Unausweichliche Konfrontation
Predigt am 13. April 2017 (Gründonnerstag) zu Markus 14,17-26
17 Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf.
18 Während sie nun bei Tisch waren und aßen, sagte er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten und ausliefern, einer von denen, die zusammen mit mir essen. 19 Da wurden sie traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Doch nicht etwa ich? 20 Er sagte zu ihnen: Einer von euch Zwölf, der mit mir aus derselben Schüssel isst. 21 Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.
22 Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. 23 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. 24 Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes.
26 Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus.
Es ist kein Zufall, dass sich Jesus gerade das Passafest ausgesucht hat, als er die Konfrontation mit den Mächten der Gewalt und des Todes in Jerusalem plante. Er hätte sich auch Jom Kippur aussuchen können, wörtlich den »Tag der Sühne«, den großen Versöhnungstag. Da ging der Hohe Priester ins Allerheiligste und brachte ein Sühnopfer dar.
Passa, das Fest der Befreiung
Aber Jesus wählte das Passafest, die Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten. Wir waren Sklaven, aber Gott hat uns befreit. Unser Gott ist der König der ganzen Welt, er ist stärker als die Herrscher dieser Welt. Das war das Thema des Passa.
Und dieses Thema war hochaktuell, denn Israel erlebte schon wieder Unterdrückung, diesmal im eigenen Land. Direkt neben dem Tempel lag die Burg Antonia, in der römische Truppen stationiert waren. Die Menschen mussten Steuern zahlen, mit denen die römische Militärmaschine finanziert wurde, aber auch der Luxus der Oberschicht und die Versorgung der Hauptstadt Rom. Wie sollten sie als Volk Gottes leben, wenn Fremde ihr Land regierten? Es war kein Zufall, dass am Passafest Pontius Pilatus in Jerusalem war. Der römische Statthalter war bei diesem Freiheitsfest lieber persönlich in Jerusalem. Das wollte er keinem Untergebenen überlassen.
Und dann feiern sie Passa, und alle erinnern sich daran, dass sie das Volk waren, das Gott befreit hatte. Alle schauten zurück in diese große, ermutigende Vergangenheit. Jesus machte es diesmal anders: er schaute nach vorn, er schaute auf den nächsten Tag. Er wusste, dass der Moment der endgültigen Konfrontation mit den dunklen Mächten kurz bevorstand.
Die unumgängliche Konfrontation
Die Erinnerung ans Passa, anderthalb Jahrtausende zuvor, die reichte nicht: es musste eine neue Befreiung geben. Die Welt war anders geworden, es gab keine Wüsten und leeren Räume mehr, in die man fliehen konnte wie damals. Man konnte den Mächten nicht mehr entfliehen. Die Konfrontation war unumgänglich. Und Jesus war direkt darauf zu gegangen.
Auch etwas anderes hatte sich verändert: es sind nicht mehr Völker, die als Einheiten gegeneinander stehen. Der Riss geht mitten durch das Volk hindurch. Die einen kollaborieren mit den Besatzern, die anderen kämpfen gegen sie, und die Mitte versucht irgendwie durchzukommen. Selbst unter den Jüngern gibt es einen Verräter, und die anderen sind sich nicht sicher, ob sie es nicht vielleicht auch selbst sein könnten. Die Fronten sind nicht mehr so klar wie früher. Das alte Modell von Befreiung funktionierte nicht mehr. Der Alte Bund, den Gott damals am Sinai mit seinem Volk geschlossen hatte, funktionierte nicht mehr, weil die Zerstörung nicht mehr draußen blieb, bei den Heiden, bei den fremden Völkern. Sie war auch in Israel selbst angekommen. Man kann die Mächte des Bösen nicht mehr draußen halten. Man muss sich ihnen stellen. Einer musste das Alte auf neue Weise anfassen. Das war der Weg Jesu. Wie kämpfst du gegen das Böse in einer Welt, in der es sich überall hineinfrisst?
Ein modifiziertes Passamahl
Das alles hätten Jesu Jünger nie verstanden. Sie dachten noch im alten Modell. Jesus hatte versucht, sie auf das Neue vorzubereiten, aber sie wollten es nicht hören. Deshalb hinterließ er ihnen keine Theorie, sondern ein Mahl. In diesem Mahl steckt seine Erklärung, warum er sterben musste. Eine modifizierte Befreiung braucht auch ein modifiziertes Freiheitsfest. Er hinterließ ihnen ein modifiziertes Passamahl, dessen Bedeutung ihnen erst allmählich aufgehen würde. Und im Grunde sind wir immer noch dabei, es zu verstehen. Vielleicht muss jede Generation für sich wieder neu lernen, dieses Passa-Abendmahl zu verstehen.
Die neue Macht der Liebe
Und so geht seine Erklärung: Ich gehe in die direkte Konfrontation mit dem Bösen. Ich werde darin mein Blut vergießen, mein Leib wird gebrochen wie dieses Brot. Das Böse wird seine ganze furchtbare Macht auf mich konzentrieren. Es wird mich zerbrechen. Aber einer muss es tun. Einer muss in diese Konfrontation mit dem Bösen hineingehen. So wie ich ganz am Anfang der Versuchung des Diabolos widerstanden habe, so muss ich jetzt auch in den schrecklichen Schmerzen des Kreuzestodes an meinem Weg festhalten. Der Menschensohn geht seinen Weg, wie es geschrieben steht. Und das ist der Weg der Liebe. Das sagt Jesus hier nicht direkt, aber das Johannesevangelium bringt es z.B. dadurch zum Ausdruck, dass es davon erzählt, wie Jesus den Jüngern die Füße wäscht. Er dient seinen Jüngern, indem er in die Konfrontation mit dem Bösen geht, die sie weder aushalten noch gewinnen würden. Deswegen müssen sie das Brot essen und den Wein trinken, damit sie an seinem Weg Anteil bekommen.
Und in dem Augenblick, in dem Jesus seinen Weg bis zum Ende geht, da ist endgültig eine neue Art von Macht in der Welt, die Macht der Liebe, die sich selbst schenkt, die bereit ist, alles für die anderen zu geben, selbst für die Feinde. Das ist die neue Befreiung für eine Welt, in der man die Todesmächte nicht mehr auf Abstand halten kann, weder mit Grenzen noch mit Gesetzen. Du kannst die Konfrontation mit den Mächten der Zerstörung nicht gewinnen, indem du sie mit Macht bekämpfst. Selbst wenn du siegst, werden sie in dich eindringen und dich zu ihrem Werkzeug machen. Bekämpfe Terror mit Terror, und es wird alles nur noch schlimmer. Kämpfe mit Bomben gegen Bomben, und die Welt ein immer gefährlicherer Ort. Die einzige Kraft, die dem Bösen tatsächlich gefährlich werden kann, ist Liebe. Man kann auch sagen: »Solidarität«, wenn »Liebe« heute zu sentimental klingt.
Die Mitte der Gemeinde
Aber der Kern von dem, was am nächsten Tag passieren wird, am Karfreitag, das ist die Konfrontation der selbstlosen Liebe Gottes, wie sie in Jesus präsent ist, mit der ganzen furchtbaren Macht der Zerstörung. Weil Menschen ihre Kräfte der Zerstörung zur Verfügung gestellt haben, deshalb musste ein Mensch sich der Liebe zur Verfügung stellen. Und als Jesu das getan hatte, getan hatte bis zum Ende, da war die Welt eine andere. Und die erste Folge davon war seine Auferstehung am dritten Tag.
Genau dafür hat Jesus das Abendmahl vorbereitet, das neue, veränderte Passamahl. Wenn die Jünger deutlich erlebt hatten, dass die neue Welt angebrochen war, wenn sie ihm begegnet sein würden, dann würden sie seinen Weg verstehen und sich immer wieder um das Bild der sich selbst gebenden Liebe versammeln, das er uns im Abendmahl hinterlassen hat. Das ist der Kern seines Weges und der Kern der Gemeinde.
Ein Modell für Übermorgen
Schon vor seinem Tod wusste Jesus, dass dieser Tod nicht das letzte sein würde. Ich denke nicht, dass er seine Auferstehung in allen Einzelheiten vorhersah, aber es ist ganz deutlich: er vertraute darauf an, dass es auch jenseits seiner Kreuzigung eine Zukunft geben würde, hier auf der Erde, für seine Jünger, und für ihn. Ich glaube, dass er einfach gewusst hat, dass sein Weg in Gottes Augen richtig war, und dass Gott diesen Weg deshalb nicht abbrechen lassen würde, komme was da wolle.
Und so zeigt er ihnen jetzt schon den Weg, wie sie auch in Zukunft die Gemeinschaft mit ihm aufrechterhalten können. Sie brauchen dazu nur das, was damals jeder im Haus hatte: Brot und Wein, damals waren das die Grundnahrungsmittel. Mehr brauchen sie nicht. Und dann müssen Menschen, da sein, die sich in seinem Namen treffen. Sie brauchen keinen Tempel, sie brauchen keine Priester, sie brauchen keine komplizierten Zeremonien, die nur Fachleute beherrschen, nein, das Abendmahl, dass er einsetzt, kann in jedem Haus gefeiert werden, wo Menschen sich treffen, die ihn lieben und zu ihm gehören. Jesus nimmt den Zugang zu Gott aus den Händen der religiösen Profis und aus den Händen derer, die Sakralgebäude bezahlen und kontrollieren können und gibt ihn seinen ganz normalen Leuten in die Hände. Mit allen Risiken, die das vielleicht bringt.
Nachvollzogene Wahrheit
Das Christentum ist nicht etwa eine besonders todesverliebte Religion, sondern es ist verliebt in das Leben, das den Tod überwindet, und der wird präsentiert wie ein besiegter Feind. Im christlichen Glauben ist der Tod Jesu so zentral, weil da der ganze Weg Jesu auf die Probe gestellt wurde – und er hat bestanden.
Das führen wir uns im Abendmahl vor Augen. Da wird das alles nicht behauptet, es wird nicht lang und breit diskutiert (das natürlich auch manchmal), sondern es wird vollzogen von einer Gruppe von Menschen, manchmal nur von einer Handvoll Menschen, die sich irgendwo in einem Haus um einen Tisch versammeln, manchmal so heimlich wie damals in Jerusalem.
Der Kristallisationspunkt
Das wollte Jesus so, damit wir einen Treffpunkt haben, wo wir uns die Logik seines neuen Lebens immer wieder vor Augen führen. Es muss einen Kristallisationspunkt geben dafür. Ein Arrangement, das jeder mit ganz einfachen Mitteln herrichten kann. Dann kann Jesus immer und überall bei seinen Jüngern sein. Jetzt ist sein Wirkungskreis nicht mehr begrenzt auf einen Landstrich von weniger als 100 km Länge, jetzt kann er mitgehen bis in die hintersten Winkel der Erde.
Und überall feiern Menschen dieses Fest, das davon erzählt, dass die neue Macht der selbstlosen Liede in der Welt ist, und dass sie stärker ist als alle gottlosen Mächte, ein Fest der Befreiung und ein Fest der Freude am Leben. Damals hat es begonnen, und bis heute geht es weiter. Und Jesus ist dabei und feiert mit.