Der Gott der Lebendigen
Predigt am 25. November 2007 (Ewigkeitssonntag) zu Matthäus 22,23-33
Eben gerade haben wir 20 Namen gehört, Namen von Menschen, die an einem Tag gelebt haben, vielleicht noch gesprochen haben, und einen Tag später war da kein Leben mehr. Das ist der Tod.
Wir wissen alle von ihm, aber es ist etwas ganz anderes, wenn man ihn erlebt, ganz in der Nähe, vielleicht mitten im eigenen Leben. Dann merken wir, wie dünn die Wand ist, die unsere Welt voller Leben trennt vom namenlosen, kalten Nichts. Es ist kein schöner Gedanke, dass wir so nahe beim Tod leben. Wenn Gott nicht Tag für Tag seine Schöpfung beschützen würde gegen dieses Nichts, dann könnte sie nicht bestehen. Es ist seine Güte, die uns diesen Raum des Lebens schenkt, diese Welt, die wir lieben.
Aber das ist noch nicht alles, und im Grunde wissen wir es und wagen es vielleicht doch kaum zu hoffen, dass es noch einmal eine Welt geben soll, die nicht mehr bedroht ist von Zerstörung und Tod. Eine Welt, die nicht mehr so zerbrechlich und gefährdet ist, wo uns keine schmerzlichen Abschiede mehr bevorstehen, sondern wo das Leben so stark ist, dass der Tod ausgespielt hat.
Und, ja, diese Welt ist uns versprochen, und als Jesus auferstanden ist, da hat sich diese neue Welt schon einmal gezeigt: ein Leben, das des Todes spottet. Aber das muss eine ganz andere Welt sein, da wird nicht mehr gestorben, aber da wird auch anders gelebt. Da müssen nicht nur Tod und Schmerz zurückbleiben, sondern auch Ungerechtigkeit, Gewalt, Bedrückung und Enttäuschung.
Das kann doch nicht sein, dass es da einfach so weitergeht, mit all den Dingen, die uns jetzt schon so viel Mühe und Sorge machen. Das kann doch nicht eine ganze Ewigkeit so weitergehen. Da muss doch irgendwann etwas Neues anfangen, eine andere Art, miteinander zu leben. Schön, wenn das hier schon beginnt, aber wir können doch nicht all die alten Problemen auch noch mit in die nächste Welt nehmen!
Es gibt eine Geschichte von Jesus, wo er Menschen begegnet, die sich die Auferstehung genau so vorstellten, einfach als eine Verlängerung des Diesseits. Ich lese Ihnen das vor in Matthäus 22:
23 An diesem Tag kamen Sadduzäer zu Jesus. Die Sadduzäer bestreiten, dass die Toten auferstehen werden. 24 »Lehrer«, sagten sie, »Mose hat angeordnet: ‚Wenn ein verheirateter Mann kinderlos stirbt, dann muss sein Bruder die Witwe heiraten und dem Verstorbenen Nachkommen verschaffen.‘
25 Nun gab es hier einmal sieben Brüder. Der älteste heiratete und starb kinderlos. 26 Darauf heiratete der zweite die Witwe, starb aber auch kinderlos; und dem dritten erging es nicht anders. So war es bei allen sieben. 27 Zuletzt starb auch die Frau. 28 Wie ist das nun bei der Auferstehung der Toten: Wem von den sieben soll die Frau dann gehören? Sie war ja mit allen verheiratet!«
So leichthin erzählen da die Leute eine schreckliche Geschichte. Wenn sie nicht ausgedacht ist, sondern wirklich passiert, dann muss diese Frau in tiefer Verzweiflung gestorben sein. Sieben Männer, sieben Abschiede, sieben Mal Kinderlosigkeit, und dazu die Frage, was man denn falsch gemacht hat, dass man all seinen Ehepartnern den Tod bringt. Wahrscheinlich ist es eine ausgedachte Geschichte – ausgedacht, um den Gedanken der Auferstehung ad absurdum zu führen. Aber nur ein krankes Hirn kann sich solche Geschichten ausdenken. Eine Geschichte, wo es im Jenseits einfach so weitergeht mit all dem Ballast, den wir hier im Leben mit uns rumschleppen.
Jesus gibt ihnen eine deutliche Antwort:
29 »Ihr denkt ganz falsch«, antwortete Jesus. »Ihr kennt weder die Heiligen Schriften, noch wisst ihr, was Gott in seiner Macht tun kann. 30 Wenn die Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten, sondern sie werden leben wie die Engel im Himmel.
Die kommende Welt ist anders. Ihr denkt viel zu klein und an die Gegenwart gebunden. Die Verbindung von Mann und Frau ist hier bei uns ein Gleichnis für das Verhältnis zwischen Gott und Menschen. Durch diese Verbindung zwischen Mann und Frau bekommen die meisten Menschen wenigstens irgendwann einmal in ihrem Leben eine Ahnung davon, was Glück wirklich sein könnte, was Hingabe sein könnte. Irgendwann im Leben erhaschen wir meistens eine Ahnung davon, für welche Größe wir eigentlich geschaffen sind, für welche Tiefe der ganzen Person, eine Ahnung davon, dass es unser Bestimmung ist, uns zu verschenken.
In der kommenden Welt brauchen wir dieses Gleichnis nicht mehr, weil wir da nicht mehr auf Ahnungen und Hinweise angewiesen sind, sondern da werden wir in der vollen Gemeinschaft mit Gott selbst leben. Dort gibt es etwas Größeres, die volle Einheit mit Gott. In der kommenden Welt ist es anders als jetzt. Nicht, weil das Verhältnis zwischen Männer und Frauen etwas Schlechtes wäre, sondern es wird von etwas Größerem abgelöst. Und weil ihr zu klein denkt, sagt Jesus, deshalb denkt ihr euch dann so verrückte Geschichten aus mit Frauen, die mit sieben Brüdern verheiratet waren. Und dann fährt er fort:
31 Was aber die Auferstehung der Toten überhaupt betrifft: Habt ihr nicht gelesen, was Gott euch in den Heiligen Schriften gesagt hat? Er sagt dort: 32 ‚Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.‘ Und er ist doch nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden!«
Das ist das Wichtigste, was man über Gott sagen: Er ist ein Gott der Lebenden. Wenn er sich mit einem Menschen verbindet, dann kann dieser Mensch nicht tot bleiben. Gottes Liebe hält auch noch die Toten fest und gibt ihnen neues Leben. Das schreckliche Schweigen des Todes kann nicht das letzte sein, denn Gott ist ein lebendiger Gott, er redet, und er wird mit seiner ansteckenden Lebendigkeit den Tod vertreiben. Ein Mensch, der mit Gott verbunden ist, der kann nicht endgültig sterben, weil Gott ihn von der anderen Seite her festhält.
Aber so wie Gott den Tod vertreibt mit seinem siegreichen Leben, so wird er auch all die Brüche und Verwerfungen und Missverständnisse austreiben, mit denen wir uns hier das Leben schwer machen, auch all die Verletzungen, die zwischen Männern und Frauen entstehen, gerade, weil wir da so nahe am Himmel sind und so tief bewegt und verletzlich sind. Deswegen muss es am Ende dieser Welt und am Ende unseres Lebens eine Schleuse geben, damit all das nicht in die Ewigkeit kommt, es muss eine Trennung geben, ein Gericht nennt es die Bibel, damit wir diese Welt mit ihren Schmerzen und Enttäuschungen endlich hinter uns lassen, damit sie abgeschlossen und vorbei ist und uns nicht noch in der nächsten Welt verfolgt und belastet.
Ja, wir werden uns drüben wiedersehen, wir werden uns nicht auflösen, wir werden nicht immer und immer wieder neu geboren werden in einem Kreislauf von vielen Leben. Es gibt eine neue Welt, und die wird so sein, wie Gott das von Anfang an gewollt hat. Aber wir werden dort nicht unsere alten destruktiven Spiele fortsetzen. Das bleibt uns erspart.
Die eigentliche Frage ist dann aber: was wird eigentlich dann noch von uns hinein passen in die neue Welt? Oder bleibt von uns gar nichts mehr übrig, weil es alles keine Zukunft mehr hat? Das ist der Grund, weshalb Glaube so wichtig ist. Weil wir da auch von unserer Seite aus an Gott festhalten, weil wir uns da mit Jesus verbinden und dadurch sagen, was für uns gelten soll. Wir kriegen das noch nicht so ganz hin, so zu leben wie Jesus, aber wir wissen die Richtung. Wir haben sozusagen den Anfang eines Fadens in der Hand, und dieser Faden leitet uns in unserem Leben und auch durch Tod und Sterben hindurch. Wie ein Geländer, an dem wir uns durch ein dunkles Labyrinth tasten. Wir können uns von uns aus nicht wirklich vorstellen, wie denn ein neues Leben in einer neuen Welt aussieht, aber wir halten uns an dem Namen Jesu fest, an der Person, die schon hier in dieser Welt so war, wie Gott Menschen haben will.
Und mögen wir auch vieles verlieren und hinter uns lassen müssen, weil es einfach nicht in die neue Welt hineinpasst: wenn wir mit Jesus verbunden sind und seine Person vor uns haben, dann haben wir unsere Füße schon auf den Weg gesetzt, der in der neuen Welt enden wird. In einem Lied (EG 357,5) wird das so ausgedrückt: »Ich weiß was in dem Grauen des Todes ewig bleibt und selbst auf Erdenauen schon Himmelsblumen treibt.« Glaube sorgt dafür, dass auf unserem Lebensweg auch immer wieder schon die Blumen des Himmels blühen.
Was aber ist, wenn wir nicht wissen, ob eigentlich einer von denen, die wir hergeben mussten, mit dieser Person Jesu Christi verbunden war? Oder wenn wir eben den starken Eindruck haben, dass er vieles in seinem Herzen bewegt hat, aber nicht Jesus? Glaube besteht ja nicht darin, dass man bestimmte kirchliche Handlungen über sich ergehen lässt. Glaube ist etwas sehr persönliches, er geschieht im Herzen, da fallen die Entscheidungen, es ist etwas, was uns bewegt, was dem Leben das Grundgefühl der Freude und Hoffnung gibt. Da nehmen wir diesen Faden in die Hand, der uns durch all die Dunkelheiten des Todes in die neue Welt bringt. Zum Glück bleibt da aber für uns immer eine Undeutlichkeit, wir können einem anderen nicht ins Herz schauen.
Es gibt in der Bibel eine rätselhafte Stelle, in der Paulus kurz erwähnt, dass sich Menschen für Verstorbene haben taufen lassen. So als ob sie stellvertretend für die handelten, die in ihrem Leben keine wirkliche Bekanntschaft mit Jesus gemacht haben. Das klingt für uns merkwürdig, und es ist auch nur eine einzige Stelle in der Bibel, in der das erwähnt wird. Aber wenn wir das ernstnehmen, dann kann man vielleicht sagen: wie wir selbst das Leben und das Sterben auf uns nehmen, ob wir uns in unserem Herzen mit Jesus verbinden, so dass er dann auch in unserem Leben etwas bewirken kann, das hat Auswirkungen sogar auch auf die Vergangenheit. Auch für Menschen, die mit uns verbunden waren.
Vielleicht kann man vorsichtig sagen: wir müssen tun, was für uns das beste ist, und dann sehen, was Gott daraus macht. Dann ist mindestens von unserer Seite aus alles dafür getan, dass wir mit den Menschen, die hier zu uns gehörten, eine gemeinsame Zukunft haben.
Und über unserem Leben steht dann die klare Hoffnung, dass es nicht immer weiter bergab geht, dass wir nicht nach einem Hoch in der Mitte des Lebens dann unaufhaltsam immer mehr dem Verfall entgegengehen, sondern wir gehen unserem eigentlichen Leben entgegen, es kommt immer näher, und es wird schön sein, eines Tages die Augen aufzuschlagen in der neuen Welt. Und alles Gute und Große, mit dem wir verbunden waren, wird uns begleiten, es wird nicht verlorengehen.
Deswegen sehen wir nach vorn dem Herrn entgegen, wir schauen aus nach ihm, weil er uns an der Schwelle der neuen Welt erwartet, und weil der beste Teil unseres Lebens noch vor uns liegt. Wir sollen und können diese Erde lieben mit jeder Faser unseres Herzens, weil die neue Erde alles Gute und Große wiederholen wird, aber dann nicht mehr beeinträchtigt von Endlichkeit und Schmerz.
Es wird alles noch einmal zur Sprache kommen – aber dann wird es so werden, wie es ursprünglich gemeint war. Wir werden so froh sein über alles Mutige, Gute und Kluge, was wir im Namen Jesu getan haben. Wir werden so froh sein, dass wir unser Herz jetzt schon mit der Zukunft verbunden haben, mit Jesus Christus, dass wir das wirklich wichtige getan haben, das was bleibt, und hier schon Leben gelingen lässt.