Brot ist ein Zeichen
Predigt am 10. Juli 2016 zu Johannes 6,30-35
30 Doch nun sagten sie: »Wenn wir dir glauben sollen, ´dass du von Gott gesandt bist,` dann lass uns ein Wunder sehen, das es uns beweist. Wo bleibt dieser Beweis? 31 Damals in der Wüste haben unsere Vorfahren Manna gegessen, wie es ja auch in der Schrift heißt: ›Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.‹« 32 Jesus erwiderte: »Ich sage euch: Das Brot vom Himmel hat euch nicht Mose gegeben; es ist mein Vater, der euch das wahre Brot vom Himmel gibt. 33 Denn das Brot, das Gott gibt, ist der, der vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben schenkt.« 34 »Herr«, sagten sie da zu ihm, »gib uns immer von diesem Brot!« 35 Jesus antwortete: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.«
Diese Szene ist Teil eines längeren Abschnitts, in dem immer wieder das Stichwort »Brot« auftaucht. Das fängt damit an, dass Jesus eine Menge von mindestens 5000 Menschen in der Wüste satt macht, nur mit fünf Broten und zwei Fischen. Als die Leute das realisieren, hätten sie ihn am liebsten zum König ausgerufen, aber Jesus war gerade noch rechtzeitig vorher verschwunden. Und dann suchen sie ihn am ganzen See Genezareth und finden ihn am Ende auch, und es gibt eine intensive Diskussion, und zu der gehört auch der Abschnitt, den ich vorgelesen habe.
Alles dreht sich um Brot
Das Ganze rankt sich – angestoßen von der Speisung am Anfang – um das Wort »Brot«. Brot war damals das Grundnahrungsmittel. Man muss da nicht an unsere deutschen Brotlaibe denken, sondern muss sich eher türkische oder arabische Brote vorstellen, die flachen runden Fladenbrote, die es heute ja auch bei uns gibt. Kartoffeln waren damals noch unbekannt, Nudeln gab es vor allem in China, man aß Brot als Grundnahrungsmittel. Man hat es wohl auch als eine Art Esswerkzeug benutzt und andere Speisen in ein Stück Brot gepackt. Brot begleitete einen den ganzen Tag. Nicht nur, wenn man es aß. Der Getreideanbau auf dem Feld, die Ernte, das Mahlen des Korns und das Backen, all das machte einen großen Teil der täglichen Arbeit aus. Brot durchzog sozusagen das ganze Leben.
Brot war so zentral, dass es ein Bild für alles war, von dem Menschen leben. Bis heute sprechen wir davon, dass jemand mit seiner Arbeit »sein Brot verdient«. Wer Menschen Brot geben kann, der hat Macht, und es gehörte zu den Versuchungen Jesu, dass der Teufel ihn aufforderte, aus Steinen Brot zu machen.
Der Tod am Brot allein
Jesus hat gegenüber dem Versucher darauf beharrt, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, dass er chronisch unterfordert ist, wenn sein Horizont nicht weiter reicht als bis zum Brot, bis zur Sicherung seines kleinen Lebenskreises. Jesus weiß, dass der Mensch auch Anschluss an die unsichtbare Welt hat und deshalb das Wort Gottes ebenso nötig braucht wie das Brot. Wer nur satt und sauber ist, der stirbt den Tod am Brot allein. Ihm fehlt Sinn, Bedeutung, ein Gegenüber.
Das ist jetzt keine Luxusfrage so nach dem Motto: wenn Leute alles haben, dann langweilen sie sich und sensible Gemüter fangen dann an, religiös zu werden. Wir erleben es im Moment, dass das auch politisch ein riesiges Problem wird, wenn Menschen nichts Besseres haben als Brot und Spiele, aber nicht verstehen, was ihnen fehlt. Wer nur Brot und Spiele hat, der entwickelt keinen inneren Kompass, der fällt auf jeden Rattenfänger herein, der ihm Lebenssinn, Anerkennung und Zugehörigkeit zu irgendeiner Gemeinschaft verspricht. Menschen sind bereit, dafür andere zu hassen und zu verachten, wenn sie so zu einer Gemeinschaft dazugehören dürfen. Manche sprengen sogar sich selbst und andere in die Luft, weil sie hoffen, dadurch so etwas wie Lebenssinn zu bekommen.
Wir können uns da gar nicht so richtig reinversetzen, weil es in unserem Land immer noch eine ganze Menge Restbestände an christlichem Gedankengut gibt, wenn auch inzwischen oft unter anderem Etikett, und das stabilisiert Menschen immer noch. Aber je mehr das ausdünnt, um so mehr suchen auch bei uns Menschen Bedeutung in merkwürdigen und erschreckenden Gedankenwelten. Menschen verhungern am Brot allein, aber sie verstehen nicht, was ihnen fehlt und glauben dann, noch mehr Brot würde ihnen helfen.
Ein Zeichen für das Verborgene
Das war die Versuchung, der Jesus sich stellen musste: die Probleme mit mehr Brot zu lösen, während Menschen eigentlich Bedeutung, Sinn, Wort Gottes brauchen. Und mir scheint, als ob unsere Geschichte sozusagen die Außenseite dieser Versuchung ist: Menschen drängen Jesus, für sie da zu sein, weil sie sich von ihm mehr Brot erhoffen. Gerade hat er es ihnen ja doch gegeben!
Aber Jesus meinte das als Zeichen, als Hinweis, dass Gott präsent ist. Die Botschaft war nicht: hey, ich kann zaubern, ich bin einer mit Superkräften! Die Botschaft sollte sein: versteht, dass in dieser Welt überall verborgene Fenster zu Gott sind und lasst uns miteinander so leben, dass ihr auch diese Fenster entdeckt und öffnet!
Diese Art zu leben nennt Jesus »Glauben«. Glauben ist eine grundlegend andere Einstellung zur Welt und zum Leben. In unserem Sprachgebrauch ist die Bedeutung von »Glauben« oft verengt darauf, bestimmte religiöse Behauptungen über Gott und die Welt für richtig zu halten.
Tatsächlich ist Glauben viel umfassender: eine alternative Art des Lebens, die von einer anderen Sicht auf die Welt getragen wird. Deswegen hat Jesus bei dem Speisungswunder z.B. dafür gesorgt, dass die Menschen sich gruppenweise zusammensetzten: es ging auch um eine neue Art, zusammenzugehören – nur wenn Menschen solidarisch sind, öffnen sich die verborgenen Fenster zum Himmel.
Eingeschränkter Horizont
Aber die Leute waren nicht interessiert an solchen Überlegungen, die sie wahrscheinlich für theologische Spitzfindigkeiten gehalten haben. Wer kann sich das schon vorstellen: eine andere Art zu denken und zu leben? Wer interessiert sich für ein Leben mit geöffneten Fenstern zum Himmel, wenn er die Chance sieht, stattdessen ein Leben ohne Sorgen um das tägliche Brot zu ergattern? Und so gab es dauernd Missverständnisse zwischen Jesus und den Leuten.
Es ist eben ganz ungewöhnlich, über etwas nachzudenken, das man nicht anfassen und sehen kann. Offen zu sein für etwas Unbekanntes, das sich nur in Zeichen wie den Wundern Jesu widerspiegelt – das ist nicht die Haltung, mit der Menschen normalerweise durchs Leben gehen. Ein Horizont, der über die täglichen Sorgen und Aufgaben hinausgeht, ist selten.
Gefangen in kleinen Erwartungen
Ich hörte neulich von jemandem, der Leute auf der Straße danach gefragt hat, was das Größte gewesen sei, das sie jemals hatten tun wollen. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden aus heiterem Himmel gefragt: was ist das Größte, das du dir je für dich und dein Leben vorgestellt hast? Hätten Sie eine Antwort darauf?
Der Fragesteller sagt jedenfalls, die Ratlosigkeit in den Gesichtern nach dieser Frage hätte ihn wochenlang fertig gemacht. Und wenn seine Gesprächspartner dann doch etwas antworteten, dann ging es darum, eine große Reise zu machen, Kinder zu haben und sein »Glück« zu finden. Aber die Frage, was denn das Glück ist, die brachte noch größere Ratlosigkeit hervor.
Ganz viele Menschen stellen sich Glück vor einfach als das Leben, das sie kennen plus einige Verbesserungen wie Gesundheit, ein gefülltes Konto, weniger Stress und mehr Zeit für die Familie. Also ein Leben mit gesichertem, besseren Brot sozusagen. Bei den Gesprächspartnern Jesu gehörte noch Befreiung von der römischen Unterdrückung dazu. Alles nichts Schlechtes, aber all das bleibt im Rahmen des Lebens, wie man es eben kennt. Und auch die Erwartungen an Jesus bleiben gefangen im Rahmen dieses kleinen bekannten Lebens. Aber in diesem Rahmen stellen sie jetzt Forderungen an Jesus: gib uns Brot!
Biblische Argumentationen
Das fordern sie sogar unter Berufung auf die Bibel, auf die Befreiung Israels aus Ägypten. Die alte Geschichte von der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei und der anschließenden Flucht durch die Wüste war die Grunderzählung Israels. Die war den Leuten damals völlig präsent, und wenn sie in der Wüste durch Jesus Brot bekamen, dann dachten sie sofort daran, dass es damals in der Wüste ja das sagenhafte Manna gegeben hat: Brot, das Gott vom Himmel fallen ließ. Und sie schlussfolgern: wenn einer von Gott kommt, dann ist es seine Aufgabe, für Brot zu sorgen.
Deswegen erinnert Jesus: nicht Mose hat für Brot gesorgt, nicht ein Mensch war die Hilfe, sondern Gott. Und dann sagt er: das ist auch heute wieder so. Ich bin die Gabe Gottes. Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin das entscheidende Fenster zum Himmel, und nur mit mir werdet ihr immer wieder auf den verborgenen Segen stoßen. Und wer die Geschichte weiterliest, der merkt, wie empört die Leute da sind. Wie kann der das behaupten? Der ist doch am Ende auch nur ein normaler Mensch.
Zeichen des kaum Vorstellbaren
Aber hier an dieser Stelle ist es noch nicht so weit. Hier sagt Jesus einfach: ich bin das entscheidende Lebensmittel. Wer mich hat, der hat alles, was er braucht. Ihr habt das ganz richtig gespürt, deshalb seid ihr zu mir in die Wüste gekommen, aber jetzt zwängt das nicht wieder ein in den Horizont eures kleinen bekannten Lebens. Reduziert mich nicht gleich wieder auf Brot. Es geht um Größeres, um mehr, um eine neue Art des Lebens.
Mit mir beginnt die neue Welt Gottes. Manchmal gehört da auch eine wunderbare Brotvermehrung zu, aber Gottes Reich der Gerechtigkeit und Solidarität ist mehr als ein gefüllter Bauch. Manchmal gehört da eine wunderbare Heilung dazu, aber Gottes Segen ist mehr und Wichtigeres als Gesundheit. Manchmal gehören da wunderbare Lieder und starke Geschichten zu, aber Gottes Wort berührt und verwandelt uns noch ganz anders als die anspruchsvollste Kultur. All die andern Dinge sind nicht schlecht, aber sie sind zu wenig, zu kurz gesprungen, wir sind zu Größerem geschaffen.
So wie Brot die Menschen damals durch ihren ganzen Tagesablauf begleitet hat, so soll Jesus, das Brot des Lebens, unser ganzes Leben verwandeln, transformieren, damit wir aus den verborgenen Quellen Gottes leben. Auf der verborgenen Seite der Welt wartet die neue Schöpfung auf uns, das befreite, begnadete Leben, das wir uns nicht wirklich vorstellen können. Es gibt immer nur Zeichen, Hinweise darauf, dass da noch etwas viel Größeres verborgen ist, und das größte und klarste Zeichen ist Jesus selbst. Um ihn herum haben Menschen etwas von dieser neuen Welt wahrgenommen und wurden selbst neu, ohne schon zu verstehen, was da mit ihnen geschah. Sie dachten, es läge am Brot. Aber das Brot sollte nur ein Hinweis sein, ein Zeichen, so wie Jesus bis heute Zeichen in der Welt aufrichtet. Ganz viel verdanken wir seiner Ausstrahlung: die Achtung vor der Menschenwürde, den Gedanken der Nächstenliebe, die auch den Armen, den Fremden und Anderen gilt, ganz viel an Kultur und Bildung, die damit zusammenhängen.
Aber wir sollen verstehen, dass das alles Zeichen und Hinweise sind, die uns hinleiten sollen zum Glauben, zu dem großen Leben, das von Jesus her bewegt wird, ohne dass wir vorher schon wissen, wo uns das alles noch hinbringen wird. Es gibt noch so viel Unbekanntes, das auf uns wartet. Der verborgene Gott, den Jesus mitbringt, ist größer als unser Horizont reicht. Nur zu unserem Schaden wird es sein, wenn wir ihn in unseren kleinen Horizont einzusperren versuchen. Stattdessen arbeitet er daran, dass wir uns den Horizont erweitern lassen, Stück für Stück. Diesen Weg mitzugehen, das ist Größte, was sich ein Mensch für sein Leben vorstellen kann.