Gott, geh weg!
Predigt im Besonderen Gottesdienst am 28. September 2003 zu Lukas 19,1-10
Am Anfang des Gottesdienstes war eine Szene zu sehen gewesen, in der ein Paar sogenannte »Gott-geh-weg« Pillen nahm, um die Stimme Gottes aus seinem Leben zu verbannen.
1 Jesus ging nach Jericho hinein und zog durch die Stadt. 2 In Jericho lebte ein Mann namens Zachäus. Er war der oberste Zolleinnehmer in der Stadt und war sehr reich. 3 Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei. Aber er war klein, und die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. 4 So lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können; denn dort mußte er vorbeikommen.
5 Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und redete ihn an: »Zachäus, komm schnell herunter, ich muß heute dein Gast sein!« 6 Zachäus stieg schnell vom Baum und nahm Jesus voller Freude bei sich auf.
7 Alle sahen es und murrten; sie sagten: »Bei einem ausgemachten Sünder ist er eingekehrt!« 8 Aber Zachäus wandte sich an den Herrn und sagte zu ihm: »Herr, ich verspreche dir, ich werde die Hälfte meines Besitzes den Armen geben. Und wenn ich jemand zuviel abgenommen habe, will ich es ihm vierfach zurückgeben.«
9 Darauf sagte Jesus zu ihm: »Heute ist dir und deiner ganzen Hausgemeinschaft die Rettung zuteil geworden! Auch du bist ja ein Sohn Abrahams. 10 Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.«
Es gibt zwei Gründe, weshalb Menschen sich unempfindlich machen gegen die Stimme Gottes: Entweder weil sie ihn nicht wirklich kennen (und ein so schiefes Bild von ihm haben, dass man es gut verstehen kann, wenn sie diesen Gott auf Distanz halten wollen), oder aber gerade weil sie ihn kennen (und sich deshalb davor fürchten, dass er sich in ihr Leben einmischen könnte).
Die erste Möglichkeit: Menschen haben ein falsches Bild von Gott. Sie stellen ihn sich vor als einen kleinlichen Tyrannen, der sie keinen Augenblick in Ruhe lässt, der ihnen immer wieder den Spaß verderben möchte, der ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen versucht, der ihnen Vorschriften macht, die sie nicht einsehen.
Wie kommen Menschen dazu, so über Gott zu denken? Sie sind fast immer Menschen begegnet, die behaupteten, im Namen Gottes zu sprechen, und die so waren. Ist Ihnen das klar, wie schwer es normalerweise für Menschen ist, zu unterscheiden zwischen Gott und denen, die in seinem Namen kommen?
Es ist schon lange her, da habe ich mit ein paar anderen zusammen Leute besucht, um mit ihnen über Gott zu sprechen. Es war nicht hier in Ilsede. Und wir kamen zu einem Ehepaar, das beruflich lange Zeit in Indien gewesen war. Der Mann war katholisch, die Frau evangelisch, es kann auch andersherum gewesen sein. Und als sie geheiratet hatten, da hatten sie evangelisch geheiratet. Und dort in Indien, in der kleinen Gemeinschaft der Ausländer dort, da gab es eine katholische Gemeinde, und der Priester war bekannt dafür, dass er die nicht katholisch getrauten Paare aufsuchte und sie überreden wollte, dass sie das doch noch richtig, also katholisch, nachholen. Und so kam er auch zu diesem Ehepaar und sie fühlten sich von ihm sehr unangenehm unter Druck gesetzt. Und als wir dann viel später mit den beiden redeten, da war für sie diese ganze Episode sofort wieder präsent. Und wir bekamen diesen ganzen Ärger ab, dass sich da jemand massiv in ihre Privatsphäre eingemischt hatte – obwohl wir ja evangelisch waren!
Wir haben dann natürlich gesagt, dass es uns nicht darum geht, ob jemand katholisch oder evangelisch ist, sondern dass es darauf ankommt, dass jemand Christ ist. Aber wir haben das an dem Abend ungefähr anderthalb Stunden lang immer und immer wieder sagen müssen, bis sie uns das geglaubt haben. Und als wir damit durch waren, da war der Schutt weggeräumt, der bei diesem Ehepaar bis dahin den Zugang zu Gott versperrt hatte, und erst dann wurden sie frei, den echten und wirklichen Gott überhaupt wahrzunehmen. Bis dahin war bei jedem Gedanken an Gott sofort die Erinnerung an dies Erlebnis in Indien aufgetaucht und hatte ihr Weiterdenken blockiert. Diese Erinnerung hatte ihnen den Weg zu Gott versperrt. Aber jetzt war die Blockade nicht mehr da. Und das war eine ganz große Befreiung für die beiden, und sie waren am Ende richtig fröhlich. Sie wohnten an einer vierspurigen Schnellstraße, und unser Auto parkte auf der anderen Straßenseite, aber sie haben uns über alle vier Spuren und über den Mittelstreifen hinüber bis zum Auto begleitet, weil ihnen das so gut getan hatte.
Menschen bilden sich ihre Meinung über Gott anhand der Menschen, die ihnen im Namen Gottes begegnen. Wir würden es gern anders haben, aber es ist so. Wir haben eine große Verantwortung, gerade wenn wir als Christen erkennbar sind, dass wir bei anderen nicht ein schiefes Bild von Gott erzeugen.
Auch die ganze Geschichte, die ein Volk mit der Kirche gemacht hat, die prägt das Bild von Gott. Man kann sich gut erklären, weshalb Menschen im Zusammenhang mit Religion immer zuerst an Gebote und Verbote denken, weshalb Menschen immer wieder erklären, dass ihnen niemand etwas vorzuschreiben hat und dass sie sich da ihre eigenen Gedanken machen wollen. Da wirkt einfach die Geschichte nach, auch in einer Zeit, in der die Kirche längst keine Staatskirche mehr ist, die den Menschen Vorschriften machen könnte. Aber diese lange Geschichte, in der die Kirche das Monopol auf Religiosität und Moral hatte und auf die Menschen aufgepasst hat, diese Geschichte hat das Bild von Gott beschädigt, das spürt man bis heute.
Der Robert in der Szene vorhin, bei dem könnte man denken, dass er ohne groß darüber nachzudenken mit so einem Gottesbild lebt.
Und wenn Gott wirklich so wäre, dann könnte man zu ihm tatsächlich nur sagen: Gott, geh weg, lass mich mein Leben führen, wie ich es will und misch dich nicht länger ein. Und so haben es viele Menschen auch gemacht und die Hoffnung auf einen guten Gott tief in sich verborgen, damit niemand sie zu etwas zwingen kann oder sie deswegen verspotten könnte. Und es ist kein Wunder, dass so ein verborgener Glaube keine Kraft entfalten kann.
Der Zachäus, von dem wir vorhin gehört haben, der war so einer, der nur Menschen begegnet ist, die ihn verurteilt haben, und es waren fromme Menschen, und deshalb dachte er: so ist auch Gott. Und erst, als er von Jesus hörte, da keimte in ihm die Hoffnung, dass Gott doch ganz anders sein könnte, und als sich das bestätigte, da kam der große Wandel in sein Leben und er wurde wieder ein Mensch, der aufrecht durch die Welt gehen konnte. So kann ein verzerrtes Gottesbild Menschen von wahren Leben abhalten.
Aber: es ist längst an der Zeit, dass wir loskommen von diesen unfruchtbaren Diskussionen um so ein unterdrückerisches Gottesbild. Die Welt ist heute so verfahren und so bedroht, wir brauchen den echten Gott, den Befreier, und wir können es uns nicht leisten, unsere Energie auf die falschen Bilder von gestern zu konzentrieren. Da, wo sie noch lebendig sind, muss man natürlich etwas gegen sie sagen, aber dieses ganze Befreiungspathos, diese Betonung des Selberdenkens und der Unabhängigkeit in Bezug auf Gott, das hat jetzt irgendwie auch seine Zeit gehabt. Es wird den Problemen von heute nicht mehr gerecht.
Also, wenn dein Bild von Gott von dieser Abwehr gegen einen unterdrückerischen Gott geprägt ist, dann ist es Zeit, das stehen zu lassen, nicht mehr gegen so einen Pappkameraden anzurennen, sondern den echten Gott zu suchen, den Gott Jesu, der ja auch schon im Konflikt mit den religiösen Institutionen gestanden hat. Es ist Zeit, sich nicht mehr in diesem falschen Gottesbild zu verbeißen. Es ist Zeit, den wahren Gott zu suchen.
Die zweite Möglichkeit: Es gibt aber auch Menschen, die Gott lieber ausweichen, weil sie ihn kennen. Die Ines vorhin in dem Stück, die scheint da dazugehört zu haben. Die spürte etwas davon, dass Gott einen Neuanfang bei uns will, und sie war einerseits davon fasziniert und es hat sie andererseits beunruhigt. Denn es ist ja wirklich so, dass Gott in unser Leben kommen und es verändern will. Und wer würde sich das nicht wünschen, dass das Leben heil und rund und ganz wird und sich gut anfühlt? Das man sich wohlfühlt in seiner Haut? Das hat gar nicht so viel damit zu tun, ob man besonders reich ist, es wird noch nicht einmal durch körperliche Gesundheit oder Krankheit entscheidend beeinflusst. Nein, das hat was zu tun mit dem inneren Zustand unseres Herzens und damit, ob wir aus diesem Zentrum heraus leben.
Und die Jünger Jesu etwa konnten es von Anfang kaum fassen, was für ein Glück ihnen geschah, dass sie bei ihm sein konnten. Aber dann kam der Tag, an dem er ihnen auch etwas anderes sagte: »Wer mir nachfolgen will, der … nehme sein Kreuz auf sich.« Was bedeutet denn Kreuz? Es ist ja nicht so, dass alle Nachfolger Jesu zu Märtyrern wurden, auch damals nicht. Kreuz bedeutet Konflikt. Zwischen einem Gekreuzigten und denen, die ihm diesen Tod zufügen, herrscht der stärkste Konflikt, den man sich unter Menschen vorstellen kann. Jesus hat seine Jünger in einen Konflikt hineingestellt.
Er hat ihnen das erst gesagt, als sie ihn schon eine Zeit lang kannten und er hoffen konnte, dass sie das verkraften würden. Ich hoffe, dass Sie alle das heute verkraften können, wenn ich sage, dass es nicht friedlich und harmlos bleibt, wenn Gott uns ruft und beruft. Wir werden in einen Konflikt hineingestellt zwischen dem alten und dem neuen Leben, und der spielt sich zuerst in uns selbst ab.
Wisst ihr, da sind so viele Denkmuster, die uns schon ein Leben lang begleiten. In unserem Gehirn gibt es breite Straßen, auf denen unsere Gedanken immer wieder gehen. Nervenzellen, die schon seit Jahren fest verbunden sind. Kann das anders programmiert werden? Ja, es geht. Auch im hohen Alter geht das noch, es ist dann allerdings schwerer. Unser Gehirn kann sich ein Leben lang neu organisieren. Aber das macht nicht unbedingt Spaß. Das ist nicht der einfache Weg. Der leichte Weg besteht darin, dass wir einfach so weitermachen, wie wir es kennen, und wir werden immer mehr so, wie wir schon immer waren. Wir behalten den Horizont, den wir schon immer hatten. Und wir werden uns immer weniger in der Wirklichkeit zurechtfinden, weil die sich ändert. Und wir werden erst recht nicht Jesus ähnlicher werden.
Aber Jesus will, dass wir umdenken und die Welt immer mehr aus Gottes Perspektive sehen. Das ist nicht immer angenehm, weil dann dieser Konflikt zwischen alt und neu auch in uns selbst lebt. Aber unser Gewinn dabei ist, dass wir lebendig bleiben: dass Gottes Leben in uns wachsen kann.
Und natürlich ist das auch ein Konflikt mit unserer Umwelt, denn die Menschen, die uns kennen, die sagen dann: was ist mit dir? Warum soll denn jetzt alles Mögliche anders sein? Es war doch bisher ok so. So hatten wir das nicht vereinbart! Und wir versuchen dann zweigleisig zu fahren und ihnen auch gerecht zu werden, und es zerreißt uns und kostet uns unheimlich viel Kraft.
Und in so einer Lage hätten wir dann manchmal gerne die »Gott-geh-weg«-Pillen, weil wir denken: es wäre so viel einfacher, wenn Er uns nicht auch immer noch alles durcheinander bringen würde. Noch ein Anspruch mehr zu all den vielen Ansprüchen, die Menschen auf uns erheben! Aber in Wirklichkeit will er uns ja gerade frei davon machen, immer die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen. Er will uns zeigen, was wirklich wichtig ist, und was auch liegen bleiben kann. Und wie unser Leben einfach und klar werden kann. Aber das bringt uns in einen Konflikt mit anderen, die ihre Erwartungen an uns haben, und den hätten wir gerne vermieden. Deshalb wären wir diese Stimme manchmal gerne los.
Und unsere »Gott-geh-weg«-Pillen, ich glaube, dass die heute vor allem in Geschäftigkeit bestehen. Wir sind so beschäftigt, dass Gott gar nicht mehr dazwischen kommt. Die Welt ist so mit Geschäftigkeit und Lärm angefüllt, dass kaum einer noch die Chance hat, zur Ruhe zu kommen. Soviel Unruhe, die uns alle tieferen Gedanken raubt. Es muss beinahe immer erst im Gebälk krachen, bis wir darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist für unser Leben. So viele angeblich wichtige Dinge drängen sich in den Vordergrund, und wenn sie gewesen sind, sind sie schon wieder halb vergessen.
Aber Gott geht nicht abzuschalten. Wir sind viel zu sehr auf ihn hin eingerichtet. Es gibt so viele Einfallstore für seinen Ruf. Und es ist im Grunde auch so verlockend, dass wir zu einem neuen Leben berufen sind.
Es gibt so viele Menschen, die das nicht glauben können, dass es ein wirklich neues Leben gibt. Die sich nicht vorstellen können, dass es auch ganz anders sein kann.
Aber es ist besser, von sich aus und freiwillig auf diesen Ruf zu reagieren, als gezwungenermaßen die Schmerzen dieser alten Welt zu ertragen, die uns ja doch nicht erspart bleiben werden. Glaubt denn einer, man käme problemloser durchs Leben, wenn man sich von Gottes Zumutungen fernhält? Lieber mutig ins Neue investieren als mit aller Energie das Alte und Vergehende am Leben zu erhalten. Denn das hat Gottes Verheißung, und er hat dieses Versprechen 1000mal, millionenmal gehalten.