Eine Konstellation, die Leben wachsen lässt
Predigt am 28. September 2008 (Abendmahlszulassung der Konfirmanden) zu Markus 14,12-26
12 Am ersten Tag des Festes der ungesäuerten Brote – an dem Tag, an dem man das Passalamm schlachtet – fragten die Jünger Jesus: »Wo sollen wir das Passamahl für dich vorbereiten?«13 Er gab zwei von ihnen den Auftrag: »Geht in die Stadt! Dort werdet ihr einem Mann begegnen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, 14 bis er in ein Haus hineingeht, und sagt dort zu dem Hausherrn: ›Der Meister lässt fragen: Wo ist der Raum für mich, in dem ich mit meinen Jüngern das Passamahl feiern kann?‹ 15 Er wird euch ein großes Zimmer im Obergeschoss zeigen, das ´mit Sitzpolstern` ausgestattet und für das Festmahl hergerichtet ist. Bereitet dort das Passa für uns vor.« 16 Die beiden Jünger machten sich auf den Weg. In der Stadt angekommen, fanden sie alles so, wie Jesus es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passamahl vor.
17 Als es Abend geworden war, kam Jesus mit den Zwölf. 18 Während sie bei Tisch waren und aßen, erklärte er: »Ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten – einer, der hier mit mir isst.« 19 Die Jünger waren bestürzt, und einer nach dem anderen fragte ihn: »Doch nicht etwa ich?« – 20 »Es ist einer von euch zwölf«, erwiderte er, »einer, der mit mir ´das Brot` in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar den Weg, der ihm in der Schrift vorausgesagt ist; doch wehe dem Menschen, durch den er verraten wird! Für diesen Menschen wäre es besser, er wäre nie geboren worden.«
22 Im weiteren Verlauf des Essens nahm Jesus Brot, dankte Gott dafür, brach es in Stücke und gab es den Jüngern mit den Worten: »Nehmt, das ist mein Leib.« 23 Dann nahm er einen Becher ´mit Wein`, sprach ein Dankgebet, gab ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus. 24 Er sagte zu ihnen: »Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Ich sage euch: Ich werde nicht mehr vom Saft der Reben trinken bis zu dem Tag, an dem ich den neuen Wein trinken werde im Reich Gottes.« 26 Nachdem sie dann ein Loblied gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.
Jesus hat der Welt kein dickes Buch hinterlassen, sondern was er hinterlassen hat, ist eine Gemeinschaft von Menschen, die er zusammengefügt und geprägt hat. Und der Kern dieser Gemeinschaft ist das Abendmahl: eine Regel, wie sie zusammenkommen und sich an ihn erinnern sollen. Ihr habt das vorhin ja gezeigt, dass die Jünger durch das Abendmahl wieder einen sichtbaren Mittelpunkt bekommen haben. Und dadurch konnten sie sich überall auf der Welt als die Gemeinschaft Jesu versammeln, an vielen Stellen gleichzeitig. Es war eine einfache Sache: Brot und Wein hatte jeder im Haus, man brauchte keine komplizierten Vorbereitungen und keine Spezialisten, sondern wo immer auf der Welt sich Christen trafen, sie konnten Abendmahl feiern.
Und Jesus hat das Ganze so gestaltet, dass man dabei auf alle mögliche Weise an ihn erinnert wird: er selbst hat ja schließlich auch immer wieder mit Menschen am Tisch gesessen, hat sich unterhalten, hat viele wichtige Dinge beim Essen gesagt. Beim Essen Gespräche zu führen, das ist eine sehr hilfreiche Form der Kommunikation. In Ruhe zusammen zu sitzen und dabei über wichtige, lebensentscheidende Fragen zu sprechen, das passte sehr gut zu Jesus. Wir sollen ja erneuert werden durch neue Gedanken in unserem Kopf, die zu Jesus passen. Nachdenken, miteinander herausfinden, was zu ihm passt und was nicht, das ist eine Grundaufgabe der Gemeinschaft seiner Jünger.
Und weil Jesus das Ganze beim Passafest angestoßen hat, stellt uns das Abendmahl hinein in die lange Geschichte der Befreiung, die Gott auf der Erde begonnen hat. Passa war ja die Erinnerung daran, dass Gott die Sklaven aus Ägypten befreit hat. Er wollte nicht, dass Menschen unterdrückt werden und für andere schuften müssen, sondern er wollte freie Menschen und ein freies Volk, das nach seinen Regeln lebt. Und daran erinnert sich Israel jedes Jahr wieder, wenn sie Passa feiern, bis heute.
Als Jesus lebte, war das schon 1400 Jahre her. Und da konnte man der Unterdrückung nicht mehr entkommen, indem man einfach das Land wechselte. Die großen Reiche waren zu groß geworden, denen konnte man nicht einfach weglaufen. Das große römische Reich war ein Weltreich, es umfasste beinahe die ganze damals bekannte Welt. Deshalb zeigte Jesus seinen Jüngern einen anderen Weg: mitten in diesem Reich, das ziemlich brutal sein konnte, ein Leben zu führen, durch das man sich jeden Tag neu mit Gottes befreiender Kraft verbindet. Ein Leben des Zusammenhalts und der Liebe zu führen; durch neue, freie Gedanken bewegt zu werden; und auf diese Weise unabhängig zu sein. Mitten in einer Welt, in der Menschen ganz selbstverständlich versklavt wurden und den Status eines Dinges hatten, wo ein Menschenleben keinen großen Wert hatte, wo Menschen immer wieder von Seuchen oder von Krieg heimgesucht wurden und sich nicht wehren konnten – mitten in dieser Welt lernten die Jünger Jesu, dass man gegenüber dem allen nicht hilflos ist, wenn man zusammenhält mit Gott und den anderen, die an Jesus glauben.
Die Menschen in Israel saßen beim Passafest zusammen und erinnerten sich, wie es wohl damals gewesen sein könnte, als man auf gepackten Koffern saß und darauf wartete, dass Gott das Signal zum Aufbruch gab. Und so saßen später die Christen zusammen und erinnerten sich, wie es damals war, als Jesus sein Befreiungswerk vollendete: als er es zuließ, dass sie ihn kreuzigten und auch in dieser Qual sich nicht von seinem Weg abbringen ließ. Als er zeigte, dass seine Art zu leben auch nicht vor den brutalsten Mitteln der römischen Herrschaft kapitulierte, und als Gott zu seinem Weg Ja sagte und ihn auferweckte.
So erinnerten sie sich jedes Mal wieder daran: wir sind die Gemeinschaft der Befreiten. Nicht nur einmal im Jahr, sondern jede Woche und manchmal sogar täglich saßen sie zusammen, dachten neue Gedanken und erinnerten sich an alles, was Jesus gesagt und getan hatte. Immer wieder neuer Input für ihre Gedanken, damit die Gedanken der grausamen Welt um sie herum nicht die Kontrolle über sie bekamen.
Und dann dieses Bild: einer steht auf und erinnert an den letzten Abend Jesu, und er zerbricht das Brot und gibt es den anderen, und in dieser Geste spiegelt sich Gottes Geben und Schenken. Ja, so beschenkt Gott die ganze Welt Tag für Tag mit Leben und Nahrung. Es ist genug da für alle, wenn wir teilen. Und die Runde der Jünger Jesu ist ein Bild der Menschheit, wie Gott sie gewollt hat, wie sie miteinander an einem Tisch sitzt und keiner Hunger leiden muss, weil sie teilen.
Und gleichzeitig erinnern sie sich, wie Jesus gesagt hat: dieses Brot ist mein Leib. Jesus und seine Art zu leben werden ausgeteilt, alle bekommen Anteil daran, und sie wissen: Jesus lebt in uns und er will das, was er früher selbst getan hat, jetzt in uns und durch uns tun. Er ist der ersten neue Mensch, und wenn wir mit ihm zusammengehören, dann sind wir die neue Menschheit. Wer sich von Jesus beeinflussen lässt, der hat Zugang zu den ganzen Reichtümern Gottes.
Und dann ist da der Wein. Der ist nicht so nötig wie Brot, man kann auch ohne Wein leben, ja, man kann nur von Wasser und Brot leben, aber das ist ein trauriges Leben, dann fehlt einem das Fröhliche und Festliche, das mit dem Wein verbunden ist. Wenn Jesus Brot ausgeteilt hat, dann spiegelt sich darin, wie Gott Nahrung für alle schenkt, und wenn Jesus Wein herum gibt, dann kann man darin sehen, dass Gott voller Freude ist und seine Freude mit uns teilen will. So oft gibt es in den Geschichten von Jesus Menschen , die sich riesig freuen, weil Gott in ihr Leben hereingeplatzt ist und alles neu aussieht. Und selbst am Abend vor seinem Tod hat Jesus nicht Trübsal geblasen, sondern hat den Wein der Freude verteilt. Und er sagt: das ist mein Blut! und das ist eine Erinnerung daran, dass Freude auch immer damit zu tun hat, dass einer sich freiwillig bereit erklärt, etwas für die anderen zu tun.
Das Blut war damals ein Symbol für Leben, und das ist ja berechtigt, weil unser ganzes Leben, unsere Kraft, im Blut verborgen ist. Das Blut transportiert den Sauerstoff und die Energie in die Zellen, und wer wenig oder schlechtes Blut hat, der ist dauernd müde und angeschlagen. Und so sagt Jesus: ich gebe euch mein Leben, meine Energie, damit ihr die habt und damit sie euer Leben und eure Energie wird. Und er erinnert daran, dass Leben immer damit zu tun hat, dass einer etwas von sich gibt, etwas opfert, etwas schenkt.
Und so schafft Jesus für seine Jünger, wenn sie sich treffen, eine Umgebung, die voller Lebenssymbole ist und auch voll Erinnerung daran, dass das alles möglich wurde, weil er sich ihnen gegeben hat mit seinem ganzen Leben. Und gleichzeitig erleben sie da immer wieder neu, wie sie dieses Leben Jesu in sich aufnehmen und es in ihnen Wurzeln schlägt und wächst und sie eine Gemeinschaft des neuen Lebens werden.
Das Ganze erinnert mich an ein gutes Kunstwerk: in einem Kunstwerk gibt es nicht nur einen einzigen Zusammenhang, sondern es gibt eine Fülle von Bedeutung, und wenn man es anschaut, dann treten immer wieder neue Seiten in den Vordergrund. So hat das Abendmahl eine große Bandbreite an Bedeutungen. Und noch etwas ist da wie bei einem Kunstwerk: der eigentlich Sinn entsteht beim Betrachten, durch das, was es in mir weckt und hervorruft. die Bedeutung entsteht zwischen mir und dem Kunstwerk.
So hat Jesus das Abendmahl erfunden als eine Handlung, die in uns immer wieder neuen Sinn erzeugen soll, die uns immer wieder von neuem etwas aufdecken soll über das fortlaufende Wirken Jesu in unserer Welt und in unserem Leben. Eine Konstellation, die immer wieder die Gemeinschaft stiftet, die Jesus ins Leben gerufen hat. Sein Erbe ist eine Gemeinschaft von Menschen, die lernen, so wie er das Leben zu lieben. Abendmahl ist ein Szenario, das Leben wachsen lässt. Ein offenes Kunstwerk sozusagen, das uns Augen und Herz öffnen soll für die neue Welt Gottes, die unter uns wächst und die für die alte Welt voll Unfreiheit und Leid am Ende keinen Raum mehr lassen wird.