Das ganze Jahr lang Weihnachten
Predigt am 21. Dezember 2014 (4. Advent) zu Philipper 4,4-7
4 Freut euch, was auch immer geschieht; freut euch darüber, dass ihr mit dem Herrn verbunden seid! Und noch einmal sage ich: Freut euch! 5 Seid freundlich im Umgang mit allen Menschen; der Herr ist nahe! 6 Macht euch um nichts Sorgen! Wendet euch vielmehr in jeder Lage mit Bitten und Flehen und voll Dankbarkeit an Gott und bringt eure Anliegen vor ihn. 7 Dann wird der Frieden Gottes, der alles Verstehen übersteigt, über euren Gedanken wachen und euch in eurem Innersten bewahren – euch, die ihr mit Jesus Christus verbunden seid.
Dreimal werden wir noch wach, dann ist Heiliger Abend. Für einige von uns klingt das wie eine Drohung, vor allem für die, die mit den Vorbereitungen noch nicht so weit sind, wie sie eigentlich sein wollten. Aber hören wir uns das heute mit den Ohren eines Kindes an, das zu Weihnachten auf ein tolles Spielzeug hofft. Oder auch mit den Ohren einer Verkäuferin, die dann endlich das Weihnachtsgeschäft hinter sich hat und Zeit für das hat, was sie selbst gern machen würde. Dieses Gefühl: es dauert nicht mehr lange, bald ist es so weit, und das wird bestimmt toll! – dieses Lebensgefühl, dass wir mindestens als Kinder ganz deutlich gekannt haben, wenn Weihnachten bevorstand, das empfiehlt Paulus als grundlegende Lebenseinstellung für alle Lebensalter und alle Tage des Jahres: »Der Herr ist nahe!«.
Veränderte Welt
Dieser Satz erinnert an die Kernbotschaft Jesu: Das Reich Gottes ist nahe! Und tatsächlich sprach Jesus da in verschleierter Form von seiner eigenen Mission. Die Welt hat sich verändert, weil Jesus in sie hineingekommen ist, hier gelebt hat, gestorben und auferstanden ist. Jetzt ist mitten im Schoß der alten Welt schon die neue angebrochen. Jesus verbirgt sich in den Winkeln und Ritzen der Welt und auf einmal bewegt er Menschen, bei denen man es nicht erwartet hat. Seine neue Welt realisiert sich mitten im Unfrieden und unter Menschen, die eben noch Werkzeuge der Zerstörung waren. Jesus verbirgt sich quasi hinter der nächsten Ecke, und er wartete darauf, dass wir ihn rufen und mit ihm ans Werk gehen. Und deswegen legt Paulus uns nahe, das ganze Jahr mit so einer Art Weihnachtsgefühl unterwegs zu sein: »Der Herr ist nahe!« – die nächste Begegnung mit ihm steht bevor, und das wird viel schöner als Weihnachten. Die sogenannte Weihnachtsfreude, selbst wenn sie sich mal wirklich einstellt, ist nur eine schwache Erinnerung an das, was Paulus immer wieder mit Jesus erlebt hat.
Dazu ist es wichtig zu wissen: Als Paulus den Philipperbrief schreibt, sitzt er im Gefängnis und weiß nicht, wie seine Zukunft aussehen wird. Von Freilassung wegen erwiesener Unschuld bis zur Hinrichtung ist noch alles möglich. Und natürlich kommen zu dieser Unsicherheit noch die ganzen Belastungen eines Gefängnisaufenthaltes: er kann nicht reisen, er kann niemanden besuchen, sondern nur besucht werden, kurz: er hat wenig Kontrolle über sein Leben und ist vom Entgegenkommen anderer abhängig.
In dieser Situation schreibt er einen Brief an die Gemeinde in Philippi, und was ist das wichtigste Thema seines Briefes? Freude. Aus dem Gefängnis schreibt er über Freude. Und man merkt, dahinter stecken echte Erfahrungen. Das ist keine fromme Folklore, sondern der erlebt das dauernd, dass Jesus die Gefängniswirklichkeit durchbricht und selbst da Konstellationen entstehen, wo Gott die Herrschaft übernimmt. So wie Bonhoeffer im Gefängnis die Aufseher so verändert hat, dass sie ihm zur Flucht verholfen hätten, wenn er sie darum gebeten hätte. Das ist die reale Macht Gottes, und wenn man sie im Großen oder Kleinen erlebt, das bedeutet unvergleichliche Freude. Weil aber der Herr nahe ist, deshalb kann man das dauernd erleben. Das gibt dem ganzen Leben ein neues Vorzeichen.
Bitte macht euch einen Augenblick klar, wie anders das Grundgefühl vieler Menschen ist! Wie oft Menschen eher über Krankheiten oder Probleme oder schlechte Stimmungen reden. Oder von ihren Ängsten. Gerade ist ein Buch herausgekommen mit dem Titel »Gesellschaft der Angst«, wo drin beschrieben wird, dass viele Menschen zutiefst verunsichert sind, weil alles in Bewegung gekommen ist, weil man nicht mehr weiß, welche Selbstverständlichkeiten morgen noch selbstverständlich sind, und weil man nicht mehr darauf vertrauen kann, im Schutz von zuverlässigen Institutionen sein Leben zu führen, so wie man z.B. früher der Ilseder Hütte oder der Rentenversicherung vertraut hat.
Unsicherheit – damals wie heute
Paulus lebte in einer ganz ähnlichen Zeit der frühen Globalisierung: viele Menschen wurden aus dem Halt herausgerissen, den ihnen ihre Dörfer und Stämme gegeben hatten, und dann wurden sie als Soldaten oder Sklaven oder Kaufleute oder Matrosen durch die halbe Welt geweht und wussten nicht wirklich, wo sie hingehörten.
Und als Anhänger Jesu stand Paulus noch zusätzlich am Rand, er konnte nicht mehr auf den Schutz der jüdischen Gemeinschaft bauen, im Gegenteil, weil er umstritten war und Unruhen auslöste, ist er eben öfter im Gefängnis gelandet. Aber das war für ihn kein Grund, mürrisch oder ängstlich oder schlecht gelaunt zu sein. Für ihn galt: »Der Herr ist nahe!«. Deshalb hätte er gesagt: »Ich soll in meinem Lebensgefühl davon abhängig sein, was ein Beamter des römischen Kaisers über mich entscheidet? Das kann nicht sein! Hast du vergessen, dass Jesus Christus mein Herr ist und nicht der Kaiser? Hast du vergessen, dass ich dem Herrn des Himmels und der Erde diene und zu ihm gehöre und von IHM meine Freude und mein Glück kommen, und da sollte ich in meiner Stimmung von den Entscheidungen so eines römischen Beamten abhängig sein, oder von irgendwelchen anderen Wendungen des Lebens?«
Auch wenn Sie es jetzt für ziemlich unwahrscheinlich halten, dass diese Lebenshaltung funktioniert, dann lassen Sie sich mal für einen Augenblick auf das Gedankenexperiment ein, dass diese Gedanken vielleicht doch nicht völlig unsinnig sind. Immerhin gibt es von Paulus die Geschichte, wie er bei anderer Gelegenheit ausgepeitscht und ins Gefängnis geworfen wurde und da mit blutendem, zerschlagenen Rücken in der Nacht Loblieder auf Gott gesungen hat. Anscheinend ging das nicht sofort, er musste erst wieder zurückfinden zu dem Bewusstsein, dass seine Stimmung nicht von den Umständen abhängig war, aber nach ein paar Stunden war er wieder so weit – trotz des zerschlagenen Rückens, der immer noch höllisch gebrannt haben muss. Aber der Zustand seines Herzens war tatsächlich ein gutes Stück unabhängig von seiner äußeren Lage.
Klar, auch Paulus hat es weh getan, wenn er geschlagen wurde oder wenn er Hunger hatte, auch für Paulus war das scheußlich, in einer kalten, feuchten Zelle zu sitzen, auch er sehnte sich nach seinen Freunden und Gefährten. Aber er hat sich davon nicht sein Lebensgefühl bestimmen lassen.
Eine verborgene Quelle der Freude
Es muss im Innern des Paulus einen Raum gegeben haben, in dem er Zugang zu Jesus Christus hatte, auch wenn draußen in seiner Umgebung alles gründlich schief gelaufen ist. Er wusste von einer Freude, die in ihm wohnte, und die von all dem Auf und Ab in der Außenwelt nicht erreicht wird. Er hatte Zugang zur Gegenwart Gottes, zur Kraft des Heiligen Geistes, zur Freude Jesu, und das war eine Quelle in seinem Herzen, die nie versiegt ist, und ich glaube, dass Paulus am Ende, als er tatsächlich getötet wurde, immer noch den Zugang zu dieser Quelle gehabt hat. Als er dann wirklich dabei war, alles zu verlieren, sogar sein Leben, da ist diese Quelle nicht versiegt. Das ist jetzt eine Vermutung, weil wir nichts Sicheres über den Tod des Paulus wissen; aber von anderen Christen, die mit Christus gestorben sind, wissen wir, dass im entscheidenden Moment, als alles andere ihnen nicht mehr helfen konnte, diese Verbindung mit dem auferstandenen Jesus sie bis zuletzt begleitet hat.
Freude ist nicht eine spezielle Kraft in uns, die man definieren und untersuchen könnte, sondern Freude geschieht in einer Beziehung, und wenn es die Beziehung zum auferstandenen Jesus ist, dann ist sie unzerstörbar. Diese Freude zu erleben, das war der tiefste Grund, weshalb einer wie Paulus durch die halbe Welt gereist ist und alles für Jesus gegeben hat: weil er damit gleichzeitig diese Verbindung zu Jesus gestärkt hat, weil er so immer besser gelernt hat, aus der Kraft Jesu zu leben, weil er so ein – wenn man es mal so sagen darf – ein glücklicherer Mensch geworden ist.
Wenn man das beschreiben soll, dann kommt man irgendwo an seine Grenzen. Selbst wenn man Geschichten erzählt, ist das nur ein Hinweis, eine Hinführung. Man kann dann irgendwann nur noch sagen: du musst das selbst erleben, und du wirst es erleben, wenn du es dir wünschst, darum bittest und Jesus nachfolgst. Früher oder später wirst du dann wissen, was ich meine.
Zu dieser Quelle muss man selbst gehen
Aber das ist bei fast allen tiefen Erlebnissen so. Du kannst sie nur begrenzt kommunizieren, und ob sich dann einer auf die Suche macht und es selbst erlebt, das kannst du nicht erzwingen.
Deswegen sagt Paulus hier freut euch! Das ist eigentlich als Befehl Unsinn, aber es ist eine Aufforderung, ein Anreiz, eine Erinnerung an etwas, was sie ja eigentlich kennen, aber es ist vielleicht wieder in den Hintergrund getreten, weil es im normalen Denken der Mehrheit so unwahrscheinlich ist. Dass man bei Gänsebraten, Alkohol und Geschenken ein paar nette Stunden verbringen kann und die alltäglichen Familienkleinkriege außen vor bleiben, das können sich die meisten gerade noch vorstellen. Aber dass es eine Freude gibt, die zur Not auch ohne Anhalt in der äußern Realität funktioniert, und die trotzdem beständig daran arbeitet, diese Realität zu verändern, das ahnen die wenigsten. Das ist sogar unter Christen so etwas wie ein Geheimwissen. Und dann nehmen wir doch wieder Zuflucht beim traditionellen Familienfest.
Die Freude, von der Paulus spricht, gründet sich aber auf erlebte Realität: da ist einer dabei gewesen und hat gesehen, wie Jesus diese Welt überall beeinflusst, verschiebt und erneuert. Er hat dabei mitgemacht. Und in dem allen hat er diese Quelle der Freude gefunden, die auch gegen alle andere Realität immer noch weiterfließt.
Man kommt da nur ran, wenn man sich mit seinem Leben und nicht bloß mit Worten der Suche danach verschreibt. Wem das zu aufwändig ist, der kann ja auch den Weihnachtsmann bestellen. Der ist billiger, aber er bringt nur Geschenke. Das Original ist deutlich besser, aber es ist auch unter Christen ein echter Geheimtipp.