paulus spricht auch hier nicht über einzelne Menschen, die eine falsche Wahl treffen oder besonders verirrt sind. Er spricht von etwas, was die ganze Menschheit betrifft. Das Problem wird nicht dadurch gelöst, dass man zu gleichgeschlechtlich Empfindenden sagt: änder das. Hör auf damit. Das ist genauso wenig hilfreich und zielführend, wie wenn man zu einem Menschen mit Depressionen sagen würde: steh morgen einfach fröhlich und voller Tatkraft auf. Das geht nicht und das hilft nicht, das legt Menschen, die sowieso schon schwer genug zu tragen haben, noch zusätzlich Lasten auf. Und dabei sollten sie doch in der Gemeinde einen sicheren Platz haben, wo sie willkommen sind.
Selbst bei den anderen Folgen der menschlichen Fehlorientierung, die Paulus anschließend in großer Breite aufzählt, wäre das schwierig. Paulus ist immer noch bei der Schöpfungsgeschichte, aber jetzt ist er bei Kain und Abel angekommen, wo aus falschem Denken der erste Mord entsteht. Misstrauen und Neid wachsen aus dem Griff nach der verbotenen Frucht, und daraus folgt der Brudermord. Zerstörung und Verbrechen wachsen selten in einer Generation, die haben Wurzeln, die meist schon viel älter sind. Wir tragen unser Familienerbe und unser nationales Erbe, das Erbe der Menschheit und die Geschichte des Christentums mit allen Schattenseiten in uns, und man wird das nicht so einfach mit einer Lossageformel los. Ja, wenn das so einfach wäre, zu sagen: hör einfach auf mit Verleumden, Lügen, Beneiden, Lieblosigkeit, Gewalt usw. ! Aber das steckt so fest in uns drin, ein bisschen Aufforderung hilft da nicht. Das Problem ist eben, dass wir nicht nur vielen Menschen begegnen, die sich so verhalten, sondern irgendwie stecken wir selbst darin, und es hängt von Zufällen und Gelegenheiten ab, wie weit wir dann diese Straße auch tatsächlich hinablaufen.
Das scheint heute ein ziemlich deprimierender Text zu sein. Nicht sehr aufbauend, eher negativ. Aber es gibt eine Hoffnung. Ganz am Anfang steht ein positives Vorzeichen. Ganz am Anfang schreibt Paulus, dass Gottes Zorn entbrennt gegen dieses ganze Konglomerat aus Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit. Es lässt den Schöpfer nicht gleichgültig, was aus seiner Schöpfung wird. Er könnte sie ja auch einfach sich selbst überlassen und interessiert zuschauen, wie sie den Bach runter geht. Aber das macht er nicht. Seine Welt liegt ihm viel zu sehr am Herzen. Er hängt an seiner Schöpfung. Und er wird es nicht zulassen, wenn sich die Zerstörung immer weiter ausbreitet. Er wird uns entgegentreten, wenn wir die Straße des Unheils immer weiter gehen.
An dieser Stelle werden manche Leute empfindlich. »O nein, mein Gott würde das nie tun: zornig werden, kämpfen, entgegentreten, Konflikte aufreißen. Es ist doch der liebe Gott. Der kann doch nicht so hart sein. Das macht mir Angst. Das kann nicht sein.« Und sie bringen sich damit um das Beste.
Wenn Gott uns einfach weitermachen lässt, kann er uns nicht retten. Wenn unsere Wege nicht gut sind, dann hilft nur Gottes Nein dazu. Wenn der Götze des Marktes unser Erde verwüstet, dann muss Gott ihn vom Thron stürzen. Aber wenn wir an diesem Götzen festhalten, dann muss Gott auch uns entgegentreten. Wer auf den Götzen des Marktes vertraut, der wird vielleicht einmal seine Altersversorgung verlieren, wenn dieser Götze zusammenbricht. Und auch das gilt weniger individuell als für die gesamtgesellschaftliche Ordnung.
Deshalb hängt alles daran, dass wir uns von Gott für sein Nein gewinnen lassen. Wie das geht, das wird Paulus noch entwickeln. Er fängt ja im Römerbrief bei Adam und Eva an und hat noch 15 Kapitel vor sich. Er steckt noch das Terrain ab und gibt einige Hinweise darauf, wo es hingehen soll: Es hängt alles daran, dass wir uns lösen lassen von den Götzen und von den falschen Wegen, auf die sie uns gelockt haben. Wenn wir dieses Nein Gottes zu den Götzen bejahen, wenn wir den Gott begrüßen und lieben, der uns entgegen tritt, wenn wir dem Gott vertrauen, der unsere Wege unterbricht, dann sind wir gerettet.