Der Kampf geht um den Geist
Predigt am 4. März 2001 zu Lukas 22,31-34
Jesus sprach: 31 »Simon, Simon! Pass gut auf! Gott hat dem Satan erlaubt, euch auf die Probe zu stellen und die Spreu vom Weizen zu scheiden. 32 Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube an mich nicht aufhört. Wenn du dann wieder zu mir zurückgefunden hast, musst du deine Brüder und Schwestern im Glauben an mich stärken!«
33 Petrus antwortete: »Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen, ja mit dir zu sterben!« 34 Jesus antwortete: »Ich sage dir, Petrus, noch ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen und behaupten, dass du mich nicht kennst.«
Jesus sieht voraus, dass der Feind in einer gezielten Aktion versuchen wird, seine Bewegung auszulöschen. Den Anführer kreuzigen, die Anhänger entmutigen und demoralisieren. Aber Jesus sorgt dafür, dass seine Jüngerschaft daraus gestärkt hervorgehen wird, dass gerade diese größte Gefährdung dafür sorgen wird, dass sie endgültig auf die Kraft Gottes vertrauen werden, dass der Feind sich ins eigene Fleisch schneiden wird.
Die dunkle Macht, das Böse, der Feind — es ist schon beeindruckend, wie die heute in Büchern, Filmen oder Spielen genauso präsent ist wie in den Geschichten früherer Zeiten. Die Star-Wars-Filme z.B. sind ganz ausdrücklich eine Geschichte vom Kampf mit der dunklen Macht, die das Leben und das Glück bedroht. In der Fantasie beschäftigen uns solche Geschichten, sie können zu Welterfolgen werden — ob wir in der Realität damit rechnen müssen, darüber wären die Meinungen in unserer Gesellschaft wahrscheinlich gespalten. Obwohl gleichzeitig sich überall Menschen fragen: woher kommt die ganze Zerstörung und die Gewalt in der Welt? Warum?
Ob es das gibt: eine Macht, die das Kaputte und Hässliche fördert, die es mit Freude sieht, wenn Menschen in Angst und Schrecken leben müssen, in Enge und Bedrängnis, ohne Freude und ohne Würde? Eine Macht, die vor allem versucht, Menschen davon abzuhalten, Aktivposten Gottes zu sein; die versucht, Menschen mindestens in die Neutralität zu befördern, damit sie nicht mehr mit ihrer ganzen Energie ein neues Leben führen? Das kann man nicht vom grünen Tisch aus entscheiden. Nur wer sich aktiv auf die Seite Gottes stellt wie die Jünger, wird die dunkle Macht, Satan, auch so klar zu spüren bekommen. Andere werden eher ungezielte Überfälle von Zerstörung erleben und davon in den Medien erfahren: Erdbeben, Überschwemmung, Gewalt, Bürgerkrieg, Krankheit, Streit, Misstrauen, Verbrechen — diffuse, scheinbar sinnlose Manifestationen des Bösen.
Jesus sieht auf seine Jünger eine deutlich gezielte Aktion des Bösen zukommen. Wenn er gekreuzigt wird, das wird für seine Jünger Schrecken bedeuten, sie werden denken, dass alles zu Ende ist, sie werden ihren Glauben und ihre Hoffnung und ihre Hoffnungsarbeit für sinnlos halten. Und die nackte Angst wird sie packen, selbst so zu enden wie Jesus.
Der Feind interessiert sich ganz besonders für alle, die zu Jesus gehören oder sich auf ihn zu bewegen. Seine Kernmotivation ist Neid auf Gott: Er kann es nicht ertragen, wenn Gott aus dem Mund von anderen Geschöpfen gelobt wird, wenn Menschen Gott anhängen und Gott zur wichtigsten Sache ihres Lebens erklären. Er rennt an gegen Gott, er kann es nicht ertragen, dass Gott der Herr der Welt ist, und er versucht, möglichst viele andere da mit hineinzuziehen, oder sie mindestens in ihrer Freude an Gott irre zu machen. Er versucht, uns in Sünde, Rebellion, Traurigkeit oder Verzweiflung zu stürzen.
Meistens geht er dabei eher behutsam vor und bringt Menschen Schritt für Schritt von Gott weg, so dass sie die Veränderung kaum merken. Aber manchmal greift er auch zu brutaler Gewalt, zur massiven Einschüchterung. So war es damals, als Jesus gekreuzigt wurde.
Damit das nicht das Ende der Jesus-Bewegung ist, kündigt Jesus es vorher an. Und was passiert? Keiner glaubt ihm. Stellvertretend für die anderen sagt Petrus: Ich werde dich nicht verlassen! Ich habe keine Angst vor dem Gefängnis, ich habe keine Angst vor dem Tod — wenn du dabei bist, komme ich mit. Und er meinte das in diesem Moment auch ehrlich, nur er hatte nicht bedacht, wie schnell sich die Grundstimmung unserer Seele ändert. Als es dann so weit war, kam es anders, es war nicht die Situation, auf die er sich eingestellt hatte, es erwischte ihn kalt von der Seite. Eine Dienerin fragte ihn: du gehörst doch auch dazu? Irgendeine dumme Ziege, die die Chance sah, sich wichtig zu machen — und Petrus schwor Stein und Bein, dass er mit Jesus nie was zu tun gehabt hätte.
Um das zu verstehen, ist es wichtig, dass wir den Unterschied zwischen unserer Seele und unserem Geist kennen. In der Seele sitzen Verstand, Wille und Gefühl, mit der Seele erleben wir die Welt und uns selbst, die Seele ist der Ort starker Empfindungen, in der Seele ziehen wir klare Schlüsse und entwickeln kräftige Willensenergie. Aber so eindrucksvoll viele dieser Zustände sind, sie sind auch sehr veränderlich. Und das liegt daran, dass die Seele stark von der Umwelt beeinflusst wird. Sie reagiert auf unsere Lebenssituation, sie begleitet unser Leben mit einem inneren Er-leben. Sie ist stark von unseren Bedürfnissen geprägt und schlägt Alarm, wenn deren Befriedigung gefährdet sieht. Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, so ist unsere Seele, manchmal kurz hintereinander.
Ist das falsch? Nein. Gott hat unsere Seele geschaffen, er wollte uns als Wesen mit starken Gefühlen, als Menschen mit klarem Verstand, als Personen mit entschiedenem Willen. Er wollte, dass unser Leben nicht einfach mechanisch abläuft, sondern dass es begleitet wird von der Musik unserer Empfindungen und vom Kommentar unseres Bewusstseins. Die richtige Antwort auf die Schwankungen unserer Seele besteht nicht darin, die Bandbreite der Empfindungen zu reduzieren, so dass wir immer gelassener, gleichmütiger und unempfindlicher werden. Das ist der buddhistische Weg des Absterbens, wo es angeblich gut ist, wenn einen nichts mehr berührt. Aber wir sollen nicht die Farbe und die Musik unserer Seele so lange dämpfen, bis da alles grau in grau ist. Wir könnten dann Gott auch nur noch ein graues, korrekt-steifes Lob bringen. Gott wollte eine farbige und heftige Welt, und er wollte, dass wir auch so sind.
Nein, das Korrektiv für den schwankenden Zustand unserer Seele ist der Geist. Der Geist hat die Aufgabe, Verbindung zu Gott zu halten. Der Geist ist unsere Empfangsstation für die Impulse der unsichtbaren Welt. Er ist der Brückenkopf Gottes in unserer Person. Er sitzt sozusagen hinter und unter der Seele. Er ist weniger auffällig als die Seele, aber er wirkt langfristig auf sie ein und formt sie. Wenn unser Geist verkümmert und die Impulse von Gott kaum noch durchkommen, dann ist unsere Seele fast ganz den äußeren Einflüssen ausgeliefert. Wenn unser Geist womöglich die Impulse des Bösen aufnimmt, dann verfinstert sich im Lauf der Zeit auch unsere Seele. Wenn aber unser Geist auf Gott hört und von ihm seine Impulse bekommt, dann prägt das auch die Seele und formt sie. Deshalb heißt es z.B. im Psalm: »Lobe den Herrn, meine Seele!« Da spricht der Geist zur Seele und fordert sie auf, mit all ihrem Empfindungen, ihrem Willen und Verstand Gott zu loben. Und wenn unser Geist die Seele immer wieder so anstößt, dann wird sie es tun und es immer besser können.
Was bedeutet das jetzt für Petrus? Petrus sagte aus voller Überzeugung seiner Seele: ich verlasse dich nicht, Jesus! Aber als die äußeren Umstände sich änderten, da sah es in der Seele von Petrus auch ganz anders aus. Jesus wusste das im Voraus. Deshalb sprach er den Geist von Petrus an. Er bereitete ihn vor auf den Moment, wenn in der Seele von Petrus nur noch Scham und Verzweiflung wohnen würden. Und er bereitete ihn darauf vor, dass dann Gottes Geist dem Geist des Petrus beistehen würde.
»Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube an mich nicht aufhört« sagt Jesus zu Petrus. So wie unsere Seele von der Umwelt abhängig ist, so ist unser Geist von Gott abhängig, abhängig davon, dass Gott diesen Brückenkopf in unserem Innern immer wieder mit Nachschub versorgt. Im Römerbrief (8,16) ist das sehr schön beschrieben: »Der Geist selbst (also der Heilige Geist) bezeugt unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind« heißt es dort. Gott bestärkt durch seinen Heiligen Geist immer wieder in unserem Geist dieses Grundgefühl, dass wir seine geliebten Söhne und Töchter sind. Ja, durch den Heiligen Geist wohnt Christus in uns, in unserem Geist, er ist unser verborgener innerer Mensch. Und dann leben wir bei all den heftigen Schwankungen unserer Seele doch mit dem friedvollen Empfinden der Nähe Gottes, und das wird zum Grundton der Existenz.
Wir können das nicht machen. Wir haben keine Kontrolle über unseren Geist und schon gar nicht über Gottes Wirken dort. Wir können nur die äußeren Umstände so zu beeinflussen versuchen, dass es dem Geist gut tut. Wir können ihm die nötige Zeit und Aufmerksamkeit geben, die er zum Gedeihen braucht, wir können ihm Nahrung geben durch das Hören und Lesen des Evangeliums. Sonst schrumpft er.
Jesus bereitet Petrus darauf vor, dass er im Moment der Niederlage auf diese Impulse des Geistes achten soll. Er soll die Hilfe Gottes nicht auf der Ebene der Seele suchen, sondern in seinem Geist. Und als Petrus dann tatsächlich in seiner Seele nur noch Verzweiflung spürt, da sorgt die Hilfe Gottes in seinem Geist dafür, dass sein Glaube nicht aufhört.
So verwandelt Jesus den entscheidenden Schlag den der Satan geplant hat, ins Gegenteil: als er selbst bis zum letzten Atemzug sich nicht abbringen lässt von seinem Gegründetsein in Gott, obwohl seine Seele nur noch voll mit Schmerz und Tod ist, da antwortet Gott darauf mit der Auferstehung. Und als auch seine Jünger nichts anderes mehr fühlten als Scheitern und Angst, da ließ er sie in der Tiefe ihrer Seele dieselbe Kraft entdecken, durch die Gott ihn von den Toten auferweckte. Nachdem Petrus diese Kraft in seinem Herzen entdeckt hatte, konnte er später z.B. ruhig schlafen auch in der Nacht vor seiner von Herodes geplanten Hinrichtung.
Damit hat Jesus dafür gesorgt, dass seine Gemeinde von ihrer Wurzel her nur auf die Kraft Gottes gegründet ist. Wer sich noch im Unklaren war darüber, woher die eigentliche Kraft Jesu kommt, der musste jetzt verstehen, dass Jesus aus der Kraft Gottes lebte. Und wer das nicht verstand, der verlor in diesen dunklen Tagen den Kontakt zu Jesus und seinen Jüngern. Nicht seelische Entschlossenheit, keine ehrwürdigen Traditionen, nicht Betriebsamkeit standen am Anfang der Kirche, sondern die Entdeckung der Kraft Gottes. Diese Quelle konnten seine Feinde, konnte Satan nicht verstopfen. Deswegen hat dann die Gemeinde die Befreiungsarbeit fortgesetzt, die Jesus begonnen hat.
Und das heißt für uns: auf die verborgene Kraft Gottes ist unser Glauben gegründet. Sie wird aus unserem Geist heraus immer wieder Vorstöße in die Seele unternehmen, und das wird Glück und Freude sein, Erleben und Erfüllung. Wir sollen unseren Geist für diese Kraft öffnen, damit sie uns und alles um uns herum vom Bösen frei machen kann.