Den Quälgeistern geht es an den Kragen
Predigt am 29. April 2001 zu Markus 16,9-20
9 Nachdem Jesus früh am Sonntag auferstanden war, zeigte er sich zuerst Maria aus Magdala, die er von sieben bösen Geistern befreit hatte. 10 Sie ging und berichtete es denen, die früher mit Jesus zusammengewesen waren und die jetzt trauerten und weinten. 11 Als sie hörten, dass Jesus lebe und Maria ihn gesehen habe, glaubten sie es nicht. 12 Danach zeigte sich Jesus in fremder Gestalt zwei von ihnen, die zu einem Ort auf dem Land unterwegs waren. 13 Sie kehrten um und erzählten es den anderen, aber die glaubten ihnen auch nicht.
14 Schließlich zeigte sich Jesus den Elf, während sie beim Essen waren. Er machte ihnen Vorwürfe, weil sie gezweifelt hatten und denen nicht glauben wollten, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten.
15 Dann sagte er zu ihnen: »Geht in die ganze Welt und verkündet die Gute Nachricht allen Menschen! 16 Wer zum Glauben kommt und sich taufen läßt, wird gerettet. Wer nicht glaubt, den wird Gott verurteilen. 17 Die Glaubenden aber werden an folgenden Zeichen zu erkennen sein: In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben und in unbekannten Sprachen reden. 18 Wenn sie Schlangen anfassen oder Gift trinken, wird ihnen das nicht schaden, und Kranke, denen sie die Hände auflegen, werden gesund.«
19 Nachdem Jesus, der Herr, ihnen dies gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich an die rechte Seite Gottes. 20 Die Jünger aber gingen und verkündeten überall die Gute Nachricht. Der Herr half ihnen dabei und bekräftigte die Botschaft durch die Wunder, die er geschehen ließ.
Jesus ist auferstanden, und die Menschen fangen an, ungewöhnliche Dinge zu tun. Das ist der grundlegenden Zusammenhang. Die Kraft der Auferstehung übersetzt sich in eine auffällige Lebenspraxis: in die Praxis der Befreiung. Was Jesus bisher getan hat, das tun jetzt seine Jüngerinnen und Jünger, und er ist immer dabei. Es fängt an mit Maria Magdalena, »die er von sieben bösen Geistern befreit hatte«, und es führt dazu, dass sie alle losgehen und böse Geister austreiben und Menschen gesund machen und zum Glauben rufen. Im Epheserbrief steht der Kommentar dazu (Epheser 1,19-21):
19 Ihr sollt begreifen, wie überwältigend groß die Kraft ist, mit der Gott an uns, den Glaubenden, wirkt. Es ist dieselbe gewaltige Kraft, 20 mit der er an Christus gewirkt hat, als er ihn vom Tod auferweckte und in der himmlischen Welt an seine rechte Seite setzte.
Es ist ein und dieselbe Kraft: mit ihr hat Gott Jesus auferweckt, und mit ihr wirkt er im Leben der Glaubenden. Also, verstehe: in deinem Leben will Gott die Kraft entfalten, mit der er Jesus von den Toten auferweckt hat. Jesus will aus deinem Leben eine befreite Zone machen, die sich ausbreitet und viele andere Menschen erreicht. Der Fürst der Finsternis ist gestürzt, und deshalb können ihn ganz normale Menschen überall angreifen und seine Kumpane in die Flucht schlagen. Er ist nur noch ein Pappkamerad, aber es gibt natürlich Leute, die auch noch vor einem Pappkameraden innerlich strammstehen.
Und nun gibt es auch gleich die erste Bremse: die Jünger glauben nicht. Maria Magdalena und die beiden Jünger von Emmaus sind Jesus schon begegnet, sie wissen, dass er lebt, aber zu den anderen muss Jesus auch erst selbst kommen, bevor sie glauben.
Es ist kein Ruhmesblatt für sie, dass sie es ihm beim Hörensagen anscheinend nicht zugetraut haben. Aber anscheinend sind wir so, dass wir die ungewöhnlichen Dinge erst dann realisieren, wenn wir sie auch sehen und hören und erleben. Und offensichtlich ist für uns dieser Gedanke ungewöhnlich und unvertraut: dass Gottes Kraft stärker ist als der Tod. Das passt nicht in unsere Denk- und Gefühlsstruktur hinein. Aber Jesus kommt dann ja, und sie dürfen ihn sehen, und glauben eben so, dass er lebt.
Merken sie, wie ungrundsätzlich Jesus da handelt? Eine klare Sache wäre es, wenn er sagen würde: gut, die müssen es eben sehen, deswegen komme ich und zeige mich. Oder wenn er sagen würde: nein, ihr wisst von Maria Magdalena, dass ich auferstanden bin, entweder ihr glaubt es, oder ihr glaubt es nicht. Stattdessen eine Mischung: es wäre ja schöner, wenn ihr es einfach so glauben würdet, aber, na gut, ihr seid die ersten, deshalb komme ich auch zu euch noch mal selber. Ich hätte eigentlich gedacht, dass ich nicht so viel Aufwand treiben muss. Aber es muss wohl sein.
Wahrscheinlich ist es bei uns nicht viel anders: eigentlich können wir wissen, dass Jesus mit der Kraft seiner Auferstehung in unserem Leben präsent sein will, aber fast immer müssen wir erst etwas sehen und erleben. Und Jesus ist dann verwundert und betrübt. Aber er wird sich nicht grundsätzlich verweigern.
Ich stelle mir vor, dass wir aus der Sicht Jesu eine unheimlich schwerfällige Masse sind, die kaum in Bewegung zu bringen ist, weil wir uns eingebaut haben in ganze Systeme von Barrieren und Wenns und Abers: immer, wenn Jesus in unserem Leben einen Anlauf nehmen will, dann steht ihm irgendwas im Weg, und wenn er es zur Seite räumen will, dann bekommt er zu hören: »nein, das geht aber nicht!« »Das ist doch die Vase von Tante Hermine!« »Das muss da aber stehen bleiben!«.
Lassen Sie mich einen Vergleich sagen: in der ersten Hälfte des vorvorigen (also im 19.) Jahrhunderts gründeten die deutschen Kleinstaaten den Deutschen Zollverein. So was ähnliches wie die Europäische Union heute. Das war sofort ein viel größerer Wirtschaftsraum, und sofort begann die Wirtschaft zu brummen, die Hochöfen rauchten, Eisenbahnlinien wurden gebaut, ganz Deutschland war von Handel und Wandel erfüllt. Ganz Deutschland? Nein! In einer kleinen Ecke des Landes widersetzten sich ein paar wackere Menschen hartnäckig dieser Entwicklung. Sie sagten: was brauchen wir das alles? Wir haben unsere Kühe und unsere Schweine, wir haben unser Schloss und unseren König, wir wollen keine Eisenbahn und all den anderen Kram. Dieser Teil des Landes war Niedersachsen, damals das Königreich Hannover. Und so sind sie erst Jahrzehnte später dem Deutschen Zollverein beigetreten, als sie merkten, dass sie sonst echt den Anschluss verpassen würden. Das war die Zeit, wo dann bei uns die Hütte gegründet worden ist, und dann eben auch bei uns ein bisschen Bewegung ins Land kam.
Liebe Freunde, lasst uns doch nicht als Christen geistlich so in der tiefsten Provinz leben, dass nicht etwa rund um uns her der Geist Gottes braust und schafft und befreit, und wir sagen: nö, wir haben es lieber etwas ruhiger, so schlecht ist es doch bei uns auch nicht, und da draußen, das ist so eine Mode, die geht auch wieder, und wir sind zufrieden mit unseren Kühen und unseren Schweinen, und zu viel Hektik ist sowieso ungesund!
Wollen wir denn nicht lieber aufmachen für die Kraft Jesu, die die Dämonen vertreibt, damit Menschen richtig leben können? Maria Magdalena: die Frau, die so in ihrer Kraft geschwächt war, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte, als die Dämonen ihr Stück für Stück das Leben aus der Seele hackten und sich mästeten an ihrem Unglück. Irgendwas muss ihre Lebenskraft gebrochen haben, dass sie sich nicht wehren konnte gegen die Parasiten, die sich in ihrem Leben breitgemacht hatten und sie aussaugten. Wieviele Menschen leben so, dass ihre Energie unwiederbringlich wegfließt, zu den Dämonen Angst, Sorge, Selbstschutz, Empörung, Verdrängung und Selbsttäuschung.
Aber Jesus ist gekommen, um diese Dämonen auszutreiben, damit sie nicht mehr unser Leben kümmerlich machen. Er will, dass Maria Magdalena ein Aktivposten im Reich Gottes wird, eine Frau, vor der die Vampire zittern, weil sie wissen: die kommt jetzt mit Jesus. Es soll endlich Schluss damit sein, dass Menschen getrieben und verbraucht werden für nichts und wieder nichts.
Und wo sind die Dämonen von damals geblieben? Gibt es die noch? Sind die jetzt vielleicht im höllischen Altersheim und streiten sich darüber, wer von ihnen schuld daran ist, dass es damals für sie so schief gegangen ist?
Ich glaube, auch Dämonen lernen dazu. Die wissen, dass es heute nicht gut aussieht, wenn man Leute dazu bringt, mit Schaum vor dem Mund schreiend durch die Gegend zu laufen. Die Vulgärdämonen haben hier zur Zeit schlechte Karten. Aber dafür herrscht bei uns Dämon Sirup. Mit seiner klebrigen süßen Soße übergießt er alles und keiner kann sich mehr richtig bewegen, weil alles klebt und bremst und festhält. Das sieht viel harmloser aus als Mord, Gewalt und Hass, aber es erstickt das Leben genauso.
Vielleicht ist das ja jetzt das Wichtigste, dass Dämon Sirup rausgespült wird und Jesus zuerst mit dem geistlichen Kärcher kommen muss und mit Hochdruck alles abspritzen muss, was unser Leben verklebt und vermufft. Und dass die Herzen aufgeräumt werden und alles, was da schon seit ewigen Zeiten im Wege steht, endlich an die Luft gesetzt wird. Vielleicht ist das jetzt die Zeit für den Sperrmüll.
Es werden auch noch die Zeiten kommen,
- wo Dämonen wieder schreiend zur Hölle fahren,
- wo von den Händen der Jünger Jesu heilende Kraft ausgeht, dass das Land davon erfüllt wird,
- wo die Menschen wissen, dass hier der Platz ist, wo sie hingehen müssen, um Anteil zu bekommen am Segen Gottes,
- wo Menschen nicht mehr Erklärungen verlangen und Beschwerden vorbringen, sondern wo sie jubeln über Gottes Taten.
Aber erst geht es darum, dass viele Herzen offen und frei werden, einfach, im Sinne von »klar« und nicht kompliziert und verborgen, dass wir nicht so viele Widersprüche in uns tragen, nicht so viele Inkonsequenzen, dass wir lernen zu sagen, was wir denken und zu tun, was wir als richtig erkannt haben.
In diesem Predigttext passt das alles ganz einfach und selbstverständlich zusammen: wer glaubt, wird auch getauft, und dann geht er los und lässt eine Spur von Segen und Befreiung hinter sich. Bei uns ist das alles auseinander genommen und gegeneinander gestellt:
- Wer glaubt, der fragt sich, wofür die Taufe denn nötig ist.
- Wer getauft ist, der vermutet, dass er zur Not auch mit einem Minimalbestand an Glauben schon in den Himmel kommt, falls es ihn geben sollte.
- Und wer glaubt, dass er ein human denkender Mensch ist, der meint sowieso, dass Gott ihm zu Weihnachten ein großes Dankeschön abstatten muss.
Aber es ist ein Paket, ein Paket im Interesse der Befreiung. Jesus ist auferstanden, damit diese Befreiung unter uns effektiv in Gang kommt. Und zwar grundsätzlich in wesentlich größerem Stil, als wir das bisher kennen. Und wir sollen dabei sein: jeder nach seinen Kräften, das ist klar, aber jeder aus ganzem und vollem Herzen. Unsere Kraft braucht Jesus nämlich nicht, die bringt er ja mit: die Kraft der Auferstehung. Aber er braucht unser OK, dass er unser Leben benutzen kann, und dass er dafür zuerst den Sirup wegspritzen darf. Dann wird unser Leben ein Zentrum, von dem Segen und Heilung ausgeht. Wer da dabei ist, der ist auch im Himmel dabei.
Die berühmte Frage ist ja: können wir dann überhaupt noch was machen, oder muss nicht Jesus alles tun, so dass wir dabei fein raus sind? Die Antwort ist ganz deutlich: unser Job ist es, Jesus Platz zu geben, ihm immer bessere Gelegenheiten zu geben, seine Sache zu tun:
- Menschen legen die Hände auf – Jesus heilt.
- Menschen befehlen den Dämonen – vor Jesus bekommen sie Angst.
- Menschen gehen hin in alle Welt, sie studieren Fahrpläne und kaufen Flugtickets, sie laufen sich Blasen an die Füße, sie lernen Sprachen, sie grübeln nach über ihren Nachbarn oder ihren Ehepartner – Jesus ist schon da, und überall, wo seine Jüngerinnen und Jünger auftauchen, setzt er seine Kraft frei.
Das Hingehen, das müssen wir tun, und wir müssen lernen, es gut zu tun.
In Wien kam ein Tourist zu einem Polizisten und fragte ihn: »Können Sie mir wohl sagen, wie ich zur Oper kommen?«. »Ja klar!« war die Antwort. »Da gibt es nur einen Weg: Üben, üben, üben.«
Liebe Freunde, auf die Dauer wird man nur vom Üben besser. Jesus mehr Raum zu geben, das lernen wir nur dadurch, dass wir es tun. Und wir wissen, der Trainingseffekt stellt sich erst ein, wenn die Muskeln weh tun. Grenzen überschreiten ist nie eine bequeme Sache, besonders, wenn es die eigenen Grenzen sind. Aber die Kraft der Auferstehung zu erleben, das ist auch toll.