Gott knackt auch Panzer
Predigt am 31. Dezember 2008 zu Lukas 18,18-27
Die Jahreslosung für 2009 (Lukas 18,27) ist Teil, ja der Höhepunkt und das Schlusswort zu einer längeren Geschichte, und die geht so:
Lukas 18,18 Ein angesehener Mann fragte Jesus: »Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?« – 19 »Warum nennst du mich gut?«, entgegnete Jesus. »Gut ist nur Gott, sonst niemand. 20 Du kennst doch die Gebote: ›Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst keinen Mord begehen, du sollst nicht stehlen, du sollst keine falschen Aussagen machen, ehre deinen Vater und deine Mutter!‹« 21 Der Mann erwiderte: »Alle diese Gebote habe ich von meiner Jugend an befolgt.« 22 Da sagte Jesus zu ihm: »Eines fehlt dir noch: Verkaufe alles, was du hast, und verteile den Erlös an die Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Und dann komm und folge mir nach!« 23 Der Mann wurde sehr traurig, als er das hörte, denn er hatte ein großes Vermögen. 24 Als Jesus ihn so traurig sah, sagte er: »Wie schwer ist es doch für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! 25 Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt.« 26 Da fragten die Zuhörer: »Wer kann dann überhaupt gerettet werden?« 27 Jesus antwortete: »Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist für Gott möglich.«
Es geht in dieser Geschichte darum, dass ein Mensch den Panzer verliert, der ihn von Gott trennt und dann ein wirklich neuer Mensch werden kann. Der Mann kommt und fragt Jesus nach dem ewigen Leben: was muss ich dafür tun? Und jeder, der mit Menschen zu tun hat, weiß: wenn Jesus jetzt eine einfache Antwort gegeben hätte, dann hätte der andere sofort ein »Aber« gehabt. Also, wenn Jesus geantwortet hätte: verschenk deinen Besitz, und du kriegst das ewige Leben, dann hätte der Mann vielleicht geantwortet: ja, aber wer kauft denn mitten in der Wirtschaftskrise meinen Betrieb? Da hängen hundert Arbeitsplätze dran, wenn ich die Firma aufgebe, sitzen die alle auf der Straße! Ich würde ja gern, aber. Aber es geht nicht. Aber das kannst du doch nicht von mir verlangen. Aber die andern müssen das doch auch nicht. Und so weiter.
Und ich bewundere, wie Jesus dieser Diskussion einen Riegel vorschiebt, indem er nicht der Versuchung erliegt, eine Antwort zu geben, sondern einfach zurückfragt: wieso willst du das von mir hören? Gott ist gut, und ich werde dir auch nichts anderes sagen als Gott, nämlich: halte die Gebote!
Und man hört oft, es sei sehr schwierig, die Gebote zu halten, aber eigentlich, finde ich, ist das nicht schwer. Nicht die Ehe brechen kostet vielleicht manchmal etwas Zähnezusammenbeißen, aber es gibt einen Haufen Leute, die das schaffen. Gemordet haben wahrscheinlich die wenigsten von uns. Beim Stehlen fallen vielleicht manchem gemopste Kosmetika oder Süßigkeiten aus Jugendtagen ein, aber so ganz häufig stehlen Menschen eigentlich nicht. Keine falschen Aussagen vor Gericht machen – da man nur sehr selten in die Situation kommt, ist das eigentlich auch nicht so schwer. Die Eltern zu ehren kann natürlich auch ziemlich Nerven kosten, aber jedenfalls in der damaligen Zeit wurde man früh daran gewöhnt, und wenn man den Aussagen älterer Menschen glauben kann, war es in ihrer Jugend immer selbstverständlich, alte Menschen zu ehren.
Verstehen Sie mich recht, ich behaupte nicht, dass diese Gebote nicht übertreten werden, aber es ist jedenfalls keine unlösbare Aufgabe, sie zu beachten. Wer in einer Familie aufwächst, in der man sich an diese Gebote hält, und wer auch später in einigermaßen gesicherten Verhältnissen lebt, der hat eine ganz gute Chance, dass er irgendwann mal wie dieser Mann sagen kann: das alles habe ich beachtet von meiner Jugend an! Jesus verlangt hier nichts Unmögliches.
Aber mit seinem Hinweis auf die Gebote macht Jesus plötzlich seinen Gesprächspartner und seine Motive zum Thema. Warum fragt der eigentlich nach dem ewigen Leben, wenn bei ihm doch alles prima läuft? Er erwartet anscheinend etwas anderes als einen Hinweis auf Gebote, denn die sind für ihn ja kein Problem. Und als das deutlich ist, dass die Schulbuchantwort mit den Geboten das Problem nicht löst, erst da legt Jesus nach: gut, du fragst völlig zu Recht nach etwas Anderem als nach einem gutbürgerliches Leben im Rahmen der Gebote. Du hast bei mir etwas gesehen, was die Zehn Gebote nicht geben können. Wenn du das haben willst, dann schließ dich mir an, werde mein Jünger. Aber dazu musst du dich ganz auf mich einlassen, und dafür gib deinen Reichtum auf, lass ihn hinter dir.
Jetzt geht es um das, was der Mann wirklich wollte, aber wahrscheinlich denkt er: o, so radikal wollte ich es nun doch nicht haben! Und er schafft es nicht, diesen Schritt zu tun und geht traurig davon, bedrückt, wie ein Mensch, der eine große Chance hatte und sich nicht getraut hat, sie zu ergreifen. Wenn wir vor einer großen Chance zurückschrecken und uns für das Gewohnte und Sichere entscheiden, dann hinterlässt das Traurigkeit, vielleicht Depression.
Und Jesus sieht es und sagt: wie schwer ist es für Leute, die viel haben, ins Reich Gottes zu kommen! Und die Zuhörer scheinen zu ahnen, dass das nicht nur für die Superreichen gilt, und sie sagen: wer kann dann überhaupt gerettet werden? In dieser Situation formuliert Jesus die Jahreslosung für 2009: »Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.« Und das heißt konkret: um durch die harte Schale zu kommen, die Menschen um sich herum aufbauen, braucht es ein Wunder Gottes. Aber solche Wunder passieren zum Glück.
Ich möchte es noch einmal bildhaft beschreiben: In unserem Inneren ist unser Herz, das Zentrum unserer Person. Um dieses Zentrum geht es. In diesem Zentrum sind wir eigentlich und ursprünglich mit Gott verbunden, da wohnt Gott in uns und von ihm her leben wir. Man kann sich auch daran erinnern, dass Gott uns den Atem des Lebens gab, als er uns schuf, seinen Atem. Sein Leben macht uns lebendig.
Aber dann wandten sich Menschen von Gott ab, und diese Verbindung mit Gott brach ab. Und wo Gott nicht ist, da herrschen Dunkel, Chaos, Schmerz und Tod. In das Vakuum, das entsteht, wenn Gottes Leben fehlt, da schlich sich der Tod ein. Jeder von uns trägt seine Spuren. Beim einen sind sie offensichtlicher als beim anderen, aber wir alle sind gezeichnet von Enttäuschung, Verletzung, Krankheit, Einsamkeit, Angst, Misstrauen, Neid, Verfall und vielem anderen. Schon ganz früh, wenn wir unsere ersten Enttäuschungen erleben, wenn unser Bauch weh tut und keiner uns hilft und wir den Schmerzen ausgeliefert sind, wenn Mama weg ist und nicht kommt, obwohl wir aus Leibeskräften schreien, da breitet sich der Schmerz in unserem Herzen aus. Keinem Kind können die Eltern diese Schmerzen der frühen Jahre ersparen. Manche Eltern machen es allerdings ihren Kindern schwerer und nicht leichter. Aber keiner bleibt gesund in dieser kranken Welt. Und Jahr für Jahr kommt mehr an Verletzungen und Schmerz dazu. Wir werden abgelehnt, wir empfinden uns als minderwertig, wir glauben, dass keiner an unserer Seite steht. In unseren Herzen herrscht Finsternis.
Eigentlich wäre die Lösung einfach: wenn wir uns Gott zuwenden und ihn an diese Finsternis heranlassen, dann heilen unsere Wunden, dann wird es hell in unserem Herzen und dann werden wir gesund, leistungsfähig und Freude breitet sich aus. Dazu ist Jesus ja zu uns gekommen, damit Gott uns nahe kommt und uns heilen kann. Und das spürten die Menschen, und sie kamen zu Jesus, und sie wurden gesund, manche körperlich, manche auch umfassender.
Es gibt nur ein Problem: wir haben diesen ganzen Bereich des Herzens mit einem dicken Panzer umgeben. Keiner von uns mag all die Schmerzen und Enttäuschungen anschauen, die er erlebt hat. Wir haben große Angst davor. Und deshalb haben wir all das Dunkle abgeschirmt, wir haben es eingesperrt, wir schützen uns davor, weil wir Angst haben vor den Schmerzen, die dort auf uns lauern.
Wir kennen so etwas besonders von Menschen, die durch eine schreckliche Situation traumatisiert sind, die vielleicht im Krieg schreckliche Dinge erlebt haben, Angst, Gewalt, Ohnmacht, und die da nie drüber reden, die das alles anscheinend vergessen haben, aber wenn sie alt werden und nicht mehr die Kraft haben, es wegzudrücken, dann meldet es sich wieder, und man merkt: das war die ganze Zeit da.
Aber daran wird nur etwas deutlich, was wir auf irgendeine Weise alle tun: wir bauen eine Schutzmauer um unser Unglück, wir mauern das Dunkle ein. Man kann das auf ganz verschiedene Weise tun, aber im Ergebnis bedeutet es immer: wir schotten uns vom Schmerz ab, und so vermeiden wir auch den Ort, an dem Gott uns begegnen und heilen will. Wir schützen uns nicht nur vor unseren Schmerzen, sondern auch vor der Heilung. Und je mehr Kraft wir brauchen, um diese Abwehr aufrecht zu erhalten, um so weniger Kraft haben wir zum Leben. Unsere Lebenskräfte, die dunklen und die hellen, kämpfen gegeneinander und legen uns so lahm.
Das eigentliche Problem ist also nicht das Dunkel in unserem Herzen, sondern dieser Panzer. Das Dunkel kann Jesus heilen, aber wenn wir ihn da nicht heran lassen, wird es nicht geheilt. Nur wenn wir den Panzer aufmachen, dann können wir dahinter gesund werden. Aber damit setzen wir uns auch all dem aus, was wir dahinter versteckt haben, und das bedeutet Schmerz, es bedeutet Enttäuschung über uns selbst, es heißt, dass wir uns als verletzt und hilfsbedürftig erleben, und vor all dem haben wir begreifliche Angst.
Wenn wir nun zurückkommen zu dem reichen Mann, mit dem Jesus sprach, dann verstehen wir: Sein Schutzpanzer war sein Reichtum. Besitz gibt Sicherheit, er hilft uns gegen viele Schmerzen, und sei es nur, dass wir uns dann den besten Arzt und die teuersten Medikamente leisten können. Besitz gibt uns die Hoffnung, dass wir nicht irgendwann elend am Straßenrand sitzen und auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Eigentlich wissen wir, dass man Geld und Sicherheit auch schnell verlieren kann, aber diese Sicherheit ist trotzdem sehr beruhigend. Unsere ganze westliche Zivilisation dient uns als so eine trügerische Sicherheit.
Ganz viele Dinge können zum Schutzpanzer werden: das ich gesund und leistungsfähig bin, dass ich Rückhalt in meiner Familie habe, dass ich einen Partner habe, der zu mir steht – all das benutzen Menschen immer wieder als Gegengewicht gegen die Furcht vor Schmerzen und Enttäuschung.
So ziemlich alles kann dazu dienen, mir unangenehme Erlebnisse zu ersparen: wer lügt, der will sich vor den Folgen einer unangenehmen Wahrheit schützen; oder man kann einfach Tabus aufrichten, und jeder weiß: dem darfst du nicht sagen, dass er Mundgeruch hat oder zu viel redet oder seine Kinder schlecht erzieht, sonst machst du dir einen Haufen Ärger. Noch andere bauen um sich herum das Image eines erfolgreichen Supermanns auf, und am Ende glauben sie selbst, dass sie so sind. Und wieder andere machen sich zum ewigen Looser und richten sich damit ein. Manche futtern sich ein dickes Polster an, um sich zu polstern gegen die Gefahren der Welt. Eigentlich gehen alle großen und kleinen Probleme auf der Welt irgendwie darauf zurück, dass wir uns um jeden Preis vor Schmerzen bewahren wollen.
Aber was sagt Jesu dazu? Jesus lädt ein: gib deinen Panzer auf, mach dich schutzlos und verletzlich, und dann komm mit mir. Du brauchst diesen Schutz nicht mehr, du hast ja mich. Kämpf nicht gegen deine Schmerzen an, sondern lass Gott an sie heran, lass mich sie heilen. Versteck dich nicht länger, sondern lass Gottes Licht dein Herz hell machen. Komm mit mir und werde zu einem Menschen des neuen Lebens. Ja, das wird auch weh tun, jede Wunde schmerzt, wenn sie gereinigt wird, aber ich bin bei dir und ich bringe dich da durch. Ich weiß was Schmerzen sind, ich habe sie selbst erlitten, und ich werde dir nicht mehr zumuten, als du ertragen kannst. Deshalb such dein Heil nicht anderswo, nicht in deinem Reichtum, nicht in deiner Tüchtigkeit, nicht in deiner Unfähigkeit, noch nicht mal in deiner Krankheit, sondern lass dich von mir heilen.
Aber der Arzt muss an die Wunde ran. Anders geht es nicht. Der Ort des größten Schmerzes ist auch der Ort, wo die Heilung geschieht. Wir kennen das vom Zahnarzt. Und wir sind auch in Bezug auf Jesus wie Leute, die aus Angst vor Zahnschmerzen den Besuch beim Zahnarzt immer weiter hinausschieben. Und währenddessen fault es immer weiter und vergiftet unseren ganzen Körper.
Wenn aber der Panzer aufgeht und Gott zu uns kommt, dann werden wir gesund. Dann kämpfen unsere Kräfte nicht mehr gegeneinander. Dann sind wir ganz mit Gott im Bunde und können alles. Dann gibt es für alles eine Lösung, und nichts mehr ist ein Problem, vor dem man Angst haben müsste. Das wirkliche Problem ist der Panzer. Gerade das, was uns als Schutz und Hilfe erscheint, ist das wirkliche Problem. Das ist das Gemeine.
Und an der Stelle fragen die Zuhörer Jesu: wie kann das gehen, dass einer den Panzer los wird, an den er sich sein Leben lang gewöhnt hat? Wie kann einer rauskommen aus den unheilvollen Denkmustern, die sich über Jahrzehnte eingeschliffen haben? Wie kriegt man es hin, nicht mehr zu den kurzfristigen Tröstern zu greifen, die langfristig alles schlimmer machen? Wie schafft es unsere Zivilisation, von ihrer Wohlstandssucht herunterzukommen, die langfristig die ganze Welt ins Elend stürzen wird? Wie kann einer von der Lebenslüge freikommen, die ihn hart und einsam macht? Wie kann einer von seinem frommen Trip runterkommen, der ihn weit weg bringt von Gott?
Und Jesus sagt nur: Gegen alle Wahrscheinlichkeit passiert das. Eigentlich sind das Verderbenskreisläufe, aus denen Menschen nicht mehr herausfinden, und sie laufen in ihren Untergang und in ihren Tod. Aber Gott kann sie herausholen. Gott kann sie befreien. Dazu bin ich gekommen. Und selbst die Traurigkeit dieses reichen Mannes ist noch ein Zeichen, dass Gott an ihm arbeitet. Und auch für euch gibt es Hoffnung. Niemand soll sich für einen hoffnungslosen Fall halten. Wenn du aus deinem verletzten Herzen zu Gott um Hilfe rufst, kommt er dir entgegen. Er ist schon längst auf dem Weg zu dir. Es sind schon hoffnungslosere Fälle als du gerettet worden.
Am schlimmsten dran sind gar nicht die armen Schweine, die nichts haben, diejenigen, die Schmerzen deutlich spüren. Am schwierigsten ist es mit denen, die sich ganz komfortabel eingerichtet haben in ihrem Bunker. Aber selbst für die gibt es Hoffnung, nur muss Gott da manchmal erst den Bunker knacken, und das ist nicht schön. Aber egal, ob du dich als leichten oder schweren Fall einschätzt: bitte Gott um Hilfe, denn er kann die unmöglichen Dinge. Mach ihm die Tür auf oder bitte ihn wenigstens darum, dass er die Riegel für dich zurückschiebt, bitte ihn darum, dir deinen Panzer zu nehmen, bitte ihn darum, einen Weg durch dein Schutzschild zu öffnen, damit Jesus kommen kann und das Dunkle und Zerstörte heilt. Du bist kein hoffnungsloser Fall. Du hast dein ganzes Leben zu gewinnen.