Das gute Herz nicht kaputtreden lassen
Predigt am 6. Februar 2005 zu Lukas 10,38-42
38 Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf. Dort nahm ihn eine Frau namens Marta gastlich auf. 39 Sie hatte eine Schwester mit Namen Maria, die setzte sich zu Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu. 40 Marta dagegen war überbeschäftigt mit der Vorbereitung des Essens.
Schließlich trat Marta vor Jesus hin und sagte: »Herr, kümmert es dich nicht, dass mich meine Schwester die ganze Arbeit allein tun läßt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!«
41 Der Herr antwortete ihr: »Marta, Marta, du machst dir so viele Sorgen und verlierst dich an vielerlei, 42 aber nur eines ist notwendig. Maria hat die gute Wahl getroffen; sie hat sich für das unverlierbar Gute entschieden, das ihr nicht genommen werden kann.«
Das ist ein Konflikt auf hohem Niveau. Zum einen sind die Beteiligten alle Freunde Jesu, zum andern ist es selbstverständlich, dass hier eine Frau in der Haltung einer Schülerin bei Jesus sitzt, obwohl damals Frauen sonst nicht als Schülerinnen eines geistlichen Lehrers zugelassen waren. Aber im Umfeld Jesu scheinen Frauen ganz selbstverständlich dabeigewesen zu sein, das ist in der Geschichte kein Problem. Maria und Martha haben beide keine Hemmungen, Jesus jeweils auf ihre Art anzusprechen. Deswegen: ein Streit auf hohem Niveau.
Diese Geschichte ist ja schon oft erzählt worden, einschließlich des ärgerlichen Tellerklapperns, das zunehmend lauter aus der Küche dringt, bis Martha schließlich in Person auftritt und sich beklagt, dass ihre Schwester so anders auf Jesus reagiert als sie.
Martha ist die ältere von den beiden Schwestern. Das steht nirgendwo, aber das ist völlig klar. Schon ihr Name sagt, wer sie ist. Ins Deutsche übersetzt würde er bedeuten: die Chefin. Aber ihre kleine Schwester Maria nutzt die Chance, als Jesus im Haus ist.
Maria hört Jesus zu. Das ist die angemessene Weise, ihm zu begegnen. Man hat das immer wieder missverstanden als passiv, und die einen haben es kritisiert, und die andern haben gesagt:. Ja, genau so ist es, wir müssen ganz passiv sein, wenn wir Jesus begegnen. In Wirklichkeit ist Zuhören etwas aktives, jedenfalls solange es nicht langweilig ist und wir an der Sache interessiert sind. Zuhören ist der Weg, wie wir uns von Jesus verändern lassen. Das ist nicht passiv, sondern es hat etwas mit Sich-Öffnen zu tun. Wir öffnen uns dem Einfluss, den er mit seinen Worten auf uns nimmt. Wir erlauben seinen Worten, unser Herz zu erreichen.
Wir sehen Jesus in dieser Geschichte bei seiner zentralen Tätigkeit: die Herzen von Menschen wiederherzustellen. Uns ein gutes, ein festes Herz zu geben. In der Bibel ist unser Herz nicht der Sitz der wankelmütigen Gefühle, sondern es ist der Personkern, es ist der Ort, wo sich entscheidet, wer ich wirklich bin. Wenn mein Herz in Ordnung ist, dann bin ich ein Mensch nach dem Herzen Gottes, und dann habe ich eine Herrlichkeit, eine Stärke und Ausstrahlung, mit der ich die Welt im Sinne Gottes gestalten kann. So ein Herz ist gemeint, wenn Jesus im Johannesevangelium (4,14) sagt: »Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird in Ewigkeit keinen Durst mehr haben. Ich gebe ihm Wasser, das in ihm zu einer Quelle wird, die bis ins ewige Leben weitersprudelt.« Dieses Wasser sind seine Worte, und wer sie in sich aufnimmt, der wird selbst zu einer Quelle werden, von der Heilung und Wiederherstellung des Herzens ausgehen.
Dass Jesus das kann, dass er mit seinen Worten menschliche Herzen erreicht und erneuert, das ist der Kern seines Einflusses in dieser Welt, der Kern seiner Weltherrschaft. Die Herren dieser Welt zerstören menschliche Herzen, sie nehmen ihnen ihre Kraft, ihre Sicherheit und ihre Schönheit, und sie pflanzen Furcht, Schuldgefühle, Selbstzweifel und Zerrissenheit hinein. Die Machthaber leben davon, dass Menschenherzen zerstört oder verwundet sind, dass Menschen ihren Herzen nicht trauen oder vergessen haben, dass sie welche haben.
Jesus stellt die Herzen wieder her, er liebt unsere Stärke und Klarheit, und wenn er zu uns redet, dann ist das eine Operation am offenen Herzen. Ein Mensch, der Jesus zuhört, bekommt ein gutes Herz, und dann wird sein ganzes Leben gut. Martha hat für gutes Essen gesorgt; Maria wollte, dass ihr Herz gut wird, und – obwohl Jesus gutes Essen geschätzt hat – war sie damit näher bei dem, worum es Jesus vor allem geht.
Ein gutes Herz ist ein Herz, zu dem Jesus Zugang hat, egal, wieweit der Prozess der Wiederherstellung schon ist. Diesseits des Himmels wird er nie abgeschlossen sein, aber wenn Jesus Zugang zu unserem Herzen hat, dann haben wir ein gutes Herz, weil er dort ist, und weil nichts Böses bestehen kann neben Gott.
Das ist übrigens auch der Hintergrund, wenn es heißt, das wir gerecht werden nicht durch unsere Werke, sondern durch den Glauben. Glaube besteht ja gerade darin, dass wir diese Beziehung zu Jesus aufbauen, durch die er unser Herz gut macht. Und wenn diese Beziehung besteht, dann ist das Entscheidende passiert, unabhängig davon, wieweit der Prozess der Wiederherstellung unseres Herzens schon vorangeschritten ist. Das Entscheidende ist, dass wir in diesen Prozess eingetreten sind.
Diesen Prozess zu ermöglichen, das ist bis heute die Aufgabe der Gemeinde Jesu. Wenn man es in einem Slogan fassen will, dann müsste man sagen: wir produzieren Herzensveränderung und damit Lebensveränderung. Wir schaffen einen Raum, in dem Jesus die Herzen von Menschen erreicht. Es ist ein Missverständnis von Seelsorge, wenn man da sofort an arme, alte, kranke oder sonstwie benachteiligte Menschen denkt. Es geht immer um die Wiederherstellung des menschlichen Herzens, das einem brutalen und fortgesetzten Angriff ausgesetzt ist. All die Verletzungen und Verirrungen die ein Herz im Laufe des Lebens erleidet, die sind nicht normal, und wir sollten uns nie an sie gewöhnen. Dass unser Leben mühsam und unerfreulich ist, dass wir uns oft vorkommen wie Getriebene und immer wieder kopfschüttelnd dastehen und sagen: »da kann man nichts machen«, das ist nicht normal. Wir sind dazu bestimmt, als Königskinder durch die Welt zu gehen, wir sind bestimmt, der Kopf zu sein und nicht der Schwanz. Und Jesus ist gekommen, damit diese Normalität auch wieder zu sehen und zu erleben ist.
Aber die Geschichte zeigt, dass das auch in einem gastfreundlichen Haus sofort Widerstand hervorruft. Wenn ein Herz sich verändert, verändert sich auch die Welt, und das gibt immer Irritationen. In diesem Fall bei Martha. Zwischen den Schwestern verändert sich etwas, weil Maria ganz entschlossen dem Ruf ihres Herzens folgt. Auch Martha geht es um Jesus, sonst hätte sie ihn nicht eingeladen, aber dann schlägt ihr Hausfrauengewissen, und sie erlaubt sich nicht, das zu tun, wonach sie sich ja eigentlich sehnt. Und als sie sieht, dass ihre Schwester einfach tut, was Martha sich selbst verboten hat, da versucht sie, dieses Verbot auch Maria aufzudrücken. Sie versucht das sogar mit Hilfe von Jesus. Wer sich selbst etwas auferlegt, neigt dazu, das auch von andern zu verlangen.
Und es ist wirklich genial, wie Jesus darauf antwortet: er lässt sich nicht in den Dienst von Marthas Unzufriedenheit stellen, er hütet sich davor, wieder kaputtzumachen, was in Maria gewachsen ist. Stattdessen macht er Martha zum Thema: indem er von Marias Entscheidung spricht (»Maria hat das gute Teil erwählt«), erinnert er Martha an ihre Entscheidung: bist du eigentlich zufrieden damit, dass du dem Ruf deines Herzens nicht gefolgt bist? Wenn ja, was kümmert dich dann deine Schwester? Wenn nein, dann hast du jetzt die Chance, es anders zu machen. Jeder soll sich selbst um seine eigene Problematik kümmern und sie nicht noch anderen aufbürden.
Um unser Herz tobt ein Kampf. Es gibt einen Feind Gottes, der entschlossen ist, Gottes Ebenbilder zu verletzen, zu behindern, zu ruinieren und ihre Wiederherstellung nicht zuzulassen. Er schickt uns Unglück, Erniedrigung, Missbrauch und Einsamkeit und redet uns auch noch ein, dass wir selbst daran schuld wären. Er ist schon solange in unserem Leben drin, dass wir gar nicht merken, was er tut, weil wir uns an ihn gewöhnt haben. Er kann auch eine Frau wie Martha, die ja eigentlich Jesus liebt, blockieren und sogar für seine Zwecke einspannen. Und zu seinen feinsten Waffen gehört die Verunsicherung und das schlechte Gewissen. Er sät Zweifel. Wenn er schon nicht verhindern kann, dass in uns neues Leben beginnt, dann versucht er dafür zu sorgen, dass wir dem neuen Anfang nicht trauen.
Deshalb ist es ist so wichtig, dass wir selbst ein geistliches Urteil entwickeln. Wir müssen lernen, die Stimme Jesu und die Stimme des Feindes zu unterscheiden. Dazu gibt es in der Bibel diese Geschichten, die den Geist der Freiheit atmen. Geschichten von Jesus, wie er der Manipulation widersteht. Wir sollen Freude an der Klarheit haben, wir sollen uns trauen, zu urteilen, und uns nicht in die Neutralität zurückziehen. Die gibt es sowieso nicht. Zwischen Gott und seinen Feind tobt ein erbarmungsloser Kampf, und wir sind auch noch das Schlachtfeld. Wer sollte da neutral bleiben können? Wir sollen Durchblick entwickeln, damit wir uns nicht auf die falsche Seite stellen oder uns in Scheinkämpfen verzetteln.
Zu den bevorzugten Strategien des Feindes gehört die Verunsicherung. Wir kennen diesen Mechanismus aus vielen Beziehungen unter Menschen. Wie z. B. ein Ehepartner an dem anderen so lange herumkritisiert, bis der sich gar nichts mehr traut und glaubt, ohne den anderen wäre er völlig lebensuntüchtig. Oder ein Kind, dem immer wieder gesagt wird: du kannst nichts, du schaffst nichts, du kriegst es allein nicht hin, und am Ende traut es sich nicht mehr, den Schritt aus dem Elternhaus heraus zu tun, weil es ja ein Versager ist.
Diesen Mechanismus gibt es auch im Glauben. Viel zulange hat man uns gelehrt, bei uns selbst immer wieder neu nach Sünden zu forschen, uns immer wieder daraufhin zu prüfen, was er falsch machen, ein schlechtes Gewissen zu kultivieren, bis wir uns am Ende gar nicht mehr vorstellen können, dass wir Dinge auch richtig machen, das wir Dinge tun, an den Gott seine große Freude hat. Natürlich sollen wir nicht mehr sündigen, aber das ist nicht der zentrale Punkt, und es stimmt etwas nicht, wenn darauf die ganze Aufmerksamkeit ruht. Das ist doch alles nur die Rückseite der großen, entscheidenden Erfahrung, dass Jesus unser Herz befreit und neu macht.
Wenn wir das Christentum aber auf pharisäische Art kennenlernen, also als Lehre davon, was alles böse und verboten ist, dann erleben wir nicht die Freude an dem neuen Herzen, dass Jesus in uns erweckt. Oder, genauer: wir erlauben uns diese Freude nicht, weil die Martha in uns das nicht zulässt, weil sie gleich etwas zu kritisieren hat, und weil wir selbst zu verunsichert sind, um der Stimme unseres Herzens zu trauen.
Wir sollen aber dem neuen Weg vertrauen, den Jesus in unseren Herzen begonnen hat. Wir sollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, wir sollen nicht auf den alten Adam draufhauen und dabei den neuen Menschen in uns und anderen treffen. Jesus schenkt uns ein gutes Herz. Das ist das Wichtigste, und dem sollen wir trauen.