Geht nicht gibt’s nicht
Predigt am 25. Dezember 2024 (Weihnachten I) mit Johannes 1,1-5.9-14
Der Bibeltext, den wir gleich hören, ist die Einleitung in das Johannesevangelium, der sogenannte Prolog. Man könnte auch sagen: die Ouvertüre, die Kurzfassung des Evangeliums, wo man schon mal ahnt, wo es hingehen könnte. Aber ein ganzes Evangelium von 21 Kapiteln in 14 Versen zusammenzufassen bedeutet natürlich auch, dass das ein sehr dichter Text wird, und wenn man ihn zum ersten Mal hört, ist er gar nicht leicht zu verstehen. Deshalb erkläre ich ihn nachher auch. Jetzt zum Zuhören ist nur wichtig: wenn Johannes hier im Prolog von Jesus redet, dann nennt er ihn nicht mit seinem Namen, sondern redet vom „Wort“. Jesus ist das Wort, durch das Gott zu uns spricht.
1 Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und in allem war es Gott gleich. 2 Von Anfang an war es bei Gott. 3 Alles wurde durch das Wort geschaffen; und ohne das Wort ist nichts entstanden. 4 In ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht für die Menschen. 5 Das Licht strahlt in der Dunkelheit, aber die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen.
…
9 Das wahre Licht, das in die Welt gekommen ist und nun allen Menschen leuchtet, ist Er, der das Wort ist. 10 Er, das Wort, war schon immer in der Welt, die Welt ist durch ihn geschaffen worden, und doch erkannte sie ihn nicht. 11 Er kam in seine eigene Schöpfung, doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab. 12 Aber allen, die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden. 13 Das werden sie nicht durch natürliche Geburt oder menschliches Wollen und Machen, sondern weil Gott ihnen ein neues Leben gibt.
14 Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Macht und Hoheit, die göttliche Hoheit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn. Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet.
Über diese wenigen Verse sind unzählige dicke Bücher geschrieben worden, man kann jede Menge tiefsinniger Gedanken darin entdecken. Schon im Altertum haben Theologen daraus die Lehre von der Dreieinigkeit entwickelt, dass Gott also schon in sich selbst eine fröhliche Gemeinschaft ist und kein sturer Einzelgänger. Und man hat diesem und anderen Bibelstellen auch die sogenannte Zweinaturenlehre entnommen, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, dass sich an ihm also sowohl zeigt, wie Gott wirklich ist, als auch, wozu der Mensch wirklich berufen und fähig ist.
Heute mal einfach
Das sind keine sinnlosen Theologenprobleme, sondern dahinter stecken tatsächlich wichtige Fragen. Aber weil Weihnachten ist, will ich es heute einfacher machen, auf die Gefahr hin, dass mir am Ende jemand sagt, so einfach wäre das nun doch nicht.
Also, ich probiere es mal: In diesen Versen geht es um die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Sie kennen ja dieses berühmte Problem: da steht ein Glas mit leckerem Wein oder Saft oder Bier oder Milch oder Weihnachtspunsch oder Wasser – suchen Sie sich aus, was Sie gerne trinken. Das Glas fasst einen Liter (ich weiß, so groß sind nur die Maßkrüge beim Oktoberfest, aber wir wollen es uns mit dem Rechnen nicht so schwer machen). Und in diesem Glas ist genau ein halber Liter von Ihrem Lieblingsgetränk. Und jetzt kommen Sie dahin und haben Durst und sehen dieses Glas – was sagen Sie? »Uh – wer hat mir das halbe Glas ausgetrunken?« Oder sagen Sie: »Wow – irgendjemand meint es gut mit mir und hat mir was zu trinken hingestellt! Und dann auch noch mein Lieblingsgetränk!«
Dasselbe Glas, zwei durstige Menschen, aber zwei völlig unterschiedliche Reaktionen. Wahrscheinlich wären wir uns schnell einig, dass man besser durch die Welt kommt, wenn man nicht über das halbleere Glas jammert, sondern das halbvolle fröhlich austrinkt.
Das Problem (und die Lösung) steckt in den Köpfen
Wodurch kommt dieser Unterschied? Nicht durch das Glas, das ist ja immer das Gleiche. Der Unterschied liegt in den Köpfen der Beteiligten. Noch nicht mal darin, ob sie gute oder schlechte Absichten haben. Sondern es liegt an der Art, wie sie die Welt sehen. Wer denkt, dass die Welt es gut mit uns meint, trinkt voll Freude das halbvolle Glas aus, und wer glaubt, dass uns alles vermiest werden soll, sitzt grummelnd vor einem halbleeren.
Jetzt könnte natürlich der Grummelkopf sagen: ich habe schon so viele schlechte Erfahrungen gemacht, die meisten Gläser dieser Welt sind nicht nur halbleer, sondern entweder ist gar nichts drin oder die Milch ist sauer. Die Welt ist schlecht. Hm. Dann würde ich im Gegenzug die alte Geschichte von den zwei Fröschen erzählen, die Sie bestimmt schon mal gehört haben.
Auch da geht es um ein Glas mit Milch, aber jetzt sitzen die Frösche drin und kommen nicht raus. Und der eine Frosch sagt: da kann man nichts machen, wir müssen in der Milch ertrinken. Dahinter stecken bestimmt die Ausländer, die alle nicht-islamischen Frösche loswerden wollen. Und dann gluckert er ab und ist tot. Der andere Frosch strampelt und strampelt und strampelt mit aller Kraft, und am Ende ist das Fett in der Milch zu Butter geworden, und er stellt sich auf den Butterkloß und kann aus dem Glas raushüpfen.
Gut, jetzt kann natürlich wieder einer sagen: Frösche können doch gar nicht sprechen, mit der fettreduzierten Milch heute funktioniert das sowieso nicht, und außerdem bist du wahrscheinlich von der linksgrünen Weltverschwörung gesteuert.
Eine freundliche Welt
Ok, erzähl ich also noch eine Geschichte, die kennen Sie wahrscheinlich noch nicht, jedenfalls ich kannte sie nicht, aber mein Sohn hat die gestern beim Abendessen erzählt.
Da ist ein junger Mann, der hat so eine vererbte Stoffwechselkrankheit mit Muskelschwäche, da wird man immer schwächer und stirbt, bevor man dreißig ist. Der kann nicht raus, hat keine Freunde und sitzt den ganzen Tag am Computer und spielt World of Warcraft, das ist so ein Spiel, wo man im Internet mit anderen zusammen in einer fantastischen Welt kämpft und handelt und sich fortbildet und noch vieles mehr. Und die Eltern denken: schade, dass er keine echten lebendigen Freunde hat, aber er ist wenigstens beschäftigt.
Irgendwann, als er Mitte zwanzig ist, stirbt er dann auch. Aber zu seiner Beerdigung kommen unendlich viele Menschen, von denen die Eltern überhaupt nichts gewusst haben, und da kommt raus, dass er im Internet in diesem Spiel ganz vielen anderen Spielern geholfen hat, ihnen Mut gemacht hat, Gruppen organisiert und für eine gute Atmosphäre gesorgt hat, so dass viele gern mit ihm zusammen gespielt haben. Und für die ist es jetzt ein großer Verlust, dass er nicht mehr da ist.
Vielleicht verstehen Sie jetzt den roten Faden in den Geschichten, die ich erzähle: In der Welt stecken ganz viele Möglichkeiten, aber man muss die auch sehen und nutzen. Wer glaubt, dass das Glas sowieso immer leer ist, hat gute Chancen zu verdursten. Aber grundsätzlich ist es eine freundliche Welt, eine Welt voller Güte und mit reichen Möglichkeiten, und sie funktioniert am besten, wenn man ihr auch mit Güte und Großzügigkeit und mit positiver Erwartung begegnet.
Und jetzt Johannes:
Und Johannes sagt in seiner Einleitung zum Evangelium: das liegt daran, dass Gott, als er die Welt schuf, schon Jesus im Sinn hatte. Er hat die Welt so geschaffen, dass sie zu Jesus passt. Er hat eine jesusartige Welt geschaffen, und als Jesus dann wirklich in dieser Welt lebte, da passte sie perfekt zu ihm. Er wusste, wie man mit ihr umgehen musste.
Ob Menschen mit der Welt zurecht kommen, das liegt in der Regel nicht daran, dass sie böse Absichten haben. Fast niemand steht morgens auf und sagt: heute will ich mal so richtig was Schlimmes tun. Fast alle wollen irgendwie das Gute, aber weil sie glauben, dass die Gläser alle leer sind, klauen sie anderen die Milchflaschen. Und sie glauben, sie hätten keine andere Wahl.
Das Problem ist nicht die böse Absicht, sondern das Bild von der Welt, das sie im Kopf haben. Wenn ich erst verstanden habe, dass die Welt von verkleideten außerirdischen Zombies manipuliert wird, dann muss ich eben mit den besten Absichten ein paar von den Oberzombies erstechen, ich habe ja keine andere Wahl, wenn ich die Welt noch retten will. Klingt doch plausibel, oder?
Jesus zeigt, wie es geht
Das Problem sind eben nicht böse Absichten, sondern unsere Vorstellung von der Welt. Deshalb hat Gott Jesus gesandt, damit er uns zeigt, wie man leben muss, um die Güte der Welt herauszulocken. Jesus sah Möglichkeiten, wo andere dachten: das ist nun mal so, damit muss ich mich abfinden.
Deshalb konnte er Menschen heilen und Stürme beruhigen, deshalb speiste er einen Haufen Menschen mit ein paar Broten und Fischen, deshalb wurden Menschen frei und blühten auf bei ihm, und deshalb konnte er am Ende sogar in den Tod gehen und im tiefen Tal des Todes die Auferstehung finden. Er kam in sein Eigentum, schreibt Johannes. Er kam in die Welt, die für ihn geschaffen war. Und allen, die ihn aufnahmen, gab er die Freiheit, Kinder Gottes zu werden. Das heißt, die denken dann ähnlich wie Jesus und können ähnliche Dinge bewirken wie er.
Ich sage das ganz vorsichtig, weil wir in der Regel nie so gut werden wie Jesus selbst. Er ist und bleibt das Original. Aber je besser wir ihn kennen, um so leichter fällt es uns, der Welt die Güte und Menschenfreundlichkeit zu entlocken, die ihr Schöpfer in sie hineingelegt hat. Wir haben vorhin in der Lesung die Stelle aus dem Titusbrief gehört, wo es heißt, dass die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes unter uns erschienen ist. Damit ist natürlich auch wieder Jesus gemeint. Er ist die Güte Gottes in Person, und deshalb passt er einfach zu der Welt, die der gütige Gott geschaffen hat.
Jesus hatte keine Probleme, sondern Lösungen
So wie ich es bisher erzählt habe, könnte man das aber auch als Naivität missverstehen, nach dem Motto: einfach positiv denken, dann klappt es schon. Das stimmt natürlich nicht, und Johannes weiß das. Deshalb setzt er den Satz »Er kam in sein Eigentum« so fort: Er kam in sein Eigentum – aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Das Licht scheint in der Finsternis – aber die Finsternis wollte es nicht. Jesus kam in eine zerrissene, gewalttätige ungerechte Welt, wo die Menschen glaubten, man könne sowieso nichts daran ändern. Er kam in eine Welt, wo alle meinen, man müsse sich mit den Mächten und Mächtigen irgendwie arrangieren und ihnen Opfer zum Fraß vorwerfen, damit sie einem günstig gesonnen sind. Und da passte Jesus nicht rein, und darum wollten sie ihn nicht.
Aber Jesus hat nicht darüber geklagt, sondern er hat es anders gemacht. Er hat nicht lang und breit die Probleme beschrieben, sondern er hatte die Lösung. Besser: Jesus hatte Lösungen, wo andere noch nicht mal die Probleme sahen. Aber er war nicht naiv. Er wusste, dass die Welt ein dunkler Ort ist. Gerade deshalb ging er mitten hinein in die Finsternis dieser Welt und brachte Licht. Und erst da merkten die ersten, wie dunkel die Welt eigentlich ohne ihn war. Und, wie gesagt, am Ende ist er sogar in den Tod gegangen und hat auch in dieses Herz der Finsternis Licht gebracht. Und Gott hat das gesehen und gesagt: ja, du machst es richtig, und er hat ihn auferstehen lassen.
Die Sache ist nicht simpel
Die Sache ist verwickelt. Weder kann man sagen: es ist eine wunderbare Welt, alles easy, du musst nur positiv denken, dann lösen sich die Probleme von allein. Auf der anderen Seite ist es aber genauso falsch zu sagen: ich bin im falschen Film gelandet, das ist ja eine Mistwelt, alles geht schief, wir werden hier doch nach Strich und Faden verarscht. Und es stimmt noch nicht mal, wenn man sagt: Es ist eben eine Mischung aus beidem.
Nein, es kommt drauf an, wie wir an die Welt herangehen. Denken Sie an den kranken jungen Mann, der so eine positive Wirkung bei World of Warcraft hatte. Der hat da offenbar etwas richtig gemacht. Aber man kann jetzt nicht allen ähnlich kranken Menschen sagen: spiel World of Warcraft, dann wird alles gut! Der hatte da seine Spezialbegabung, die nicht jeder hat. Es gibt keine Regel: so musst du das machen, und dann ist der Erfolg garantiert. So funktioniert die Welt nicht. Es gibt kein Standardrezept. Manchmal beschenkt uns Gottes Welt ganz unerwartet, ohne dass wir sie groß gebeten hätten, und manchmal musst du dich wie ein Terrier in ein Problem verbeißen und dranbleiben und beten und nicht locker lassen.
Es gibt keine Standardregel, außer: rechne mit der Menschenfreundlichkeit Gottes, die in der Schöpfung verborgen ist und in Jesus Gestalt angenommen hat. Dann wird es Lösungen geben. Auch wenn sie manchmal anders aussehen, als du es dir vorgestellt hast.
Jetzt ist die Zeit
Aber so kommen wir heraus aus diesem tragischen Lebensgefühl, wo man sagt: ich möchte ja gerne gut sein, aber leider lassen das meine Vorschriften nicht zu oder der Zustand der Welt überhaupt. Eigentlich habe ich ein gutes Herz, aber die Verhältnisse zwingen mich nun mal zu schlechten Kompromissen. Nein, so nicht. Christen sind nicht naiv, aber sie sehen Lösungen, wo andere ein Problem nach dem anderen aufmachen.
Manchmal erreicht man nicht alles, was man möchte, aber manchmal gewinnt man auch viel mehr, als man erhofft hat. Politisch erleben wir gerade, dass die Internet-Trolle den Menschen einreden wollen, sie wären machtlos und dunklen Verschwörungen ausgeliefert. Und die einzige Lösung ist dann, auf irgendwelche Leute böse zu sein, die Ausländer, die Grünen, die Juden, die Außerirdischen, auf wen auch immer. Und da wird dann irgendwann richtiger Hass draus, und am Ende steigt so ein verwirrter Mensch ins Auto und rast in einen Weihnachtsmarkt. Das ist zwar nicht logisch, aber er hat wenigstens einmal irgendetwas bewirkt. Aber sollen wir jetzt die Autos verbieten, so wie die über 10 cm langen Messer?
Das Problem sind doch nicht die Autos oder die Messer, sondern dass die Ahnung und das Wissen von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes verloren gehen. Dass Menschen gefangen sind in diesem tragisch-zerrissen-pessimistischen Lebensgefühl. Jetzt ist die Zeit, wo wir die biblische Alternative dringend brauchen. Geht nicht gibt’s nicht.