Durchs Minenfeld geleitet
Predigt am 10. März 2019 zu Psalm 56,1-14
Ein Miktam-Lied Davids. Als die Philister ihn in Gat ergriffen.
2 Sei mir gnädig, Gott, denn Menschen stellten mir nach,*
Tag für Tag bedrängen mich meine Feinde.
3 Den ganzen Tag stellten meine Gegner mir nach,*
ja, es sind viele, die mich voll Hochmut bekämpften.
4 An dem Tag, da ich mich fürchte,*
setzte ich auf dich mein Vertrauen.
5 Auf Gott, dessen Wort ich lobe,/
auf Gott vertraue ich, ich fürchte mich nicht.*
Was kann ein Fleisch (= ein Mensch) mir antun?
6 Tag für Tag verdrehen sie meine Worte,*
auf mein Verderben geht ihr ganzes Sinnen.
7 Sie lauern und spähen,/
sie beobachten meine Schritte,*
denn sie trachteten mir nach dem Leben.
8 Wegen des Unrechts sollen sie Rettung erfahren?*
Im Zorn, Gott, wirf nieder die Völker!
9 Die Wege meines Elends hast du gezählt./
In deinem Schlauch sammle meine Tränen!*
Steht nicht alles in deinem Buch?
10 Dann weichen die Feinde zurück, am Tag, da ich rufe.*
Ich habe erkannt: Mir steht Gott zur Seite.
11 Auf Gott, dessen Wort ich lobe, auf den HERRN, dessen Wort ich lobe,/
12 auf Gott setzte ich mein Vertrauen, ich fürchte mich nicht.*
Was kann ein Mensch mir antun?
13 Ich schulde dir, Gott, was ich gelobte,*
Dankopfer will ich dir weihen.
14 Ja, du hast mein Leben dem Tod entrissen./
Hast du nicht meine Füße vor dem Straucheln bewahrt?
So gehe ich meinen Weg vor Gott, im Licht des Lebens.
Dieser Psalm hat als Situationsangabe eine Episode aus dem Leben Davids bekommen (1. Samuel 21,11-16): David entkommt mit knapper Not dem König Saul und flieht zu den Feinden Israels, zu den Philistern nach Gat. Da ist er garantiert sicher vor Saul. Aber einige von den Soldaten des Königs Achisch von Gat erkennen ihn und sagen: das ist doch der, der uns in den Kämpfen mit Israel so große Verluste zugefügt hat! Jetzt haben wir ihn endlich in unserer Gewalt! Und sie bringen ihn zum König. David hat große Angst, weil das höchstwahrscheinlich seinen Tod bedeutet. Und da kommt ihm eine Idee: er stellt sich doof. Er fängt an zu sabbern, bis der ganze Bart vollgesabbert ist, er haut mit dem Kopf gegen das Palasttor – Bumm! Bumm! Bumm! – wie jemand, der irgendwie einen Schaden hat. Und der König sieht das und schnauzt die Leute an: Geht‘s noch? Führt ihr ein Stück aus dem Tollhaus auf oder was? In meinem Palast gibt es schon genug Bekloppte, auf den da kann ich gern verzichten! Schafft mir diesen Idioten aus den Augen!
Und so kommt David frei und kann in die Wüste fliehen, bevor ihm einer auf die Schliche kommt.
Ein Kommentar zur Davidgeschichte
Und es ist ein geschickter Schachzug, den 56. Psalm sozusagen als Kommentar zu dieser Situation Davids bei den Philistern zu verstehen. Obwohl man zuerst denkt: was hat die Geschichte von David mit der Situation eines Menschen zu tun, der von anderen verleumdet wird? Es stimmte in diesem Fall doch, was sie sagten: es war wirklich David.
Aber wenn man da weiterdenkt, dann stößt man auf das eigentliche Thema des Psalms. Es geht um die Frage: Welche Meinung haben die Menschen über mich? Welches Bild von mir haben sie?
Und das ist eine lebenswichtige Frage. Davids Leben hing damals davon ab, wie die Leute in Gat ihn einschätzen würden, insbesondere der König. Er war von misstrauischen Blicken umgeben, man achtete genau auf alles was er tat. Genau wussten sie ja nicht, ob er wirklich der gefürchtete Gegner aus vielen Schlachten war. Aber alles konnte gegen ihn verwendet werden.
Welches Bild haben die andern von uns?
Der Clou dabei ist, dass die Leute von Gat ja recht haben: es ist wirklich David, der bisher unschlagbare Krieger, den sie plötzlich in ihrer Gewalt hatten. Aber egal, ob es stimmt oder nicht: der Psalm macht deutlich, wie gefährlich es werden kann, wenn Menschen sich ein Bild von uns machen und es dann auch noch mit anderen teilen. Für uns alle ist es bis heute total wichtig, wie die anderen über uns denken, und zwar ganz unabhängig davon, ob es stimmt oder nicht.
Stellen Sie sich vor, wie es ist, wenn die Leute über jemanden erzählen, er wäre nicht ganz richtig im Kopf und würde sich manchmal so komisch an Kinder ranmachen. Egal, ob es stimmt oder nicht, die Folge kann sein, dass er umziehen muss, ganz woanders hingehen, wo ihn keiner kennt, weil in seiner Nachbarschaft keiner mit ihm redet und ihm vielleicht nachts die Scheiben eingeworfen werden.
Erst Gerede, dann Gewalt
Und das funktioniert so: die einen verbreiten das Gerücht, die andern schmeißen dann irgendwann die Steine. Oder, an einem anderen Beispiel: die einen verleumden Flüchtlinge als Messerstecher und Vergewaltiger, und die anderen gehen los und schlagen Menschen zusammen, weil sie die falsche Hautfarbe haben.
Und oft greifen dann gerade Menschen zur Gewalt, die psychisch oder sonstwie problembeladen sind. Es sind gerade die Schwächsten, die nicht stark genug sind, um sich dieser Stimmung zu entziehen, und die schreiben dann Briefe mit Morddrohungen und Beleidigungen oder gehen los und werden gewalttätig. An den Schwächsten wird eine Stimmung sichtbar, die ganz andere erzeugt haben.
Gott verändert die Situation
Zu spüren, wie andere an einem Bild von mir arbeiten, das mir irgendwann gefährlich werden kann, vielleicht sogar lebensgefährlich, das ist die Situation des Menschen im 56. Psalm. Jeder von uns kann in so eine Situation kommen. Aber zum Glück stoßen wir in diesem Psalm, der ja ein Gebet ist, auf jemanden, der weiß, dass er Gott als starken Verbündeten hat. Wer auch immer sich in so einer Situation wiederfindet, für den stehen zum Beispiel diese Worte bereit:
setzte ich auf dich mein Vertrauen.
Selbst der große, furchtlose David fürchtete sich, als er vor den König von Gat gezerrt wurde, so steht es ausdrücklich in der Geschichte im 1. Buch Samuel. Aber er wusste, an wen er sich wenden konnte. Gott gab ihm eine Idee, was er tun sollte, und er ließ die Idee gelingen. Deswegen heißt es am Ende des Psalms:
Begeistert von Gott – ohne Angst vor Menschen
Gott hat David sozusagen mit schlafwandlerischer Sicherheit durch ein Minenfeld gelotst, das er normalerweise nicht überlebt hätte. Aber er ist heil hindurchgekommen und dankt Gott unbändig. Im Psalm sind das drei Zeilen, die wörtlich ungefähr so gehen:
12 auf Gott setzte ich mein Vertrauen, ich fürchte mich nicht.*
Was kann ein Mensch mir antun?
Und die Ausleger sagen: wieso wiederholt der sich da dauernd? Wahrscheinlich hat da ein Abschreiber nicht aufgepasst und hat eine Zeile zweimal kopiert. Vielleicht war es das, kann ja sein, aber dann hat ihm in Wirklichkeit der Heilige Geist die Feder geführt, hat ihm einen Sekundenschlaf geschickt oder so. Und wenn man es heute liest, dann hört man da die Stimme eines Menschen, der total begeistert ist und gar nicht aufhören kann zu sagen: »Gott, dessen Wort ich lobe, der Herr, dessen Wort ich preise, Gott, dessen Wort ich lobe«
Der schaut zurück und sagt: du hast mir geholfen, du hast mir den entscheidenden Tipp gegeben, du hast zu mir gesprochen, du hast zu mir gesprochen, du hast zu mir gesprochen!!! – Dir vertraue ich, und jetzt habe ich keine Angst mehr vor Menschen. Dreimal kommt das in dem Psalm vor mit drei verschiedenen Worten: Ich habe keine Angst mehr vor Menschen. Und all diese Worte deuten in dieselbe Richtung: gegenüber Gott sind die Menschen, die mir dauernd Fallen stellen, Schwächlinge, Amateure, Nicht-Hinkrieger. Die sitzen beieinander, analysieren mich und überlegen sich Argumentationen und Sprachregelungen, mit denen sie meinen Ruf zerstören können, aber wenn ich bete und Gott dazuhole, dann läuft das alles ins Leere.
Etiketten wie Kaugummi
In der Politik sind das die Spin-Doktoren (vielleicht haben Sie das Wort schon gehört), die darüber brüten, wie man den politischen Gegner argumentativ in die Enge treiben kann, welches Label man ihm anheften kann, von dem er nicht mehr loskommt und das an ihm klebt wie Kaugummi an der Schuhsohle. Trump hat das im Wahlkampf gemacht, indem er Hillary Clinton konsequent das Etikett »betrügerisch« angeheftet hat, und sie kriegte es nicht mehr weg: Die betrügerische Hillary. Dabei war Trump der Betrüger, wie es heute immer deutlicher wird, aber Fakten spielen bei so was nur eine kleine Rolle: als Stichwortgeber.
Oder stellen Sie sich vor, wie es ist, wenn in der Schule über eine verbreitet wird, das wäre eine fette Heulsuse, die immer rumzickt. Das kann man übers Internet tun, mit irgendwelchen peinlichen Bildern, aber genauso mit der guten alten Methode, heimlich Stimmung zu machen und Gerüchte zu verbreiten, und die weiß gar nicht, was da läuft. Die merkt zuerst nur, wie sich die anderen von ihr zurückziehen, vielleicht heimlich lachen und Anspielungen machen, sie weiß nicht was los ist, aber wenn sie dann ungeschickte Versuche macht, sich dagegen zu wehren, dann fühlen sich alle bestätigt, dass sie rumzickt, und wenn sie völlig verzweifelt ist, dann ist sie eben die Heulsuse. Und auch sie muss vielleicht eines Tages die Schule wechseln oder sogar umziehen, irgendwohin, wo sie unbelastet neu anfangen kann. Und manchmal sind solche Opfer so verzweifelt, dass sie sich umzubringen versuchen, um ihren Peinigern zu entkommen.
Hilfe von außen
Wie wäre es aber, wenn sie im Konfirmandenunterricht gelernt hätten:
12 auf Gott setzte ich mein Vertrauen, ich fürchte mich nicht.*
Was kann ein Mensch mir antun?
Wir wissen heute, dass jemand, der in der Schule oder sonstwo gemobbt wird, Hilfe von außen braucht, weil er allein kaum was machen kann. Wenn Sie erstmal in so einer Lage sind, dann ist so ziemlich alles, was Sie machen falsch. Alles, was einer dann tut oder sagt kann gegen ihn verwendet werden:
heißt es im Psalm. So war es bei David, so haben es Christen immer wieder in einer feindlichen Umgebung erlebt, in so einer Situation war Jesus, als sie ihm im Tempel die Fangfrage stellten, ob man dem Kaiser Steuern zahlen darf. Alle lauerten darauf, dass er etwas tut, was sie ihm irgendwie negativ auslegen konnten. Vielleicht hat Jesus in dem Moment an den 56. Psalm gedacht; auf jeden Fall hat er sich auf seinen Vater im Himmel verlassen. Wenn niemand sonst von außen einem Menschen zu Hilfe kommt, dessen Bild von den großen und kleinen Spin-Doktoren verzerrt wird, dann ist es Gott, der von außen hineingeht und die Situation verändert. Manchmal macht er es durch eine Eingebung, so wie Jesus immer wusste, was er sagen sollte. Manchmal macht er es durch Menschen, die das nicht mehr mit ansehen und das Schweigen brechen. Manchmal fügt er die Umstände so, dass die heimlichen Drahtzieher in ihre eigene Grube fallen. Ohne diese Hilfe Gottes hätte die Christenheit jedenfalls nicht bis heute alle Verfolgungen überlebt.
Der letzte Trost
Ich hoffe, dass keiner von uns heute in so einer Situation ist, wo er nur noch sagen kann:
In deinem Schlauch sammle meine Tränen!*
Steht nicht alles in deinem Buch?
Ja, manchmal ist das der letzte Trost, dass Gott die verborgenen und die sichtbaren Tränen sieht und nicht vergisst, und sie aufbewahrt bis zu dem Tag, wo alles geheilt und zurechtgerückt wird. Aber vielleicht bekommen wir schon vorher ein Auge für andere, deren Bild durch andere immer wieder beschädigt wird. Ich wünsche jedenfalls diesem Mädchen, das zur fetten Zicke und Heulsuse gemacht wird, und allen anderen, gleich welchen Alters, die Ähnliches erleben, dass sie im Konfirmandenunterricht oder sonstwo irgendwann auf diesen Satz stoßen:
Was kann ein Mensch mir antun?
Überwundener Teufelskreis
Und dass sie dann erleben, wie Gott den Teufelskreis durchbricht, in dem sie gefangen sind, wie auch immer er es macht. Man muss ja nicht gleich anfangen zu sabbern und den Kopf an die Tür zu hauen. Aber auch das gehört zu den Tricks, die Gott gelegentlich vorschlägt:
der Herr, dessen Wort ich preise.
Und dann sagen Menschen wie in Vers 10: