Die Antwort, auf die Jesus wartet
Predigt am 8. Juni 2003 zu Matthäus 16,13-19
13 Als Jesus in die Gegend der Stadt Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: »Für wen halten die Leute den Menschensohn?«
14 Die Jünger gaben zur Antwort: »Die einen halten dich für den wiederauferstandenen Täufer Johannes, andere halten dich für den wiedergekommenen Elia, und wieder andere meinen, du seist Jeremia oder sonst einer von den alten Propheten.«
15 »Und ihr«, wollte Jesus wissen, »für wen haltet ihr mich?« 16 Da sagte Simon Petrus: »Du bist Christus, der versprochene Retter, der Sohn des lebendigen Gottes!«
17 Darauf sagte Jesus zu ihm: »Du darfst dich freuen, Simon, Sohn von Jona, denn diese Erkenntnis hast du nicht aus dir selbst; mein Vater im Himmel hat sie dir gegeben.
18 Darum sage ich dir: Du bist Petrus; und auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde bauen! Nicht einmal die Macht des Todes wird sie vernichten können. 19 Ich werde dir die Schlüssel zu Gottes neuer Welt geben. Was du hier auf der Erde für verbindlich erklären wirst, das wird auch vor Gott verbindlich sein; und was du hier für nicht verbindlich erklären wirst, das wird auch vor Gott nicht verbindlich sein.«
Als Jesus mit seinen Jüngern die Wanderung in den Norden nach Cäsarea Philippi machte, da hatten sie schon viel miteinander erlebt. Die Jünger hatten Jesus zugehört, sie hatten seine Wunder miterlebt, sie hatten ihn beobachtet in den Auseinandersetzungen mit Pharisäern und Schriftgelehrten. Sie wussten, dass sie mit einem außergewöhnlichen Menschen zusammen waren. Aber etwas fehlte noch. Und Jesus arbeitete gezielt darauf hin, dass es geschah.
Man merkt das in den Evangelien, wie Jesus Schritt für Schritt seine Jünger auf diesen entscheidenden Moment zuführt. Da liegt eine Spannung in der Luft, eine unausgesprochene Frage: wird es gelingen? Wird der entscheidende Schritt möglich sein?
Und dann fängt Jesus an mit der Frage: was sagen denn die Leute eigentlich so über mich? Da kann man noch ziemlich neutral drüber reden, was die Leute denken, aber das Thema ist auf dem Tisch. Wie soll man Jesus richtig einordnen? Und die Leute greifen zu Mustern, die sie kennen. Er ist Johannes der Täufer, in dem das Wort Gottes nach langer Zeit wieder lebendig geworden ist. Er ist Elia, der größte der Propheten. Oder Jeremia, vielleicht die beeindruckendste Gestalt unter den Gottesmännern Israels. Immer suchen die Leute nach einer Schublade, in die sie Neues einordnen können.
Aber jetzt sind die Jünger dran. Jetzt sollen sie antworten. Für jeden kommt früher oder später der Moment, in dem er von Jesus selbst gefragt wird: wie denkst du über mich? Was hältst du von mir? Es ist Jesus selbst, der die Jünger an den Punkt bringt, wo sie Farbe bekennen müssen. Glaube soll nicht unklar und gefühlsmäßig bleiben, sondern Glaube soll zu Erkenntnis und Klarheit finden. Wenn Glaube nur ein gutes Gefühl ist, dann ist er ungefähr so haltbar wie Worte, die man bei Ebbe in den Sand geschrieben hat. Wenn der Wind sich dreht, wenn die Flut steigt, dann sind sie schnell ausgelöscht. Glaube soll aber kein wehrloser Eindruck bleiben. Deshalb fragt ja Jesus seine Jünger. Erst wenn aus dem Eindruck und Erlebnis eine klare Erkenntnis wird, erst dann kann der Glaube auch Belastungen, Irritationen und die Stürme des Lebens überstehen.
Und es ist Petrus, dem ein Licht aufgeht, der tief durchatmet, seinen Mut zusammennimmt und ausspricht, was schon lange in seinem Herzen herangewachsen ist: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
Petrus sagt damit zwei entscheidende Dinge: einmal, dass Jesus mit niemand sonst zu vergleichen ist. Er ist der entscheidende und letzte Bote Gottes, er ist es, der Gottes Werk auf der Erde vollenden wird. Nach ihm kommt keiner mehr. Und zweitens ist er nicht nur ein Bote Gottes, sondern der Sohn Gottes, also nicht nur Überbringer von Botschaften Gottes, sondern mit seiner ganzen Person, mit allem was er tut, drückt er den Willen und die Art Gottes aus. Da übersetzt sich der große, allmächtige Gott in die Gestalt eines endlichen Menschen. Und wir können Ihm begegnen.
Aber was Petrus da sagt, das bedeutet ja nicht nur, dass er Jesus jetzt das richtige Etikett anklebt. Es ist nicht nur das dogmatisch richtige Bekenntnis. Das kommt alles später. Tatsächlich finden wir hier schon den Kern des Glaubensbekenntnisses.
Aber vor allem passiert hier etwas zwischen Jesus und Petrus. Wenn Petrus sagt: du bist der Christus, dann sagt er damit ja auch: es kommt auf dich an. Und zwar nicht nur allgemein und überhaupt, sondern erst recht für mich. Die Leute draußen, die wissen das noch nicht und werden es vielleicht auch nie verstehen. Aber für mich ist das jetzt klar: du bist der authentische Gesandte Gottes, und ich werde auf dich hören und dir im Leben und im Sterben vertrauen.
Verstehen Sie: das erste Glaubensbekenntnis für Jesus wurde in der Du-Form gesprochen. Es war der entscheidende Schritt im Verhältnis zwischen Jesus und Petrus. Alle Dinge vorher liefen darauf zu, und für alles, was Petrus später mit Jesus erlebte, war das die Grundlage. Und auch unser Glaubensbekenntnis, das ja nicht mehr in der Du-Form formuliert ist – nicht mehr: du bist der Christus, sondern: ich glaube an Jesus Christus -, auch dieses Glaubensbekenntnis, das wir hier miteinander sprechen, das zielt ab auf diese persönliche Klarheit: auf dich will ich hören, du bist die entscheidende Instanz, und ich will dir vertrauen im Leben und im Sterben.
Jesus wollte seine Jünger zu dieser Entschiedenheit bringen, dass sie wirklich verstanden, wer er ist, und ihr Leben auf diese Grundlage stellten. Wir müssen uns diesen Zusammenhang zwischen den Formulierungen in einem Glaubensbekenntnis und der persönlichen Lebensausrichtung immer neu klar machen, weil das für uns erlebnismäßig nicht unbedingt zusammengeht. Wenn wir ein formuliertes Glaubensbekenntnis mitsprechen, dann bedeutet das für uns noch nicht unbedingt eine Neuausrichtung des Lebens. Wir können durchaus mitsprechen: »ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unseren Herrn«, ohne dass davon gleich unser ganzes Leben verändert wird, obwohl das eigentlich logisch betrachtet folgen würde aus der Aussage, dass Jesus unser Herr ist.
Aber Menschen funktionieren nicht unbedingt nach den Regeln der formalen Logik. Und diese Entschiedenheit, die sagt: Jesus, ich verstehe dass du alles in der Hand hast, und ich möchte deinen Willen tun, ich wünsche mir das so sehr, wie ich mir bisher Gesundheit gewünscht habe, oder mehr Freundlichkeit von meinem Ehepartner, oder ein Ende meiner Sorgen, diese Entschiedenheit ist schon gar nicht mit logischen Argumenten zu erzwingen. Jesus sagt hier zu Petrus: das hat dir mein Vater im Himmel klar gemacht.
Das Wort, dass da im griechischen Urtext des neuen Testaments steht, das bedeutet wörtlich: enthüllen. Das heißt, es geht um eine neue Sicht der Welt und meiner Rolle darin, und da muss einem sozusagen die Optik ausgetauscht werden, damit man dazu einen Zugang hat. Das muss kein dramatisches Erlebnis sein, da können sich auch Schritt für Schritt die Gedanken verschieben, bis diese Entschiedenheit wie eine reife Frucht vom Baum fällt. Aber was äußerlich gesehen ganz unterschiedlich aussehen kann, das ist innerlich immer ein Werk Gottes durch den Heiligen Geist.
Man kann das nicht planen, weder für sich selbst noch für einen anderen, und wir haben es nicht in der Hand, dass es zu diesem Perspektivenwechsel kommt. Dem einen ist es sofort klar, und wenn man ihm davon erzählt, dann sagt er: genau! Das ist es, was ich schon die ganze Zeit in mir spüre. Und der andere nimmt Jahr für Jahr am Gottesdienst teil, und trotzdem ist ihm dieser Perspektivenwechsel verschlossen. Natürlich sind die Chancen größer, wenn einer freundliche Christen kennt und gute Predigten hört. Aber es gibt auch immer Beispiele für das Gegenteil.
Eigentlich ist es eine klare und einfache Sache, dass einer Jesus Christus kennen lernt und dann sagt: ja, der ist es, ich bin begeistert von ihnen und ich habe verstanden, dass er die wichtigste Person in der Welt ist, und er soll auch für mich die wichtigste Person sein. Und auf der andern Seite bleibt es ein Geheimnis, warum das der eine aus vollem Herzen sagt und es so meint, der andere es nur als eine unverstandene Formel spricht, und der dritte nie.
Es ist für uns heute ganz fremd, dass es beim Christentum um so eine tiefgreifende Lebensveränderung geht, dass es so tief unter die Haut gehen soll. Für uns sind Bekenntnisse zu alten Formeln geworden, und wir können uns nur mit Mühe vorstellen, dass das ein Schritt sein soll, der ein ganzes Leben auf ein neues Gleis schiebt.
Aber als Jesus dieses Bekenntnis zum ersten Mal von einem Menschen hört, da jubelt er, und er preist Petrus glücklich, und er sagt: auf dich will ich meine Gemeinde bauen. Du bist der erste von allen Menschen, die diesen Perspektivenwechsel vollziehen.
Petrus ist ein Urbild, und er tut einen Schritt, den die anderen auch tun sollen. Es geht nicht um ein Papstamt, denn alle sollen ja diesen Schritt einmal tun. Aber Petrus ist der erste, der Erstling, das Urbild, und Jesus weiß: jetzt ist es geschafft, jetzt ist Petrus (und er spricht ja für die anderen Jünger) endlich da, wo ich ihn hinhaben will.
Jesus weiß: eine Gemeinde, die aus Menschen besteht, die mit Entschiedenheit diesen Perspektivenwechsel vollzogen haben, die kann nicht mehr überwunden werden, die kann auch durch Tod und Hölle nicht mehr besiegt.
Natürlich weiß Jesus, dass bei seinen Jünger noch vieles im Argen liegt. Wenn man im Evangelium weiter liest, dann merkt man, dass Jesus eigentlich jetzt erst richtig anfängt, an seinen Jüngern zu arbeiten, ihren Charakter zu formen und ihnen die schlimmsten Unarten abzugewöhnen. Aber das liegt daran, dass auch jetzt erst die Grundlage dafür dar ist. Erst wenn einem das ernsthaft klar ist, dass er im Leben und Sterben auf Jesus allein vertrauen will, und dass er sich nichts anderes mehr wünscht, als Jesus zu gefallen, erst dann ist die Bindung da, durch die Jesus ihn durch diesen ganzen Prozess hindurch führen kann.
Das heißt: weder Petrus noch die andern Jünger sind schon so, wie sie sein sollten, aber jetzt gibt es eine reelle Chance, dass sie so werden. Der Kommunikationskanal ist offen, und Jesus wird ihn nutzen.
In diesem Gespräch bei Cäsarea Philippi haben die Jünger den entscheidenden Schritt getan von freundlicher Sympathie für Jesus hin zu einer wirklichen Lebensgemeinschaft mit ihm, in der man den Weg bestimmen lässt und ihm vertraut, dass er das Beste ist für die Gesamtheit des eigenen Lebens. Wir haben alle die Tendenz, bestimmte Lebensbereiche abzuschotten, an die wir Jesus lieber nicht heranlassen, und andere Menschen sowieso nicht. Dass wir bereit werden, ihn auch in diese Bereiche hineinregieren zu lassen, das ist ein Werk des Heiligen Geistes, um das wir ernsthaft bitten müssen. Dass wir es nicht widerwillig hinnehmen, sondern dass wir uns das selbst wünschen, dass Jesus uns erforscht, verändert und unsern Lebensweg führt, er und niemand sonst, auch wenn es etwas kostet, diesen Perspektivenwechsel herbeizuführen, das ist das entscheidende Werk des Heiligen Geistes. Aus Menschen mit dieser Entschiedenheit baut Jesus seine Gemeinde, und dieser Gemeinde und diesen Menschen wird alles, was ihnen begegnet, am Ende zur Hilfe und zum Segen werden.