Was braucht ein Mensch?
Besonderer Gottesdienst am 28. Februar 2016 mit Predigt zu Lukas 12,16-23
Wenn man Menschen fragt, was das Leben lebenswert macht, dann nennen sie vor allem Dinge wie Beziehungen, Familie, eine Arbeit, die ihnen gefällt – alles Dinge, die man nicht einfach kaufen kann. Ja, wer in Armut lebt und eigentlich nicht genug zum Leben hat, für den ist es wichtig, dass die materiellen Voraussetzungen besser werden. Aber von einer gewissen Einkommenshöhe an nimmt das Glück durch mehr Geld nicht mehr wesentlich zu. Wichtiger sind all die anderen Dinge: alle Arten von guten Beziehungen, ein gutes Verhältnis zu mir selbst, befriedigende Arbeit, Schönheit in jeder Form, Natur. Die Glücksforschung hat das immer wieder gefunden. Und eigentlich wissen wir das alle auch so.
Woher kommt der Krempel?
Weshalb um alles in der Welt füllen wir dann unser Leben mit so vielen Dingen an, die das Glück nicht wesentlich steigern? Warum bewegen wir uns in einer Welt, die mit Zeug angefüllt ist und so tut, als wäre es das wichtigste auf der Welt, das richtige Shampoo zu finden? Warum setzen wir so viel Energie für Dinge ein, von denen wir wissen, dass sie eigentlich nicht wichtig sind? Wird der gemütliche Sontagnachmittag mit dem guten Freund im Garten wirklich so viel gehaltvoller, wenn wir vorher zwischen unzähligen Kekssorten und Süßigkeiten aussuchen konnten? Wird das Erlebnis so viel besser, wenn wir unsere Umgebung mit einer Riesenmenge Zeug ausstatten, bis unsere Wohnungen so voll sind, dass wir uns darin kaum noch bewegen können?
Und da wartet schon das nächste Problem: wir produzieren einen endlosen Strom von Müll, der die Welt vermüllt und vergiftet. Und alles, obwohl die meisten von uns wahrscheinlich wissen, dass das kein Beitrag zum guten Leben ist, und dass daran unser Glück nicht hängt.
Gerümpelgespenst und einäugiger Teddy
Aber wissen wir es wirklich? Irgendwo in unserem Herzen hat sich das Gerümpelgespenst eingenistet. Es redet uns ein, dass die ganzen Dinge eben doch glücklich machen. Aber Dinge geben Dir keine Liebe, niemals. Nicht einmal der einäugige Teddybär, den du seit deinen Kindertagen aufhebst, liebt dich. Vermutlich hat die Person, die dir den Teddy gab, dich geliebt. Kannst du diese Person vor lauter Bär davor noch sehen? Wenn ja, brauchst du das Erinnerungsstück dazu nicht unbedingt. Zumindest nicht so viele davon.
Und wenn selbst der Teddy entbehrlich ist, was ist dann mit all den anderen Sachen? Wie viele Scheren hast du, wie viele Kugelschreiber, die schon längst nicht mehr schreiben, wie viele Shampoos, wie viele Schuhe, die schon seit über einem Jahr nicht mehr mit der Straße in Berührung gekommen sind? Die Reihe lässt sich endlos fortsetzen. Es heißt, dass der durchschnittliche Deutsche 10.000 oder 20.000 oder 30.000 Dinge besitzt. Ich habe nicht nachgezählt, aber es könnte stimmen.
Da hilft nur umschalten von Masse auf Qualität: eine richtig scharfe funktionierende Schere, nach der man aber nicht suchen muss, sieben Stifte, die genau so schreiben, wie sie sollen, und im Schrank nur Sachen, die man gern trägt. Leben ist Austausch von Energie, christlich reden wir von Segen, der fließen muss, und wenn wir in einem Stau voller Dinge stecken, dann haben wir genauso wenig Energie wie ein Porsche, der auf der Autobahn im Stau steht.
Die Teddy-Blockade
Kann es sein, dass wir diese Energie, den Segen, nicht mehr wahrnehmen, wenn wir all die vielen Dinge vor Augen haben? So wie wir vor lauter Teddybär vielleicht die Person gar nicht mehr sehen, die ihn uns geschenkt hat? All diese Dinge sollen uns helfen, besser am Strom des Lebens teilzunehmen, der durch die Welt fließt. Sie sollen uns Freude machen, uns beflügeln und nicht unser Leben blockieren.
Es ist deutlich: wir haben mit unserem Unterpunkt drei begonnen, der Frage: was ist zu viel? Aber vielleicht hängt das ja im Verborgenen mit den anderen Fragen zusammen. Vielleicht haben wir zu viel Zeugs, weil wir von anderem zu wenig haben?
16 Und Jesus sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.
22 Er sprach aber zu seinen Jüngern: Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen sollt. 23 Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung.
Der sogenannte »Reiche Kornbauer« ist ein Mann, der denkt, dass er für sein Leben ausgesorgt hat, der vor sich ein endloses gutes Leben sieht, und der von Gott mit der Frage konfrontiert wird, ob dieses gute Leben auch den Test des Todes bestehen wird. Wäre dein Leben auch dann ein gutes Leben, wenn es heute Nacht zu Ende gehen würde?
Brot allein ist zu wenig
Und Jesus schließt daran einen Kommentar für seine Jünger an: das Leben ist mehr als die Nahrung, der Leib ist mehr als die Kleidung. Wenn du dir das ganze Bild ansiehst, dann merkst du, dass die Güter dieser Welt nicht das Einzige sind, und auch nicht das Wichtigste. So ähnlich, nur noch etwas pointierter, hat Jesus schon dem Versucher geantwortet, als der ihm vorschlug, aus Steinen Brot zu machen: der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das Gott aus Gottes Mund kommt (Matthäus 4,4).
Beide Male sagt Jesus: es ist zu wenig, wenn du das gute Leben durch Brot erreichen willst – Brot steht hier für all die materiellen Güter, die wir zum Leben brauchen. Und nur Brot reicht nicht. Nur Brot ist zu wenig.
Wir sind jetzt also bei der ersten Frage in der Ankündigung dieses Gottesdienstes: was ist zu wenig? Und es geht dabei heute nicht um die Frage, wo die Armutsgrenze verläuft oder wieviel ein Mensch mindestens braucht, um überleben zu können. Sondern die Frage ist: warum ist das Leben mehr als die Nahrung, was braucht der Mensch mehr als nur Brot? Um es mit einem Schlagwort aus der Pflege zu sagen: warum reicht »satt und sauber« nicht?
Eine ganze Gesellschaft ohne Ahnung von der unsichtbaren Welt
Ich versuche es mal so zu formulieren: Nahrung ist wichtig, aber Leben ist etwas Größeres als nur Nahrung. Nahrung kann man kaufen und messen, sie ist berechenbar, sie gehört in den Bereich des Sichtbaren, aber Menschen gehören in zwei Welten hinein, in die sichtbare und in die unsichtbare Welt. Und wenn du nur mit dem Sichtbaren rechnest, lässt du einen entscheidenden Teil der Welt aus.
Die reichen Kornbauern dieser Welt haben schon immer gedacht, alles wäre in Ordnung, wenn das Sichtbare funktioniert: wenn die Scheunen voll sind, wenn das Konto stimmt. Aber sie haben trotzdem ein mehr oder weniger starkes Gefühl gehabt, dass irgend etwas fehlt, und sie haben versucht, dieses Loch irgendwie zu stopfen. Aber so lange einer versucht, mit sichtbaren Dingen das Defizit in der unsichtbaren Welt auszugleichen, so lange kämpft er gegen ein Fass ohne Boden an und erreicht das gute Leben nicht. So war es schon immer.
Neu ist in unserer Zeit, dass wir als ganze Gesellschaft so tun, als wäre die sichtbare Welt schon die ganze Welt. Vergleichsweise neu ist, dass wir als ganze Gesellschaft die reiche-Kornbauern-Perspektive eingenommen haben. In der Zeit, bevor die westliche Welt modern wurde, haben die Religionen auf die Frage nach der unsichtbaren Welt geantwortet. Sie haben es sehr unterschiedlich getan, sie waren sich uneinig darüber, wie die verborgene Seite der Welt beschaffen ist, aber sie waren auf ihre jeweils eigene Weise überzeugt, dass die unsichtbare Welt eine entscheidende Rolle für ein gelingendes Leben spielt. Das ist bei uns heute anders. Als ganze Gesellschaft sind wir keineswegs davon überzeugt, dass es mehr gibt als die sichtbare Welt, mehr als das, was man zählen und kaufen kann. Und dann wundern wir uns, dass Menschen unzufrieden sind, obwohl es ihnen materiell besser geht als allen Generationen zuvor. Obwohl wir eigentlich ein Zuviel an materiellen Gütern haben, durch das wir die Erde vermüllen.
Ein kaum verhülltes Defizit
Aber da gibt es auch für uns als ganze Gesellschaft diesen verborgenen Zusammenhang: wer seinen Mangel im Unsichtbaren ausblendet, der versucht ihn mit sichtbaren Dingen auszugleichen. Und so ist der Raubbau an den Gütern der Erde ein Hinweis auf den eigentlichen Mangel: unsere kollektive Blindheit gegenüber der unsichtbaren Seite der Welt.
Das Verrückte dabei ist, dass es wohl nur wenige Leute gibt, die ernsthaft behaupten würden, dass das gute Leben von dem neuesten Automodell, dem neuesten elektronischen Diggi-Daggi oder der Auswahl zwischen 37 verschiedenen Zahncremes abhängt. In allen Umfragen nennen die allermeisten Menschen als Wichtigstes die Beziehungen, in denen sie leben: zu Freunden und Familie, zu sich selbst und zur Natur, zur ganzen Gesellschaft. Und trotzdem sind wir gewöhnt, nach dem Muster des Habens und Besitzens zu denken. Selbst unsere Beziehungen geraten in diesen Sog. Es liegt wohl daran, dass wir uns die Frage nach dem guten Leben nicht bewusst stellen und dann ohne großes Nachdenken das tun, was alle tun und das kaufen und buchen, was alle kaufen. Und es ist ja ein gutes Gefühl, etwas Neues zu kaufen oder zu bestellen, unser Gehirn schüttet dann eine kleine Dosis Glückshormone aus, aber das hält nicht vor.
Es hält nicht vor, weil wir auf die sichtbaren Dinge schauen und dann das gute Leben an der falschen Stelle suchen. Es ist der Teddybär-Effekt: der Teddybär steht für Menschen, die uns Liebe geschenkt haben, als wir klein waren, für Menschen, denen wir das grundlegende Gefühl von Geborgenheit verdanken, und all das konzentriert sich in diesem Teddy. Aber irgendwann müssen wir lernen, dass der Teddy nur ein Wollknäuel ist, das uns nicht helfen kann, und wer als Erwachsener immer noch regelmäßig Trost bei seinem Teddy sucht, der stellt sich selbst ein Bein und hindert sich an erwachsenen, reifen Beziehungen. Was uns tatsächlich hilft, liegt jenseits des Teddys.
Und was ist das Richtige?
Wir haben heute zuerst danach gefragt, was zuviel ist, nämlich zu viel an totem Zeug in unserem Leben und in der Welt. Wir haben dann überlegt, was zu wenig ist (nämlich ein Leben, das sich nur am Sichtbaren orientiert). Jetzt sind wir angekommen bei der Frage, was denn genug ist: was das Richtige ist.
Und ich glaube, dass wir dazu unseren ganzen Blick auf die Welt und das Leben ändern müssen. Leben ist der Austausch von Energie, der Fluss von Lebenskraft, christlich gesprochen: von Segen. Und das gute Leben besteht darin, dass wir in diesem Strom drin sind. Alle Dinge können diesen Strom des Segens und seine Kraft zu uns bringen, sie können aber auch den Fluss des Segens blockieren und die Energie in einen toten Kanal lenken, wo das lebendige Wasser zu einem fauligen, stinkenden Tümpel wird. Und dann vermüllen die Dinge unsere Häuser und unsere Landschaft und machen uns depressiv und krank. Die Lebensenergie kann aber auch zu einem zerstörerischen reißenden Strom werden, im Krieg etwa, oder zu einem vergifteten Gewässer, wenn Menschen den Segen in Hass und Neid umwandeln.
Blockierter Segen
Das alles sind hässliche Karikaturen von dem, was ein Mensch wirklich braucht. Was wir brauchen, das ist ein gesundes Netzwerk von Beziehungen, durch die der Segen von Gott her zu uns kommt und durch uns hindurch weiter fließt. So sind wir lebendig, und das ist das gute Leben.
Das Problem ist nur, dass dieses Netzwerk der Schöpfung blockiert ist durch alle, die den Segen in ihre Scheunen leiten und aufstauen wollen. Dann fließt er nicht mehr und fängt an zu stinken. Das Netzwerk ist auch bedroht durch alle, die diese Energie für zerstörerische Zwecke gegen andere richten. Und vor allem ist es dann bedroht, wenn wir die Lebenskraft trennen von ihrer Quelle, von Gott. So wie wir vor lauter Teddy die Menschen nicht mehr sehen, die uns Geborgenheit gegeben haben, so sehen wir vor lauter Dingen Gott nicht mehr, der uns alles geschenkt hat und ohne den das alles nicht funktionieren würde.
Eine neue Sicht auf die Welt
Dinge existieren unabhängig von ihrem Hersteller, aber Energie hat immer eine Verbindung zur Quelle. Wenn wir die Welt nicht bloß als eine Anhäufung von Dingen sehen, sondern die Beziehungen und die Lebensenergie dahinter wahrnehmen, dann gehört Gott ganz selbstverständlich dazu. Jesus ist gekommen, damit wir einen Direktanschluss an die Quelle des Lebens haben. Durch diese direkte Verbindung sind wir nicht mehr abhängig von dem Netzwerk, wenn es von uns selbst und anderen blockiert oder vergiftet wird.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sagt Jesus. Das Leben ist mehr als die Lebensmittel. Wir leben von jedem Wort, das Gott spricht. Sein schöpferisches Wort erreicht uns durch die Güter der sichtbaren Welt, und es erreicht uns direkt, wenn wir auf Jesus hören. Gottes Reden schafft Beziehungen. Es schafft ein Netzwerk des Lebens, und wir brauchen es vor allem, dass wir an dieses Netzwerk angeschlossen sind. Das ist das gute Leben, das ist das Glück.
Nicht willkürlich, aber persönlich
Deswegen kann man Glück nicht festhalten, weil es Beziehungscharakter hat. Weil es ein Fluss ist – und du kannst nicht zweimal in den selben Fluss steigen. Gott ist der Lebendige, kein Automat. Er ist treu, er ist nicht launisch, aber er ist nicht berechenbar. Wir finden ihn heute hier und morgen dort. Er überrascht uns immer wieder. Der Strom des Lebens fließt nicht in einem betonierten Kanal, sondern er verändert sein Gesicht, er bleibt lebendig, weil Gott lebendige Menschen will.
Passt das nicht wunderbar mit unseren Erfahrungen vom guten Leben zusammen? Es ist nicht berechenbar, manchmal gelingt es und manchmal suchen wir es vergeblich, manchmal finden wir es als Antwort auf unsere besten Aktivitäten und manchmal wird es uns ohne Anstrengung einfach geschenkt. Es entzieht sich unseren Berechnungen, aber es ist nicht willkürlich – es ist persönlich.
Jetzt schon mit beiden Seiten leben
Aber das braucht ein Mensch: angeschlossen zu sein an das Segensnetzwerk, das in Gott beginnt und das durch die ganze Schöpfung ausgespannt ist. Beziehung, Schönheit, Freude, Energie, Liebe: alles gefährdete Dinge, die man nicht festhalten kann und ohne die wir doch nicht leben können. Gefährdete Dinge, und trotzdem im Bündnis mit Jesus so stark, dass sie vom Tod nicht zerstört werden und über die Grenzen dieser Welt hinaus reichen, bis hinein in die neue Welt, wo das Unsichtbare und das Sichtbare endlich zusammenfinden.
Wir sollten deshalb unser neuzeitliches Bild der Welt revidieren, den alten Aberglauben an eine rein materielle Welt ausmisten und bewusst auf beiden Seiten unserer Welt leben. Damit wir das gute Leben an der richtigen Stelle suchen und finden.