Die Macht des Gebets (Kolosserbrief VIII)
Predigt am 17. Februar 2002 zu Kolosser 4,2-18
2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3 Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, 4 damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muss.
5 Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. 6 Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.
7 Wie es um mich steht, wird euch alles Tychikus berichten, der liebe Bruder und treue Diener und Mitknecht in dem Herrn, 8 den ich darum zu euch sende, dass ihr erfahrt, wie es uns ergeht, und damit er eure Herzen tröste. 9 Mit ihm sende ich Onesimus, den treuen und lieben Bruder, der einer der Euren ist. Alles, wie es hier steht, werden sie euch berichten.
10 Es grüßt euch Aristarch, mein Mitgefangener, und Markus, der Vetter des Barnabas – seinetwegen habt ihr schon Weisungen empfangen; wenn er zu euch kommt, nehmt ihn auf! -, 11 und Jesus mit dem Beinamen Justus. Von den Juden sind diese allein meine Mitarbeiter am Reich Gottes, und sie sind mir ein Trost geworden.
12 Es grüßt euch Epaphras, der einer von den Euren ist, ein Knecht Christi Jesu, der allezeit in seinen Gebeten für euch ringt, damit ihr feststeht, vollkommen und erfüllt mit allem, was Gottes Wille ist. 13 Ich bezeuge ihm, dass er viel Mühe hat um euch und um die in Laodizea und in Hierapolis.
14 Es grüßt euch Lukas, der Arzt, der Geliebte, und Demas.
15 Grüßt die Brüder in Laodizea und die Nympha und die Gemeinde in ihrem Hause. 16 Und wenn der Brief bei euch gelesen ist, so sorgt dafür, dass er auch in der Gemeinde von Laodizea gelesen wird und dass ihr auch den von Laodizea lest.
17 Und sagt dem Archippus: Sieh auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, dass du es ausfüllst!
18 Mein Gruß mit meiner, des Paulus, Hand. Gedenkt meiner Fesseln! Die Gnade sei mit euch!
Jetzt am Ende seines Briefes redet Paulus über die Praxis des geistlichen Lebens, und das heißt, über das Beten. Er bittet um Gebetsbeistand, damit er das Evangelium klar und mutig aussprechen kann. Paulus saß wahrscheinlich in Rom im Gefängnis, und er hatte ein kaiserliches Verhör vor sich, bei dem er erklären musste, was er da eigentlich in die Welt brachte. Und er wusste, dass für ihn alles davon abhing, dass er seine Botschaft gut rüberbrachte. Auch ein Kaiser lässt sich davon beeindrucken, wenn er merkt, dass da vor ihm einer steht, der in höherem Auftrag handelt. Gerade Kaiser haben ein gutes Gespür für Machtverhältnisse, das ist schließlich ihr Handwerkszeug.
Wir müssen vielleicht am Anfang ein paar Dinge klären, was das Beten und die geistliche Welt betrifft. Beten ist z.B. nicht wünschen. Wenn ich jemandem »gute Reise« wünsche, dann ist das ein Ausdruck meiner Verbundenheit mit diesem Menschen — aber warum sollte er durch meinen Wunsch tatsächlich geschützt sein?
Beten macht nur Sinn, wenn damit tatsächlich etwas bewirkt wird. Und es reicht nicht, zu sagen: damit stärken wir jemandem den Rücken. Natürlich ist das auch ein Effekt, dass jemand weiß: da denkt jemand an mich, ich bin ihm nicht gleichgültig. Für Paulus in seiner Gefängniszelle ist das ein großer Trost, zu wissen: ich bin nicht vergessen. Deswegen schreibt er auch zum Schluss: vergesst nicht meine Ketten, vergesst mich nicht hier im Gefängnis!
Aber wenn er um das Gebet der Kolosser bittet, dann meint er mehr. Er rechnet damit, dass sie mit ihrem Gebet etwas bewegen, dass sie dazu beitragen, dass für ihn Türen aufgehen und er Menschen erreichen kann mit dem Evangelium.
Er rechnet damit, dass durch ihr Gebet etwas in der unsichtbaren Welt bewirkt wird, was dann spürbare Auswirkungen hat in der sichtbaren Welt. Beten soll echte Realität verändern, nicht bloß die seelische Stimmung von Menschen verbessern (obwohl das ja manchmal auch schon eine wichtige reale Änderung ist). Die Kolosser beten — Paulus findet Menschen, die dem Evangelium zuhören und sich davon bewegen lassen. So ist es gedacht.
Auf der anderen Seite ist Beten aber nicht so berechenbar, wie viele Zusammenhänge in der sichtbaren Welt es sind. Ich stecke eine Münze oben in den Automaten, und unten kommt das Kaugummi raus. Wenn der Automat heil ist, ist das ein klarer Zusammenhang. Er ist eindeutig voraussagbar. Das ist beim Beten anders, weil die unsichtbare Welt anders funktioniert als die sichtbare Welt. In der unsichtbaren Welt sind die Zusammenhänge nicht sachlich, sondern persönlich. Die Regeln, die dort gelten, entsprechen eher den Regeln für die Kommunikation unter Menschen.
Wenn ich versuche, die unsichtbare Welt mit denselben Methoden zu beeinflussen, die wir ja sehr erfolgreich in der sichtbaren Welt anwenden, dann wird daraus Magie. Magie geht sozusagen technisch mit der unsichtbaren Welt um: »Wenn ich einen Liebestrank aus Krötenblut und Rizinus und Eidechsenaugen und ich-weiß-nicht-was braue und ihn dem betreffenden Menschen heimlich in den Kaffee schütte, wird er sich in mich verlieben.« »Wenn ich eine bestimmte Gebetsformel spreche, wird Gott mir meinen Wunsch erfüllen.« Als ich klein war, dachte ich: wenn ich ein Gebet mit Amen schließe, wird es erhört. Zweimal hat es geklappt! Beim dritten Mal war ich ganz enttäuscht. Das sind alles Tricks von der Art ‚Münze in den Automaten stecken‘. Aber so läuft es nicht.
In der sichtbaren Welt können wir mit Erfolg die Regeln und Naturgesetze anwenden, die immer und überall zuverlässig funktionieren. In der unsichtbaren Welt dagegen sollen wir uns an Gott wenden. Wir sollen keine technischen Tricks benutzen, sondern wir sollen Gott und seine Absichten kennen. Die Regeln der unsichtbaren Welt, wenn es da welche geben sollte, können wir nicht anwenden, die sind zu hoch für uns. Wir sollen zu Gott kommen und ihm vertrauensvoll sagen, was uns am Herzen liegt, und er wird dann etwas damit machen; und wenn es irgendwie möglich ist, wird er dafür sorgen, dass wir die Zusammenhänge zwischen unserer Bitte und seiner Antwort verstehen.
Aber es gibt einige Hinweise, die wir für das Gespräch mit Gott beachten sollen. Paulus beschreibt sie in ein paar Versen:
- Beharrlich bleiben
Damit fängt er an. Wir können nicht erwarten, dass wir eben mal eine Idee haben, und dann soll Gott springen. Wenn Sie von jemandem um etwas gebeten werden, möchten Sie ja auch, dass der es ernst meint. Und ein echtes Anliegen zeigt sich bei uns Menschen immer noch am sichersten daran, dass es über längere Zeit konstant bleibt oder sogar noch zunimmt. Wenn uns ein Kind einmal sagt: »ich hätte gern ein Pferd«, deswegen gehen wir noch nicht gleich in die nächste Tierhandlung. Vielleicht machen das Millionäre mit ihren Kindern, aber wir können uns das nicht leisten. Und auch Millionärskindern bekommt das nicht gut. Aber wenn ein Kind jeden Nachmittag zum Reitstall radelt, da mithilft bei der Pferdepflege, den Reitern Löcher in den Bauch fragt über die Tiere und selig ist, wenn es ab und zu auch mal kurz im Sattel sitzen darf, und das über lange Zeit — dann würden wir wahrscheinlich anfangen zu überlegen, ob es nicht doch irgendeinen Weg gibt, um unserem Kind seinen Herzenswunsch zu erfüllen.
Deswegen sagt Paulus: seid beharrlich im Beten! Gebt nicht kurz vor dem Ziel auf! Gott prüft, ob wir es ernst meinen, und außerdem verändert das Beten auch uns. Manchmal müssen wir erst wachsen, bis wir soweit sind, das zu empfangen, was wir uns wünschen. Wer später mal ein großer Reiter werden will, der muss wahrscheinlich erstmal als Stalljunge anfangen, und wer sich dazu zu schade ist, sollte es lieber lassen.
Die Zeit, in der Gott unsere Motivation prüft, die benutzt er auch dazu, um uns innerlich reif zu machen, damit wir ihn besser verstehen und die Ernte, wenn es dann so weit ist, auch sicher in die Scheune bringen können. Ich glaube, wir werden im Rückblick Gott dankbar sein für diese Zeit der Vorbereitung. Ich glaube nicht, dass er uns lange warten lässt, sondern wir werden sehen, dass er die kürzestmögliche Zeit wählt. Gott möchte ja mit uns vorankommen, nicht er zögert die Sachen heraus, in Wirklichkeit bremsen wir ihn.
- Wachen
Wachen bedeutet: die Aufmerksamkeit nicht erlahmen lassen. Die Dinge sind in Bewegung. Es kann überraschende Entwicklungen geben, hilfreiche und gefährliche. Also sagt Paulus: bleibt dran! Man kann das nicht mit links machen. Wir müssen einen Teil unserer Aufmerksamkeit ganz beständig auf dies Gespräch mit Gott richten. Schaut genau hin, damit ihr Gottes Antworten auf eure Gebete nicht überseht! Gott wird euch vielleicht zeigen, dass ihr eure Bitten verändern sollt. Was gestern richtig war, kann heute falsch sein. Vielleicht sollt ihr genauer beten, vielleicht bewegt Gott plötzlich etwas ganz anders, als ihr gedacht habt. Und dann müsst ihr die Gebete umstellen oder präzisieren.
- Danken
Wer immer nur um Künftiges bittet, der wird leicht unzufrieden. Deshalb sollen wir immer auch danken für das, was wir schon bekommen haben. Sonst vergessen wir das, was wir schon haben. Wir sollen die Balance halten und nicht unzufrieden werden, wenn wir auf das schauen, was noch fehlt, aber auch nicht zufrieden und satt werden im Blick auf das, was wir schon haben. Das ist keine leichte Balance, da kann man abstürzen.
Außerdem kann Gott uns durch das, was er uns gibt, wertvolle Hinweise geben für die Richtung unseres Betens. Um noch mal in dem Bild zu bleiben: Wer um ein Pferd bittet, sollte wenigstens prüfen, ob es nicht ein Hinweis von Gott ist, wenn ihn jemand fragt, ob er in den Ferien einen Hund betreuen will.
- Beten allein reicht nicht
Wenn die Kolosser beten, ist das kein Ersatz dafür, dass einer wie Paulus in die Situation selbst hinein geht und dem Kaiser und seinen Bediensteten das Evangelium sagt. Es ist Unterstützung für den, der unmittelbar an der Front steht. Die Gewichte in der unsichtbaren Welt müssen sich verschieben, damit Paulus gehört wird, und damit er überhaupt eine Gelegenheit bekommt, seine Sache zu sagen. Die Gebete von Paulus und vielen anderen werden bewirken, dass eine Tür aufgeht. Aber dann muss auch einer hindurchgehen, in diesem Fall eben Paulus. Und wenn es den Kolossern im Moment glücklicherweise erspart bleibt, im Gefängnis zu sitzen, dann sollen sie ihren Mann in Rom auf jeden Fall im Gebet unterstützen. Ja, Paulus würde sich noch nicht mal auf so eine Arbeitsteilung einlassen. Auch den Kolossern schreibt er, dass sie immer bereit sein sollen, auf mutige und effektive Weise von Jesus zu reden. Nutzt die Zeit aus! sagt er. Wenn eine Tür aufgeht, dann sofort durchgehen, morgen kann sie schon wieder zu sein. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, dann auch den Mund aufmachen und reden. Und wenn ihr meint, ihr könnt es nicht, dann nutzt die Zeit zum Lernen!
Auf der anderen Seite heißt das aber auch: wenn die Gelegenheit nicht da ist, dann ist es manchmal auch besser zu schweigen. Von Jesus zu reden, sollte möglichst ein gezielter Schuss sein, der das Ziel trifft; und nicht eine ungezielte Ladung Schrot, in der Hoffnung, das man irgendwas schon treffen wird.
Paulus hat im Gefängnis wahrscheinlich eine wunderbare Möglichkeit, das alles zu üben. Er weiß, wie man auch da die Balance halten muss zwischen Freundlichkeit und Deutlichkeit. Redet freundlich, wörtlich: in Gnade. Es soll von euch etwas ausstrahlen von dem Glanz Gottes und seiner Güte. Und andererseits: eure Rede sei mit Salz gewürzt, nicht fade Nettigkeiten, die keinem weh tun, aber auch keinen weiterbringen. Es soll schon zu spüren sein, dass es um Umkehr und Neubeginn geht bei Jesus. Aber das Salzen muss man erst lernen, in der Küche ja auch. Da gibt es ein Zuviel und ein Zuwenig.
Und am Ende stellt Paulus den Kolossern Epaphras als Vorbild hin. Ich greife ihn heraus aus der großen Zahl von Menschen, über die Paulus am Ende schreibt. Da könnte man fast über jeden eine eigene Predigt schreiben, wirklich! Aber dieser Mann kommt aus Kolossä, ohne ihn wäre der Brief nicht geschrieben worden. Und Paulus beschreibt ihn als einen, der es richtig macht. Der für diese Gemeinde betet, und zwar nicht allgemein, sondern er betet um Wachstum, um Reife, um Erkenntnis des Willens Gottes. Vielleicht hat er ja irgendwann mal damit angefangen, um Wachstum und Gedeihen für die Gemeinde zu beten. Aber jetzt hat er verstanden, dass Gottes Wille noch viel stärker darauf geht, dass Menschen seinen Willen erkennen und mit ihm auf einer Linie sind. Darum geht es Gott: Menschen, die ihn so gut kennen, dass sie ganz erfüllt sind mit seinen Gedanken und aus vollem Herzen seinen Willen tun. Mit solchen Menschen kann Gott alles erreichen.