Jesus in echt
Predigt am 9. Februar 2014 zu Offenbarung 1,9-20 (Predigtreihe Offenbarung 02)
9 Ich, euer Bruder Johannes, der wie ihr bedrängt ist, der mit euch an der Königsherrschaft teilhat und mit euch in Jesus standhaft ausharrt, ich war auf der Insel Patmos um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses für Jesus. 10 Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune. 11 Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch und schick es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea.
12 Da wandte ich mich um, weil ich sehen wollte, wer zu mir sprach. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter 13 und mitten unter den Leuchtern einen, der wie ein Mensch aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füße reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. 14 Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie weiße Wolle, leuchtend weiß wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen; 15 seine Beine glänzten wie Golderz, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen.
16 In seiner Rechten hielt er sieben Sterne und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne. 17 Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder. Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte 18 und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. 19 Schreib auf, was du gesehen hast: was ist und was danach geschehen wird.
20 Der geheimnisvolle Sinn der sieben Sterne, die du auf meiner rechten Hand gesehen hast, und der sieben goldenen Leuchter ist: Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden
Eben in der Lesung (Matthäus 17,1-9) haben wir gehört, wie Jesus schon vor seinem Tod und seiner Auferstehung für einen Augenblick in himmlischem Glanz sichtbar geworden ist: die drei Jünger, mit denen er am engsten zusammen war, durften dabei sein, als der Vorhang für einen Augenblick weggezogen wurde und er in seiner ganzen Herrlichkeit, in seiner göttlichen Strahlkraft zu sehen war.
Die verborgene Seite Jesu
Das ist die Seite Jesu, die in seiner Zeit als äußerlich »normaler« irdischer Mensch verborgen war. Ja, auch damals hat er etwas von diesem Glanz und diesem Licht verbreitet, aber es geschah sozusagen in abgemilderter Form, er hat die Menschen mit seinen Heilungen und mit seinen Worten und mit seiner Freiheit von Menschenfurcht zum Staunen gebracht; und manchmal war dieses Staunen schon an der Grenze zum Erschrecken, z.B. als er den Sturm auf dem See Genezareth zur Ruhe brachte. Immer wieder stießen Menschen bei Jesus auf eine so große Stärke, dass sie ihnen unheimlich wurde, wenn sie ihnen zu nahe kam.
Der Seher Johannes hat nun eine Begegnung mit Jesus, die so ähnlich ist wie dieser Moment auf dem Berg, als die drei Jünger Jesus im himmlischen Glanz sahen. Johannes ist auf die Insel Patmos verbannt worden – den römischen Behörden gefiel es anscheinend nicht, dass er mit starker Wirkung über Jesus sprach.
Anbetung der Macht
Andererseits hat man Johannes nicht gleich umgebracht, sondern ihn »nur« aus dem Verkehr gezogen. Es war eine Zeit, in der es noch keine einheitliche Haltung des Imperiums zu den Christen gab. Sie wurden noch nicht als Staatsfeinde angesehen, aber irgendwie hatte die Obrigkeit schon das Gefühl, dass sich da etwas ausbreitete, was schwer einzuschätzen war: harmlos oder gefährlich?
Besonders in den östlichen Teilen des Reiches wurde damals der Kaiserkult eingeführt, also die göttliche Verehrung der Imperatoren nach ihrem Tod, später auch während sie noch lebten. Dazu baute man Denkmäler und Tempel, in denen der Kaiser und damit die Macht und Größe des Imperiums verehrt wurde. Dass die Juden dabei nicht mitmachten, das war klar, aber dass es nun eine Bewegung gab, durch die auch nicht jüdische Menschen von der imperialen Religion ferngehalten wurden, das konnte den Römern nicht gefallen.
Aber indem sie Johannes nach Patmos verbannten, gaben sie ihm viel Zeit zum Meditieren und Beten, und in der Geschichte des Christentums haben viele Menschen entscheidende Wendungen im Gefängnis erlebt. Was Johannes vorher gemacht hat, davon weiß heute niemand mehr etwas, aber was ihm da auf dem Inselchen vor der kleinasiatischen Küste offenbart wurde, das hat immer wieder den Lauf der Weltgeschichte beeinflusst.
Eine überwältigende Vision
Johannes hört hinter sich eine laute Stimme, die ihn auffordert, sich jetzt alles genau zu merken, es aufzuschreiben und an sieben Gemeinden in Kleinasien zu schicken. Er dreht sich um und sieht ein überwältigendes Bild: sieben golden glänzende Leuchter und dazwischen eine hell strahlende menschliche Gestalt, ein Mensch wie ein Feuer, ein leuchtender Glanz geht von ihm aus. Alles an ihm ist hell, sein Gewand, seine Haare, sogar seine Füße glänzen. Seine Augen sind wie Flammen. Und wenn er redet, dann ist es, als ob man das Rauschen eines Wasserfalls hört oder direkt an der Küste steht, wo die großen Wellen ans Land branden.
Johannes schaut Bilder. Paulus arbeitet mit messerscharfer Logik, der Evangelist Johannes meditiert Worte und Erzählungen, aber der Seher Johannes beschreibt uns Bilder. Der Heilige Geist arbeitet bei jedem Menschen wieder unterschiedlich. Er nimmt das, was in den Menschen ist, und lässt sie dadurch das Evangelium ausdrücken. Gerade in unserer Zeit, in der Bilder immer wichtiger werden und Logik immer weniger Resonanz hat, ist es gut, dass wir auch die Bilder des Johannes in der Bibel haben.
Wurzeln im Alten Testament
Wenn man sie genau betrachtet, dann merkt man, dass das keine willkürlich erfundenen Bilder sind, sondern dass es Weiterentwicklungen von Bildern sind, die schon im Alten Testament auftauchen, vor allem in den Büchern der Propheten Daniel und Ezechiel. Offenbar hat Johannes diese Bilder meditiert, er hat sie in sich aufgesogen, hat sie hin und her gewendet und mit seinem inneren Auge immer wieder betrachtet, und dann kommt der heilige Geist, nimmt diese Bausteine und kombiniert sie zu einem neuen Bild.
Beim Propheten Daniel z.B. gibt es eine damals sehr bekannte Szene, wo jemand »wie ein Menschensohn« »mit den Wolken des Himmels« zu einem Uralten kommt, also zu Gott. Und dieser Uralte wird ganz ähnlich beschrieben, wie die Gestalt hier: mit einem weißen Gewand und Haar, das weiß wie Wolle ist, und um ihn herum ist auch Feuer. Wenn diese Gestalt hier aber sagt: »Ich war tot, aber jetzt lebe ich in alle Ewigkeit«, dann ist klar, dass das Jesus sein muss, weil nur er gestorben und auferstanden ist. Und das wiederum bedeutet, dass in diesem Bild des Sehers Johannes Jesus ähnlich geschildert wird wie bei Daniel Gott. Das bedeutet: Jesus hat Anteil an Gottes Herrlichkeit.
Wir sehen daran: Johannes macht Theologie nicht mit Begriffen, sondern mit Bildern. Er lebt in den vielen prophetischen Bildern des Alten Testaments, und in seiner Vision werden sie neu kombiniert und weitergedacht, und wir müssen lernen, solche Bilder zu verstehen. Sie sind vielleicht nicht immer so eindeutig und klar wie Begriffe, aber sie arbeiten mit unserer Vorstellungskraft. Sie rufen Emotionen und Vernunft gleichzeitig auf. Künstler haben immer wieder versucht, das mit ihren Mitteln für ihre Zeit neu auszudrücken.
Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott
Johannes ist von dem Bild, das er sieht, erst einmal überwältigt; er fällt wie tot zu Boden. Wenn wir dem Bereich Gottes unverhüllt begegnen, dann überwältigt uns das. Deshalb ist Jesus als Mensch gekommen, denn wenn er in seiner wahren Gestalt gekommen wäre, das hätte die Welt nicht ertragen können. Und selbst diejenigen, die mit Jesus ganz eng zusammengehören, wie die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung oder Johannes der Seher, selbst sie kommen an die Grenze des Erträglichen, wenn sie Jesus so direkt begegnen.
Man kann sich die ganze christliche Geschichte so vorstellen, dass wir darauf vorbereitet werden, Gott und Jesus direkt zu begegnen, ohne dabei kaputt zu gehen. Im Paradies war das kein Problem, aber seit sich Menschen von Gott abgewandt haben, haben wir ein großes Problem mit Gottes wahrer Herrlichkeit, weil sie uns so fremd geworden ist. Und Gott muss seine Gegenwart sehr genau dosieren: nicht zu viel, damit wir nicht sterben, und nicht zu wenig, damit wir ihn nicht übersehen. Aber je vertrauter wir mit ihm werden, um so mehr kann er uns zumuten.
Und man kann die ganze Offenbarung auch lesen als eine Geschichte davon, wie Gott immer stärker anbrandet gegen das Ufer der Welt, jede Welle schiebt sich höher den Strand hinauf, und das erschüttert die Welt immer stärker. Und wer nicht darauf vorbereitet ist, der erlebt das als schreckliche Katastrophe. Und auch allen, die zu Jesus gehören, muss Johannes sagen: keine Angst! Das ist keine Katastrophe, das ist der Herr! Die Herren dieser Welt gehen, aber unser Herr kommt.
Auch Johannes selbst sinkt bei dieser Erscheinung zunächst ohnmächtig zu Boden, wie es auch schon dem dem Propheten Daniel ergangen ist. Und er muss erst von Jesus hören: fürchte dich nicht! Und er sagt ihm gleich: ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. Auch hier muss man die Bilder verstehen: Hades, der Gott der Unterwelt, wird auf griechischen Darstellungen mit einem Schlüssel dargestellt, als Zeichen dafür, dass er die Toten nicht wieder hergibt. Aber Jesus hat mit ihm gekämpft und ihm den Schlüssel des Totenreichs abgenommen. Und es ist, als ob wir in einem Kerker säßen, und da kommt jemand und flüstert uns zu: hier! Ich habe den Schlüssel! Es gibt einen Ausgang, wir sind frei!
Eine ermächtigende Geschichte
Das ganze Buch ist geschrieben, damit der Mut des Glaubens wächst und sich ausbreitet: das Tor dieser finsteren Welt ist nicht mehr verriegelt! Wir sind frei! Wir können uns was trauen!
Wir entdecken einen Jesus, der die Grundfesten der Welt erschüttert, dessen Macht einen Menschen überwältigen kann, und der ihn trotzdem freundlich und sanft anrührt und sagt: keine Angst! steh auf, ich bin es, du kennst mich doch! In unserer Gegenwart machen wir aus Jesus eher so einen schlappen Softie, an den man sich ankuscheln kann und der für alles Verständnis haben muss, oder wir ignorieren ihn. Aber in Wirklichkeit ist er die Macht, die die ganze Welt bewegt, und dass er so freundlich zu uns ist und aufpasst, dass er uns nicht erschlägt mit seiner Gegenwart, das ist nicht selbstverständlich.
Dieser Jesus steht zwischen den sieben Leuchtern und erklärt: das sind die sieben Gemeinden. Die Gemeinden in Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea sind wahrscheinlich ziemlich kleine Gruppen in großen Städten, wo es prunkvolle Tempel und große Stadien gibt, die den Mittelpunkt der Stadt darstellen. Niemand hätte damals erwartet, dass diese kleinen Gemeinschaften am Rande der Gesellschaft irgendetwas bedeuteten. Aber wenn der Vorhang zwischen Himmel und Erde weggezogen wird, dann sieht man, dass sie ganz eng mit diesem welterschütternden Jesus zusammengehören. Sie sind nicht der Ursprung des göttlichen Glanzes, aber sie geben sein Licht weiter.
Die wirkliche Bedeutung von Gemeinden
Lasst uns dieses Bild durchdenken: die sieben Gemeinden stehen natürlich für alle Gemeinden, auch für uns. Auch wir sind so ein Leuchter, der aus himmlischer Sicht zentrale Bedeutung für die Welt und ihren Weg hat. Was wir von uns selbst sehen, ist noch nicht mal die halbe Wahrheit. Wir sind geneigt, uns als unbedeutend und ungenügend anzusehen, und wir werden bei unserer Beschäftigung mit der Offenbarung auch sehen, dass Jesus teilweise ziemlich kritisch auf den Zustand der Gemeinden schaut.
Aber das ändert nichts daran, dass sie die entscheidenden Leuchter sind, auf die Jesus zuerst schaut, wenn er auf eine Stadt oder einen Ort blickt. Wir sind ja in der Regel so bescheiden, dass wir schon froh sind, wenn uns Menschen wahrnehmen als brauchbare Agentur zum Management von Lebenskrisen. Wie viele andere Menschen auch haben Christen Angst vor ihrer eigenen Größe – aber wenn wir wirklich so zentral in Gottes Sicht der Welt sind, dann können wir nicht weiter so harmlos von unserer Rolle denken. Dann ist das, was wir hier tun, keine nette Freizeitbeschäftigung für Leute mit religiösen Neigungen. Wir sind auch keine Agentur zur Bewältigung von Lebenskrisen: wir produzieren erst die Krisen, mindestens sind wir daran beteiligt. Wir sind Teil der Erschütterungen, die Gott in dieser Welt auslöst. Wir machen das mal besser und mal schlechter, aber wir sind ein Teil der Krise, die Gott für die Welt bedeutet, und die Vertreter des römischen Imperiums haben etwas Richtiges gespürt, als ihnen Johannes komisch vor kam.
Vielleicht sind wir, so wie die Gemeinden damals, für den oberflächlichen Blick eher eine Randerscheinung in der Gesellschaft. Aber wir selbst sollen diesen Blick nicht übernehmen. Wir sollen es besser wissen. Denn wenn der Vorhang zur Seite gezogen wird, dann sieht es anders aus. Dann entpuppen sich Gemeinden als Gottes strategische Angelpunkte in der Welt. Und diese verborgene Realität dringt durch 1000 Ritzen und dünne Stellen in die Welt ein und verwandelt sie, bis Himmel und Erde von neuem und endgültig zusammenfinden.