Wie ein Einbrecher, wie ein blinder Passagier
Predigt am 29. Juli 2014 zu Offenbarung 3,1-6 (Predigtreihe Offenbarung 07)
1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. 2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. 3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und kehre um! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert. 5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Sardes ist eine alte Stadt mit einer langen und großen Geschichte. Zur Zeit sagenhaft reichen Königs Krösus war sie die Hauptstadt des Lydischen Reiches. Krösus führte Krieg mit den Persern, verlor den Krieg und rettete sich in seine Hauptstadt, die uneinnehmbar auf einem hohen Berg lag.
Zu sorglos
Dummerweise machte das die Bewohner sorglos. Ein paar persische Soldaten entdeckten nämlich einen Weg, um am Berghang nach oben zu klettern, und als sie oben ankamen, merkten sie, dass niemand die Mauern bewachte. Sie kletterten über die Mauer, drangen in die Stadt ein und öffneten die Tore. So wurde Sardes erobert. Und ein paar Jahrhunderte später geschah das noch einmal. Die Leute in Sardes hätten also eigentlich wissen können, wie wichtig es ist, wachsam zu sein.
Aber anscheinend hatten sie diese Lektion nicht gelernt, Mindestens lässt Jesus durch Johannes die Christen erinnern, dass er »wie ein Dieb in der Nacht kommt«. Das ist ein Satz, den Jesus in seiner Zeit als Mensch auf der Erde schon gesagt hat, wir haben es vorhin in der Lesung gehört (Matthäus 24,43-44). Und dieser Satz sagt etwas sehr Grundlegendes darüber, wie Jesus arbeitet. Jesus schleicht sich da ein, wo keiner ihn erwartet hätte, und zu einer Zeit, wenn keiner daran denkt. Jesus vergleicht sich mit einem Einbrecher: der schickt auch keine Ankündigung, wenn er vorhat, deinen Tresor zu plündern. Nebenbei merkt man, was für gewagte Bilder Jesus gerne benutzt hat. »Ich bin das Lichte der Welt« – so ein Satz passt nach unserem Gefühl zu Jesus. Aber er hat auch gesagt »Ich komme wie ein Einbrecher«.
Jesus wird unterschätzt
So ist es ja wirklich gewesen: bei seiner Geburt ist Jesus ganz unauffällig in die Welt gekommen. Nur ein paar Menschen wie die Hirten und seine Mutter Maria erfuhren, was da wirklich passierte. Danach geschah dreißig Jahre lang erstmal gar nichts. Und auch, als Jesus erwachsen war und bekannt wurde, da verstanden die wenigsten, was da los war, und keiner hätte geahnt, dass aus einem Prediger in der Provinz mal eine weltweite Bewegung werden würde.
Bis heute machen die Herren dieser Welt immer wieder den Fehler, Jesus zu unterschätzen, und seine Freunde machen erstaunlicher Weise den gleichen Fehler. In der ganzen Johannesoffenbarung geht es eigentlich darum, uns Freunden Jesu die Augen zu öffnen, damit wir verstehen, in welchen Dimensionen man denken muss, wenn es um ihn geht. Gleich am Anfang erscheint Jesus in seiner ganzen göttlichen Hoheit, und im Lauf der Offenbarung bekommen wir immer mehr gewaltige Bilder zu sehen, die alle zeigen: Jesus erschüttert die Welt. Da spitzt sich ein Konflikt zu, der nichts und niemanden unberührt lässt.
Ein Konflikt mit gewaltigen Dimensionen
Man muss sich nur mal vor Augen führen, was hier bei uns in Europa in den letzten paar Jahrhunderten geschehen ist: in der frühen Neuzeit, als die Kirche noch ziemlich unangefochten die Gesellschaft dominiert hat, haben ein paar Menschen angefangen, über eine neue Weltanschauung nachzudenken, die nicht mehr christlich geprägt war. Sie wollten sich nicht mehr von der Kirche vorschreiben lassen, wie sie zu denken hätten und sagten: für uns zählen nur noch vernünftige Argumente. Die Vernunft ist die entscheidende Instanz!
Und damit waren sie unglaublich erfolgreich. Die ganze Wissenschaft und Technik ist daraus entstanden. Das westliche Abendland ist die dominierende Macht in der Welt geworden. Das hat das Angesicht der Erde verwandelt. Heute kennt man, glaube ich, auch im letzten Urwalddorf Elektrizität und Coca Cola.
Jesus war immer dabei
Aber, welche Ironie: Jesus hat sich da schon längst eingeschlichen. Auch wenn die Erfinder der modernen Welt glaubten, nun hätten sie endlich die ganzen Fesseln der Religion hinter sich gelassen: Jesus war immer mit dabei. Er schlich sich in ihre Gedanken ein, er saß mit am Experimentiertisch und er reiste als blinder Passagier mit auf den Schiffen, die die Welt eroberten und ausplünderten. Nicht nur, weil so das Evangelium in die ganze Welt kam, sondern weil viele moderne Gedanken aus den Quellen der Bibel schöpften. Aus der Bibel kommt die Kritik an korrupten Priestern, Religionen und Tempeln, aus der Bibel kommt der Gedanke der Gleichheit aller Menschen, in der Bibel finden wir die Menschenwürde und die Menschenrechte, die in Gottes Zuwendung zu jedem Einzelnen wurzeln. Es heißt anders, aber es ist da. Und so gingen Impulse Jesu in getarnter Form durch die ganze Welt, oft gerade von denen verbreitet, die sich selbst als Atheisten oder Feinde des Christentums bezeichnet hätten.
Natürlich wurden diese Impulse Jesu dadurch auch entstellt und von ihren Wurzeln getrennt. Natürlich wäre es besser, die Vernunft und die Naturwissenschaft und die Wirtschaft, überhaupt die ganze moderne Welt wäre sich ihrer Quellen bewusst. Dann hätte sie nicht so viele schreckliche Kriege geführt, nicht so viele Menschen versklavt und ausgebeutet und mehr Rücksicht auf unsere Mitgeschöpfe genommen.
Wege aus einer verfahrenen Situation
Aber es bleibt, dass Jesus unglaublich einfallsreich umgegangen ist mit einer verfahrenen Situation, wo seine Kirche längst nicht mehr das Salz der Erde war, sondern nur noch an ihre Dominanz dachte. Und er hat sie aufgerüttelt und zurechtgestutzt und ihr gezeigt, was ihr Auftrag wäre – ausgerechnet durch die, die sich als seine Feinde fühlten.
Und so versteht man die ganze Unruhe in der Welt erst wirklich, wenn man erkennt, dass es darin immer noch um die Ankunft Jesu in der ganzen Welt geht. Das wird auch das Thema beim »Besonderen Gottesdienst« in zwei Wochen sein – da werden wir nachdenken über die Konflikte und Aufstände und Bürgerkriege, die uns ja in diesen Jahren irgendwie immer näher kommen. Das alles gehört zu den Erschütterungen der Welt, von denen die Offenbarung spricht.
Und speziell an die Gemeinde in Sardes schreibt Jesus: wacht lieber auf, bevor ich komme und euch unsanft wecke! Es ist eine gefährliche Zeit, und wenn ihr nicht aufpasst, dann kann es euch gehen wie dem König Krösus, der sich so sicher gefühlt hat, und auf einmal standen die Feinde mit dem Schwert an seinem Bett.
Eine Gemeinde, die ihren Auftrag vergessen hat
Die Gemeinde von Sardes muss mal einen guten Start gehabt haben, aber dann scheint das alles irgendwie eingeschlafen zu sein. Wir hören nichts von inneren oder äußeren Konflikten, nichts von besonderen Sünden oder falscher Theologie. Noch nicht mal das scheint es gegeben zu haben. Stattdessen: harmlose Ruhe. Business as usual. Ich weiß nicht, wie das damals ausgesehen hat, ob sie Picknickfahrten ins Grüne gemacht haben oder Peddigrohrflechten oder Origamikurse oder Bingo gespielt. Jedenfalls hatten sie vergessen, dass sie in der Gesellschaft Jesu waren, der nicht harmlos ist, sondern die Welt erschüttert und seine Leute mitnimmt auf einen abenteuerlichen Weg.
Deshalb lässt Jesus ihnen sagen: ich bin der, der in seiner Hand die sieben Sterne hat und die sieben Geister Gottes. Die sieben Geister Gottes, das sind die Engel, die in die ganze Welt gesandt werden, und die Sterne stehen für die Gemeinden und ihre Engel. Jesus mischt sich in der ganzen Welt ein, als Einbrecher und blinder Passagier kommt er überall hin, und das geschieht ganz wesentlich durch seine Gemeinden, durch seine Leute. Aber es kann sein, dass eine Gemeinde das vergessen hat und nichts mehr bewegt. Das Salz der Erde kann seine Kraft verlieren. Und dann ist sie den Erschütterungen schutzlos ausgeliefert und weiß gar nicht, was ihr da passiert.
Deshalb wendet sich Jesus durch Johannes an den »Engel der Gemeinde«. Der Engel, das ist so etwas wie der gute Geist der Gemeinde, ihre beste Seite, die von Jesus ansprechbar ist. Und Jesus sagt zu ihm: Siehst du nicht, was bei euch los ist? Du wiegst dich in Sicherheit, weil anscheinend alles gut läuft. Aber mach deine Augen auf und sieh der Wahrheit ins Gesicht: deine Gemeinde ist gerade dabei, sich von ihrem Auftrag zu verabschieden. Tu was! Es gibt noch Leute, die wissen, worum es geht, aber irgendwann ist es damit auch vorbei. Die Glut glimmt noch ein wenig, aber jemand muss reinpusten, damit sie wieder brennt und nicht ganz verlöscht.
An den Anfang anknüpfen
Deswegen erinnere dich daran, wie es am Anfang war, als du das Evangelium gehört hast, halte das fest und kehre dahin um! Es gibt in der Vergangenheit beinahe jeder Gemeinde (und meistens auch in der Vergangenheit jedes Nachfolgers Jesu) so eine Zeit, in der es alles einmal ganz einleuchtend war, wo man die Kraft des Evangelium deutlich erlebt hat, und daran kann man immer wieder anknüpfen. Man kann immer sagen: Diese Stärke, diese Wachheit und Klarheit, die liegt schon in den Genen unserer Gemeinde oder unserer Kirche, sonst gäbe es uns gar nicht! Und jetzt geht es darum, diese Seele der Gemeinde wieder zu beleben.
Das einzige Problem sind die Gegenden und die Personen, wo am Anfang nicht so ein Aufbruch gestanden hat, sondern wo der Anfang mit Zwang oder Gewohnheit verbunden war. Deswegen haben Menschen es schwer mit Jesus, wenn ihnen der Glaube irgendwann mit List, Gewalt oder aus Tradition aufgedrückt worden ist. Und wir leben hier gerade in einem Gebiet, wo das Christentum durch Karl den Großen ziemlich gewaltsam eingeführt worden ist. Erst nachträglich hat man dann versucht, die Menschen auch zu gewinnen, und so richtig gelungen ist das wohl auf breiter Basis nie.
Insofern haben es die Gemeindeengel in unserem Teil der Welt besonders schwer. Und wir müssen einfach noch weiter zurückgehen in die Geschichte, um auf die Menschen zu stoßen, die sich in der Kraft Gottes in die Finsteren Lande der Völker Germaniens hinein gewagt und das Licht des Evangeliums mitgebracht haben.
Wenn zusammen findet, was zusammen gehört
Jesus reist mit seinen Leuten auf verschlungenen Wegen durch die ganze Welt. Er schleicht sich ein in die Gedanken und Herzen der Menschen, und manchmal merken sie es erst viel später. Aber die ganze Reichweite seiner Mission können auch wir gerade mal ahnen. Er ist unglaublich erfindungsreich, er kann Niederlagen in Siege verwandeln, und er kann mit seinen Feinden genauso arbeiten wie mit seinen Freunden. Aber er macht es lieber mit seinen Freunden, und mit ihnen redet er.
Und so warten wir darauf, dass all die guten Dinge, die von Jesus aus anonym in die Welt gegangen sind, dass die ihren Ursprung erkennen. Dass zusammenfinde, was zusammen gehört. Dass Gerechtigkeit, Menschenrechte, Freiheit, Solidarität, Vernunft und was noch alles versöhnt werden mit der Bewegung Jesu und dass das nicht mehr – mindestens teilweise – gegeneinander steht. Wenn endlich zusammenfindet, was zusammen gehört, dann wird die Kraft Gottes ungeteilt unter den Menschen präsent sein.