Der Sturz des Drachen
Predigt am 14. Juni 2015 zu Offenbarung 12,1-9 (Predigtreihe Offenbarung 20)
In den ganzen letzten Predigten habe ich immer wieder daran erinnert: die Offenbarung ist noch nicht zu Ende, wir haben noch die ganze zweite Hälfte vor uns! Es sah immer so aus, als ob jetzt eigentlich alle sieben Siegel am geheimen Buch Gottes geöffnet sind, die sieben Posaunen sind geblasen, und im Himmel gibt es großen Jubel, weil jetzt Gott seine Königsherrschaft auf der Erde angetreten hat.
Da war noch was …
Aber es gab immer mal wieder kurze Hinweise darauf, dass da noch eine böse Macht verborgen ist: das Tor zum Abgrund, aus dem Killerheuschrecken herausströmen. Ein kurzer Hinweis, dass aus diesem Abgrund ein Monster heraufsteigen wird, das sogar die beiden bevollmächtigten Propheten Gottes überwindet. Johannes muss die Geschichte noch einmal erzählen, aber diesmal gräbt er noch tiefer: der ganze Widerstand gegen Gott hat ein verborgenes Zentrum, und dieses Zentrum wird jetzt langsam sichtbar.
Es ist wie in einem Horrorfilm, wo in der ersten Stunde alles relativ harmlos aussieht, aber immer mal wieder sind Hinweise ausgestreut, dass es eine dunkle Bedrohung gibt. Die Musik lässt nichts Gutes ahnen, und dann auf einmal zeigt sich das Ungeheuer in seiner ganzen Schrecklichkeit. Diese Schlüsselszene ist jetzt auch in der Offenbarung des Johannes gekommen:
1 Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. 2 Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen.
3 Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. 4 Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. 5 Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.
6 Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.
7 Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, 8 aber sie konnten sich nicht halten und sie verloren ihren Platz im Himmel.
9 Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.
Jetzt ist er da! In einem Computerspiel würde man sagen: das ist der Endgegner, auf den man stößt, wenn man all die vielen kleineren Monster, Untoten und Hexenmeister hinter sich hat. Jetzt hält er sich nicht mehr im Hintergrund und schickt andere vor, sondern jetzt kommt er selber aus seinem Versteck.
Der verborgene Konflikt wird sichtbar
Darum geht es ja in der Offenbarung: die Konturen werden klarer. Der verborgene Konflikt, der die Welt bisher im Hintergrund durchzogen hat, zeigt sich immer direkter. Und Johannes benutzt die Sprache der Symbole, der Mythologie, um ihn zu beschreiben. Er wird auch noch konkreter von Geschehnissen auf der Erde reden, aber zunächst einmal spricht er von zwei Zeichen in der himmlischen Sphäre: die Frau und der Drache.
Da ist einmal die Frau, die schwanger ist. Damit wir es verstehen, wird gesagt, dass sie ein Kind gebar, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Das ist eine Anspielung auf Psalm 2, wo vom gesalbten König Gottes die Rede ist, und die Christen haben das natürlich immer auf Jesus bezogen. Also könnte man sagen, dass diejenige, die ihn zur Welt bringt, Maria sein müsste, die Mutter Jesu. Aber das ist ein Kurzschluss, und wir merken es daran, dass die Frau mit Zeichen kosmischer Hoheit versehen ist: sie ist mit der Sonne bekleidet, trägt einen Kranz von zwölf Sternen und steht auf dem Mond. Das ist nicht die junge Mirjam aus Nazareth, die während der Volkszählung des Augustus in Bethlehem ihren ersten Sohn bekommt, sondern wir sind in der symbolischen Sphäre, und da steht diese Frau für das treue Gottesvolk, das an seiner Berufung festgehalten hat und aus dem schließlich Jesus hervorgegangen ist. Das ganze Gottesvolk ermöglicht Jesus. Der lange Weg der Nachkommen Abrahams, also der Juden, durch die Jahrhunderte erscheint als Zeit der Schwangerschaft, und die unsichere und bedrohte Lage Israels im römischen Imperium wird im Bild schmerzhafter Geburtswehen geschildert.
Die Verkörperung von Chaos und Zerstörung
Wir haben also den grundlegenden Konflikt zwischen dem Volk Gottes, aus dem der Messias, Gottes König, der Christus kommen soll, und dem Drachen auf der anderen Seite. Der Drache ist das Zentrum der lebensfeindlichen Macht, eine Quelle von Zerstörung und Chaos. Sieben Köpfe hat er und zehn Hörner, irgendwie passt das nicht, da ist etwas schief, wie verteilen sich zehn Hörner auf sieben Köpfe? Aber auf jeden Fall hat er auf allen Köpfen eine Krone. Wie ein Emporkömmling, der an jedem Finger einen dicken Ring hat, muss er mit seinen Machtsymbolen protzen. Und er richtet Chaos und Zerstörung an.
Am Ende des Abschnitts wird der Drache noch einmal identifiziert mit all den anderen Symbolen des Feindes, die im Lauf der Zeit benutzt worden sind: die alte Schlange, der Satan, der Teufel. Das konzentriert sich jetzt im Bild des Drachen.
Denken wir daran, dass es damals noch keine Filme und special effects gab. Normale Menschen hatten noch nicht mal Bilder in der Wohnung, sie sahen Bilder und Statuen meistens nur in Tempeln oder auf öffentlichen Plätzen. Wir sind heute ganz anderes gewöhnt, wir sehen im Film Godzilla, King Kong und die animierten Dinosaurier aus »Jurassic Park«, als ob es sie wirklich geben würde. Dagegen wirken ein paar Sätze über einen Drachen mit 7 Köpfen und 10 Hörnern eher harmlos. Aber auf die Menschen damals müssen sie eine Wirkung gehabt haben so wie für uns die aktuellsten Monster aus den Trickfilmmanufakturen Hollywoods.
Der Drache ist eine schreckenerregende Macht. Mit seinem Schwanz fegt er ein Drittel der Sterne vom Himmel. Die Sterne mit ihren regelmäßigen Bahnen sind ja ein Symbol für die Ordnung in der Welt. Das bedeutet: der Drache richtet Chaos an, er zerstört die Ordnung der Welt. Vor allem aber versucht er zu verhindern, dass im Gottesvolk der verheißene Messias zur Welt kommt. Er bereitet sich darauf vor, das Kind gleich nach der Geburt zu vernichten.
Jesus in einem kurzen Vers
Das erinnert an die Geschichte davon, wie Herodes versucht hat, Jesus gleich nach der Geburt beseitigen zu lassen, indem er alle Kinder aus Bethlehem tötet (Matthäus 2,13-18 – wir haben es vorhin in der Lesung gehört). Mögliche Feinde zu beseitigen, bevor sie überhaupt gefährlich werden können – das ist immer eine Taktik der Tyrannen gewesen. Lieber ein paar zu viel beseitigen, als die entscheidende Gefahr zu übersehen. Und deswegen ist auch das ganze Gottesvolk immer bedroht gewesen, weil kluge Tyrannen gemerkt haben, dass sich dort etwas vorbereitet, was sie nicht unter Kontrolle bekommen.
Aber dieses Kind wird erst geboren und dann zu Gott entrückt – das ist die Geschichte von Himmelfahrt! Hier ist also der ganze Weg Jesu komprimiert auf den allerersten Anfang (die Geburt) und die allerletzte Geschichte (die Himmelfahrt). Der Anfang und das Ende: die stehen für den ganzen Weg. Und dem Drachen gelingt es nicht, diesen Weg Jesu zu verhindern. Auch die Frau, also das Volk Gottes, wird beschützt. Hier an dieser Stelle, im Leben Jesu unter den Menschen, erleidet der Drache die entscheidende Niederlage.
Zwei parallele Schauplätze
Und nun entspricht diesen Geschehnissen auf der Erde eine Szene im Himmel, nämlich der Kampf zwischen dem Erzengel Michael und dem Drachen. Bisher war anscheinend auch der Drache oder der Satan in der himmlischen Sphäre vertreten. So lange noch nicht klar war, wie der Kampf um die Erde ausgehen würde, so lange hatte er da noch einen Fuß in der Tür. Aber wenn Jesus seinen Weg geht, wenn mit Jesus ein Mensch ganz nach Gottes Herzen lebt und handelt und eine neue Menschheit gründet, dann ist auf der Erde das Entscheidende passiert und dann wird der Teufel aus dem Himmel vertrieben und auf die Erde geworfen.
Bemerkenswerterweise formuliert das auch Jesus sehr ähnlich. Im Lukasevangelium (10,18) sagt er: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen«. Und im Johannesevangelium (12,31) am Tag vor seinem Tod: »Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden«.
Menschen machen Gott verwundbar
Das heißt: was hier auf der Erde geschieht, in diesem Fall das Leben Jesu, das hat Auswirkungen auf die himmlische Sphäre. Gott hat der Menschheit eine entscheidende Rolle anvertraut, und deshalb kann er nicht mehr einfach tun und lassen, was er will. Er hat einen Teil seiner Macht abgetreten. Solange Menschen dem Bösen Spielraum geben, muss er den Satan in seiner Nähe dulden und sich anhören, wie der triumphierend von all der Bosheit auf der Erde erzählt.
Um es mit einem Vergleich zu sagen: Wir kennen ja alle Menschen, die mit großer Freude davon erzählen, was alles schief läuft und wie schlecht die Welt ist und was ganz besonders dieser und jener falsch macht. Und das nervt natürlich schrecklich, wenn man sich das dauernd anhören muss. Und so muss man sich den Satan vorstellen, als jemanden, der dauernd Gott in den Ohren liegt und ihn nervt mit lauter Geschichten darüber, was die Menschen alles falsch machen. Du wirst ja ganz wuschig, wenn dir einer dauernd mit großer Freude erzählt, was der wieder falsch gemacht hat und wie blöd die ist, und dass die Politiker alle Verbrecher sind, dass man bei Hitler jedenfalls nachts auf der Straße sicher war und die Aliens sowieso demnächst die Macht übernehmen. So einer kann mit seinem Gerede das Niveau jeder Feier deutlich nach unten drücken. Am besten geht man so einem Gerede aus dem Weg, aber man kann es nicht immer vermeiden, vielleicht ist es ja ein Verwandter, den man zum Geburtstag einladen muss, und auch Gott erscheint hier als jemand, der irgendwie den Satan nicht vermeiden kann, solange die Menschen ihren Auftrag nicht erfüllen. Die Menschen machen Gott verwundbar.
Ein mieser Typ fliegt raus
Erst, als hier auf der Erde ein Mensch erscheint, der alles richtig macht, als es dem Satan nicht gelungen ist, Jesus zu verhindern, da sagt der Erzengel Michael zum Drachen: jetzt verschwinde hier! Du hast im Himmel nichts mehr zu suchen, du Schandmaul! Und du wirst auch nicht mehr zur Goldenen Hochzeit eingeladen!
Das gibt natürlich Terror. Der Satan keift und schimpft und argumentiert und moralisiert in voller Lautstärke. Michael und die anderen Engel müssen sich alles mögliche anhören und brauchen gute Nerven, bis sie ihn endlich hinauskomplimentiert haben, aber am Ende steht der Satan mit seiner Gang wütend draußen und kann schimpfen wie er will – keiner hört ihn mehr.
Das Ende ist eingeläutet
Johannes schreibt diese Vision für seine Gemeinden auf, die die Macht des Bösen gut kennen, die unter ihm leiden, die verleumdet und angeklagt werden und manchmal auch getötet. Und er sagt ihnen damit: die Energie dieser bösen Macht ist schon untergraben. Es gibt einen höheren Ort, wo er keinen Raum und kein Recht mehr hat. Wenn Jesus in echt präsent ist, nicht als Lehre oder Zerrbild, sondern verkörpert in lebendigen Menschen, dann verliert der Verführer seinen Glanz. Jesus stiehlt ihm die Schau. Und über kurz oder lang werdet ihr das auch merken.
Damals im römischen Imperium hat das noch dreihundert Jahre gedauert, bis die Christen die imperiale Herrschaft Roms überwunden hatten, und danach wurde leider nicht alles gut. Aber im Grundsatz war die entscheidende Schlacht geschlagen, als Jesus an einem römischen Kreuz starb, ohne seinem Weg mit Gott untreu zu werden. Da war das Ende des Imperiums eingeläutet. So wie Hitlers Ende mit der Invasion in der Normandie besiegelt war und vielleicht mit der Finanzkrise von 2008 das Ende unseres jetzigen Wirtschaftssystems. Aber wirklich wissen tut man das erst im Rückblick. Oder durch eine Vision wie die von Johannes, aber auch Visionen werden immer erst nachträglich bestätigt.
Es gibt noch genug zu tun
Johannes lehrt uns, zu unterscheiden: das Eine passiert am höheren Ort, im Himmel, da fallen die grundlegenden Entscheidungen. Und dann setzen die sich auf der Erde um, und das kann dauern. Die ganze Welt wartet noch darauf, dass Leben, Tod und Auferstehung Jesu in der Breite der Wirklichkeit umgesetzt werden.
Und wir alle, jeder an seinem Platz, müssen in dem Teil der Welt, für den wir verantwortlich sind, darum kämpfen, dass die himmlische Entscheidung auf der Erde real wird. Um es noch mal mit dem Bild vom Nationalsozialismus zu sagen: auch als Hitler tot und der Krieg verloren war, haben sich in manchen Bereichen die alten Nazis noch lange gehalten. In anderen Bereichen hat man sie schnell von den Schalthebeln entfernt. Es war ein langer Kampf, bis zum Beispiel die Verantwortlichen der KZs vor Gericht gestellt wurden. Und der Kampf ist selbst heute noch nicht zu Ende, weil wir immer wieder auf Spätfolgen stoßen, die noch nicht bearbeitet sind.
So muss auch diese grundsätzliche Niederlage des Drachen immer wieder in vielen kleinen und großen Kämpfen bestätigt werden. Hier auf der Erde, unter uns, mit uns als Akteuren. Das macht Jesus nicht für uns. Er hat den grundlegenden Durchbruch geschafft, er steht uns im Heiligen Geist zur Seite, aber es ist entschieden, dass die Umsetzung nur mit uns passiert. Und um diese Phase der Kämpfe geht es im zweiten Teil der Offenbarung.