Advent – wenn der König kommt
Besonderer Gottesdienst am 04. Dezember 2016 (2. Advent) mit Predigt zu Matthäus 24,1-14
Im Gottesdienst gab es zwei aufeinander bezogene inhaltliche Teile: eine Einführung in die Adventszeit und eine Predigt zu Matthäus 24,1-14. Beide werden hier gemeinsam veröffentlicht, der erste Teil in gekürzter Form; im Gottesdienst waren sie getrennt und in andere Elemente liturgischer und musikalischer Art eingebettet.
Wie wahrscheinlich viele wissen, bedeutet Advent »Ankunft«. Und dahinter steckt ein fundamentaler Sinn: Gott kommt, er kommt in die Welt. Das ist eine entscheidende Grundaussage über Gott. Denn was wäre die Alternative? Gott könnte ja auch irgendwo weit weg im Himmel sitzen und sich nicht sonderlich für die Welt interessieren. So wie ein Mechaniker, der einen Motor gebaut hat, und jetzt läuft der, ab und zu braucht er ein bisschen Öl, aber sonst kümmert sich der Monteur nicht mehr darum. Vielleicht verkauft er sogar die Maschine, oder er stellt sie in den Schuppen. Und viele Menschen haben tatsächlich so ein Bild von Gott: vielleicht hat er ja mal irgendwann die Welt geschaffen, aber jetzt ist er weit, und nur wenn es nicht mehr so läuft wie geschmiert, dann rufen sie nach dem Service.
Dieses Bild von einem fernen, wenig interessierten Mechaniker-Gott ist etwas ganz anderes als das, was mit dem Wort »Advent« signalisiert wird. Advent bedeutet: Gott kommt in seine Welt, wird als Mensch Teil seiner Welt und nimmt aktiv teil an der Welt. Und er kommt als König, das heißt: er gestaltet die Welt. Könige sind ja ursprünglich nicht für die Regenbogenpresse erfunden worden, sondern das waren die Leute, auf die es ankam. Die sagten, wo es lang ging.
Am zweiten Advent geht nun der Blick nicht 2000 und mehr Jahre zurück in die Vergangenheit, als Gott sich anschickte, mit Jesus den entscheidenden Schritt in die Welt zu tun, sondern der Blick geht nach vorn: wie wird es werden, wenn Gott seinen Weg fortsetzt und in der ganzen Welt ankommt? Diesen Blick nach vorn hat Jesus seinen Jüngern damals kurz vor seinem Tod und seiner Auferstehung geöffnet:
1 Als Jesus den Tempel verlassen hatte, wandten sich seine Jünger an ihn und wiesen ihn auf die gewaltigen Bauten des Tempels hin. 2 Er sagte zu ihnen: Seht ihr das alles? Amen, das sage ich euch: Kein Stein wird hier auf dem andern bleiben; alles wird niedergerissen werden. 3 Als er auf dem Ölberg saß, wandten sich die Jünger, die mit ihm allein waren, an ihn und fragten: Sag uns, wann wird das geschehen, und was ist das Zeichen für deine Ankunft und das Ende der Welt? 4 Jesus antwortete: Gebt Acht, dass euch niemand irreführt! 5 Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin der Messias!, und sie werden viele irreführen. 6 Ihr werdet von Kriegen hören und Nachrichten über Kriege werden euch beunruhigen. Gebt Acht, lasst euch nicht erschrecken! Das muss geschehen. Es ist aber noch nicht das Ende. 7 Denn ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere und an vielen Orten wird es Hungersnöte und Erdbeben geben. 8 Doch das alles ist erst der Anfang der Wehen. 9 Dann wird man euch in große Not bringen und euch töten und ihr werdet von allen Völkern um meines Namens willen gehasst. 10 Dann werden viele zu Fall kommen und einander hassen und verraten. 11 Viele falsche Propheten werden auftreten und sie werden viele irreführen. 12 Und weil die Missachtung von Gottes Gesetz überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten. 13 Wer jedoch bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet. 14 Aber dieses Evangelium vom Reich wird auf der ganzen Welt verkündet werden, damit alle Völker es hören; dann erst kommt das Ende.
Was wir eben gehört haben, das müsste uns eigentlich bekannt vorkommen. Es ist die Welt wie wir sie kennen, auch heute noch, 2000 Jahre später: Kriege und Unruhen, Propagandakriege und Lügner, die sich als Heilsbringer feiern lassen, Hungersnöte und Erdbeben, Orientierungslosigkeit und Egoismus. Eine Zeitlang hatten wir gedacht, das hätten wir hinter uns, aber 70 Jahre nach dem letzten Kriegsende wird die Welt zunehmend so, wie sie sonst meistens war: ziemlich rücksichtslos.
Ein Verständnisrahmen
Mitten in diese Welt ist Gott gekommen – das ist die Botschaft vom Advent. Und Jesus gibt hier seinen Jüngern, und also auch uns, einen Leitfaden, um sich zu orientieren in so einer Welt. Denn wenn Gott in die Welt kommt, wie es das Wort Advent, also: Ankunft, signalisiert, dann wird die Welt nicht einfacher, sondern komplizierter. Und wir können die verwirrenden Fülle an Informationen nicht vernünftig ordnen und verstehen ohne einen Leitfaden, oder, wie man es auch nennen kann, einen Verständnisrahmen.
Wir alle kennen solche Versuche, die unübersichtliche Fülle der Welt in ein eindeutiges Muster einzuordnen. Es gibt sie als ausgefeilte philosophische Theorien, aber es gibt sie auch einfacher: als Lebensgefühl im Bauch, als Muster, nach dem wir die Welt erleben und deuten.
Der Deutungsrahmen „Fortschritt“
Eins dieser Muster ist die Theorie vom Fortschritt der Geschichte. Die ist vor einigen Jahrhunderten am Beginn der Neuzeit aufgekommen und sagt: die Welt und die Menschheit entwickeln sich zum Besseren. Wir haben Wissenschaft und Technik, wir haben moderne Medizin, wir haben Internet, unsere Leute können alle schreiben und lesen, wir glauben nicht mehr an Hexen und Zauberer, und wenn dieser ganze alte Aberglaube einmal nur noch im Museum zu betrachten ist, dann wird es eine bessere Welt geben. Es gibt natürlich Rückschläge, aber insgesamt ist der Fortschritt nicht aufzuhalten.
Die Probleme dieses Musters sind uns heute klar: die großen Verbrechen werden nicht trotz der Technik und Wissenschaft, sondern mit ihrer Hilfe begangen. Und gerade die Zivilisation scheint im Moment dafür zu sorgen, dass unser Planet vergiftet, verhässlicht und vermüllt wird.
Der Deutungsrahmen „Untergang“
Deswegen gewinnt zunehmend ein entgegengesetztes Muster an Boden: alles wird schlechter, die Welt steuert auf den Abgrund zu, und wir können nur versuchen, irgendwo in einer Nische möglichst lange zu überleben: fernab der Zivilisation auf dem Lande vielleicht, oder auch in einem sicheren Wohnbezirk nur für Reiche mit Atombunker für alle Fälle. Oder wir machen noch mal so richtig einen drauf, bevor wir sowieso alle bankrott sind.
Auch dieser Deutungsrahmen hat seine Probleme: vor allem sorgt er natürlich selbst dafür, dass seine Vorhersagen eintreffen; denn je weniger Hoffnung Menschen haben, um so weniger setzen sie sich für eine Verbesserung ein. Aber dieser Rahmen hat auch ein Problem mit den Fakten: denn in den letzten Jahrzehnten ist tatsächlich vieles besser geworden. Mehr Menschen haben Zugang zu medizinischer Hilfe, es gibt weniger Hunger, die Menschen leben länger; in einer ganzen Reihe von Ländern, auch in unserem, geht die zwischenmenschliche Gewalt zurück, und man könnte da noch eine ganze Reihe von Fakten anführen, die sich nicht vereinbaren lassen mit der Behauptung: alles wird schlechter.
Eine komplexe Welt braucht komplexe Deutungsmuster
Die Welt ist offenbar zu kompliziert, um sie mit einem simplen Muster wie »alles wird besser« oder »alles wird schlechter« zu erklären. Es ist aber auch keine Lösung, wenn wir je nach Stimmung zwischen diesen beiden Mustern hin und her switchen, also mal der optimistische Strahlemann sind und mal der pessimistisch-depressive Schwarzseher. Ein Muster, das man je nach Stimmung wechselt, gibt uns keine Orientierung. Wir brauchen aber einen verlässlichen Rahmen, in dem wir die ganzen Daten, die jeden Tag auf uns einströmen, verstehen können.
Deswegen spricht es für den Deutungsrahmen Jesu, wenn der nicht simpel ist, sondern eher kompliziert, oder sagen wir: komplex. Nur ein komplexer Rahmen kann der komplizierten und widersprüchlichen Realität, in der wir leben, angemessen sein.
Eine Welt des Konflikts
Jesus beschreibt eine Welt, die gerade nicht nach einem einheitlichen Muster funktioniert, sondern wo zwei miteinander unverträgliche Muster miteinander in Konflikt geraten. Da ist einmal die Ordnung der Welt, die auf Herrschaft beruht, und das heißt immer: auf Gewalt, wo sich die Stärkeren durchsetzen und die Schwächeren auf der Strecke bleiben. Und dann ist da das Muster Gottes, das auf Liebe beruht, auf Gerechtigkeit und Solidarität aller Geschöpfe miteinander. Dieses zweite Muster bringt Gott mit, wenn er in die Welt kommt. Aber dummerweise sagen dann nicht alle: o wie schön, jetzt wissen wir endlich, wie man gut leben kann! Stattdessen gibt es massiven Widerstand von denen, die im bisherigen Muster ganz gut gelebt haben. Und sogar die, die unter die Räder gekommen sind, wehren sich nicht selten, einfach, weil sie Angst vor dem Neuen haben.
Deshalb folgt die Welt keinem einheitlichen Muster: in ihr kämpfen ja zwei entgegengesetzte Muster miteinander. Und dieser Konflikt zieht sich durch alles hindurch, durch Staaten, Institutionen, Familien, ja sogar einzelne Menschen sind hin- und hergerissen. Selbst heilige Stätten wie der Tempel werden nicht verschont. Und auch durch uns selbst verläuft so eine Kampflinie. Vermutlich sind wir getauft, vielleicht haben wir auch mal bewusst Ja zu unserer Taufe und zu Jesus gesagt, aber damit fängt der Konflikt eigentlich erst richtig an. Denn aus Gottes Sicht ist das eine Einladung, in unser Leben zu kommen und es immer mehr nach seinem Muster der Gerechtigkeit und Solidarität zu gestalten, und das geht nicht ohne Kampf ab.
Wer gewinnt?
Das ist der eine Teil des Erklärungsmusters, das Jesus seinen Jüngern gibt. Daraus ergibt sich natürlich sofort die Frage: wie werden diese Konflikte ausgehen? Welches Muster wird gewinnen? Und das Schöne ist, dass Jesus ebenso wie die alten Propheten Israels sagt: am Ende siegt Gott. Am Ende wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen, wie wir es in der Evangelienlesung vorhin gehört haben. Am Ende, könnte man sagen, wird der Optimist Recht behalten.
Aber ganz so einfach ist das nicht. Das wird uns klar, wenn wir verstehen, dass Jesus die Zukunft der Welt nach dem Muster seines persönlichen Weges beschreibt. Auch da könnte man ja sagen: am Ende ist Jesus auferstanden, also hatte der Optimist Recht. Man vergisst dabei nur, dass vor der Auferstehung die Kreuzigung kam, die ultimative Niederlage, der Tod, und keiner konnte voraussehen, dass Gott diesen Tod durch die Auferstehung konterkarieren würde. Das Leben hat gesiegt – aber durch den Tod hindurch.
Deswegen beschreibt Jesus so ausführlich die Zerreißproben, die nun auf die ganze Welt zukommen: es wird Kriege und Erschütterungen geben, es wird falsche Propheten und Messiasse geben: Idole und Führungspersonen, von denen sich viele das Heil erhoffen. Es wird Aufstände und Erschütterungen jeder Art geben. Und irgendwann werden die Menschen merken, dass es die Anhänger Jesu sind, die der Ursprung dieser ganzen Unruhe sind, und sie werden sich gegen sie wenden, weil sie sagen: die haben uns das eingebrockt.
God’s way
Und dann sagt Jesus: genau das ist die Art, wie Gott seinen Kampf führt. Was mit Jesus in die Welt gekommen ist, das ist so anders, dass das am Ende keiner mehr übersehen kann. Es wird siegen, nicht weil es so stark ist, sondern weil es so anders ist. Ihr braucht gar nicht groß auf euch aufmerksam machen, seht einfach zu, dass ihr das Muster Gottes gut widerspiegelt, dann werden die Menschen das nicht übersehen können. Einfach weil es dann eine echte Alternative ist, die Kraft des Besseren. Entweder man ist riesig froh darüber, oder man bekämpft es mit aller Kraft – und macht es so gerade bekannt. Ihr müsst nur bei eurer Sache bleiben und sie so stark wie möglich leben. Das ist der hoffnungsvollste Platz in der Welt. Und das ist der Weg, wie die Völker der ganzen Welt dem Evangelium begegnen sollen.
Das ist der Rahmen, den Jesus uns gibt, damit wir uns orientieren können. Und am Ende läuft es auf die Frage zu: wo willst du in diesem Konflikt stehen? Auch wenn dieser Kampf immer in uns selbst tobt, müssen wir wissen, wofür wir unsere Kraft einsetzen wollen. Will ich bei Jesus sein, trachte ich zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, oder will ich mich mit der alten Weltordnung arrangieren? So gibt uns Jesus mitten in einer komplizierten und oft furchteinflößenden Welt Handlungsspielraum, trotz unserer begrenzten Kraft. Und wir sollten ihn nutzen, weil wir dadurch freie Menschen werden, die nicht von den Mächten der Welt hilflos hin und her getrieben werden.