Der Richtige regiert
Predigt am 18. September 2022 zu Psalm 100,1-5
1 Ein Psalm. Zum Dankopfer.
Jubelt dem HERRN zu, alle Länder der Erde!/
2 Dient dem HERRN mit Freude, *
kommt vor ihn mit Jubel!
3 Erkennt, dass der HERR Gott ist!/
Er hat uns geschaffen, ihm gehören wir. *
Wir sind sein Volk und die Herde seiner Weide!
4 Kommt in die Tore seiner Stadt mit Dank,/
in die Vorhöfe seines Heiligtums mit Lobgesang! *
Dankt ihm und preist seinen Namen!
5 Denn gut ist der HERR,/
ewig währt seine Huld,*
und von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue.
Das ist ein ganz kurzer Psalm. Wahrscheinlich hat man ihn bei einer Festprozession gesungen, wenn die Menschen in den Tempel eingezogen sind. Und weil er so kurz ist, hat man ihn immer wieder gesungen. In diesen wenigen Zeilen ist kurz und komprimiert zusammengefasst, warum die Menschen in Israel Gott dankbar waren und gerne nach Jerusalem zu den Festen gepilgert sind.
Begründete Freude
In dem Psalm wird zwei Mal dazu aufgerufen, Gott zu loben und zu ihm zu kommen. Und das hieß damals konkret: an den Ort zu kommen, wo Gott zu finden war, zum Tempel in Jerusalem. Deswegen wird da von den Toren und den Vorhöfen gesprochen, weil das ein großes Gelände war, das der Begegnung mit Gott diente. Aber es heißt auch in dieser ersten Einladung zum Gotteslob: kommt vor sein Angesicht! Komm dahin, wo Gott dich anschaut! Aber Gott ist nicht überall und nirgends, sondern er hat sich mit konkreten Orten verbunden, mit sichtbaren Szenarien, mit greifbaren Personen. Gott liebt die reale Welt, die Materie. Er beschenkt und heiligt sie mit seiner Gegenwart.
Nach diesen beiden Strophen mit der Einladung, Gott zu loben, kommt dann immer eine Begründung: denn er hat uns geschaffen, wir gehören ihm, er ist gut. Und daran sieht man: Es geht nicht darum, sich in eine Jubelstimmung hineinzusteigern, weil das so schön ist. Man sollte schon wissen, warum man feiert. Sonst wird das so eine verkrampfte »Jetzt wollen wir aber mal alle fröhlich sein!«-Situation. Es gibt ja solche Feste und Jubiläen, wo keiner so recht weiß, warum man sich jetzt eigentlich freuen soll, außer aufs kalte Buffet.
Vorhin haben wir ja die Geschichte von dem geheilten Samariter gehört, der zu Jesus kommt und sich überschwänglich bedankt, dass er geheilt worden ist (Lukas 17,11-19). Der hatte einen ganz konkreten Grund, um sich zu freuen. Der wusste, was mit ihm passiert war.
Wer ist Gott?
Bei den großen Festen im Tempel ging es nicht um solche einzelnen Erlebnisse, sondern um den großen Zusammenhang. Alle einzelnen guten Erfahrungen sind Hinweise darauf, dass diese Welt grundlegend gut ist. Wir sind nicht durch Zufall entstanden oder aus der Laune von irgendjemand heraus, sondern hinter dieser ganzen Welt steht ein guter, positiver Wille, dahinter steht Freude und Liebe, dahinter steht eine überreiche Fülle, ein großherziges Schenken und Schaffen. Und das Volk Israel hatte dafür einen Namen aus vier Buchstaben, von dem niemand mehr weiß, wie er richtig ausgesprochen wird. Man nennt das auch das »Tetragramm«. Die vier Buchstaben stehen auf dem Papier, aber wenn im jüdischen Gottesdienst aus den Heiligen Schriften vorgelesen wird, dann sagt man stattdessen »Adonaj«, zu deutsch: »Mein Herr«. Und als man die Bibel ins Deutsche übersetzt hat, da hat man diese vier Buchstaben des Gottesnamens dann auch mit »Herr« übersetzt, und in vielen Bibeln steht das Wort »HERR« mit Großbuchstaben, um anzudeuten, dass an dieser Stelle ursprünglich der Name von Israels Gott steht.
Und hier im Psalm wird als der erste, wichtigste Grund zum Jubeln genannt, dass der HERR Gott ist. Dass Er es ist und kein anderer. Für uns klingt das erst einmal merkwürdig – wer sollte denn sonst Gott sein als Gott? Aber dahinter steckt ein Sinn, und der ist wichtig. Das Wort »Gott« ist nämlich eigentlich eine Beschreibung einer Rolle, wie Bürgermeister oder Bundeskanzler oder Schulrektor. »Gott« ist der, der das Sagen hat in der Welt. Und jetzt ist die Frage: wer ist das eigentlich? Wer regiert denn die Welt? Das ist gar nicht so klar. Viele würden sagen: Geld regiert die Welt. Oder der Egoismus. Oder eine Bande von Verschwörern, die uns durch intelligente Roboter ersetzen will. Aber wir fragen uns doch auch: wer steuert eigentlich dieses verrückte System aus Technik, Macht und Trägheit, das uns alle gerade mit rasanter Geschwindigkeit in den Abgrund steuert? Ist da überhaupt noch wer am Steuer? War da überhaupt irgendwann mal jemand?
Und erst wenn wir diese Frage verstanden haben: Wer ist der eigentlich der Bürgermeister der Welt? Wer ist der Bundeskanzler des Universums?, erst wenn wir uns darüber Gedanken machen, dann verstehen wir, weshalb Israel so froh war, dass ausgerechnet der »HERR« Gott ist: dieses unkontrollierbare Wesen, dessen Namen man nur schreiben, aber nicht aussprechen kann, aber der zutiefst gut ist. Der ist es, der die Welt regiert, sagten sie und glaubten sie, und nicht die Großkönige von Ägypten, Babylon und Rom, die sich auch gern mal als Gott bezeichnen ließen.
Gegen die Herren und Götter dieser Welt
So. Und jetzt merkt man, was die sich damals getraut haben, wenn sie gesagt haben: der HERR ist Gott. Israel war ja de facto abwechselnd von einem dieser Großkönige unterworfen, die den Gottestitel für sich beanspruchten. Und es war die große Leistung des Volkes Gottes, dass sie trotzdem dabei blieben und sagten: Nein, nicht diese raffgierigen Popanze mit ihren Sturmtruppen und Steuereinnehmern sind Götter. Nein, der HERR ist Gott. Wir kennen ihn, wir wissen von ihm, wir gehören ihm und niemandem sonst, und daran halten wir fest, um jeden Preis.
Und warum war das so wichtig, dass sie es immer wieder neu im Tempel gefeiert haben? Weil man es sonst vergisst und lieber den großmäuligen Popanzen glaubt. Man vergisst sonst, dass der HERR gut ist. Dagegen feierten sie an, dagegen sangen sie an, und alle, die das auch tun, tun gut daran. Weil der Richtige im Bundeskanzleramt der Welt sitzt. Weil die Welt in guten Händen ist, gegen allen Anschein, der sich aufdringlich aufdrängt. Der HERR ist gut, das ist der Schlüssel. Er hat uns gut geschaffen. Er versorgt seine Welt, er macht sie reich. Das Wort, das hier mit »Huld« übersetzt ist, das bedeutet umfassende freundliche Zuwendung. Du gehst unter einem freundlichen Blick, der auf dir ruht. Du weißt: da passt einer auf dich auf, denn du liegst ihm am Herzen. Der hat schon oft Lösungen gefunden, wo du nur Probleme siehst, oder noch nicht mal die Probleme.
Aber so einfach ist das nicht
Und jetzt kommt sicher nicht nur einer oder eine und sagt: aber so einfach ist das doch nicht! Und es gibt doch Probleme und die kannst du doch nicht so wegreden. Und ich seh die ja auch. Und ich kann auch über die reden. Aber es ist eben ein Psalm von nur fünf Versen. Da geht es um die große Linie. Zu den ganzen Details sagt die Bibel natürlich auch was, deswegen ist sie ja so dick. Dies hier ist ein kurzes Lied für ein großes Fest. Bei Festen redet man nicht dauernd über die Missverständnisse, die es natürlich auch gegeben hat. Nein, da wird das Entscheidende zusammengefasst: wir haben so ein Glück, dass ausgerechnet der HERR diese Welt gewollt und konstruiert hat. Es hätte vielleicht auch ganz anders kommen können. Aber dass da jemand Güte und Segen und Fülle in die Grundstruktur der Welt eingebaut hat; dass er uns auch in vielen Dunkelheiten Zeichen seiner Liebe gibt, wenn wir nur Augen haben, sie zu sehen; dass er noch viel mehr Gutes in dieser Welt verborgen hat, was wir nur langsam, nach und nach, entdecken – das ist die wahre Basis. Und von der aus kann man dann auch die ganzen Schwierigkeiten und Widersprüche dieser beschädigten Welt angehen. Und nur so gibt es Hoffnung und Aussicht auf großes und kleines Gelingen.
Aber dazu müssen wir uns fest an dieser Basis verankern. Wir müssen uns immer wieder an die Freude erinnern, die in allen Kreaturen verborgen ist. Wir müssen immer mal wieder da hin geschoben werden, dass wir diese Wurzeln wahrnehmen. Und dafür sind die großen und kleinen Feste da. Und manchmal auch nur die festlichen heiligen Momente mitten am Tag, wo uns wieder ein Zeichen von der Güte der Welt erreicht und wir Augen dafür haben. Und es gibt erstaunlicherweise auch immer wieder Berichte davon, wie das sogar dort passiert, wo die Welt dunkel und kalt und manchmal kaum zu ertragen ist. Wir können nur staunen, was uns manchmal Menschen erzählen, die an solchen dunklen Orten waren, aber das ist eine Verheißung.
Wir brauchen einen Anschub
Wenn es keinen echten tragfähigen Grund für die Freude gäbe, wären die Feste hohl und leer, und dann nützt auch das beste Catering nichts mehr, und die Liveband wundert sich, warum keiner mitgeht, obwohl sie doch ihr Bestes geben. Aber wenn es da wirklich diesen hellen Kern gibt, diese gute Wurzel hinter allem, auf die man stößt, wenn man geduldig dabei bleibt, dann ist es legitim, wenn wir gelegentlich so einen kleinen Anschub bekommen, um uns an diesen hellen Kern von allem zu erinnern.
Das ist nicht so ein unsinniger Befehl: jetzt freu dich! Jetzt jubel mal, die andern tun es doch auch! So funktioniert das nur in Nordkorea, wenn der große Diktator kommt. Nein, es ist nur ein kleiner Anschub, eine Einladung, eine Erinnerung an den hellen Hintergrund der Welt, damit wir ihn wieder wahrnehmen. Damit wir die Schwingung wahrnehmen und mitschwingen.
Mancher bekommt diesen Anschub durch Musik und Lieder; andere sind begeistert, wenn sie von den richtigen Worten erreicht werden; viele von uns haben vor einem großartigen Anblick gestanden, der sie zutiefst berührt hat; manchmal denkt man auch: wow, wie ich da durchgekommen bin, das war ein echtes Wunder. Und der Aussätzige aus der Geschichte vorhin war geflasht, dass er einfach wieder ganz gesund war und alles so funktionierte, wie es sein soll.
Tiefer schauen
Um noch mal auf diese Geschichte zurück zu kommen: da waren ja auch noch die anderen Neun. Die haben sich auch bestimmt wie toll gefreut, dass sie wieder gesund waren und ihr Leben zurück hatten. Aber sie sind von dieser Erfahrung aus nicht vorgedrungen zu dem hellen Kern der Welt, und nur der dankbare Samariter hat gesehen, dass dieses riesig schöne Widerfahrnis seine Wurzeln noch viel tiefer hatte, bei der Güte des Schöpfers selbst, die ihm in Jesus begegnet ist, leibhaftig, als Mensch. Gott liebt die Schöpfung, die Materie. So sehr, dass er materiell unter uns erschienen ist.
Und das geht weiter. Die Orte und Szenarien, wo man Gott finden kann, die haben sich immer mal wieder verändert. Aber es gab sie. In allen Zeiten, durch alle Generationen hindurch. Damit schließt der Psalm: Gott ist treu, in allen Wandlungen der Zeit bleibt er derselbe, auch wenn wir ihm immer wieder anders begegnen.
Gott ist treu durch die Jahrtausende
Ich finde, das ist der überzeugendste Hinweis auf diesen hellen Kern hinter allem. Durch alle Zeiten hindurch haben Menschen immer wieder ganz ähnliche Erfahrungen mit Gott gemacht. Wir haben immer wieder neue Seiten an ihm entdeckt, aber das passt zu dem, was die vor uns erlebt haben. Das kann sich doch niemand ausgedacht und geplant haben. Wer hätte vor zweieinhalb Jahrtausenden, als dieser Psalm vermutlich geschrieben wurde, schon unsere Zeit vor Augen haben können? Nein, da ist der HERR, auf den wir immer wieder stoßen, und wir sind sein Volk, das ihn bezeugt. Mit jedem Fest, mit jedem Gottesdienst, mit jeder Begegnung soll das tiefer in uns einsickern, damit es in uns lebt und uns immer mehr durchdringt, und am Ende alle Welt mitfeiert.