Wir vertrauen Gott, weil er uns widersteht
Predigt am 7. Juli 2019 zu Psalm 60,1-14
2 Als er mit Aram Naharajim und Aram Zoba Krieg führte und als Joab zurückkehrte und Edom im Salztal schlug, zwölftausend Mann.
3 Gott, du hast uns verstoßen, du hast eine Bresche in uns geschlagen, /
du hast uns gezürnt – *
wende dich uns wieder zu!
4 Erschüttert hast du das Land und gespalten. *
Heile seine Risse! Denn es kam ins Wanken.
5 Hartes ließest du schauen dein Volk, *
du hast uns getränkt mit betäubendem Wein.
6 Denen, die dich fürchten, hast du ein Zeichen aufgestellt, *
zu dem sie fliehen können vor dem Bogen. [Sela]
7 Damit befreit werden, die dir lieb sind, *
rette mit deiner Rechten und gib uns Antwort!
8 Gott hat in seinem Heiligtum gesprochen: /
Ich will triumphieren, will Sichem verteilen *
und das Tal von Sukkot vermessen.
9 Mein ist Gilead, mein Manasse, /
Efraim der Helm meines Hauptes, Juda mein Herrscherstab.
10 Aber mein Waschbecken ist Moab, /
meinen Schuh werf ich auf Edom, *
Philisterland, juble mir zu!
11 Wer führt mich hin zu der befestigten Stadt, *
wer wird mich nach Edom geleiten?
12 Bist nicht du es, Gott, der du uns verstoßen hast*
und nicht ausziehst, Gott, mit unseren Heeren?
13 Bring uns doch Hilfe gegen den Feind, *
denn die Rettung durch Menschen ist nichtig!
14 Mit Gott werden wir Machtvolles tun. *
Er selbst wird unsere Feinde zertreten.
Man muss sich vorstellen, dass dieser Psalm vielleicht im Tempel von Jerusalem vorgetragen worden ist, als es um Israel schlecht stand. Wahrscheinlich hat es militärische Niederlagen gegeben, fremde Völker bedrohten das Volk Gottes. Vielleicht hatten die Babylonier schon einen großen Teil Israels annektiert. Oder sie hatten Jerusalem schon erobert, und es ist das Gebet von Flüchtlingen, irgendwo in einem Lager in der Fremde. Oder es war noch später, als das kleine Israel zum Spielball in den Konflikten der altorientalischen Großreiche geworden war.
Auf jeden Fall ist das Volk Gottes in keinem guten Zustand. Und so stehen sie dort und beten: Gott, wende dich uns wieder zu! Stell uns wieder her! Rette uns, antworte auf unser Gebet!
Ehrlich gesagt ist das Volk Gottes selten wirklich in einem guten Zustand gewesen. Die Überschrift des Psalms erinnert an David, also an eine der größten Erfolgsgeschichten in der Bibel: wie der Hirtenjunge David zum König aufsteigt und alle Nachbarn Israels unterwirft, sogar die weit entfernten Aramäer. Aber in der Geschichte des Gottesvolkes sind solche heroischen Geschichten von Sieg und Glanz nicht der Normalfall. Die meiste Zeit haben sich Israel und die Kirche irgendwie so durchgewurstelt, und es war Gottes Gnade, dass sie sich immer wieder gefangen haben und zu ihrer Berufung zurückgekehrt sind.
Wie Gottes Volk siegreich wird
Denn für Israel und genauso für die Kirche gelten spezielle Regeln, wann sie Erfolg haben und wann nicht. Kurz gesagt: fast immer, wenn Gottes Leute sich für Gottes Ziele eingesetzt haben, dann ging es ihnen fast immer gut. Dann hatten sie Rückenwind von Gott und haben mit kleiner Kraft die Welt bewegt. Aber immer wenn es dem Volk Gottes vor allem um sich selbst ging, um ihre Sicherheit und ihren Reichtum, dann blieb der Rückenwind von Gott aus.
Das ist nicht in jedem Einzelfall so gewesen, weil Gott kein Automat ist, aber meistens hat die Regel gegolten, die Jesus formuliert hat, und die wir vorhin in der Lesung gehört haben (Lukas 12,31):
Bis heute ist das eine gültige Regel: wenn die Kirche vor allem um sich selbst Angst hat, wenn sie sich um ihr Geld, ihr Ansehen und ihren Mitgliederbestand sorgt, gerade dann verliert sie ihre Kraft. Stark wird die Kirche, wenn sie sich an Gottes Sache in der Welt orientiert, an Gottes Reich, an seiner Herrschaft in allen Lebensbereichen. Dann wird sie die Ressourcen bekommen, die sie braucht, dann werden Menschen dazukommen, dann wird das Geld da sein, das man braucht. So einfach ist das.
Und das funktioniert
Und das funktioniert im Großen wie im Kleinen. Ich habe z.B. gestern endlich mal angefangen, einen Stapel alter Akten und Unterlagen aufzuräumen. Sie können sich vorstellen: das ist eine nervige Arbeit, und es wäre deshalb unfair, sie einfach meinem Nachfolger zu hinterlassen. Also habe ich endlich mal die ungeordneten Papiere aus 2015 und 2016 sortiert, als wir in der Gebläsehalle die Kinderbetreuung für die Flüchtlingskinder eingerichtet hatten. Und ich sah wieder die langen Listen von Menschen, die damals mitgemacht haben, und die vielen Zettel, auf denen ich noch mehr Adressen notiert habe, von Menschen, die anriefen und mithelfen wollten. Das Problem war nicht, dass zu wenige mitarbeiten wollten, sondern es waren viel mehr Helfer, als wir so schnell organisierten konnten. Wir hatten Wartelisten für die Mitarbeit, jede Menge Spielzeugspenden, und das Geld, das wir brauchten, war auch kein Problem. Gott versorgt uns, wenn wir uns um seine Sache kümmern. Und mir würden noch viele andere Beispiele einfallen, große und kleine, wo wir gemerkt haben, dass Gott für uns sorgt, wenn wir uns primär um sein Reich auf Erden sorgen.
Damals in Israel, als sie den Psalm gebetet haben, da war es ihre Aufgabe, ein Modell für ein gutes Zusammenleben der Menschen zu sein, ein solidarischer Staat ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Und erst als sie das nicht mehr waren, sondern im Inneren genauso unterdrückerisch und korrupt wurden wie die anderen Völker, da hörte Gott auch irgendwann auf, sie nach außen zu beschützen. Ja, er stärkte sogar ihre Feinde.
Auf den hoffen, der sein Volk in Bedrängnis bringt
Das ist gemeint, wenn es im Psalm heißt:
Hier werden das Unglück und die Hoffnung zusammengedacht: Du, Gott hast all das Unglück über uns gebracht, aber genau deshalb hoffen wir jetzt auf dich. Du hast uns schwach gemacht und unsere Feinde stark, aber nicht aus Rache oder schlechter Laune, sondern weil du uns wieder aufrichten willst. Das geht aber nur, wenn wir umkehren.
Gott rechnet anders
Und also bitten wir dich darum, dass du uns heilst, dass du uns rettet. Wir bitten Gott darum, dass er uns wieder in den guten Zustand versetzt, in dem er uns helfen kann. Vielleicht hält er ja nur wegen der paar Aufrechten noch an seinem Volk fest. Vielleicht geht es uns als Kirche im reichen Deutschland ja nur deshalb noch so gut, weil es auf allen kirchlichen Ebenen ein paar Leute gibt, die mehr von Gottes Sache her denken als von den Mitgliederstatistiken und den Kirchensteuerzahlen her. Wahrscheinlich sieht Gott über vieles hinweg, solange die Evangelische Kirche in Deutschland einen Ratsvorsitzenden hat, der klare Worte für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer findet, solange in vielen Gemeinden Menschen die drohenden Klimakatastrophen nicht ignorieren, solange die Kirche an Frieden erinnert und für die Menschenwürde aller steht.
Gott denkt nicht von den Prozentzahlen her – für ihn sind manchmal ein paar wenige Leute entscheidend, die an ihm festhalten, und dafür nimmt er vieles Andere in Kauf.
Ein alter Prophetenspruch – neu gehört
Und deshalb bekommen sie dort im Jerusalemer Tempel in ihrem Bittgottesdienst eine Antwort von Gott, wahrscheinlich einen Prophetenspruch. Gott sagt:
Da geht es um alte, schon lange verlorengegangene Gebiete Israels: Sichem und das Tal von Sukkoth soll wieder meinem Volk gehören, und durch die Stämme Gilead, Manasse, Efraim und Juda werden meine Pläne wieder ausgeführt. Wir könnten heute sagen: in den alten Kathedralen, die jetzt vor allem Touristenattraktionen sind, werden wieder Gottesdienste gefeiert, die das Land bewegen. Die verschiedenen Stämme des Christentums – Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Baptisten, Pfingstler und wie sie alle heißen – stehen gemeinsam gegen die Zerstörung der Schöpfung und der menschlichen Substanz.
Aber die Spekulanten und Finanzhaie müssen sich um den Giftmüll und die Plastikreste kümmern, mit denen sie reich geworden sind, und alle, die gegen die CO²-Steuer waren, müssen raus und in der Hitze Bäume pflanzen, und mit den Computern der Finanzmärkte wird jetzt berechnet, wie alle Menschen genug zum Leben haben können.
Hoffnung ist in Gott begründet
Solche Hoffnungsbilder werden in diesem Psalm heraufbeschworen. Man weiß noch nicht mal, ob das aktuelle prophetische Eingebungen waren, oder ob sie einfach alte Prophetensprüche aus dem Archiv geholt und vorgelesen haben. So wie auch wir heute hören auf diese jahrtausendealten Hoffnungsworte aus dem Archiv (nämlich aus der Bibel). Selbst nach so langer Zeit können sie uns immer noch dazu bringen, dass wir aus dem Denkrahmen der sogenannten Fakten und Sachzwänge ausbrechen und wieder mit Gottes Möglichkeiten rechnen. Die Sorgen und das ängstliche Sicherheitsdenken, die werden uns umbringen. Da muss Gottes frischer Wind der Hoffnung reinblasen, damit wir in den kommenden schwierigen Zeiten überleben können.
Und deshalb endet der Psalm mit einem hoffnungsvollen Ausblick nach vorn: du bist Gott, der nicht mehr mit unseren Heeren auszieht, der sich nicht hinter unsere ängstlichen Imagekampagnen stellt, der unsere jahrhundertealte Institution ins Schlingern bringt (endlich!), und gerade deshalb vertrauen wir auf dich und hoffen auf dich. Auf dich wollen wir hören anstatt auf die Meinungsumfragen und Mitgliedschaftsstudien. Du bist es, der uns nach Edom führt, in die befestigte Stadt, in die Hochburg des Mammon, ins Zentrum dieses zerstörerischen Systems, das die ganze Welt zermalmt, um Geld daraus zu machen.
Entscheidend ist die kreative Minderheit
Und der Psalm schließt:
Da gibt es kein Entweder-Oder mehr, entweder Mensch oder Gott. Gott und Menschen arbeiten zusammen, und man kann nicht mehr unterscheiden, was Menschenwerk ist und was Gottestat. Mit Gott tun wir große, weltverändernde Taten, aber so, dass es am Ende Gott selbst ist, der durch uns hindurch handelt. Gott, der uns in den Weg tritt und uns die falschen Wege versperrt, der ist es auch, der uns am Ende auf seinen Wegen den Sieg gibt.
Das ist die Verheißung. Gott hat es so eingerichtet, dass sein Volk das Salz der Erde ist, und ohne dieses Salz funktioniert die Welt nicht. Die Welt braucht die kreative Minderheit, durch sie lebendig bleibt. Wenn das Volk Gottes seinen Job nicht macht, dann geraten die Grundpfeiler der Erde ins Wanken.
Wie gesagt, Israel und die Kirche haben ihre Aufgaben oft mehr schlecht als recht erledigt. Aber es gab einen, nämlich Jesus, der alles richtig gemacht hat. Er hat sogar noch am Kreuz auf Gott gehofft, hat an ihn appelliert, hat ihm bis zum letzten Atemzug vertraut, und tatsächlich hat Gott nach drei Tagen eingegriffen und ihn auferweckt. Im Namen dieses Jesus gehören wir zusammen. Er ist die Hoffnung, die unter uns lebt, und die auf verborgene Weise schon in der Hoffnung des alten Israel lebendig war.