Nicht das Problem feiern, sondern Lösung sein
Predigt am 16. Mai 2021 zu Johannes 7,37-39
37 Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir und es trinke, 38 wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. 39 Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
Es ist Laubhüttenfest in Jerusalem; sieben Tage lang haben sie draußen kampiert in provisorischen Festzelten aus grünen Zweigen. Sieben Tage lang haben sie den Ausnahmezustand gefeiert, die Durchbrechung der normalen Lebensabläufe; sieben Tage lang waren die Unterschiede von Arm und Reich nicht mehr ganz so krass sichtbar, weil sich die Laubhütten der Armen und der Reichen weniger unterscheiden als ihre Häuser. Sieben Tage ein bisschen Erinnerung ans Paradies, als man unkompliziert im Garten lebte.
Lebensthemen werden zu Festen
Ein Fest, bei dem man die Zivilisation mit ihren Zwängen und Regeln ein bisschen hinter sich lässt. Bei uns hat, glaube ich, das Grillen für viele eine ähnliche Bedeutung, nur dass das nicht mehr religiös gefärbt ist. Und am letzten Tag des Festes ist noch einmal eine große Zeremonie im Tempel, bei dem Krüge mit Wasser eine wichtige Rolle spielen. Aber Jesus unterbricht das andächtige Schweigen im Gottesdienst und ruft laut, so dass es alle hören: »Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke!«
In diesem Ruf steckt eine tiefe Wahrheit über das Fest, ja, über alle solchen Feste. Es sind Ausnahmezeiten, in denen man sich mit dem Menschsein überhaupt auseinandersetzt. Die tägliche Routine hat Pause, und das Thema sind grundlegende Lebensfragen. Beim Grillen das verlorene Paradies, zu Weihnachten die heilige Kleinfamilie mit Vater, Mutter, Kind, möglichst so harmonisch und heimelig, wie alle sie gern hätten, bei den Frühlingsfesten die Fruchtbarkeit des wiedererwachenden Lebens, bei Geburtstagen das Erwachsenwerden und das Altwerden, und so könnte man alle möglichen Feste untersuchen, welche Sehnsüchte und Problematiken sie thematisieren. Das muss nicht immer besonders tiefsinnig sein, die Themen können auch nur ganz oberflächlich angerissen sein. Auch unser Kirchenjahr ist ja so aufgebaut, dass möglichst alle Lebensthemen einmal im Jahr irgendwann mal dran sind.
Mit seiner Intervention beim Abschlussgottesdienst des Laubhüttenfestes sagt nun Jesus: in solchen Festen zeigt sich ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, ein Durst. In ihnen spiegelt sich wieder, dass Menschen mit ihrer Problematik vorkommen möchten. Auf irgendeine Art wissen alle Menschen, dass in unserem Leben der Wurm steckt und wünschen sich, dass es anders wird.
Was ist das Problem?
Die wenigsten würden sagen: das liegt daran, dass wir aus der Harmonie mit Gott herausgefallen sind. Das stimmt zwar, aber um das so zu sehen, muss man schon gründlich nachgedacht haben. Bei vielen drückt es sich einfach so aus, dass sie sagen: Die Menschen sind doch alle verrückt! Was ist nur mit der Welt los? Oder auch nur: Warum muss ich mich dauernd mit diesem Chef, dieser Kollegin, diesem Lehrer, dieser Beamtin oder diesem Ehepartner abmühen? Die einen erleben das sehr konkret, die anderen denken sehr abstrakt darüber nach, aber alle haben auf ihre Weise das Gefühl, dass in der Welt der Wurm drinsteckt. Und alle wünschen sich, dass es anders wäre. Das ist der große menschliche Durst: wir spüren, dass das Leben eigentlich anders und mehr sein sollte als das, was wir kennen.
Manche lesen dann Liebesromane, aber davon kommt die echte Liebe nicht. Andere gucken Abenteuerserien, aber davon wird man noch lange kein Held. Und auch wenn man um die halbe Erde düst: das Paradies ist immer woanders. Und dann thematisieren wir das menschliche Grundproblem symbolisch bei allen möglichen Festen und Feiern, in Ritualen und Bräuchen. Das ist Religion. Mal mit Gott, und mal ohne dass er genannt wird.
Wir thematisieren unser Problem, manchmal besser und manchmal schlechter, das bringt kurz Erleichterung, aber wir lösen es damit nicht. Weihnachten wird die Harmonie der Familie beschworen, aber das reicht immer nur für ein paar Tage. Beim Laubhüttenfest kommen sich Arm und Reich im Festzelt näher, aber danach ist alles wieder so wie vorher.
Ich bin die Lösung!
Jesus unterbricht deshalb diese Zeremonie und sagt: was ihr in eurer Feier mehr oder weniger bewusst sucht, das findet ihr bei mir. Bei mir geht es nicht um die symbolische Darstellung, sondern um das echte Problem. Bei mir geht es nicht darum, mit seinem Durst verstanden zu werden, sondern er soll gelöscht werden. Bei mir geht es nicht darum, ein paar Tage lang eine heile Gemeinschaft zu beschwören, sondern ich baue eine neue Gemeinschaft, eine neue Menschheit, die nicht mehr zerrissen und gespalten ist. Mit mir beginnt die neue Welt, in der die Menschheitsproblematik gelöst ist.
Und Johannes setzt erklärend hinzu: da sprach Jesus schon vom Heiligen Geist, der kommen würde. Erst musste Jesus noch seinen Weg bis zum Ende am Kreuz gehen, erst musste Jesus noch sterben und auferstehen, erst so war sein ganzes Werk fertig, aber danach kann der Heilige Geist zu allen kommen. Dann werden Menschen nicht nur von dem Lebensatem Gottes erfüllt sein, den er bei der Schöpfung in den Menschen hineingegeben hat. Dann werden die, die an Jesus glauben, selbst eine Quelle des belebenden Geistes sein und ihn weitergeben, so wie Jesus es vorgemacht hat. Wenn Gottes Geist die Welt erfüllen wird, dann ist die Menschheitsfrage beantwortet, die Sehnsucht gestillt und das große Problem gelöst.
Aber vorher gibt es diese Zwischenzeit, wo schon einige den Geist empfangen haben, wo einige schon Quelle des Lebens sind, wo einige schon die Lösung gefunden haben und nicht nur das Problem kennen. Das wird immer noch begrenzt sein, und es gibt immer noch die großen Zonen, in denen die Zerstörer und Problemproduzenten das Sagen haben, aber der Geist schafft das Neue. Der Durst wird schon gestillt. Nicht die Problematik ist das Entscheidende, sondern die Freude an der Lösung.
Die Zeit des Neuen ist gekommen
Jesus bringt die neue Menschheit, wo die Gräben aktiv überwunden werden, zwischen Männern und Frauen, Beherrschten und Herrschern, Fremden und Einheimischen, Gebildeten und Bildungsfernen, Alten und Jungen und was immer noch es an Spaltungen und Verwerfungen unter uns gibt.
Die Zeit des Thematisierens und Beklagens ist vorbei und die Zeit des Neuen ist gekommen. Wer weiter die menschliche Problematik feiern will, muss das eben tun, aber Jesu Einladung ist es, Teil der Lösung zu werden. Nicht mehr Liebesromane zu lesen, sondern ein liebender Mensch werden. Nicht mehr Serien gucken, sondern ein wirklicher Held sein. Nicht mehr zum Tempel gehen, sondern mit Jesus gehen, ihm nachfolgen.