Gott ist Gemeinschaft (Gemeinschaft I)
Predigt am 3. August 2008 zu Johannes 16,13-15
Wenn wir über Gemeinschaft nachdenken, dann müssen wir anfangen bei der Gemeinschaft, die vor aller Zeit da war: die Gemeinschaft, die in Gott lebt. Gleich in den ersten beiden Sätzen der Bibel heißt es:
1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Ist das nicht merkwürdig? Wer ist dieser Geist Gottes? Besteht Gott etwa aus Körper und Geist, und kann er seinen Geist irgendwie von seinem Körper abtrennen, so dass der mal eben über dem Chaosmeer Posten beziehen kann, über diesem Chaos, das vor der Schöpfung herrschte? Aber warum macht Gott das nicht selbst? Und wenn er anschließend sagt: es werde Licht, macht er das dann mit Geist oder geistlos?
Fragen über Fragen, auf die es im Alten Testament keine Antwort gibt. Erst später im Neuen Testament löst sich das Rätsel jedenfalls ein wenig. Da sagt Jesus in Johannes 16:
13 Doch wenn der ´Helfer` kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch zum vollen Verständnis der Wahrheit führen. … 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
Hier spricht auch Jesus vom Geist. Dieser Geist wird Dinge kundtun, die er von Jesus hat. Dann wird gleich erklärend angehängt: denn alles, was der Vater hat, gehört auch Jesus. Offenbar bekommt der Geist diese Erkenntnis genau genommen von Gott, aber das macht keinen Unterschied, denn weil Jesus und Gott den gleichen Erkenntnispool haben, deswegen kommt das, was der Geist verkündet, dann genauso von Jesus. Wahrscheinlich ist das immer noch verwirrend, aber es scheint so zu sein, als ob der Geist Gottes wirklich jemand Eigenes ist, und dann ja wohl schon vor der Schöpfung – ein Geschöpf kann es also nicht sein.
Um es kurz zu machen, die ersten Christen haben lange über diese und ähnliche Bibelstellen nachgedacht, und ungefähr 350 Jahre nach Jesu Tod haben sie der Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, der Trinität, die endgültige Fassung gegeben.
Gregor aus Kappadozien war einer, der es geschafft hat, die Logik hinter diesen vielen Aussagen der Bibel herauszuarbeiten. Diese Lehre besagt, dass Gott zwar nach außen Einer ist, dass er aber im Innern eine Gemeinschaft von drei Personen ist – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und diese Gemeinschaft ist so vollkommen, dass du es nie mit einer dieser Personen allein zu tun hast, sondern sie gehören so eng zusammen, dass Jesus sagen kann: der Heilige Geist bringt euch meine Erkenntnisse, obwohl der Geist diese Erkenntnis, genau genommen, vom Vater hat. Das heißt, der christliche Gott ist einer, wir verehren nicht mehrere Götter, aber andererseits ist unser Gott trotzdem Gemeinschaft.
Es gibt ja Religionen wie Judentum und Islam, die strikt und streng auf einem reinen Monotheismus bestehen. Aber ein solcher monolithischer Gott wäre ein einsamer Gott – er könnte nie Gemeinschaft erfahren, denn es gäbe niemand anderen, der so wäre wie er. Es wäre eine Art göttlicher Robinson. Er wäre gefangen in seiner göttlichen Sphäre und zur Isolation verdammt.
Auf der anderen Seite gibt es die griechischen und germanischen Sagen mit den vielen Göttern, die sich miteinander streiten, sich bekämpfen und austricksen – das ist natürlich keine sympathische Vorstellung.
Hier zum Beispiel sieht man auf einer modernen Plastikdarstellung das alte Motiv vom Götterkampf zwischen den germanischen Göttern Thor und Loki. Kein Wunder, dass solche Vorstellungen unsympathisch sind. Götter, die sich genauso streiten wie Menschen, das hat uns gerade noch gefehlt.
Die christliche Lehre von der Trinität vermeidet solche Bilder und zeichnet statt dessen eine Gemeinschaft von drei Personen, die zwar unterschiedlich sind, aber in Einheit miteinander verbunden. Man muss sich das vorstellen, wie wenn Klein Fritzchen zu Mama geht und fragt, wie lange er noch aufbleiben darf, und sie sagt: bis Acht. Das ist ihm zu früh, da fragt er Papa, aber dummerweise sagt der auch: um acht Uhr gehst du ins Bett. Die beiden sind sich einig, Klein Fritzchen hat keine Chance, die gegeneinander auszuspielen. Er begegnet zwar erst Mama und dann Papa, aber eigentlich eben beide Male nur – den Eltern und ihrer gemeinsamen Überzeugung, wann Kinder schlafen gehen sollten. Wir wissen natürlich, dass Eltern sich nicht immer so einig sind, aber die sind ja auch nicht Gott. Gott lebt in einer dynamischen Einheit von drei Personen.
Ich zeige dazu die berühmte Ikone des russischen Malers Andrej Rubljov, der das genial eingefangen hat, wie da drei Personen zusammensitzen und sich nur mit Blicken verständigen.
Ich habe mit Pfeilen deutlich gemacht, wie die Blicke von einem zum anderen wandern, bis sich der Blick der letzten Person schließlich nach draußen wendet. Die drei haben sich ohne große Worte verständigt. Und wer immer mit dieser dritten, letzten Person zu tun hat, er hat es ganz deutlich mit dem zu tun, was alle drei gemeinsam beschlossen haben.
Egal, wem man begegnet, dem Vater dem Sohn oder dem heiligen Geist, die drei sind sich so einig, dass man nie einem allein begegnet, sondern die anderen sind immer auch dabei. Deswegen kann Jesus Sätze sagen wie: »Was ich euch sage, ist nicht mein Wort; ihr hört das Wort des Vaters, der mich gesandt hat (Joh. 14,24b).«
Bei Gott gilt also folgende Rechnung:
Nun haben viele Leute früher gesagt: was sollen diese komplizierten theologischen Überlegungen? Das hat doch keine Bedeutung! Ich glaube an ein höheres Wesen und halte mich an die Gebote, das reicht doch! Wozu diese Denksportaufgaben?
Aber diese Geschichte von der Trinität hat eine ganz praktische Bedeutung: weil Gott Gemeinschaft ist, deshalb erschafft er auch Gemeinschaften. Und als er den Menschen erschafft, da schafft er auch keinen Einzelgänger, sondern er erschafft sie als Mann und Frau.
Gott hat den Menschen nicht als Einzelnen geschaffen, gleichförmig und langweilig, sondern als eine Gemeinschaft. unterschiedlicher Menschen, und die sollen ebenso eine Einheit werden, wie Gott das in sich ist.
Bei den Menschen gilt daher die Rechnung:
Gott sorgt dafür, dass es in der Schöpfung etwas gibt, was ihm ähnlich ist: eine Gemeinschaft, die im Innern zusammengesetzt ist, aber nach außen eine Einheit bildet. Gott bildet sich ab in der dynamischen Zweiheit von Männern und Frauen.
Deswegen heißt es auch, dass die Menschen zum Bilde Gottes bestimmt sind, und das wird im engen Zusammenhang mit ihrer Erschaffung in zwei Geschlechtern gesagt:
1. Mose 1,27: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.
Das ist kein Zufall, dass die Erschaffung als Mann und Frau so eng zusammensteht mit der Bezeichnung der Menschen als »Bild Gottes«. Das hängt zusammen! Wenn man also den »den Menschen« darstellen will, dann darf man es nicht so machen wie auf diesem Schema links. Einer allein ist noch nicht der volle Mensch, sondern »Der Mensch« sieht als Schema dann so aus wie hier rechts:
So wie Andrej Rubljov Gott nicht als eine Person dargestellt hat, sondern als drei, so muss man auch »den Menschen« als zwei Personen darstellen und nicht als eine. Wobei mein Schema hier sicherlich sehr viel dürftiger ist als das geniale Bild von Rubljov.
So waren die Menschen zuerst eine Einheit. Aber als sie sich dann von Gott abwandten und aus der Gemeinschaft mit ihm herausfielen, da zerbrach auch ihre eigene Einheit. Das Paradies war verloren.
Mir gefällt dieses moderne Bild von der Vertreibung aus dem Paradies besonders gut. Sonst sieht man auf solchen Darstellungen ja meistens Adam und Eva, wie sie von einem Engel weggescheucht werden. Auf diesem Bild sieht man nur die beiden, vielleicht sind sie sogar noch im Paradies, aber man sieht gut, wie das Band zwischen ihnen schon zerrissen ist, wie sie sich nicht mehr richtig anschauen können, wie sie sich nicht mehr verstehen, wie sie sprachlos geworden sind. Etwas von dieser Sprachlosigkeit liegt bis heute auf Männern und Frauen. Und statt der fröhlichen, unbeschwerten Einheit des Paradieses gibt es Vorwürfe und Sich-Zurückziehen, und es gibt Herrschaft und Macht. Wenn man sich den Blick des Mannes genau ansieht, dann merkt man, wie er gerade anfängt, auf die Frau herab zu sehen, wie er überlegt, ob er sie noch als ebenbürtig ansehen soll, wo sie doch anscheinend viel zu gefühlsbetont ist und irgendwer doch das Leben in die Hand nehmen muss.
Mit dem Zerbrechen der Einheit zwischen Mann und Frau kommen Macht, Herrschaft und Hierarchie zu den Menschen. Jetzt werden Ehen geschieden. Jetzt wird Gemeinschaft zur Last, aber ohne Gemeinschaft kann der Mensch nicht sein, weil er zur Gemeinschaft geschaffen ist. Männer und Frauen werden sich schreckliche Dinge antun, und sie werden sich immer wieder verletzen beim Versuch, die zerstörte Gemeinschaft wiederherzustellen.
Diese ursprüngliche menschliche Gemeinschaft hat nur zwei Kapitel der Bibel gedauert, ab Kapitel drei ist sie zerstört, und dann liest man Seite um Seite davon, wie die Menschen mit dieser zerbrochenen Einheit mehr schlecht als recht weiterleben und wie Gott ihnen wenigstens ein paar Regeln gibt, damit sie überleben können.
Anders wird das erst wieder im Neuen Testament, wenn Jesus kommt und die zerstörte Schöpfung wieder zurückholt in die Gemeinschaft mit Gott. Und so richtet er auch wieder die Gemeinschaft zwischen Menschen und die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau auf.
Das merkt man, als er einmal zum Thema Ehescheidung befragt wird – das war schon damals ein Thema, das sich gut eignete, wenn man jemanden in Schwierigkeiten bringen will. Die Geschichte geht so:
Einige Pharisäer kamen zu Jesus und fragten ihn: »Ist es einem Mann erlaubt, sich von seiner Frau zu scheiden?« Sie wollten ihm damit eine Falle stellen. 3 »Was für eine Vorschrift hat euch Mose gegeben?«, fragte Jesus zurück. 4 Sie erwiderten: »Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau dann fortzuschicken.« 5 Da sagte Jesus zu ihnen: »Nur wegen eurer Herzenshärte hat Mose euch diese Vorschrift gegeben. 6 Am Anfang jedoch, bei der Schöpfung, hat Gott die Menschen als Mann und Frau erschaffen. 7 ›Deshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, 8 und die zwei werden ein Leib sein.‹ Sie sind also nicht mehr zwei, sondern sie sind ein Leib. 9 Darum: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen.«
Bei Jesus wird die zerstörte Schöpfung wieder geheilt, und deswegen kann er aus der Perspektive von heilen Beziehungen reden, wie Gott sie gewollt hat. Die Pharisäer hatten schon eine Ahnung davon, dass die Scheidungsregel des Mose noch nicht das Gelbe vom Ei war, aber was hätte man wirklich dagegen einwenden sollen? In einer zerbrochenen Welt unter verletzten, hartherzigen Menschen muss es die Möglichkeit geben, dass eine zerstörte Beziehung beendet wird. Für eine Ehe, die ein grausames Gefängnis geworden ist, muss es einen Notausgang geben. Aber gut ist das nicht. Nur: die Lösung kann ja nicht sein, Menschen wieder in das Gefängnis zurückzuzwingen.
Erst Jesus kann eine echte Lösung zeigen, weil er wieder an die ursprüngliche heile Schöpfung anknüpft, immer und überall, und so auch im Verhältnis von Männern und Frauen. Erst Jesus kann es wagen, vom Schöpfungswillen Gottes so zu reden, dass das nicht zu einer schrecklichen Last wird, sondern eine Verheißung: ja, es wird wieder eine Zeit kommen, und sie ist schon da, wo Männer und Frauen und die ganze Menschheit zurückfindet zu der Einheit, die Gott am Anfang geschaffen hat, und die aus ihm selbst stammt.
Eine Einheit, in der jeder er selbst bleibt, wo keiner Angst haben muss, vom Andern zur Verlängerung der eigenen Person gemacht zu werden, wo aber auch der Eine mit dem Andern in Übereinstimmung ist, wo man sich mit Blicken versteht und auf einer gemeinsamen Grundlage lebt.
Überall da, wo Jesus eine offene Tür findet, da beginnt diese ursprüngliche Gemeinschaft sich wieder zu regen. Jesus rekonstruiert sie sozusagen, weil er noch das Original kennt. Deshalb entstehen um Jesus herum Gemeinschaften, deshalb ist Jesu Ziel nicht die Umwandlung Einzelner, sondern der Bau einer Gemeinschaft, in der alle miteinander so leben, wie Gott selbst lebt. Die Lehre von der Trinität ist kein theoretisches Zeug, sondern sie sagt etwas Zentrales über die Art Gottes und seine Ziele mit uns. Sie sagt uns etwas über unsere eigene Bestimmung zur Gemeinschaft und darüber, wie weit wir uns davon entfernt haben.
Fortsetzung folgt: In der Predigt am kommenden Sonntag werden wir das dann weiter verfolgen, wie Gott solche Gemeinschaften auf der Erde baut.