Christen und Macht (Kolosserbrief VII)
Predigt am 3. Februar 2002 zu Kolosser 3,17 – 4,1
Wenn das Samenkorn des Wortes Gottes keine Wurzeln schlägt (die Geschichte vom vierfachen Acker war Evangelium des Sonntags), dann verdorrt es bald wieder. So haben wir es gerade gehört. Das Wort Gottes soll tief in uns eindringen. Da, wo es nach einigen Zentimetern auf Granit stößt, da kann es nicht überleben. Ein oberflächliches Bekenntnis zu Jesus Christus wird nicht lange bestehen bleiben.
Und deshalb schreibt Paulus im Kolosserbrief darüber, wie das aussieht, ein Leben, das in der Tiefe geprägt ist von Jesus Christus, nicht von einem oberflächlichen religiösen Stallgeruch, sonden von Jesus. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Was ihr auch macht, es soll mit Jesus kompatibel sein. Ihr sollt es vor ihm verantworten; er ist euer eigentliches Gegenüber in allem, was ihr tut.
Wenn du Kartoffeln schälst, wenn du den Fußboden streichst, wenn du in der Schule bist, wenn du am Computer sitzt, wenn du mit deinen Kindern redest, wenn du Freizeit hast und dich ausruhst — denke immer daran, du bringst Jesus mit, und du machst es für ihn und mit ihm. Es gibt nichts, wo er nicht dabei wäre.
Und dann nimmt sich Paulus speziell einen Bereich vor, der bis heute seine Brisanz nicht verloren hat – im Gegenteil! -, und beschreibt, wie es da gehen kann, dass wir Jesus ausstrahlen und Dank ausstrahlen. Das Thema, um das es nun geht, ist das Thema Herrschaft und Machtgefälle und wie Christen damit umgehen sollen.
Vielleicht erinnern sich einige daran, dass Jesus ja seine Jüngergemeinschaft als ein Kontrastmodell zu den Herrschaftsverhältnissen in der Welt beschrieben hat. »Ihr sollt euch nicht Vater nennen lassen, denn einer ist euer Vater, und ihr seid alle Brüder« hat er gesagt. Mitten in einer patriarchalischen Gesellschaft, wo selbstverständlich überall die Väter herrschten, hat Jesus wieder paradiesische Zustände eingeführt, denn im Paradies gab es genau dies: keine Herrschaft unter den Menschen, aber gemeinsamen Gehorsam gegenüber Gott.
Aber wenn die Jünger und Jüngerinnen Jesu nicht mehr als Gemeinschaft am Rande der Gesellschaft leben, sondern überallhin vordringen, in alle Ritzen der Gesellschaft, dann kommen sie wieder in diese Verhältnisse, wo dauernd Herrschaft ausgeübt wird, und sie müssen wissen, wie sie im Namen Jesu in solchen Herrschaftsverhältnissen leben können. Deshalb schreibt Paulus:
17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
18 Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie sich’s gebührt in dem Herrn. 19 Ihr Männer, liebt eure Frauen und seid nicht bitter gegen sie.
20 Ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen; denn das ist wohlgefällig in dem Herrn. 21 Ihr Väter, erbittert eure Kinder nicht, damit sie nicht scheu werden.
22 Ihr Sklaven, seid gehorsam in allen Dingen euren irdischen Herren, nicht mit Dienst vor Augen, um den Menschen zu gefallen, sondern in Einfalt des Herzens und in der Furcht des Herrn. 23 Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, 24 denn ihr wisst, dass ihr von dem Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Ihr dient dem Herrn Christus! 25 Denn wer unrecht tut, der wird empfangen, was er unrecht getan hat; und es gilt kein Ansehen der Person.
4,1 Ihr Herren, was recht und billig ist, das gewährt den Sklaven, und bedenkt, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt.
Haben Sie sich auch gefragt, wie das zusammenpasst: der autoritätskritische Anfang bei Jesus und dieser Aufruf, den bestehenden Autoritäten zu gehorchen? Da steht wörtlich »unterordnen« und »gehorchen«, das kriegt man auch mit Übersetzungstricks nicht weg. Passt das mit dem, was Jesus gesagt hat, zusammen, oder müssen wir uns zwischen Jesus und Paulus entscheiden? Gut, wenn wir uns wirklich für einen von beiden entscheiden müssen, dann natürlich für Jesus, aber vielleicht kriegen wir es ja zusammen. Vielleicht sind die beiden gar nicht so weit auseinander.
Was macht Paulus hier eigentlich? Wie redet er genau?
- Paulus sagt zu beiden etwas, zu denen, die im Gehorsamsverhältnis oben stehen und zu denen, die unten stehen.
Denen unten sagt er: seid gehorsam, tut eure Aufgabe, sträubt euch nicht, auch nicht heimlich. Denen oben sagt er: missbraucht eure Macht nicht! Liebt eure Frauen und macht ihnen das Leben nicht schwer, schüchtert eure Kinder nicht ein, bezahlt eure Arbeiter anständig!
Anscheinend hat er hier vor allem Leute im Auge, die als Christen gemeinsam in einem Haushalt lebten und arbeiteten. Wir denken ja, wenn wir das Wort »Sklave« hören, an Leute, die in eisernen Fesseln und von Peitschen angetrieben schreckliche Fronarbeit leisten müssen und am Ende den Fischen zum Fraß vorgeworfen werden, wenn der Herr gerade schlechte Laune hat. Anscheinend hat Paulus hier vor allem die Haussklaven im Auge, die ein Teil des Haushaltes waren und nicht dauernd totgeschlagen wurden die hatten schließlich Geld gekostet und waren, wenn sie schon lange im Haus waren, nur schwer zu ersetzen. Wenn wir es umsetzen in unsere Zeit, wo die Haushalte anders aussehen, dann müsste man sagen: es geht um die Angestellten und Arbeiter, es geht um Arbeitsverhältnisse.
Und da redet Paulus alle Gruppen getrennt an. Er spricht nicht mit den einen über die anderen, er sagt nicht den Männern, dass sie ihre Frauen zum Gehorsam zwingen sollen und er sagt nicht den Kindern, dass sie ihren Eltern sagen sollen, wie man richtig erzieht. Er redet mit allen einzeln und sagt ihnen, wie sie im Namen Jesu leben sollen. Und da sollen sie alle auf ihre eigene Aufgabe sehen und nicht darauf, was die anderen tun oder tun müssten.
- Paulus sagt den Christen, wie sie denn als durch Christus befreite Menschen leben sollen in dieser unterdrückerischen und patriarchalischen Gesellschaft, die sie umgibt, und die ja auch in ihnen steckt und ihr Denken prägt.
Das soll man nicht unterschätzen! Als Mose das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei führte, da war das größte Problem: aus diesem Haufen ein freies Volk zu machen, aus diesem Haufen von feigen, wankelmütigen und aufmüpfigen Ex-Sklaven. Und es ging nicht mit der ersten Generation, sondern die mussten erst aussterben, bevor dann die nächste Generation das verheißene Land einnehmen konnte. So schlimm war das. Ihre Knochen mussten in der Wüste bleichen, weil mit ihrer sklavischen Gesinnung nichts anzufangen war.
Und was bekamen die befreiten Sklaven in der Wüste? Zuerst bekamen sie zu essen, aber dann bekamen sie am Sinai die Gebote. Befreite Sklaven brauchen Gebote, damit sie wissen, wie man verantwortlich lebt. Bisher haben sie sich einfach der Gewalt gebeugt. Sie haben für ihre Herren gearbeitet, sie haben die Herren geliebt und gehasst und sich bei ihnen eingeschmeichelt, aber sie waren nie selbstverantwortlich. Das müssen sie jetzt mühsam lernen.
Auch die Christen sind ja durch Jesus befreit aus einem unterdrückerischen System. Aber es gibt keine Wüste mehr, in die man fliehen könnte. Sie müssen sich auseinandersetzen mit der Gesellschaft, in der sie leben. Aber sie tun es in der Kraft Jesu und im Namen Jesu. Ihr Herr ist jetzt Jesus und niemand sonst. Die entscheidende Frage ist nicht mehr: sieht mein Chef gerade, was ich tue, und was sagt er zu meiner Arbeit? Nein die Frage lautet jetzt: freut sich Jesus über das, was ich tue? Ihm möchte ich gefallen, das ist das wichtigste. Die befreiten Christen müssen lernen, konsequent ihr Gegenüber zu wechseln.
- Paulus will, dass die Christen verantwortliche Leute werden, die nicht anderen Menschen die Verantwortung für ihr Schicksal zuschieben.
Wieviele Menschen sind überzeugt, dass ihr Leben sich durch andere entscheidet! Erst sind die Eltern schuld, wenn etwas schief läuft, dann die Lehrer oder das Schulsystem, dann die Vorgesetzten, dann ist der Ehepartner für das Lebensglück verantwortlich, dann liegt es am Sozialamt, dass alles schwierig ist, oder an den Politikern, oder an den falschen Freunden, auf jeden Fall ist einer nie verantwortlich für mein Leben, nämlich ich selbst. Das ist Sklavengesinnung. Und die ist das Problem, denn auch wenn Menschen äußerlich befreit werden die Gesinnung bleibt.
Deshalb richtet Paulus die Aufmerksamkeit der Christen darauf, dass sie lernen, im Namen Jesu Verantwortung für ihren eigenen Lebensweg zu übernehmen. Fangt da, wo ihr seid, an und lebt im Namen Jesu. Seid ehrlich, macht keine krummen Sachen, und macht eure Arbeit gut, ihr macht sie für Jesus, da könnt ihr nicht pfuschen! Und wenn ihr die Straße fegen müsst, dann werdet der beste Straßenfeger der Welt. Das ist für uns alle wichtig, für unser Selbstwertgefühl, dass wir wissen: wir geben uns Mühe und wir machen unsere Arbeit gut. Natürlich kann man sagen: für den Stinkstiefel soll ich arbeiten? Und auch noch gut? Für den Hungerlohn? Ich wär doch blöd, wenn ich mehr machen würde, als ich unbedingt muss. Aber wem schadet das am meisten? Uns, weil wir dann keine Achtung vor uns selbst und dem, was wir tun, entwickeln.
- Es geht Paulus darum, dass die Christen die Alternative, die Jesus bringt, nicht verwechseln mit der Rebellion, die immer zu einem Unterdrückungssystem dazugehört.
Überall da, wo es Oben und Unten gibt, da motzen die Leute, sie meckern und schimpfen. Da ziehen sie mal so richtig vom Leder, und dann sind sie wieder ganz brav. Wenn man schon überzeugt ist, dass man eh nichts ändern kann und die andern die Verantwortung für mein Leben haben, dann bleibt nur noch Murren. Murren, Schimpfen und Meckern vergiftet das Leben aller Beteiligten, aber es macht nichts besser. Die Israeliten in der Wüste murrten andauernd gegen Mose. Nie waren sie zufrieden. Kann so ein Murren zum Erfolg führen? Ja, wenn genügend mitmachen natürlich. Mose wäre um Haaresbreite abgesetzt worden.
Aber kann daraus etwas Gutes werden? Nein. Wenn Menschen, die nie gelernt haben, stark und verantwortlich zu sein, plötzlich frei von Kontrolle werden, dann wird nichts besser. Im Gegenteil, dann scharen sie sich um den, der den stärksten Eindruck macht, und dann geht es den Schwachen schlecht. Wenn die Autorität von Lehrern ruiniert ist, dann leiden am meisten die Kinder darunter, die die Zielscheibe des Mobbings anderer sind. Oder politisch: ein Land wie Afghanistan, in dem inzwischen praktisch jede politische Autorität ruiniert ist, wer leidet da am meisten? Die Schwachen, die sich nicht selbst schützen können. Wer ein Gewehr hat, der raubt sich irgendwas zusammen, aber die andern verhungern.
Seit dem Sündenfall gehören die Verhältnisse von Oben und Unten, von Unter- und Überordnung zur Welt. Das ist nicht schön. Gott wollte es eigentlich anders. Nur – einfach abschaffen geht auch nicht, weil es sonst noch schlimmer werden würde. Aber wir können mitten in diesen Verhältnissen lernen, eigene Stärke zu entwickeln und herauszukommen aus der Verantwortungslosigkeit. Je stärker wir werden, desto weniger werden uns solche Oben/Unten Regeln noch etwas ausmachen, wir können sie mit einer gewissen Leichtigkeit stehen lassen, vielleicht mit einer gewissen Ironie, und sie werden dann ihre Kraft verlieren.
Wer die große Revolution des Reiches Gottes kennt, braucht nicht mehr die kleinen Rebellionen, die höchstens das Führungspersonal auswechseln. Und wenn Jesus wiederkommt, dann wird es das ganze Oben und Unten sowieso nicht mehr geben, so wie damals im Paradies.