»Wir schaffen das«
Besonderer Gottesdienst am 31. Januar 2016 mit Predigt zu Philipper 4,12-13
Das Zitat, das unserem Gottesdienst den Titel gegeben hat, ist natürlich – wir wissen das alle – von der Bundeskanzlerin. Als sie das im Herbst 2015 gesagt hat, da hat sie vielleicht gar nicht gemerkt, dass dieses Motto einige Vorgänger hat. Mir ist das jedenfalls erst eine ganze Zeit später aufgefallen. Aber eigentlich müsste uns da einiges bekannt vorkommen.
Erinnern wir uns z.B. noch an die amerikanische Präsidentenwahl 2008? Die hat ja ein gewisser Barack Obama gewonnen, mit einem Slogan – wie ging der nochmal? Yes, we can. Das ist auf Eglisch ungefähr dasselbe wie »Wir schaffen das«.
Von Obama wird übrigens behauptet, er hätte den Slogan auch übernommen – nämlich von Bob, dem Baumeister (Bob the Builder). Ich muss gestehen, Bob der Baumeister ist irgendwie an mir vorbeigegangen. Unsere Kinder hatten wohl das falsche Alter. Aber Bob hat immer gesagt: Yes, we can fix it – und das heißt im Prinzip genauso: Wir schaffen das.
Vorher war »Yes we can« schon der Slogan einer amerikanischen Landarbeiter-Gewerkschaft gewesen, die unterprivilegierten Landarbeitern zu ihrem Recht verholfen hat. Und noch einen möchte ich in die Ahnenreihe dieses Slogans hineinschmuggeln. Der hat das zwar wörtlich so nie gesagt, aber der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt hat mit seiner ganzen Präsidentschaft dem amerikanischen Volk genau das vermittelt: wir schaffen es. In der schlimmen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre hat er den Amerikanern die Zuversicht gegeben, sie würden das Massenelend der großen Depression überwinden. Er ist dann sofort an die Arbeit gegangen, und am Ende des Jahrzehnts war die Krise tatsächlich bewältigt. Und es ist wohl Roosevelt mit seiner Zuversicht gewesen, der für Obamas Slogan »Yes we can« das wichtigste Vorbild gewesen ist.
Im Rückblick sieht man natürlich, dass Obama viele Hoffnungen, die Menschen auf ihn gesetzt haben, nicht erfüllt hat. Zum Beispiel gibt es immer noch das Lager Guantanamo, das er eigentlich abschaffen wollte. Aber mir geht es heute nicht darum, ob dieses Versprechen »Wir schaffen das« eingelöst wird. Das ist sehr unterschiedlich – Roosevelt und Baumeister Bob haben es hingekriegt, Obama ist deutlich an die Grenzen seiner Möglichkeiten gekommen, bei Merkel ist es noch offen. Mir geht es aber heute um die Botschaft selbst, um die Verheißung, die in diesem Slogan liegt: »wir schaffen das – yes we can«.
Mal unabhängig davon, ob Obama das Versprechen eingelöst hat, oder ob Merkel das kann – warum begeistert das so viele Menschen? Und warum ruft das gleichzeitig so eine wütende, hasserfüllte Reaktion hervor? Denn seit dem Amtsantritt von Obama gibt es ja in den USA einen nicht kleinen Teil der Bevölkerung, der von regelrechtem Hass auf Obama erfüllt ist. Wenn man behauptet, Obama sei in Wirklichkeit ein Muslim und illegal im Amt und ähnliches, das geht über normale politische Gegnerschaft weit hinaus. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Obama ein Schwarzer ist und der Rassismus in den USA noch längst nicht überwunden ist. Aber auch Kanzlerin Merkel ist ja inzwischen zur Zielscheibe von ganz massivem, persönlichen Hass geworden. Ich erspare es uns, hier Beispiele zu zeigen. Im Internet stößt man auf jede Menge von hasserfüllten Kommentaren, Bildern und Beiträgen, die einen sprachlos machen können.
Gerade deswegen ist es wichtig zu verstehen: warum ruft dieser kleine Satz »Wir schaffen das« oder auch »Yes we can« so starke Reaktionen hervor? Hoffnung auf der einen Seite, Wut auf der anderen?
Ich glaube, es hat damit zu tun, dass es da um weit mehr geht als um politische Entscheidungen über ein paar Prozent Steuern mehr oder weniger. Es geht um menschliche Grundeinstellungen, und zwar nicht nur von einzelnen Menschen, sondern um den Geist, der in einer ganzen Gesellschaft herrscht. Normalerweise bildet sich dieser Geist eher breit gestreut bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten – in Zeitungen, Talkshows, im Internet und in unzähligen Gesprächen zwischen Menschen. Was die Menschen wirklich denken und glauben, das weiß keiner so genau. Aber manchmal bündelt sich die Auseinandersetzung um ein paar zentrale Sätze herum. »Atomkraft – nein danke« war mal so ein Satz. Und »Wir schaffen das« – »Yes we can« geht noch ein bisschen tiefer, weil die Frage des Selbstvertrauens eine Grundfrage für uns alle ist. Habe ich den Eindruck, dass ich mit meinem Leben fertig werde, dass ich ganz gut gerüstet bin für die Herausforderungen, die auf mich zukommen werden? Oder bin ich eher unsicher, habe ich das Gefühl, dass andere über mein Leben entscheiden und glaube nicht, dass ich selbst etwas Positives bewirken kann?
Und damit sind wir natürlich der Sache nach ganz nah an Grundfragen des christlichen Glaubens. Der Glaube sagt: wir müssen uns nicht hilflos von irgendwelchen Mächten hin und her treiben lassen, nein, wir sind von Gott ermächtigt. Wir müssen nicht bei einem starken Chef Zuflucht suchen, weil wir uns selbst machtlos fühlen. Stattdessen können wir vertrauensvoll und furchtlos unseren Weg gehen. Wir sind stark und beschenkt, wir können lieben und teilen, und das wird alles zum Besseren wenden. Oder, wie es Paulus im Philipperbrief (4,12-13) formuliert: ich schaffe alles, weil Gott mich mächtig macht:
12 Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; 13 ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.
Paulus schreibt das aus dem Gefängnis, und damals gab es im Gefängnis keine Kantine, sondern man war darauf angewiesen, dass die Familie kam und einem Essen brachte und alles andere, was man so brauchte. Einer wie Paulus, der ohne den Schutz einer Familie durch die Welt reiste, konnte da ganz schön Probleme bekommen. Deswegen ist es keine billige Redensart, wenn er sagt: ich bin mit Überfluss und mit Mangel vertraut. Ich kann mich in jeder Situation zurechtfinden.
Gott hat Paulus im Laufe seines Lebens trainiert, und das war wahrscheinlich eine ziemlich anstrengende Schule, durch die er gegangen ist. Aber es hat sich gelohnt: um die Dinge, die den meisten Menschen als das wichtigste Problem erscheinen, macht er sich nicht allzu viele Sorgen. Ich komm schon klar, sagt er. Gott sorgt dafür, in der Geldfrage genauso wie in vielen anderen Dingen.
Man merkt an dieser Stelle, wie eng Paulus und Gott miteinander verwoben sind: Paulus kriegt es hin, und gleichzeitig ist es Gott, der ihn ermächtigt. Die Quelle seiner Stärke liegt nicht in ihm, aber sie zeigt sich an ihm, an dem, was er schafft. Paulus hat ein gesundes Selbstvertrauen, gerade weil er sich nicht nur auf die Energie verlassen muss, die in seinem Körper und in seiner Seele wohnt. Das klingt zunächst widersprüchlich, aber es macht durchaus Sinn: sofern wir nicht an maßloser Selbstüberschätzung leiden, haben wir alle unsere Zweifel, ob wir mit ungewohnten oder ungewöhnlichen Situationen zurecht kommen. Deshalb bleiben wir auch am liebsten in unserer berechenbaren Komfortzone.
Wer aber wie Paulus fast ständig mit neuen, unübersichtlichen Situationen zu tun hat, der kann sowieso nicht absehen, ob seine Kräfte und Fähigkeiten reichen werden. Und dann ist es am einfachsten, zu sagen: ich verlasse mich darauf, dass Gott mir im richtigen Moment innerlich und äußerlich alles gibt, was ich brauche. Das klingt vielleicht abenteuerlich, und zunächst ist es das auch. Aber wenn man immer wieder diese Erfahrung gemacht hat: Gott sorgt für mich!, dann ist das irgendwann etwas, was einem vertraut ist, und man rechnet damit ungefähr so selbstverständlich, wie andere ein festes Gehalt einplanen, wenn sie vorhaben, ein Haus zu bauen.
So lernt dann jemand wie Paulus im Lauf der Zeit, zu sagen: was auch immer kommen mag – wenn Gott es mir schickt, dann wird er auch dafür sorgen, dass ich es bewältigen kann. Das ist eine gute, gesunde Haltung, die einem hilft, mit Zuversicht nach vorn zu schauen.
Diese Grundhaltung hat die Bundeskanzlerin wohl gemeint, als sie gesagt hat: »wir schaffen das«. Man kann das natürlich nicht 1 zu 1 übertragen, ein ganzes Land kann nie so eng mit Gott verwoben sein, wie Paulus das war. Aber in unserem Land ist doch noch so viel an christlichem Erbe vorhanden, dass es eine gute Grundlage für diese Zuversicht gibt. Und tatsächlich hat es ja erstaunlich viele Menschen gegeben, die sofort bereit waren zu helfen, als die vielen Menschen auf der Flucht zu uns gekommen sind. Das ist ja eine ganz positive Überraschung gewesen, wieviel an Freundlichkeit und Solidarität auch gegenüber Fremden in unserem Land bereit gelegen hat, ohne dass man sich das vorher so hätte vorstellen können. Nicht alle, die da helfen, würden sich als Christen bezeichnen, aber es hat natürlich schon was mit unseren christlichen Wurzeln zu tun, dass es bei uns diese große Hilfsbereitschaft gibt.
An dieser Stelle muss man nun etwas ganz Wichtiges sagen, was eigentlich selbstverständlich sein müsste. Die Erfahrung von Paulus und vielen anderen: ich schaffe das alles, weil Gott mich stark macht, diese Erfahrung ist natürlich daran gebunden, dass wir in Gottes Sinn handeln. Und wir alle wissen: Gott ist Liebe. Das ist der Kern seines Wesens. Und die Verheißung, dass Gott uns stark macht, gilt nur, wenn wir in der Liebe bleiben. Gott macht uns nicht stark für alles mögliche. Sondern er hilft uns Lösungen zu finden, die menschlich, solidarisch und barmherzig sind. Also: von Liebe motiviert.
Gott hat die Welt so eingerichtet, dass sie am besten funktioniert, wenn die Menschen sich gegenseitig achten und solidarisch zusammenhalten. Deswegen können auch wenige eine große Ausstrahlung haben, wenn sie von Liebe motiviert sind. Dann werden sie von Gottes Energie unterstützt und ermächtigt.
Was passiert nun aber, wenn wir nicht mit dieser Grundhaltung leben: »wir schaffen das«? Dann werden wir unsicher, und alle möglichen Probleme machen uns Angst. Am Ende fürchtet man sich selbst vor den Kondensstreifen am Himmel. Wer aber Angst hat, versucht jede Veränderung zu vermeiden und kann dadurch erst recht die Probleme nicht lösen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wer Angst hat, sucht sich irgendeinen starken Mann, dem er sich anschließen kann und hofft, dass der für ihn die Probleme löst. Deshalb gibt es in der Politik viele, die Ängste beschwören und so tun, als könne alles beim alten bleiben, wenn man sie wählt. Und die Frage ist: welche Haltung ist in unserem Land eigentlich stärker: die Zuversicht »Wir schaffen das«, oder das Bedrohungszenario: »Chaos! Kontrollverlust! Terror! Untergang!« ? Das wird in unserem Land im Augenblick heftig ausgekämpft, und es ist offen, was dabei am Ende herauskommt. Man kann nur hoffen und beten, dass es jetzt nicht auch noch bei uns einen richtig schlimmen Terroranschlag gibt, weil das natürlich die Angstseite unheimlich stärken würde.
Alle Terroristen versuchen, diese ruhige Zuversicht »Wir schaffen das« kaputt zu machen. Und da sitzen die politischen Angstmacher mit den Terroristen, vor denen sie dauernd warnen, in einem Boot: beide fürchten am meisten Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen. Beide wünschen sich nicht, dass Menschen ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln und keine Angst haben. Beiden, den Terroristen und den politischen Angstmachern, schwimmen die Felle weg, wenn Menschen sagen: die Welt ist manchmal hart, die Welt ist manchmal gefährlich und ungerecht, aber Gott macht uns mächtig, und wir müssen uns nicht fürchten. Wir lassen uns nicht abbringen von der Liebe, die uns Kraft gibt.
»Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.« sagt Paulus. In politischen Diskussionen ist es schwierig, mit Gott zu argumentieren. Deswegen hat das die Bundeskanzlerin auch nicht getan. Wie sie persönlich das sieht, ist eine andere Frage. Aber wenn man überlegt, wie man diesen Paulussatz ins Politische übersetzen könnte, dann würde man schon irgendwo bei dem »Das schaffen wir« landen. Ob das am Ende mehrheitsfähig ist, das hängt auch davon ab, wie stark die christliche Substanz in unserem Land noch ist, und ob die vielleicht jetzt auch neues Leben bekommt.
Wie auch immer das ausgehen mag – für Christen gilt in jedem Fall: »Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.« Wir haben da sicher alle noch zu lernen, wie man in dieser engen Verwobenheit mit Gott lebt. Aber die Richtung ist deutlich. Als das Christentum entstand, war die Welt viel gefährlicher als heute. Trotzdem hat Jesus die Menschen immer wieder in Erstaunen versetzt durch seine Freiheit und seinen Mut – wir haben das vorhin in der Lesung (Matthäus 9,27-34) gehört.
Und diese ruhige Selbstsicherheit, wo man nicht groß die Muskeln spielen lassen muss, aber auch nicht mit dauerndem Selbstzweifel durch die Welt geht, wo man sich zutraut, dass man im richtigen Moment von Gott das Nötige bekommt und deswegen mit Zuversicht nach vorne schaut: wenn wir Christen diese Selbstsicherheit noch ein bisschen mehr schätzen lernen, dann muss man sich nicht so viel Sorgen um das Land machen.
Und auch unsere ganz persönliche psychische Gesundheit wird davon enorm profitieren, wenn wir von Gott zuversichtlich erwarten, dass er uns die Kraft gibt für alles, was kommen mag.