Ein Stückchen Paradies in der beschädigten Welt
Predigt am 9. November 2003 zu Markus 10,2-9
2 Und Pharisäer traten zu Jesus und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit. 3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? 4 Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.
5 Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; 6 aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. 7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, 8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. 9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Vielleicht hat jetzt der eine oder andere gedacht, das könnte ein heikles Thema sein, dass mit diesem Predigttext zu uns kommt. Deshalb vorweg eine gute Nachricht. Es gab eine Untersuchung über das Liebesleben von Christen. Es gibt ja fast nichts, was nicht untersucht wird. Aber ich ärgere mich heute, dass ich mir das nicht aufgehoben habe. Denn ich habe die Ergebnisse eigentlich nicht mehr so präzise im Kopf, wie man mit Statistiken umgehen sollte. Aber wenn man es kurz auf einen Nenner bringen soll: das Liebesleben der Christen ist besser als im Durchschnitt der Gesellschaft. Die sind zufriedener und erfüllter damit, sie sind intensiver, häufiger und fröhlicher dabei.
Finden Sie das überraschend? Eigentlich muss es so sein. Da wo Jesus herrscht, wird die Schöpfung wieder heil, und es gehört zu den besonderen Gaben der Schöpfung, dass Menschen in zwei Versionen existieren, als Männer und als Frauen, und dass große Freude entsteht, wenn diese unterschiedlichen Menschenmodelle zusammen finden. So wie man sich erhoffen kann, dass Christen ehrlicher sind als andere Leute, so müssten sie eigentlich auch an Tisch und Bett fröhlicher miteinander sein.
Jesus zitiert ja hier die Stelle aus dem 2. Kapitel des ersten Buches Mose, wo es heißt, dass Mann und Frau ein Fleisch sein werden. Damit ist mehr gemeint, als dass sie zusammen schlafen, aber das gehört auf jeden Fall ganz zentral dazu. Und an dieser Stelle da spürt man die Begeisterung von Adam, als Gott ihm im Paradies Eva bringt, wie er sagt: Toll! Endlich eine, die zu mir passt! Diese Freude: ja schön, die ist genau das, was ich mir gewünscht habe! Und dann laufen sie nackt durch den Garten und schämen sich nicht, es gibt kein Misstrauen und kein Verstecken, sie sind eins miteinander und alles ist Freude und Begegnung. Und genau da kommt dann die Schlange und tut alles, um diese Freude zu zerstören, aber das ist eine andere Geschichte.
Jesus greift zurück auf die Zeit im Paradies und sagt: so wollte Gott das. Das ist sein Plan für die Menschen. Zwei unglaublich unterschiedliche Menschen sollen zu einer Einheit zusammenfinden, die so fest ist, dass sie sogar die Verbindungen zu den Eltern, zur Herkunftsfamilie bricht und diese beiden, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun hatten, werden jetzt die wichtigsten Menschen füreinander. Deswegen müssen die Brautmütter bei der Hochzeit immer ein paar Tränen zerdrücken, weil sich da ein fremder Mann einfach das Töchterlein greift, das man 20 oder 30 Jahre lang mühsam erwachsen gekriegt hat, und wie wird der mit ihr umgehen? Und umgekehrt genauso: ob diese fremde Frau jemals lernen wird, dem sensiblen Sohn sein Leibgericht wirklich richtig zu kochen?
Aber Gott hat es so vorgesehen, dass neue Verbindungen entstehen, dass zwei Menschen mit ihrer unterschiedlichen Lebensgeschichte, mit ihren unterschiedlichen Familientraditionen, mit ihren ganz eigenen Verletzungen und mit ihrer unterschiedlichen Sicht der Welt trotzdem eine neue Einheit werden. Und weil das eigentlich eine ganz schwierige Aufgabe ist, richtig Arbeit, deswegen hat Gott auf diesem Weg so viele herrliche Prämien und Freuden verstreut, damit wir den Weg nicht vermeiden, sondern ihn mit Energie gehen. Und so passiert es, dass ein Mann und eine Frau begeistert sind voneinander, alles andere vergessen, eine neue Einheit werden und nur das im Kopf haben, weil es so toll ist. Man muss nur mal an Isaak denken, der schon lange mit Rebekka verheiratet war (1. Mose 26,7-10), aber zwischen den beiden ging das immer noch so heftig ab, dass sie es nicht merkten, als der König auf Besuch kam und durchs Fenster guckte. Das war deshalb peinlich, weil sie sich eigentlich aus Sicherheitsgründen als Bruder und Schwester ausgegeben hatten, und so kam der Schwindel raus. Aber es zeigt auf alle Fälle, dass sie auch nach langen Ehejahren immer noch voneinander so begeistert waren, dass sie alle Vorsicht vergaßen.
Dass es Männer und Frauen ziemlich unwiderstehlich zueinander zieht, das hat Gott so gemacht, damit niemand auf die Idee kommt, er wäre eine Insel, er wäre unabhängig und brauche keinen anderen. Selbst die größten Eigenbrötler spüren in einigen Epochen ihres Lebens diesen Drang zum anderen Geschlecht, und es rüttelt sie durcheinander und bringt sie in Bewegung und das ist gut so. Nicht immer geht das glücklich aus, das gerät manchmal auf seltsame Wege und manchmal leider auch auf zerstörerische Wege, aber bis heute tut der Geschlechtstrieb seine segensreiche Wirkung und bringt Menschen dazu, nicht im Nest hocken zu bleiben, sondern sich auf einen anderen Menschen einzulassen und am Ende vielleicht unter Mühen und Freuden, mit Seufzen und Ängsten, mit Träumen und Hoffnungen ein Fleisch zu werden.
Und Jesus sagt: das ist gut. So hat Gott es gewollt. Das war sein Plan. Und die Konsequenz ist: geht den Weg auch in dieser Welt, in der so viel zerstört ist, wo so viel schief gelaufen ist, aber geht diesen Weg miteinander und brecht ihn nicht auf halber Strecke ab. Es ist schon eine Lebensaufgabe, mit einem Mann oder einer Frau eins zu werden, da hat man ein Leben lang mit zu tun, aber mit zweien oder mehreren, das ist zu viel. Bleibt bei dem oder bei der, die ihr habt.
Und dann kommen die Pharisäer und sagen: aber hier steht es doch in der Bibel, dass Ehescheidung erlaubt ist. Mose hat dazu ein Verfahren vorgesehen, dass man seiner Frau ein Trennungsdokument gibt und sie wegschicken kann. Du predigst nicht biblisch!
Und dann muss Jesus erklären, dass es zur Güte Gottes gehört, dass er sich einstellt auf uns und unsere harten Herzen, dass Gott viel barmherziger ist als manche frommen Leute und dafür gesorgt hat, dass es einen Ausweg gibt, wenn Menschen tatsächlich nicht mehr zusammen sein wollen. Gott hat die Ehe nicht als Gefängnis konstruiert. Er hat uns die Ehe nicht gegeben, um uns zu bedrücken und uns das Leben schwer zu machen, und wenn einer oder auch beide sie wirklich als nicht mehr tragbare Last empfinden, wenn sie damit unglücklich sind oder nicht sehen können, wo der Segen noch herkommen soll, gut, dann muss es einen Notausgang geben, für Nichtchristen wie für Christen. Gott will uns mit einem Partner beschenken und nicht quälen.
Deswegen muss die Rechtsordnung Ehescheidung ermöglichen, sonst wäre sie in der Tat nicht biblisch, da haben die Pharisäer Recht, aber das heißt natürlich nicht, dass das vorzeitige Beenden von Ehen deshalb eine gute Sache wäre. Ich glaube, dass beinahe jeder, der das mitgemacht hat, bestätigen kann, wie grausam es ist, wieder auseinanderzureißen, was manchmal über Jahre hinweg zusammengewachsen ist. Normalerweise ist eine Scheidung ein schmerzhafter und schrecklicher Prozess, bei dem so viel kaputt geht. Den kann man nicht so einfach managen wie man andere Herausforderungen im Leben bewältigt. Außer vielleicht, wenn man sich sowieso nicht wirklich auf den Partner eingelassen hat und lieber vorsorglich auf Distanz geblieben ist.
Und mancher hat schon im Rückblick gesagt: hätte ich das alles vorher gewusst, was da auf mich zukommt, dann hätte ich lieber noch dies und jenes probiert, um vielleicht doch noch einen Weg zu finden, wie wir zusammen bleiben können.
Zu sagen: was ist schon dabei bei einer Scheidung? Das passiert doch allen! Das ist genauso ahnungslos wie zu sagen: Das darf einfach nicht passieren, und wem es doch passiert, der hat einen Makel, den er nie wieder los wird. Die Wahrheit ist die Barmherzigkeit Gottes mit beiden: mit denen, die offensichtlich versagt haben und mit denen, bei denen es nur nicht herausgekommen ist.
Dass die Entwicklung in Deutschland im Augenblick in die Richtung geht, dass fast jede zweite Ehe geschieden wird, zeigt mir drei Dinge.
- Zum Einen kommt jetzt wahrscheinlich ans Licht, wie es schon immer in Ehen und Familien ausgesehen hat, nur der wirtschaftliche und gesellschaftliche Druck, der früher auch unglückliche Ehen zusammengehalten hat, der ist so nicht mehr da.
- Zum andern scheint es so zu sein, dass Menschen heute manchmal erst im Lauf mehrerer Beziehungen und durch viel Scheitern und Schmerzen lernen, einigermaßen vernünftig und realistisch miteinander umzugehen. Aber manche lernen es anscheinend auch so nicht. Und die Kosten sind sehr hoch.
- Schließlich: Die Christen werden im Allgemeinen nicht als Leute angesehen, die einen besseren Weg kennen. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die Menschen in der Vergangenheit mit uns nicht genug gute Erfahrungen gemacht haben. Bei uns hier in Groß Ilsede z.B. hat es kurz nach 1900 im Kirchenvorstand heiße Diskussionen darum gegeben, ob man denn bei den Paaren, die offensichtlich schon vor der Ehe miteinander im Bett (oder im Heu) waren, die Glocken läuten sollte. Der Pastor war dagegen, aber der Kirchenvorstand hat gesagt: es wird bei allen geläutet. Wahrscheinlich haben die an ihre eigenen Kinder gedacht. Ein bisschen Realitätsanbindung ist doch gut. Sie kennen ja vielleicht auch einige von diesen Witzen zum Thema Glockenläuten bei Trauungen.
Aber ist es ein Wunder, wenn man Christen nicht um Rat fragt zu Mann und Frau, wenn es bei ihnen vor allem um Schlafzimmerschnüffelei und Verurteilung geht anstatt um Freude und Glück? Die Leute spüren schon, ob einer in der Schöpfungsfreude verankert ist, oder ob er anderen Lasten auflegt. Wieviel Geschichten gibt es von Leuten, die anderen Moral gepredigt haben, und plötzlich wird Pastor XY selbst mit seiner Sekretärin im Bett erwischt. Solche Geschichten gibt es in allen Variationen, da könnte ich auch welche erzählen, aber nicht auf der Kanzel, und vielleicht besser überhaupt nicht.
Das Schöne an diesem Thema ist ja, dass es so eindeutig ist, wenn die falschen Leute in einem Bett erwischt werden. Das ist endlich mal eine richtige Sünde ohne Wenn und Aber. Wo gibt es das denn heute sonst noch? Wenn einer unfreundlich ist oder Leute manipuliert oder Gerüchte verbreitet, das liegt nicht so offensichtlich auf der Hand, da ist die Diagnose viel schwieriger zu stellen. In der Sexualität ist alles so schön einfach. Denken jedenfalls manche.
Aber wenn die Untersuchung Recht hat, von der ich am Anfang erzählte, dann gehen wir besseren Zeiten entgegen. Wenn die Christen wirklich glücklicher miteinander sind am Tisch und im Bett, dann werden wir die Vollmacht zurückbekommen, den Menschen zur Freude an ihren Ehen zu helfen. Wer aus der Freude und dem Glück heraus redet, der wird mit einiger Sicherheit nicht verurteilen und belasten, sondern wird wirklich helfen können. Der wird auch insofern Gott ähnlich sein, dass er Verständnis hat für das Scheitern und die Irrwege anderer. Aber er kann Mut machen, dass mit Gottes Hilfe auch aus Irrwegen gesegnete Wege werden können. Wir sind Sünder, und im Verhältnis zwischen Männern und Frauen sind wir es nicht mehr oder weniger als anderswo. Wenn man der Bergpredigt glaubt, sind eigentlich alle Ehebrecher. Aber Gott ist viel geduldiger mit Sündern als die meisten Menschen. Gott sagt auch nicht: wenn du einmal gescheitert bist, darfst du nie wieder einen Partner haben. Wo gäbe es das sonst, dass Gott uns für ein Versagen lebenslänglich im Schuldgefängnis schmoren lässt? Darf denn jemand, der einmal unehrlich war, nie wieder Geld haben?
Es gehört zu unserem tiefsten Menschsein dazu, Partner vom anderen Geschlecht zu haben, und im Gegensatz zu anderen Geistesströmungen sagt das Christentum dazu voll Ja. Es gibt Ausnahmen. Paulus redet von der Gabe der Ehelosigkeit, dass ein Mensch so stark mit Gott lebt, dass da kein Platz für einen anderen Menschen ist, und dass ihm dabei nichts fehlt. Aber das ist eine Gabe und keine Vorschrift. Wenn eine Kirche das ihren Amtsträgern zur Vorschrift macht, dann sorgt sie dafür, dass es da viele mit gebrochenem Rückgrat gibt, die aus schlechtem Gewissen gefügig sind. Und das ist für eine Kirche ganz bequem. Aber bei Paulus ist es eine Befreiung für die, die diese Gabe haben. Es ist keine Last.
Und es gibt Menschen, die aus den verschiedensten Gründen für kürzere oder längere Zeit allein leben. Die einen wollen es so, die anderen hätten es gern anders. Und auch da ist es von Schaden, wenn wenn wir ohne Verständnis im Leben anderer rumfuhrwerken.
Zum Schluss ist mir eine Sache ganz wichtig. Mehr als einmal, wenn ich miterleben musste, wie Ehen einen schlechten Verlauf nahmen, habe ich gedacht: Leute, wäre doch wenigstens einer von euch in einer christlichen Gruppe, in der man sich gegenseitig begleitet und Vertrauen aufbaut und sich auch in solchen Sachen gegenseitig stützen und helfen kann. Hättet ihr doch lieber eure Zeit investiert, um in so eine Gruppe zu kommen, das würde euch jetzt mehr helfen als die Vereine und Feiern und Termine, die euch immer wichtiger waren. Natürlich ist so eine Gruppe auch keine Garantie das Scheitern einer Ehe, und schon gar keine Garantie gegen Eheprobleme, aber da kann dieses neue Leben von Jesus her einfach leichter an Menschen herankommen. Wenn da rechtzeitig Kommunikationswege aufgebaut werden, dann ist die Chance größer, dass im Ernstfall Hilfe möglich ist.
Diese Paradiesesfreude zwischen einem Mann und einer Frau, die soll doch wieder hergestellt werden im Umkreis Jesu. Und dafür müssen wir wahrscheinlich lernen, einigen Menschen ganz viel Vertrauen zu schenken und sie auch hineinschauen zu lassen in die Bereiche, die wir sonst sorgsam schützen. Aber das geht natürlich nur, wenn man sicher sein kann, dass dann nicht irgendein Trampel kommt und sagt: »das habe ich dir doch gleich gesagt, das konnte ja gar nicht gut gehen, hättest du auf mich gehört!« oder so ähnlich. Wir brauchen solche sicheren Orte, wo wir ganz vertrauen können: Ehen und Gruppen – und den Vater im Himmel, dem wir alles sagen können, was wir keinem anderen Menschen sagen würden.