Gedacht – gesagt – getan: Von der Idee zur Wirklichkeit
Predigt im Besonderen Gottesdienst am 8. Dezember 2002 mit Lukas 15,11-24 und Jesaja 55,10f
13 Nach ein paar Tagen machte der jüngere Sohn seinen ganzen Anteil zu Geld und zog weit weg in die Fremde. Dort lebte er in Saus und Braus und verjubelte alles. 14 Als er nichts mehr hatte, brach in jenem Land eine große Hungersnot aus; da ging es ihm schlecht. 15 Er hängte sich an einen Bürger des Landes, der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. 16 Er war so hungrig, dass er auch mit dem Schweinefutter zufrieden gewesen wäre; aber er bekam nichts davon.
17 Endlich ging er in sich und sagte: ‚Mein Vater hat so viele Arbeiter, die bekommen alle mehr, als sie essen können, und ich komme hier um vor Hunger. 18 Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden; 19 ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Nimm mich als einen deiner Arbeiter in Dienst!‘
20 So machte er sich auf den Weg zu seinem Vater. Er war noch ein gutes Stück vom Haus entfernt, da sah ihn schon sein Vater kommen, und das Mitleid ergriff ihn. Er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und überhäufte ihn mit Küssen. 21 ‚Vater‘, sagte der Sohn, ‚ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein!‘
22 Aber der Vater rief seinen Dienern zu: ‚Schnell, holt das beste Kleid für ihn, steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt ihm Schuhe! 23 Holt das Mastkalb und schlachtet es! Wir wollen ein Fest feiern und uns freuen! 24 Denn mein Sohn hier war tot, jetzt lebt er wieder. Er war verloren, jetzt ist er wiedergefunden.‘ Und sie begannen zu feiern.
Ich möchte mit Ihnen heute zuerst das Bild (links) von der Ankündigung dieses Gottesdienstes anschauen. Die Geschichte dazu haben wir vorhin gehört, und die meisten von uns kennen sie: die Geschichte vom Verlorenen Sohn. Ein junger Mann, der zu seinem Vater sagt: Papa, rück die Kohle raus, du kannst sowieso nichts Tolles damit anfangen, aber ich – ich habe Verwendung dafür. Gib mir einfach mein Erbteil schon jetzt, ich weiß, was man mit so viel Geld macht.
Und es kommt, wie es kommen muss: am Ende hat er alles Geld ausgegeben und landet bei den Schweinen und hat noch nicht mal satt zu essen.
Und als er da ganz unten angekommen ist, da kommt der Wendepunkt. Genau diesen Moment zeigt das Bild. Unten sitzt der Sohn noch bei den Schweinen, mitten im Dreck, aber da drüber da schwebt er schon raus aus dem Sumpf. Und was zieht ihn nach oben? Das Bild seines Vaters, das Bild seiner Heimat, und er kann zum ersten Mal sehen, mit wieviel Liebe und Wärme diese Heimat erfüllt ist. Und als dieses Bild in seinem Herzen Gestalt annimmt, da holt es ihn zurück aus dem Sumpf und gibt ihm die Kraft zum Weg nach Hause.
Jesus erzählt das nicht als eine Geschichte über Kindererziehung, sondern er erzählt es als ein Bild dafür, wie Gott Menschen zurückholt zu sich. Wie macht er das? Er lässt in Menschen das Bild von der verlorenen Heimat wachsen. Es hätte nichts genützt, wenn irgendjemand gekommen wäre und dem Sohn gesagt hätte: geh zu deinem Vater zurück! Da hätte er tausend Gründe gehabt, weshalb das keinen Zweck hat. Aber dieses Bild von der Liebe seines Vaters, das hat sich in sein Herz eingeschlichen und dieses Bild hat sein Herz gewonnen. Und dann konnte er den Weg des Lebens beschreiten.
Menschliche Herzen funktionieren nach anderen Regeln als Dinge. Man kann ihnen nicht befehlen, man kann sie nicht einplanen, man kann noch nicht mal seinem eigenen Herzen vorschreiben, was es fühlen und wollen soll. Menschliche Herzen reagieren auf Bilder, auf Musik, auf den Klang eines Wortes, auf Ängste und Hoffnungen, auf den Gesamteindruck einer Person.
So lässt Gott in uns das Bild der verlorenen Heimat wachsen, die Erinnerung an unseren Ursprung bei ihm. Mit 1000 Bildern und Erlebnissen, in Freude und Schmerz, in Liebe und Schönheit, immer wieder meldet er sich bei uns und stupst uns an und sagt: spürst du es nicht? Kennst du mich wirklich nicht? Weißt du nicht mehr, dass du dein Leben aus meiner Hand empfangen hast? Ich bin es, und ich möchte, dass zwischen uns eine wunderbare Freundschaft beginnt. Denk an den Vater, der vor Glück strahlt, als er den Sohn endlich lebendig wieder hat. So bin ich. Sieh dir Jesus an! So bin ich.
Verstehen Sie, wenn ein Mensch skeptisch gegenüber Gott ist und vielleicht sogar behauptet, es gäbe ihn nicht, dann ist es fast immer vergeblich, ihm mit Argumenten das Gegenteil beweisen zu wollen. Natürlich gibt es gute Argumente für Gott. Nur, mit Argumenten zwingt man kein Herz.
Aber Gott schleicht sich ein in unser Herz mit Bildern wie diesem freundlichen Vater, der strahlt, wenn sein Sohn endlich bekehrt ist von dem Irrweg, auf den er sich hat locken lassen. Und weil es in der Bibel keine Fotos oder Zeichnungen gibt, deshalb wird es dort mit Worten beschrieben, mit Geschichten und erzählten Bildern wie den Gleichnissen Jesu. Die Bibel ist eine Sammlung von Worten, die unser Herz bewegen können. Und wer Herzen bewegt, der bewegt die Welt. Das Herz ist die Eingangspforte, von der aus Gott in die Welt kommt. Und der Schlüssel zu dieser Pforte ist das Wort.
Können Sie sich das vorstellen? Ausgerechnet das Wort? Wir haben in der Szene am Anfang gesehen, wie kraftlos Worte sein können, wie leer und folgenlos. Aber es gibt offensichtlich verschiedene Arten von Worten. Es gibt leere Worte, und es gibt Worte voller Kraft. Worte, die die Welt bewegen. Und Gottes Wort gehört zur zweiten Sorte. Im Buch Jesaja (55,10f) heißt es:
10 [Denn] gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.
Gottes Wort hat die Macht, zu tun, wozu es bestimmt ist. Es pflanzt Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume in die Herzen ganz normaler Menschen. Und damit macht es sie zu anderen Menschen.
Erinnern Sie sich noch an die Szene am Anfang? Da wuchsen ja auch in den Herzen Visionen von einer Familie, die echt zusammenhält und ein intensives Familienleben entwickelt, wenigstens in der Adventszeit. Und einen Augenblick schienen sie die Familie wirklich zu bewegen. Aber am Ende verschwanden diese Visionen, weil sie es nicht schafften, die Herzen tatsächlich zu bewegen. Die Herzen hatten nicht die Kraft, alte Lebenskonzepte zu überwinden, und daran scheiterte die tolle Vision.
Denn nur Visionen und Wünsche zu haben reicht nicht. Es gibt eine feine Linie, die verläuft irgendwo zwischen »sich Gedanken machen« und »ernsthaft darüber nachdenken«. Es ist eine feine Linie, aber wenn die überschritten ist, wird aus einem einfachen Wort ein Entschluss, ein Wort voller Kraft, das die Welt bewegt.
Am 24. Juni 1859 stand ein Schweizer fassungslos vor einem italienischen Schlachtfeld mit Tausenden von Verwundeten und musste mit ansehen, wie sie der Reihe nach starben, weil niemand sich um sie kümmerte. Bisher hatten die Menschen das als unabänderlich hingenommen, aber in diesem Mann wuchs der Entschluss, dieses schreckliche Sterben zu verhindern. Es war Henri Dunant, der Begründer des Roten Kreuzes. Ursprünglich hatte er zu den Gründern des CVJM gehört, aber jetzt entschloss er sich, eine neutrale Organisation ins Leben zu rufen, die sich um die Kriegsverwundeten beider Seiten kümmert. Millionen Menschen verdanken ihm und seiner Vision ihr Leben.
Vor beinahe 40 Jahren, 1963, stand ein schwarzer amerikanischer Pastor vor einer großen Menschenmenge in der Hauptstadt Washington und malte das Bild einer Welt ohne Vorurteile, Hass oder Rassismus. Er beschrieb seinen Traum, dass eines Tages ein weißes und ein schwarzes Kind friedlich miteinander spielen könnten und dass seine vier Kinder eines Tages in einer Nation leben würden, in der sie nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern nur noch auf Grund ihres Charakters beurteilt würden. Es war Martin Luther King, der bald darauf ermordet wurde. Aber sein Traum lebt weiter und gibt bis heute Menschen Inspiration und Hoffnung.
Wenn wir von so etwas hören, dann rührt das manchmal etwas in uns an und wir spüren einen Moment, dass auch wir eine Berufung haben.
Vor knapp 2000 Jahren stand eine kleine Gruppe von Menschen auf einem Berg in der Nähe von Jerusalem. Eine ganze Reihe von ihnen zweifelten, ob es überhaupt sinnvoll gewesen war, hierher zu kommen. Aber sie hörten einem Mann zu, der ihnen vielleicht die erstaunlichste Vision schilderte, die Menschen bis dahin gehört hatten. Es war Jesus, der ihnen sinngemäß sagte: ihr werdet das, was ihr bei mir erlebt und gelernt habt, in der ganzen Welt verbreiten. Völker in den entlegensten Gebieten der Erde werden genauso davon hören wie die Menschen in den Hauptstädten. Ich habe Macht, die in dieser Welt nicht überwunden werden kann, und ich stehe jeden Tag bereit, wenn ihr mich ruft. Und es ist eingetroffen.
Aber das alles wäre nicht möglich gewesen ohne die Propheten Israels, die durch die Jahrhunderte die Hoffnung in den Menschen genährt hatten, dass da einer kommen würde, der in dieser Welt Gerechtigkeit und Frieden aufrichtet. Sie haben vom Sohn Davids gesprochen und vom zweiten Mose, vom Knecht Gottes und vom Friedenskönig. Immer wieder haben sie den Menschen bestätigt, dass Gott zu seinem Wort steht und es nicht vergessen hätte, auch wenn ein Jahrhundert nach dem anderen verging. Und als es schon so aussah, als ob Gott sein Volk vergessen hätte, da kam Jesus, und er passte genau zu dem, was angekündigt war, und er war doch noch einmal ganz anders.
Gott steht zu seinem Wort. Er macht keine leeren Worte.
Und nun kommt sein Wort zu uns. Es spricht von einem Ort, wo die wirklichen Bedürfnisse unseres Herzens endlich gestillt werden sollen, wo wir keinen schalen Ersatz bekommen, einem Ort, wo wir Gott begegnen, wo sein Wort wohnt, wo die Herzen aufatmen können, wo Menschen aus unterschiedlichen Kulturen als Schwestern und Brüder zusammenfinden. Eine Gemeinde, von der aus Jesus aufbricht in die entlegenen Winkel und Ecken der Erde zu all den verlorenen Söhnen und Töchtern, die auch das Wort hören sollen, damit sie das Bild des Vaters neu sehen können.
Auch das wieder ein Versprechen und die Zusage, dass Gottes Wort tun wird, wozu er es sendet. Über Jahrhunderte warteten die Menschen auf den Advent, auf die Ankunft dessen, der so lange angekündigt war. Diese Zeit ist vorüber. Jetzt geht es um den Advent, die Ankunft Jesu überall auf der Welt bei den Menschen, um deren Vertrauen Gott wirbt. Gott wirbt um unser Vertrauen, dass er nicht für irgendwelche andere da ist, sondern für uns, für dich und mich, und dass er bei uns einziehen wird, wenn wir ihm die Tür aufmachen und ihn von Herzen einladen.
So ist es bei Gott gedacht gewesen, so hat er es gesagt, und so tut er es. Gedacht, gesagt, getan. Er lässt es nicht bei kraftlosen Worten, sondern er hat in die Tat umgesetzt, was er angekündigt hat.
Und ich weiß nicht, wie man es richtig und angemessen sagen soll: wen Sie etwas gehört haben von Gottes Ruf zum Leben, wenn du heute angerührt worden bist:
Es ist so wichtig, dass das nicht verloren geht. Dass das nicht zu einem leeren Wort wird. Es ist so kostbar.
Wir müssen ihm vertrauen.
Es ist das Beste in uns.