Der Prediger Salomo und unser voller Terminkalender
Predigt am 2. November 2008 zu Prediger 3,1-14
Lesung: Johannes 7,1-8
1 In der darauf folgenden Zeit zog Jesus durch Galiläa. Er mied Judäa, denn dort trachteten ihm die führenden Männer des jüdischen Volkes nach dem Leben.2 Doch kurz bevor die Juden ihr Laubhüttenfest feierten, 3 sagten seine Brüder zu ihm: »Du solltest nicht länger hier in Galiläa bleiben. Geh nach Judäa, damit auch dort deine Jünger sehen können, was für große Dinge du tust. 4 Wer mit dem, was er tut, in der Öffentlichkeit bekannt werden möchte, zieht sich nicht in einen versteckten Winkel zurück. Wenn du schon so ungewöhnliche Dinge tust, dann zeig dich auch vor aller Welt!« 5 So redeten seine eigenen Brüder, weil nicht einmal sie an ihn glaubten. 6 Doch Jesus gab ihnen zur Antwort: »Für mich ist die richtige Zeit noch nicht da; euch ist jeder Zeitpunkt recht. 7 Euch kann die Welt nicht hassen, mich aber hasst sie, weil ich nicht darüber schweige, dass ihr Tun böse ist. 8 Geht ihr nur hinauf zum Fest. Ich komme jetzt nicht; für mich ist die Zeit noch nicht da.«
Predigttext: Prediger 3,1-14
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:2 geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; 3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; 4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; 6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; 7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; 8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. 9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. 10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. 11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. 12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. 14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.
Die Bibel redet anders über die Zeit, als wir es gewohnt sind. Wir kennen die Uhr, die ganz gleichmäßig die Stunden und Minuten zählt, unabhängig davon, was in dieser Zeit geschieht. Dieses Bild prägt unsere Vorstellung von Zeit, obwohl wir auch das andere Phänomen kennen, dass Zeit ganz schnell oder ganz langsam vergeht, je nachdem, was wir erleben. Und bevor es Uhren gab, haben die Menschen viel stärker Zeit von dem her erlebt, was in dieser Zeit geschehen ist.
Deswegen beschreibt die Bibel die Zeit viel stärker als eine Abfolge von Gelegenheiten, um bestimmte Dinge zu tun. Zeit ist die Gelegenheit, in der etwas Bestimmtes dran ist. Und wir haben es nicht in der Hand, zu bestimmen, welche Gelegenheit gerade da ist.
Am deutlichsten wird das gesagt im alttestamentlichen Buch des Predigers Salomo, der Stelle, die wir gerade gehört haben. Es gibt eine Zeit der Geburt, und die kann man nicht verschieben, wenn sie kommt, dann ist sie da. Und genauso gibt es die Stunde zu sterben, und auch die kann man nicht verschieben. Und diese Struktur entdeckt der Prediger auch in all den Zeiten dazwischen: es gibt die Zeit der Saat und es gibt die Zeit der Ernte. Ja, natürlich, wenn man im Herbst säen will, dann wird da nichts draus, und im Frühjahr ernten funktioniert auch nicht.
Aber es geht weiter: es gibt eine Zeit zu töten und eine Zeit zu heilen. Und wir sagen: Moment mal – Zeit zu töten?? Kann man das sagen? Ist das nicht eine Entschuldigung für jeden, der im Krieg seine dunkle Seite zeigt?
Aber da würden wir den Prediger falsch verstehen. Er gehört zu den Weisen Israels, die über lange Zeit den Lauf der Welt beobachtet haben. Sie haben versucht, zu verstehen, wie die Dinge in der Welt funktionieren. Sie haben versucht, in den zahllosen, verwirrenden Ereignissen Regeln zu finden, Gesetzmäßigkeiten und Wiederholungen. Sie sind dabei ganz ergebnisoffen vorgegangen, es gab keine Tabus und Denkverbote, sie waren bereit, jedes Ergebnis zu akzeptieren, das sie finden würden. Und als der Prediger sich die Welt ansah, da war eines der Ergebnisse: es gibt die Zeit des Tötens, wenn die Gewalt losgelassen ist und die Schleusen des Krieges geöffnet sind. Und das kommt über den Einzelnen als eine Macht, der er sich nicht in den Weg stellen kann. Das heißt nicht, dass er beim Töten mitmachen muss, aber selbst das kann ihm geschehen.
Sie merken, dass das Altes Testament ist. Von Jesus her gibt es dazu noch anderes zu sagen. Aber auch Jesus denkt in diesem Muster, dass es eine bestimmte Zeit gibt, wo man eine Gelegenheit ergreifen muss, und zu anderen Zeiten ist dieser Moment noch nicht gekommen. Sie erinnern sich vielleicht noch an die Lesung vorhin: Die Brüder Jesu sagen: na los! Nun mach endlich! Präsentier dich öffentlich, wenn du denkst, dass du was Besonderes bist! Und sie denken im Stillen: da wird er auf den Bauch fallen! Und Jesu sagt nur: jetzt ist noch nicht die Zeit dazu! Die Zeit kommt schon dafür, aber nicht jetzt!
Der Unterschied liegt darin: Jesus ist von seiner Sache überzeugt, deshalb kann er in Ruhe auf den richtigen Zeitpunkt warten; seinen Brüdern ist Jesu Mission sowieso egal, und deshalb machen sie sich keine Gedanken darüber, ob sie jetzt schon dran ist, und deshalb können sie nicht warten. Und so tun sie das, was auch bei uns andere Menschen immer wieder machen: Sie versuchen, Jesus unter Druck zu setzen, damit er etwas tut, was jetzt gar nicht dran ist.
Wir reagieren in so einem Fall damit, dass wir entweder nachgeben und dem gehorchen, der am meisten Druck macht, oder wir sperren uns und werden störrisch, gerade weil wir uns unter Druck gesetzt fühlen. Beides zeigt nur, dass wir kein sicheres Gespür für die Zeit haben.
Hier merkt man, dass die Alternative zum biblischen Denken über die Zeit in einem Denken besteht, das sagt: ich will alles, und zwar sofort! Aber das geht nicht. Die Dinge müssen erst reifen, die Welt funktioniert nicht auf Kommando. Und wenn man versucht, gegen den eigenen Sinn der Zeiten zu leben, dann rennt man gegen die Wand. Ein großer Teil von dem Stress, den wir heute haben, geht darauf zurück, dass wir nicht auf den eigenen Sinn der Zeit achten. Und das liegt daran, dass die mechanische Uhr unser Bild von der Zeit prägt. Für die Uhr ist jede Stunde gleich. Und so haben wir den Eindruck, dass uns jederzeit die ganze Fülle der Möglichkeiten zur Verfügung steht.
Wenn ich das so deutlich sage, dann merken wir, dass das eigentlich Unsinn ist. Es gibt einen Haufen unwiederholbarer Gelegenheiten, die du nur zu einer bestimmten Zeit ergreifen kannst, oder sie sind vorüber. Wenn du es im Sommer nicht geschafft hast, im Garten zu sitzen und dich an der Wärme und den Farben zu freuen, dann kannst du das jetzt nicht mehr nachholen. Wenn du die Zeit, wo die Kinder klein waren, nicht intensiv miterlebt hast, dann ist das irgendwann nicht mehr zu ändern. Wenn du die Zeit verpasst hast, jemanden darum zu bitten, sein Leben mit dir zu teilen, dann heiratet sie irgendwann einen anderen.
Ein großer Teil von unserem ganzen Stress geht darauf zurück, dass wir mit aller Gewalt versuchen, diese Zusammenhänge außer Kraft zu setzen. Wir lassen im Winter Obst aus Übersee einfliegen, einkaufen soll möglichst rund um die Uhr sein, und immer neue Events werden erfunden, bis wir für die ganzen Dinge, die wir eigentlich nutzen und erleben möchten, mindestens zwei Leben brauchen.
Oder wenn man auf die gegenwärtige Finanzkrise schaut – die hat ja teilweise damit zu tun hat, dass die Leute in den USA noch viel mehr auf Pump leben als bei uns. Da war für viele eigentlich noch nicht die Zeit gekommen, um sich ein Haus zu bauen und noch einen großen Wagen zu kaufen, aber mit gewagten Finanzkonstruktionen haben sie es doch getan, und jetzt bricht das alles zusammen und vieles andere mit. Man kann die Ordnung der Zeiten schon mal für eine Zeit austricksen, aber auf die Dauer geht das nicht.
Die Weisen, die in Israel die Welt beobachtet haben, die waren überzeugt, dass man den eigenen Rhythmus der Welt und ihre eigenen Zusammenhänge nicht ungestraft außer Kraft setzen kann. Sie haben verstanden, dass wirkliche Weisheit darin besteht, sich in diese Zusammenhänge einzufügen und mit ihnen zu leben, statt sie mit Gewalt aushebeln zu wollen. Wenn man naschforsch an die Welt herangeht und sagt: hoppla, jetzt komm ich, ab heute wird alles anders! dann wird man über kurz oder lang auf den Boden der Realität zurückgeholt. Aber oft ist bis dahin schon viel Porzellan kaputt gegangen.
Wirkliche Weisheit besteht darin, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Was ist jetzt dran? Ist jetzt die Zeit zum Tanzen? Dann los, und bleib dabei bis die Schuhe qualmen! Oder ist jetzt die Zeit zum Trauern? Dann fühl den Schmerz und weich ihm nicht aus, bis die Zeit des Trauerns zu Ende ist. Mach deine Sachen ganz und nicht halbherzig! Tu nicht zwei Dinge gleichzeitig, sondern tu alles mit ganzem Herzen!
Hildegard von Bingen, die berühmte Theologin des Mittelalters, aß eines Tages mit sichtlichem Genuss eine fette Gans. Und ein Besucher wunderte sich, wie eine so frommen Frau mit so viel Freude eine Gans verzehren und dabei gar nicht ans Beten denken könne. Und Hildegard antwortet: Wenn Beten, dann Beten. Wenn Gans, dann Gans.
So hätte das auch der Prediger sagen können. Deswegen schreibt er immer wieder: genieße dein Leben, wenn die Zeit dafür da ist! Freu dich an Essen und Trinken und an der Frau, die du lieb hast, nutze die guten Tage aus ohne Zögern und ohne schlechtes Gewissen, aber nimm auch die harten Zeiten aus Gottes Hand entgegen. Wenn du versuchst, gegen den Rhythmus der Zeit zu leben, dann wirst du auch noch das Gute versäumen, das Gott dir immer wieder unerwartet schenkt.
Und für uns würde das bedeuten: trenn dich von dieser Illusion, dass du alle Möglichkeiten nutzen müsstest, die dir theoretisch offen stehen. Du musst nicht sämtliche Veranstaltungen und verkaufsoffenen Nächte mitnehmen. Es ist überhaupt nicht gesagt, dass Florida besser ist als dein Garten zu Hause. Aber wenn es wirklich Zeit für Florida ist, dann ganz! und so, dass du ein Leben lang eine leuchtende Erinnerung daran hast. Und kauf dir nicht einen Haufen Zeug, das nächstes Jahr einfach nur noch Platz wegnimmt. In deinem Herzen und in deinem Leben hat sowieso nur eine begrenzte Zahl von Dingen Platz. Sondern kauf dir die Dinge, die wirklich richtig sind für dich, die zu dir passen, die dein Leben auf Dauer schön machen, lass den Wunsch in dir wachsen, spare dafür, warte darauf, und wenn die Zeit gekommen ist, dann hol sie in dein Leben hinein, und sie werden dich für lange Zeit reich machen.
Verstehen Sie das Muster dahinter? Der Prediger sagt: es ist immer nur eine Sache dran, deshalb tu nicht alles, sondern das Richtige! Gott hat das so eingerichtet. Wir verstehen nicht, wie alles zusammenhängt, wir können nur Gott vertrauen, dass er es richtig gemacht hat, und wir haben die Chance, zu erkennen was jetzt dran ist, und dann in unserer jeweiligen Zeit zu leben.
Vielleicht kennen einige von uns die Szene aus dem Buch und Film »Der Herr der Ringe«, wo Frodo den Zauberer Gandalf fragt: warum muss ich denn in solchen schlimmen und schweren Zeiten leben, voller Dunkelheit und Gefahr? Und Gandalf sagt: wir können uns das nicht aussuchen, das ist nicht unsere Verantwortung, aber es ist unsere Verantwortung, in unserer Zeit unsere Aufgabe zu erfüllen und der nächsten Generation einen sauberen boden zu ninterlassen, auf der sie neu bauen kann! Weisheit besteht darin, nicht gegen die Begrenzungen des Lebens anzurennen, sondern zu ihnen Ja zu sagen.
Und wie wir an der Lesung vorhin gesehen haben, gilt das auch für Jesus. Jesus hat gewusst, wann seine Zeit gekommen war und wann noch nicht. Aber während der Prediger ziemlich ratlos vor dem Rätsel der Zeit stand, war sie für Jesus ein offenes Buch, das er Tag für Tag las. Er war immer im richtigen Moment am richtigen Ort. Er hat manchmal so mit den Menschen gearbeitet, dass er keine Zeit zum Essen hatte, aber er kannte keine Hektik. Und wenn es Zeit war, aufzuhören, dann ist er weggegangen. Er wusste immer genau, was jetzt dran war. Er war Herr auch über seine Zeit.
Jesus hat uns das Geheimnis der Zeit geöffnet: in jedem Augenblick können wir Gott leben. Jesus nannte das: Schätze für den Himmel sammeln. Nicht in dem Sinn, dass wir im Himmel ein Verdienstkonnto haben, das uns nach dem Tod ausgezahlt wird, sondern so, dass wir in dieser Zeit an unserem wahren, göttlichen Leben Anteil bekommen können, und zwar in den guten wie in den bösen Zeiten. In allen Zeiten gibt es die Chance, dass das neue Leben in uns wachsen kann, dazu gibt Gott die Zeiten, damit wir in jeder Zeit wieder etwas Neues über ihn und uns lernen und eine neue Seite von uns von Gott berührt und verwandelt wird.
Beim Prediger hieß es: versäume nicht die Zeit, in der du fröhlich sein kannst mit der Frau (oder dem Mann) deines Herzens, bei Wein und gutem Essen! Bei Jesus wird das nicht falsch, aber es wird Teil einer größeren Sicht: Versäume in guten wie in schweren Zeiten nicht den Gewinn an neuem Leben, den Gott in allen Zeiten für dich bereithält! »Nichts kann uns jetzt mehr trennen von der Liebe Gottes« sagt Paulus. Nicht die schlechten Zeiten, aber auch nicht die guten. Die Freude des Lebens zeigt dir Gottes Freude am Leben, und in den Zeiten der Trauer kannst du die Macht Gottes über alles Dunkle entdecken und noch viel tiefer getröstet werden.
Wir leben jetzt in der Zeit nach Jesus, in der sich die Dinge geändert haben. Jetzt steht an jedem Tag die Tür zum neuen Leben Gottes offen, aber wir sollen entdecken, wie und wo. Wenn wir konsequent von da aus denken, dann werden wir nicht mehr von Zeitnot getrieben, weil wir dann unterscheiden können, was jetzt von Gott her dran ist und was wir nur tun, weil wir niemanden enttäuschen wollen, oder weil wir falschen Versprechungen glauben. Die Souveränität Jesu im Umgang mit der Zeit, die ist auch für uns.
Weisheit brauchen wir immer noch, um an vielen blinkenden Möglichkeiten vorbeizugehen, die nur Lebenszeit und Kraft kosten würden, aber uns nichts Echtes und Bleibendes bringen. Und dann sind wir frei, die eine Möglichkeit zu entdecken, die uns ein Leben lang begleiten und erfreuen wird. Wo wir immer froh sein werden, dass wir die ergriffen haben und nichts anderes. Jesus hebt unsere Ansprüche an das Leben. Nur das Beste ist gut genug. Dafür lohnt es sich, zu suchen, zu urteilen, zu finden und zuzugreifen.