Integrität in einer korrupten Welt
Predigt am 16. März 2014 zu Markus 12,1-12
1 Nun begann Jesus in Gleichnissen zu ihnen zu reden. Er sagte: »Ein Mann legte einen Weinberg an, umgab ihn mit einem Zaun, hob eine Grube zum Keltern des Weins aus und baute einen Wachtturm. Dann verpachtete er den Weinberg und verreiste.
2 Zur gegebenen Zeit schickte er einen Diener zu den Pächtern, um sich von ihnen seinen Anteil am Ertrag des Weinbergs geben zu lassen. 3 Doch die Pächter packten den Diener, verprügelten ihn und jagten ihn mit leeren Händen fort. 4 Da schickte der Mann einen anderen Diener zu ihnen; dem ging es nicht besser: Sie schlugen ihm den Kopf blutig und trieben ihren Spott mit ihm. 5 Danach schickte er einen dritten; den töteten sie. So ging es noch vielen anderen: Die einen wurden verprügelt, die anderen umgebracht. 6 Schließlich blieb ihm noch einer: sein geliebter Sohn. Den schickte er zuletzt auch noch zu ihnen, weil er sich sagte: ›Er ist mein Sohn, vor ihm werden sie Achtung haben.‹ 7 Aber die Pächter sagten zueinander: ›Das ist der Erbe. Kommt, wir bringen ihn um, dann gehört das Erbe uns!‹ 8 Und sie packten ihn, brachten ihn um und warfen ihn zum Weinberg hinaus.
9 Was wird nun der Besitzer des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Pächter umbringen, und den Weinberg wird er anderen anvertrauen. 10 Habt ihr jenes Schriftwort nie gelesen: ›Der Stein, den die Bauleute für unbrauchbar erklärten, ist zum Eckstein geworden. 11 Das hat der Herr getan, und es ist etwas Wunderbares in unseren Augen‹?«
12 Daraufhin hätten sie Jesus am liebsten festgenommen, denn es war ihnen klar, dass sie mit diesem Gleichnis gemeint waren. Aber weil sie vor dem Volk Angst hatten, ließen sie ihn unbehelligt und gingen weg.
In dieser Geschichte geht es um Korruption. Korruption mitten im Tempel Gottes. Korruption ist ein Übel, das ganze Gesellschaften ruinieren kann. Vielleicht denken wir an einen Mitarbeiter im Bauamt, der sich für die Auftragsvergabe schmieren lässt. Oder an einen Arzt im Krankenhaus, der vor einer wichtigen Operation erst die Hand aufhält. Oder an ein Land, in dem nichts gegen die Drogenkartelle läuft, weil die überall im Staat ihre bezahlten Helfer sitzen haben. Oder eine Nation mit reichen Bodenschätzen: die Oberschicht arbeitet mit ausländischen Konzernen zusammen, lässt sich das gut bezahlen, die Bevölkerung geht leer aus, und die Umwelt wird verwüstet. Oder ein halbseidener Diktator, der überall die Mitglieder seines Familienclans auf die profitablen Posten schiebt und so tut, als wäre das Land sein persönlicher Besitz.
Korruption zerstört Gesellschaften
Wenn sich diese Korruptionsmentalität ausbreitet, das führt über kurz oder lang zum Niedergang einer Gesellschaft, weil so alle Verlässlichkeit zerstört wird, und weil dann für immer weniger Leute ehrliche Arbeit noch attraktiv ist – wer will sich denn noch die Hände schmutzig machen, wenn schmierige Typen mit Konten im Ausland den Löwenanteil absahnen? Und wenn an der Spitze die Gier regiert, dann frisst sich das in die Gesellschaft hinein, bis alles nur noch gegen Bakschisch läuft. Der Fisch stinkt vom Kopf her.
Aber letztlich ist es die ehrliche, produktive Arbeit von vielen, vielen Menschen, die die Grundlage für allen gesellschaftlichen Reichtum legt. Wer diese Grundlage zerstört, zerstört die Gesellschaft.
Korruption bedeutet immer: ich nehme meine eigentliche Verantwortung nicht wahr, sondern wirtschafte in meine eigene Tasche. Eigentlich ist es mein Auftrag, loyal die Interessen anderer zu vertreten, dafür werde ich bezahlt, dafür wurde ich vielleicht sogar gewählt, aber stattdessen nutze ich die Position, die mir anvertraut ist, um meinen eigenen Interessen nachzugehen.
Korrupte Eliten
In der Zeit Jesu ging es um die Führungseliten Israels, deren Aufgabe es eigentlich war, für ihr Volk einzutreten. Das war dringend notwendig, denn Israel war ein Teil des römischen Imperiums, und die Römer holten mit List und Gewalt aus dem Land möglichst hohe Steuern heraus. Die einheimischen Eliten, vor allem die Oberpriester im Tempel, die hätten eigentlich die Aufgabe gehabt, ihre Leute so gut wie möglich zu schützen; sie hätten mit Tricks und Argumenten und hinhaltendem Widerstand das Beste für ihr Volk herausholen müssen. Aber stattdessen ging es ihnen vor allem darum, selbst auch ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen. Sie versuchten, das nach außen zu verbergen, aber im Prinzip wussten das alle.
Als deshalb Jesus im Tempel die Geschichte von den Pächtern erzählte, die sich das ihnen anvertraute Land als Eigentum unter den Nagel reißen wollen, da war allen sofort klar, wen er damit meinte. Die Priesteraristokratie betrachtete das Land als ihre persönliche Pfründe, über die sie niemandem Rechenschaft ablegen mussten. Der »Weinberg« war ein altes Symbol für Israel, spätestens seit dem Propheten Jesaja, und dass Jesus dieses Bild erweiterte, indem er von »Pächtern des Weinbergs«, also den Führungsschichten Israels sprach, die sich das Land als Privateigentum unter den Nagel reißen wollten, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Spätestens jetzt zogen die Oberpriester alle Register, um diesen gefährlichen Mann zu beseitigen. Genauso, wie Jesus es ihnen im Gleichnis geschildert hatte: sie wollten den Erben beseitigen, damit ihnen niemand mehr den Anspruch auf ihre Pfründe streitig machen konnte.
So ist es bis heute: wenn sich die Ureinwohner der Amazonaswälder beschweren, dass ihre Heimat zerstört wird, dann schickt man ihnen Killerkommandos und kauft die zuständigen Richter, und wenn die Bewohner des Waldes erst tot oder völlig entmutigt sind, dann haben alle freie Hand, die dort Soja anbauen wollen, Holz schlagen oder nach Bodenschätzen suchen. Und am Ende wird der Regenwald zur Wüste, und die Atmosphäre heizt sich immer mehr auf. Korruption zerstört die Welt.
Verantwortung für die ganze Schöpfung
Erstaunlicher Weise haben wir aber meistens ein Gespür dafür, dass das nicht ok ist. Irgendwie wissen wir, dass es unter unserer Würde ist, uns unsere Verantwortlichkeit abkaufen zu lassen, und wer es doch tut, der muss damit leben, dass er sich nicht wirklich gerne im Spiegel ansehen kann. Der Eigentümer des Weinbergs ist ja Gott, und das heißt: jeder von uns hat seine Verantwortung von Gott bekommen. Sie ist ganz tief mit unserem Menschsein verbunden. Wenn du dir diese Verantwortung abkaufen lässt, beschädigst du fundamental deine Selbstachtung.
Egal, ob du als Präsidentin eines großen Landes im Licht der Öffentlichkeit stehst oder ob du eine Aufgabe hast, von der kaum jemand etwas mitbekommt: jeder von uns hat seinen Anteil an der Verantwortung die Gott uns anvertraut hat. Und auch wenn es nur ein kleiner Anteil ist, der dir zugefallen ist: es geht dabei immer um das Ganze, und es ist nicht richtig, wenn ich nur Teilinteressen im Blick habe. Auch eine Regierung hat nicht nur für das eigene Volk Verantwortung – obwohl es schon sehr gut wäre, wenn Regierungen immer daran denken, dass ihre Leute gut leben und arbeiten können sollen, und dass das Geld in den Taschen der kleinen Leute besser aufgehoben ist als auf Spekulationskonten.
Aber wenn sich z.B. der Präsident der Weltmacht Amerika nur dem amerikanischen Volk und seinem Wohlergehen verantwortlich fühlt, das ist zu wenig. Oder wenn die deutsche Regierung sich nur den Interessen der Deutschen verpflichtet fühlt, dann erfüllt sie ihre Verantwortung nicht. Heute muss jede Regierung, die ihrem Volk dienen will, die ganze Menschheit im Blick haben, und nicht nur die Menschen, sondern alle Lebewesen, den ganzen Planeten, die ganze Schöpfung. Und es sind nicht nur die Regierungen: jeder von uns ist an seinem Platz mit dem, was er tut, beteiligt an dieser Verantwortung.
Wenn alle das wüssten …
Und die Welt würde am besten funktionieren, wenn jeder seine Rolle in der Welt so verstehen würde: als eine Verantwortung, die er von Gott bekommen hat, gepachtet hat sozusagen, und nicht als Freibrief zur persönlichen Bereicherung. Deine Fähigkeiten, dein Besitz, deine Macht, deine Rolle in der Gesellschaft – es ist alles nur geliehen, und die Pacht, die wir dafür zahlen sollen, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit der Schöpfung und den Menschen. Wo diese Grundüberzeugung breit in der Gesellschaft verankert ist, da geht es allen gut und die Mafia hat es schwer. Wenn Menschen nicht interessiert sind an schmierigen Angeboten, wenn Menschen wissen, dass das für sie nicht in Frage kommt, das nennt man Integrität. Integrität wurzelt in dem Wissen oder in der Ahnung jedenfalls: mein Posten, meine Rolle, mein Einflussbereich, der gehört mir nicht, der ist mir anvertraut, damit dort etwas wächst und gedeiht, damit die Schöpfung aufblüht, und ich werde darüber Rechenschaft ablegen müssen.
Dass wir dabei auch unser gutes Auskommen haben sollen, dass wir selbst auch etwas von den Früchten haben, die wir heranziehen, das geht in Ordnung, und wer große Verantwortung hat, der soll auch ruhig etwas mehr bekommen, aber mal ehrlich: wem eine Million im Jahr immer noch nicht reichen, der wird auch mit 100 Millionen nicht zufrieden sein, und der sollte lieber was für seine Seele tun als Gehaltsverhandlungen führen.
Integrität lässt Gesellschaften gedeihen
Breit verankerte Integrität sorgt für eine gesunde Gesellschaft. Wenn Menschen ihre Integrität wichtiger ist als Geld, dann bekommen die Handaufhalter ein Problem. Man könnte die Geschichte Jesu auch erzählen als die Geschichte von jemandem, der sich weder bestechen noch einschüchtern ließ. Ganz am Anfang in der Geschichte von der Versuchung Jesu weist er das Angebot von Geld, Macht und Ruhm zurück. Selbst das Angebot, die Herrschaft über die ganze Welt aus der Hand des Versuchers entgegen zu nehmen, konnte ihn nicht locken. Und ganz am Ende lässt er sich auch durch die Drohung des Kreuzes nicht von seinem Weg abbringen.
Deshalb ist Jesus der Erbe: in ihm ist nichts von dieser Beutementalität, durch die die Welt zugrunde gerichtet wird. Wo er hinkommt, da blüht die Schöpfung auf. Neben ihm verloren die korrupten Oberpriester auch den letzten Rest Glanz, den sie noch hatten, da halfen auch die teuersten Zeremonien nicht mehr. Die bessere Alternative ist der gefährlichste Feind des Status Quo. Und deshalb setzten sie alles daran, diese Alternative kaputt zu machen. Drei Tage später starb Jesus am Kreuz. Und hätte Gott ihn nicht von den Toten auferweckt, wäre mit ihm ein für allemal die Hoffnung gestorben. Und die Mafia hätte gesiegt.
Zellen der Integrität
Aber Jesus ist auferstanden, und er gründete die Gemeinschaften seiner Jünger als Zellen der Integrität. Gemeinschaften von Menschen, die verstehen, dass die Schöpfung ein wunderbares Geschenk ist, mit Liebe und Sorgfalt ersonnen, und dass wir alle gewürdigt worden sind, einen Teil davon zu bebauen und zu bewahren. Gemeinschaften von Menschen, die sich an dem Segen freuen, der durch die Welt fließt, und die ihn um keinen Preis rauben und vertreiben wollen. Wenn du Anteil haben kannst an den Segnungen von Gottes wunderbarer Welt, an der Freude, von Gott beschenkt und begeistert zu sein – wie erbärmlich klein sind dagegen irgendwelche schmierigen Vorteile, die dir Leute mit verletzter Selbstachtung zuschanzen möchten. Vorteile und Geld, an dem Unglück und Selbstverachtung so kleben, wie angeblich an praktisch jedem 500 Euro-Schein Spuren von Kokain zu finden sind.
Jesus hat die neue Gemeinschaft geschaffen, wo Menschen wissen, dass es das Beste ist, ein Pächter Gottes zu sein – besser, als sich einen Teil der Welt als Beute unter den Nagel zu reißen. Das ist so gut, dass es sich auch noch lohnt, wenn man dadurch Probleme mit denen bekommt, die in jeder integren Person eine Bedrohung ihres eigenen treulosen Lebensmodells sehen.