Brot des Lebens

Predigt am 18. Juli 2010 zu Johannes 6,30-35

30 Doch nun sagten sie: »Wenn wir dir glauben sollen, ´dass du von Gott gesandt bist,` dann lass uns ein Wunder sehen, das es uns beweist. Wo bleibt dieser Beweis? 31 Damals in der Wüste haben unsere Vorfahren Manna gegessen, wie es ja auch in der Schrift heißt: ›Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.‹« 32 Jesus erwiderte: »Ich sage euch: Das Brot vom Himmel hat euch nicht Mose gegeben; es ist mein Vater, der euch das wahre Brot vom Himmel gibt. 33 Denn das Brot, das Gott gibt, ist der, der vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben schenkt.« 34 »Herr«, sagten sie da zu ihm, »gib uns immer von diesem Brot!« 35 Jesus antwortete: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.«

Brot ist das Thema des ganzen 6. Kapitels im Johannesevangelium. Das fängt damit an, dass Jesus 5000 Männer und die zugehörigen Frauen und Kinder mit fünf Broten und zwei Fischen satt macht. Und als die Leute merken, was da passiert ist, wollen sie gleich eine Revolution ausrufen und Jesus zum König machen. Und Jesus kann sich dem gerade so entziehen, indem er hoch auf einen Berg steigt. Er merkt: sie haben ihn haarscharf missverstanden.

Am nächsten Tag sind die Menschen wieder da, und das Missverständnis ist geblieben. Deswegen fordern sie nun von Jesus wieder Brot – diesmal unter Berufung auf die Bibel, weil ja in der Zeit des Mose das Volk in der Wüste Manna bekam: Nahrung, die vom Himmel fiel.

Brot ist zentral im menschlichen Denken. Es kann sein, dass heute viele, wenn sie an Essen denken, eher an Pommes denken, oder an Nudeln oder an Pizza, aber mindestens Pizza ist ja eigentlich auch nur Brot mit Käse und Tomaten und Salami oben drauf.

So ungefähr wird das Brot ausgesehen haben, das Jesus damals gegessen und vermehrt hat. So wird es heute noch im vorderen Orient gebacken und gegessen, und inzwischen kann man es auch bei uns bekommen. Das Brot ist weich und biegsam, aber wenn es eine Zeit lang liegt und trocknet, wird es hart und man muss es dann brechen. Aber wenn man es anfeuchtet, wird es wieder geschmeidig.

Dieses Brot gehört in seiner Heimat zu jedem Essen dazu. Man wickelt sich das andere Essen in diese Brotstücke ein, man benutzt es sozusagen als Nahrung und Besteck gleichzeitig. Immer, wenn man isst, ist Brot dabei.

Deswegen war Brot in der Zeit Jesu noch viel mehr als heute das Zeichen für alles, wovon wir leben. Und in Arabien, in Syrien, in der Türkei, in Nordafrika, also im ganzen vorderen Orient ist das bis in die Gegenwart so geblieben. Wenn Jesus also sagt: »Ich bin das Brot des Lebens«, und man hat dieses Brot vor Augen, das jede Mahlzeit begleitet, dann ist der Sinn noch viel deutlicher, dass Jesus bei allem Lebensförderlichen und Ernährenden dabei ist.

Und trotzdem verstehen die Leute Jesus falsch. Was tun sie? Sie sehen ihn an als Problemlöser in allen möglichen Schwierigkeiten. Wir haben zu wenig zu essen? Schön, dass Jesus dabei ist! Gib uns Brot vom Himmel wie Mose! Die Oma ist krank? Ach, bringen wir sie doch zu Jesus, der macht sie wieder fit! In der Politik läuft es nicht rund? Na klar, »Jesus for president!«

Menschen sind immer in Versuchung, sich von jemand anders ihre Probleme abnehmen zu lassen. Wir kennen das, wenn es irgendwo eine Katastrophe gegeben hat, vielleicht ein Erdbeben, und die Menschen, die bis dahin für sich selbst gesorgt haben, sind plötzlich auf Katastrophenhilfe angewiesen. Und dann kommt vielleicht noch eine unfähige Bürokratie dazu, die sie nicht unterstützt oder gar bremst beim Wiederaufbau, und nach ein paar Monaten fangen die Menschen an, sich daran zu gewöhnen, dass andere für ihre Versorgung zuständig sind. Sie leben in Lagern und Unterkünften, sie werden mit Brot versorgt, sie müssen nicht verhungern, aber sie gammeln vor sich hin und büßen ihre Tatkraft ein und sind irgendwann tatsächlich nicht mehr in der Lage, sich zu ernähren. Ohne es zu wollen, werden sie zu nutzlosen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft, die nur versorgt werden.

Wenn Jesus den Menschen den Wunsch erfüllt hätte, immer wieder Brot vom Himmel zu bekommen, dann hätte er sie genauso zu Versorgungsempfängern gemacht. Einmal wunderbare Speisung ist gut, aber auf die Dauer macht das Menschen kaputt. Die Wunder und Zeichen Jesu waren nicht gedacht als Dauerversorgung, sondern sie sollten Zeichen sein, Zeichen für etwas viel Größeres und Besseres.

Hier in unseren Versen spricht Jesu es aus: Das Brot des Lebens, das, was das ganze Leben begleitet, das bin ich. So wie dieses Brot bei jeder Mahlzeit dabei ist, so bin ich dabei bei allem, was ihr tut. So wie dieses Brot quasi das Besteck, die Hülle ist für alle Speisen, so wie das Brot dem Salat und dem Fleisch und dem Joghurt und was es da alles noch für leckere Sachen gibt, die Form verleiht, in der man es essen kann, so, sagt Jesus, gebe ich euch eine Form für alles, was ihr im Leben tut.

Das Größere und Bessere, auf was die Wunder Jesu hinweisen, das besteht darin, dass er Menschen verändert und sie dann alles, was sie tun, dann auch anders tun. Wenn wir noch einmal an die Katastrophenopfer in den Lagern denken, was brauchen die statt immer mehr Brot? Man könnte sagen: Arbeitsmöglichkeiten, Land, Baumaterial. Aber wer sich ans Vorsichhingammeln gewöhnt hat, dem nützt noch nicht mal das, sondern er braucht zuerst Hoffnung, Mut, eine Gemeinschaft, die ihm hilft, Selbstvertrauen zu entwickeln und die Chancen zu nutzen, die in der Hilfe stecken. Er braucht ein anderes Denken, einen anderen Geist als die trübselige Lageratmosphäre, wo man einfach nur die Zeit tot schlägt. Das entscheidende ist, was im Kopf (uns natürlich im Herzen) der Menschen passiert.

Wir sind heute so stark auf das Materielle fixiert, dass uns gar nicht klar ist, dass die unsichtbaren Faktoren den entscheidenden Einfluss haben: der Geist, in dem Menschen leben und denken. Aber wahrscheinlich ist das gar nicht besonders neu, denn in Jesu Zeiten hatten die Menschen auch kein Verständnis dafür, dass der Geist viel wichtiger ist als das Brot.

Jesus hat daran gearbeitet, die Menschen herauszuholen aus dieser Fixierung auf das Haben, auf das Brot allein. Das ist ein großes Missverständnis von dem, was wir wirklich brauchen. Ja, wir sind alle mit einem großen Hunger geschaffen worden. Das Wort für »Seele« in der biblischen Sprache heißt wörtlich eigentlich »Kehle«, der Schlund, also, um es etwas salopp zu übersetzen: der Gierschlund. Wir sind im Kern unseres Wesens hungrig, wir sind bedürftig. Aber der körperliche Hunger ist nicht der Kern unserer Bedürftigkeit, sondern er ist ein Hinweis auf einen viel tieferen Mangel. Wir sind mit einem grundlegenden Hunger nach Gott geschaffen. Oder sagen wir es besser so: wir sind mit einer grundlegenden Verbindung zu Gott geschaffen worden, und erst als Menschen sich von Gott abwandten und die Einheit der Schöpfung zerbrach, da brach diese Verbindung ab.

Vorher hatten wir aus dieser Verbindung zu Gott gelebt, sein ganzer Reichtum war zu uns gekommen, wir hatten keinen Mangel, sondern lebten aus der Fülle. Aber als die Verbindung abbrach, da wurde aus der beglückenden Gemeinschaft mit Gott eine schmerzliche Wunde, ein Mangel, ein Defizit, und irgendwann wussten Menschen nicht mehr, wonach sie wirklich hungerten, und sie glaubten: ich brauche Dinge, Essen, Geld, Sicherheit, Waffen, Macht. Wenn ich das irgendwann ausreichend habe, dann werde ich glücklich sein. Dann ist mein Hunger gestillt.

Dabei lehrt uns doch die Erfahrung, dass niemand davon glücklich wird, dass er viel besitzt. Meistens wird er dann eher unzufrieden und produziert sich Luxusprobleme. Und wer der Erfahrung nicht traut, der kann sich bei der Glücksforschung schlau machen, wo eine der grundlegenden Erkenntnisse ist, dass materieller Besitz einen ziemlich geringen Einfluss auf das menschliche Glück hat.

Viel wichtiger als das, was man hat, ist das, was man ist. Wer wir sind, das entscheidet darüber, wie glücklich und zufrieden wir sind, nicht wieviel wir haben. Oberhalb eines grundlegenden Existenzminimums entscheidet sich unser Glück daran, wer wir sind, wie wir denken, wie wir gestrickt sind. Ob unsere Gedanken sich darum drehen, dass Jesus das Brot des Lebens ist, oder ob unsere Gedanken und Glückserwartungen sich auf uns selbst und unsere kleine Welt konzentrieren, auf die Arbeit, die Reibereien in der Nachbarschaft, die neue Küche, die Fernsehserie, den nächsten Arztbesuch, die Fotos von den Enkeln, eben das, was uns so nahe liegt, daran entscheidet es sich, ob wir glücklich oder unzufrieden durchs Leben gehen.

Wenn für uns Jesus das Brot des Lebens ist, dann werden uns all diese materiellen Dinge geschenkt werden. Viele davon brauchen wir dann auch gar nicht mehr, aber wir werden dann keinen Mangel haben. Wenn Jesus für uns Brot des Lebens ist, dann ist der tiefste Mangel gestillt, und das andere wird auch kommen.

Wenn wir aber nur an das Brot allein denken, an das, was wir anfassen und haben können, dann werden wir auch daran Mangel haben. Man kann das auch weltweit gut sehen, wenn man will: unsere Zivilisation, wo sich alles um das Materielle dreht, produziert einen Haufen missmutiger, unzufriedener Leute und gleichzeitig ruiniert sie im Rekordtempo die Lebensgrundlagen von morgen. Wer ans Brot allein denkt, wird unzufrieden und bekommt noch nicht mal das Brot; wer in Jesus das Brot des Lebens sucht, dem wird auch das Materielle gegeben.

Das beste Beispiel dafür haben wir vorhin in der Lesung gehört: wie die erste Gemeinde in Jerusalem gelebt hat (Apostelgeschichte 2,41-47). Da gibt es ja im Grunde auch ein Speisungswunder: die Menschen teilen ihr Hab und Gut miteinander, und auch da werden alle satt, wirklich nicht nur einmal, sondern allezeit, Tag für Tag. Kein einmaliges Wunder wie am See Genezareth, sondern über Jahre hinweg haben Menschen da ihre ärmeren Schwestern und Brüder mit ernährt. Das klappte, gerade weil für sie Jesus das Brot des Lebens war, der Mittelpunkt, auf den sie sich konzentrierten. Weil sie eben nicht das materielle Brot und ihre kleine Welt in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellten, deshalb wurde ihnen auch beim Brot geholfen. Gerade wer arm ist, braucht mehr als Brot; wer reich ist, der kommt zur Not auch mit dem Blick aufs Brot allein irgendwie über die Runden.

Noch eine Geschichte zu dem Brot, das ich mitgebracht habe: wir haben das geschenkt bekommen von zwei Frauen aus Syrien, die selbst nicht viel haben. Aber sie kennen das so, dass man bei ihnen zu Hause immer ein Brot mehr kauft und das dann den Armen schenkt. Hier in Deutschland wussten sie nicht so recht, wem sie es schenken sollten, und da haben sie gedacht: dann bekommt es der Pastor, der wird schon etwas Gutes damit machen. Ich hoffe, es ist etwas Gutes daraus geworden.

Aber verstehen Sie: gerade, wer es nicht reichlich hat im Leben, wer nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens steht, der kann es sich gar nicht leisten, nur haben und besitzen zu wollen. Der ist dringend darauf angewiesen, zu verstehen, was Menschen wirklich brauchen. Und wir Besserverdienenden sind dringend darauf angewiesen, davon zu lernen.

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