Die geheime Botschaft von Jesus
Predigt am 22. April 2007 (Besonderer Gottesdienst) zu Matthäus 13,45-46
13,45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Der Gottesdienst begann mit einer Theaterszene, in der ein Sensations-Jesus-Bestsellerautor im Interview zu Wort kam.
Der Titel dieses Gottesdienstes spielt an auf Bücher und Filme, die versprechen, dass sie nun endlich die endgültig wahre Wahrheit über Jesus enthüllen. Damit kann man immer noch eine Riesenauflage verkaufen. Dan Brown hat das erst wieder vor kurzem mit dem Buch »Sakrileg« und dem entsprechenden Film vorgemacht.
Und anscheinend findet jede absurde historische Konstruktion noch irgendwie ihre Leser, wenn es um Jesus geht. Und wie wir es eben gesehen haben, kann man mit pseudowissenschaftlichen Behauptungen so ziemlich alles in die Bibel hinein lesen, und irgendwer glaubt es immer.
Aber nehmen wir das doch mal positiv: Anscheinend ahnen die Menschen, dass es bei Jesus mehr gibt, als das, was wir traditionell über ihn hören. Anscheinend vermuten sie instinktiv, dass da noch irgendeine versteckte Dynamik verborgen sein muss, an die wir noch nicht rangekommen sind. Und dann suchen sie in alten Schriften nach dem echten, alternativen Jesus.
Aber was wäre, wenn nicht die in der Bibel gesammelten Berichte über Jesus das Problem wären, sondern die Art, wie wir sie lesen (oder auch nicht lesen). Was wäre, wenn das Problem einfach darin bestehen würde, dass wir diese Texte gezähmt haben, dass wir sie so lange erklärt und eingeordnet haben, bis ihre ursprüngliche Kraft und Wildheit gar nicht mehr sichtbar sind? Was wäre, wenn die Evangelien und die anderen Schriften der Bibel extra so geschrieben sind, dass sie nicht jedem zugänglich sind, sondern dass man sie in ihrer vollen Bedeutung nur verstehen kann, wenn man ihnen erlaubt, einen zu verändern? Denn dazu sind sie geschrieben: um uns und diese Welt zu verändern. Heute wollen wir näher an diese verborgenen Zusammenhänge herankommen und versuchen, ihren Sinn zu verstehen.
Predigt:
Die Botschaft Jesu hat einen deutlichen Mittelpunkt. Das ist das Reich Gottes. Davon redet Jesus immer wieder. Er nennt es manchmal auch das Reich der Himmel, was zu dem Irrtum beigetragen hat, es sei der Himmel, wie wir uns das vorstellen, mit Englein, die auf Wolken sitzen und Harfe spielen. In Wirklichkeit hat man damals einfach oft vermieden, direkt »Gott« zu sagen und hat Gott mit »Himmel« umschrieben, wie wir heute ja auch noch sagen »weiß der Himmel, wie das passiert ist«. Also heißt »Reich der Himmel« eigentlich auch nur »Reich Gottes«.
Tatsächlich ist dieses Reich Gottes eine neue Ordnung der Welt. Davon haben die Propheten Israels schon längst vor Jesus geredet: dass eines Tages ein neuer Himmel und eine neue Erde kommen werden, dass die Schwerter und Waffen eingeschmolzen werden und zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, dass die Armen und Schwachen nicht mehr unterdrückt werden. »Reich Gottes« ist deshalb nicht unbedingt eine gute Übersetzung, weil man sich bei einem Reich meist ein räumlich begrenztes Territorium vorstellt. Das ist aber nicht gemeint, sondern es ist eine neue Ordnung der Welt gemeint, wo alles so ist, wie Gott es sich bei der Schöpfung vorgestellt hat. Deswegen ist die Übersetzung »die neue Welt Gottes« näher dran.
Wie auch immer aber man das Wort übersetzt, das ganz Neue, das Jesus brachte, war seine Behauptung: das Reich Gottes ist da. Jetzt. Heute. Und der Eintritt in die neue Welt Gottes ist für jeden offen, der das möchte.
Das war für Jesu Zuhörer völlig neu. Sie rechneten damit, dass Gottes neue Welt am Ende der Zeiten anbrechen würde, wenn diese alte Welt untergeht. Vielleicht auch dann, wenn man die römischen Besatzer erst aus dem Land gejagt haben würde und Israel endlich seine eigenen Angelegenheiten wieder selbständig regeln könnte. Aber doch nicht jetzt, in dieser Welt, in der es so viel Ungerechtigkeit und Gemeinheit gibt. Eine Welt, die sich so weit vom ursprünglichen Willen Gottes entfernt hat.
Und jetzt kommt Jesus und sagt: diese neue Welt ist da. Sie steht jedem offen. Gleich um die nächste Ecke. Es gibt Heilung, es gibt Hoffnung, es gibt Leben in Übereinstimmung mit Gott – jetzt. Jetzt sollen Arme satt werden, jetzt sollen Fremde eine Heimat finden, jetzt könnt ihr einseitig auf Gewalt verzichten. Ein neues Leben ist möglich.
Und dann spricht Jesus vom Glauben, und damit meint er den Willen und den Mut und das Zutrauen, in diese neue Welt einzutreten und nach ihren Regeln zu leben, auch wenn ringsum eigentlich noch die kaputten Regeln der alten Welt gelten. Und er sagt: wo Menschen den Glauben aufbringen, in Gottes neue Welt einzutreten, da ist das neue Leben da. Da geschieht es. Das ist das wirkliche Geheimnis Jesu, seine geheime Botschaft. Nicht irgendwelche geheimen Dokumente, sondern eine neue Art zu leben.
Verstehen Sie, dass das mehr ist als eine neue Religion? Götter gab es damals viele, und noch viel mehr Tempel, in denen man sie verehrte. Jesus wollte aber nicht einen Gott durch einen anderen ersetzen, sondern eine neue Welt bringen. Eine neue Art, das Leben zu gestalten. Es wäre sogar noch zu wenig, wenn man sagen wollte, dass Jesus eine Revolution bringen wollte. Revolutionen gab es auch damals schon, aber wie das so ist, selbst wenn sie gelingen, funktioniert die neue Ordnung meistens nur wieder so ähnlich wie die alte. Wenn man also Jesus als Revolutionär bezeichnet, dann muss man dazu sagen, dass Jesus auch eine ganz andere Art von Revolution gebracht hat.
Wir hören heute diese Botschaft Jesu in einer Welt, in der sich die Probleme seit damals enorm verschärft haben. Tyrannen und Despoten gab es schon immer – aber heute können sie sich mörderische Waffen bauen, die ganze Länder unbewohnbar machen. Raubbau an der Natur gab es schon zu Jesu Zeiten, aber heute hat er ein Ausmaß erreicht, das in einigen Jahrzehnten den Fortbestand unserer Zivilisation in Frage stellen könnte. Mord gab es schon immer – aber heute gibt es Waffen, mit denen man in ein paar Minuten Dutzende von Menschen abknallen kann. Man kann Flugzeuge in Hochhäuser steuern und tödliche Bakterien freisetzen. Ich könnte das noch lange fortsetzen, und es macht keinen Spaß. Alle unsere Handlungen haben heute eine viel größere Reichweite. Deswegen sind wir heute dringender als je in der Geschichte der Menschheit darauf angewiesen, das Geheimnis der Botschaft Jesu herauszufinden: seinen Weg, schon jetzt in der neuen Welt Gottes und nach deren Regeln zu leben.
In der Zeit Jesu ging es darum, dass einzelne Menschen, aber auch ganze Völker auf eine bessere Art leben können. Heute spitzt es sich immer mehr zu, so dass inzwischen das Überleben der Menschheit davon abhängig ist, dass wenigstens einige das Geheimnis Jesu verstehen und den Glauben aufbringen, in diese neue Welt einzutreten. Es ist so deutlich, dass unsere bisherige Art zu denken und zu leben uns immer mehr in schreckliche Gefahren bringt. Und das muss dringend korrigiert werden durch – ja, durch die geheime Botschaft Jesu. Sie ist wirklich so entscheidend, und Menschen haben recht, wenn sie danach suchen, natürlich auch an falschen Plätzen suchen, aber sie ist tatsächlich verborgen in den Schriften der Bibel.
Und um davon etwas spürbar zu machen, werden wir jetzt noch einmal eine Theaterszene sehen, wo es genau um diese besondere Art geht, wie die Botschaft Jesu einerseits offen und gleichzeitig verborgen ist. In dieser Szene kommt auch Jesus selbst vor, aber wir haben die ganze Geschichte in die Gegenwart geholt. Das ist immer nur ein Versuch, aber wir wollten zeigen, dass diese Verborgenheit nicht am historischen Abstand liegt, sondern dass es auch für Jesus Gründe gab, seine Botschaft auf ganz besondere Weise auszudrücken, die sich nicht für jeden erschließt.
Hier gab es eine zweite Szene „Das Jesus-Interview“ zu sehen.
Wir haben eben den Versuch gesehen, Jesus so darzustellen, wie wenn er in unserer heutigen Welt leben würde. Vielleicht haben Sie gemerkt, dass Jesus mit so einer Übersetzung in die Gegenwart nicht seine Rätselhaftigkeit verliert. Warum redet er so komisch, dass die Journalistin es kaum verstehen kann? Warum erzählt er diese Geschichten? Warum hat er Menschen immer wieder aufgefordert, darüber zu schweigen, wenn er sie geheilt hat?
Es hat zu den charakteristischen Merkmalen Jesu gehört, dass er zu den Menschen in Gleichnissen geredet hat. Und das bringt unsere Journalistin hier völlig durcheinander: erst ihren Zeitplan und dann ihren Kopf.
Vielleicht haben Sie in der Szene eben sogar ein paar von den Gleichnissen aus der Lesung vorhin wiedererkannt: Da war das winzige Senfkorn aus der Bibel – hier eben war es ein Körnchen Zucker aus dem Streuer. Und die Frau, die Brot backen wollte. Schließlich der Mann, der die beste Kaffeesorte suchte und alles dafür investierte, das war eine Neufassung des Gleichnisses vom Kaufmann, der die eine kostbare Perle suchte und alles für sie zahlte.
Wenn Jesus solche Geschichten erzählte, dann war das nicht einfach eine Illustration zu seinen Lehren, und wenn man den Sinn verstanden hat, dann braucht man das Beispiel nicht mehr. Nein, es ist mehr, als ob Jesus diese Bilder benutzt, um uns auf eine Entdeckungsreise zu schicken: schau dir den Mann an, der sein ganzes Vermögen in eine einzige Perle investiert, oder eben in eine ausgesuchte Kaffeesorte. Das ist doch nicht vernünftig, natürlich. Aber auf welche Gedanken bringt dich diese Geschichte? Hast du eigentlich etwas, für das du alles einsetzen würdest? Schau dir den Mann an! Wird nicht alles Große in der Welt nur so erreicht, dass einer alles riskiert, weil er mit ganzem Herzen bei der Sache ist? So ein Gleichnis umfasst in der Bibel zwei Verse, aber es kann einen ein Leben lang begleiten, und es spricht immer wieder neu.
Ich arbeite nun seit vielen Jahren mit der Bibel, jede Woche denke ich mindestens einmal intensiv über sie nach, ich habe viele tolle Sachen darin gefunden, und trotzdem bleibt da immer dieses Gefühl, dass da noch mehr drinsteht, dass am Ende eigentlich immer noch eine Frage offen bleibt und die Erklärungen nie 100%ig aufgehen.
Und ich vermute inzwischen, dass das Absicht ist. Wenn es immer eine einfache und klare Erklärung gäbe, dann könnten die Zuhörer die aufnehmen, verstehen und dann zur Tagesordnung übergehen. Das Gleichnis von der kostbaren Perle spricht dann eben von der Wichtigkeit des Reiches Gottes. Natürlich, das war’s. Ja, und?
Aber ein Gleichnis ist – wie viele andere biblische Texte – dazu da, dass Menschen Fragen stellen, verwirrt werden, herausgeholt werden aus ihrer Art, wie sie die Welt sehen. Ein Gleichnis ist dazu da, unsere Selbstverständlichkeiten zu zerbrechen. Es lockt uns auf unbekanntes Terrain. Es lädt uns ein, Fragen zu stellen. Es ist nicht so wie ein Werbeslogan – kurz, klar und ohne tiefere Bedeutung. Es passt nicht in ein 35-Sekunden-Statement. Es ist eher wie ein Gedicht, dessen Bedeutung sich erst nach und nach erschließt.
Wenn Sie also mit einem Gleichnis (oder einem anderen Text aus der Bibel) nicht zurecht kommen, dann können Sie auf drei Arten reagieren:
- entweder Sie ärgern sich und sagen: was soll ich da groß grübeln, das ist doch Zeitverschwendung.
- Oder Sie suchen sich jemanden, der Ihnen hilft, das richtige Etikett auf die Geschichte zu kleben, dann brauchen Sie nicht mehr drüber nachdenken.
- Oder Sie bleiben an der Geschichte dran und erlauben ihr, etwas mit Ihnen zu machen. Sie warten oder Sie kommen immer wieder zurück und fragen von Neuem, was das eigentlich bedeutet. Sie bringen Ihre Erfahrungen immer wieder neu mit und bringen sie mit dem Gleichnis zusammen. Und so erlauben Sie dem Gleichnis, Sie allmählich zu verwandeln. Und zwischen den Worten des Gleichnisses begegnen Sie Gott. Und der zeigt ihnen immer wieder diesen Mann, der alles für die eine Perle investiert, und allmählich geht Ihnen auf, dass man am eigentlichen Leben vorbeilebt, wenn man nie gelernt hat, aus ganzem Herzen zu leben. Und wenn man nicht darüber nachgedacht hat, was denn diesen Einsatz unseres ganzen Herzens wirklich verdient.
Verstehen Sie, ein Gleichnis und überhaupt die ganze Art Jesu packt einen nicht am Kragen und brüllt einen an: »kapier es endlich«, sondern Jesus kommt behutsam, unscheinbar. Jesus achtet unsere Freiheit. Es ist eben schon zu viel in der Welt angerichtet worden durch Propaganda und Gewalt. Das müssen wir nicht auch noch haben, dass Jesus nach dem gleichen Muster arbeitet.
Das ist auch der Grund, weshalb Jesus so oft den Kranken, die er geheilt hat, verbietet, damit groß an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir würden denken, dass das doch die beste Werbung für ihn wäre, aber er weiß, dass das nur falsch verstanden werden kann. Denken Sie an die Journalistin eben: für einen Augenblick ist sie völlig durcheinander, und sie freut sich einfach nur am Duft der Blumen und am Duft des Kaffees – ich habe vor unseren Proben gar nicht geahnt, wie schön Susanne diese Freude ausdrücken kann. Für einen Augenblick riecht die Frau den Duft der Freiheit. Und wenn sie weiter daran entlang denken würde, dann würden ihr noch viele andere Dinge aufgehen, dann würde sie jetzt verstehen, was das Gleichnis von dem Kaufmann und dem kostbaren Kaffee für sie bedeutet, die Geschichte von den Dingen, die jeden Preis wert sind. Eigentlich ist diese überraschende Heilung ein Denkanstoß für sie, der sie befreien soll von der Tyrannei der Unmöglichkeit. Aber stattdessen ruft sie jemanden an und erzählt es – und sofort ist sie wieder in ihren ganzen Rastern und Denkgewohnheiten drin, und sie fällt zurück in die Frage, ob das nicht eine tolle Story für’s Gesundheitsmagazin wäre.
Verstehen Sie, Jesus hat seine Botschaft so verpackt, dass sie einen nicht zwingt. Es wäre so einfach gewesen, seine Auferstehung vor Tausenden von Menschen stattfinden zu lassen, so dass keinerlei Zweifel mehr möglich wäre. Stattdessen sucht er sich als erste Zeugen dafür ein paar Frauen aus, deren einzige Qualifikation darin bestand, dass sie ihn wirklich liebhatten – aber die wären damals noch nicht einmal vor Gericht als Zeugen zugelassen worden. Immer lässt er uns die Freiheit, uns auch anders zu entscheiden, die Hinweise zu ignorieren, zurückzukehren in die Routine unserer Arbeit und unseres gewohnten Lebens und unserer gewohnten Muster.
Aber wenn wir den Eindruck haben, dass da etwas sehr wichtiges verborgen sein könnte, wenn wir eine geheime Dynamik gespürt haben, dann sollten wir ihr auch nachgehen. Das ist wirklich etwas, was einen großen Einsatz lohnt. Vielleicht ist es normal, dass die Journalistin zuerst in alte Muster zurückfällt und an die nächste Story denkt. Vielleicht ist das ja noch nicht das letzte Wort. Vielleicht schafft sie es ja noch, die entscheidende Frage zu stellen: kann ich noch mehr von Ihnen hören? Kannst du mir noch tiefer hineinhelfen in dieses Geheimnis, das mich da gestreift hat? So viele von uns sind schon einmal von diesem Geheimnis gestreift worden, wenigstens irgendwann einmal sind wir in unserem Herzen berührt worden, wir haben gespürt, dass da möglicherweise eine ganz große Sache ist, wir haben uns vielleicht gewundert: was ist das? – und wir haben es wieder vergessen und uns anderen Dingen zugewandt.
Aber es hängt sehr viel daran, dass es dabei nicht bleibt. Es hängt sehr viel daran, dass wir weitermachen, dass wir andere Menschen suchen und uns mit ihnen gemeinsam auf die Reise machen, um diese geheime Botschaft besser zu verstehen und mit ihr zu leben.