Schwerter zu Pflugscharen
Predigt am 25. Juli 2010 zu Jesaja 2,1-5
1 Dies ist’s, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: 2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, 3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. 4 Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. 5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Ein paar Hundert Jahre vor Jesus entwickelt der Prophet eine Vision, die bis heute ihre Kraft behalten hat: aus Schwertern werden Pflugscharen und aus Spießen Sicheln. Aus Werkzeugen des Krieges und der Zerstörung werden Geräte zum Pflanzen und Ernten. Und die Menschen werden noch nicht einmal mehr im Gebrauch dieser Waffen unterwiesen. Um Krieg zu führen braucht man ja mindestens ein paar Monate Ausbildung. Man muss lernen zu marschieren, ein Gewehr zu laden, zu zielen und den Rückstoß beim Schuss auszuhalten. Man muss sich an den rauen Ton gewöhnen, der beim Militär herrscht, man muss einüben, Befehlen zu gehorchen, auch wenn sie sinnlos oder gefährlich sind. Und man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass man mit seinen Kriegswerkzeugen lebendige Menschen verletzt, verstümmelt und tötet, Menschen, die das Gleiche fühlen wie ich selbst.
Aber der Prophet sagt: diese Fähigkeit zum Kriegführen wird einmal verloren gehen, das Know-How wird aussterben, weil sie auf den Herrn hören werden. Die schreckliche Geißel des Krieges, der so viel zerstört, so schreckliches Leid anrichtet, die wird verschwinden. In der Bibel heißt es eben nicht: Krieg wird es immer geben, weil der Mensch gewalttätig ist. Sondern es heißt: der Krieg wird ein Ende haben, weil Gott ihn nicht will.
Dieses Bild von den Schwertern, die zu Pflugscharen werden, hat ja in der jüngsten Vergangenheit eine erstaunliche Wirkung gehabt. Als sich im Kalten Krieg Ost und West hier in Deutschland gegenüberstanden, bis an die Zähne bewaffnet mit Panzern, Raketen und Atombomben, als es denkbar war, dass diese geballte Zerstörungskraft hier in unserem Land zum Einsatz kommen würde und dann nur noch eine Wüste hinterlassen würde, in dieser Zeit haben Menschen in Ost und West aus diesem Bild Inspiration und Hoffnung bekommen: Schwerter zu Pflugscharen! Krieg ist nicht unabwendbar, Frieden ist möglich! Frieden und Gedeihen ist Gottes Wille, und deshalb können wir Hoffnung haben, weil unsere Sehnsucht nach Frieden mit Gottes Willen in die gleiche Richtung schaut.
Und diese Vision hat dann die Opposition in der ehemaligen DDR beflügelt und wachsen lassen, und aus dieser Keimzelle entstanden am Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Montagsgebete, die immer größer wurden, und daran knüpfte die Volksbewegung an, die schließlich zum friedlichen Ende der DDR führte.
Das Bild von den Schwertern, die zu Pflugscharen werden, war sicher nicht der einzige Faktor, der dazu beigetragen hat, aber es war dabei und hat deutlich eine Wirkung gehabt. Und die Folge ist, dass wir heute tatsächlich in Europa ohne Kriegsgefahr leben, dass Deutschland an seinen Grenzen keine Feinde hat. Und es scheint so, als ob jetzt tatsächlich die Wehrpflicht allmählich ausläuft und der größte Teil der jungen Menschen nicht mehr das Know-How erwerben wird, um Krieg zu führen.
Ich weiß natürlich, dass es immer noch genug schlimme Kriege außerhalb von Europa gibt, und die Kriege auf dem Balkan vor 15 und 20 Jahren waren ja europäische Kriege. Ich weiß, dass es auch bei uns ganz schnell wieder gefährlich werden kann. Und trotzdem ist das eine ganz erstaunliche Sache, überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir jetzt seit 65 Jahren im Frieden leben und seit 20 Jahren auch ohne Kriegsgefahr.
Und dazu hat dieses über zweieinhalb Jahrtausende alte Wort und all die Gedanken, die damit verbunden sind, beigetragen: Schwerter zu Pflugscharen. So funktionieren die Verheißungen Gottes: sie schauen in die Zukunft, auf die letzte Zeit, aber sie formen schon die Gegenwart. Man könnte ja sagen: das ist eine Verheißung für eine zukünftige Welt, wer weiß, wann die mal kommen wird, aber wir leben heute, da ist es noch nicht so weit, jetzt in der Gegenwart, da gelten andere Regeln! Aber diese Verheißung für die letzten Tage bewegt eben auch schon vorher die Menschen, und das soll sie auch. Sonst hätte Gott sich ja die Mühe sparen können, sie aussprechen zu lassen. Diese Bilder und Worte arbeiten jetzt schon an den Menschen, an ihrem Herzen und an ihrer Einsicht, und sie tun es durchaus erfolgreich.
Dieses »Schwerter-zu-Pflugscharen«-Bild ist nun ein Spezialfall der Situation, die der Prophet überhaupt im Auge hat: Menschen kommen, um die Weisung Gottes einzuholen und von ihm zu lernen. So wie Menschen erst lernen müssen, Krieg zu führen, so müssen sie auch erst lernen, friedlich und gerecht zu leben. Es reicht nicht, zu sagen: Ich bin für Frieden und Gerechtigkeit! Sondern man muss lernen, was das ist und wie das geht.
Und nun ist die Hoffnung, dass der Berg Zion, der Tempelberg in Jerusalem, eines Tages der Punkt sein wird, wo man all das lernen kann, und dass die Völker tatsächlich kommen werden, um zu lernen, weil sie ihr Defizit spüren, weil sie merken, dass ihnen wirklich das Know-How zum Frieden fehlt, und dass sie dann bei Gott tatsächlich bekommen, was sie suchen.
Jesus hat das dann Jahrhunderte später aufgenommen und es auf seine Jünger angewandt. Wir haben die Stelle vorhin in der Lesung gehört: »Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.« Die Jünger Jesu sollen diese Funktion des Tempelberges bekommen. Der Berg Zion bekommt sozusagen viele kleine Filialen überall in der Welt. Jesus setzt dieses große alte Bild von dem Tempelberg, der sich so hoch erhebt, dass er von überall her zu sehen ist, um. Er setzt das alte Bild um in ein praktisches Konzept: seine Jünger, die überall hingehen und bei allen Völkern zu sehen sind. Es wäre ja tatsächlich schwierig, sich vorzustellen, dass sämtliche Bewohner der ganzen Welt nach Jerusalem zum Tempel kommen, um sich da beraten zu lassen. Das könnte man sich wirklich erst in einer wunderbaren Zukunft vorstellen.
Aber dass es überall in der Welt kleine Filialen des Zion gibt, und dass man dort lernen kann, wie man gerecht und friedlich lebt, das ist grundsätzlich gut vorstellbar. Wir hätten sicher die Frage, ob wir als Jünger Jesu schon das Know-How dafür haben, aber vorstellbar ist das. Und die Zuversicht ist ja, dass die Menschen auch kommen werden, wenn es da wirklich etwas zu lernen gibt. Bei diesem Wort von den Schwertern, die zu Pflugscharen werden sollen, ist es ja auch so gewesen, dass das in der Zeit des Kalten Krieges keine große Propaganda brauchte, sondern die Menschen haben es weitergetragen und bedacht und damit gelebt, einfach weil es in sich stark war und passte.
Uns so sagt Jesus seinen Jüngern: konzentriert euch darauf, dass ihr wirklich Salz der Erde und Licht der Welt seid, seid es wirklich und versteckt euch nicht, dann wird das auch bekannt werden. Die Stadt auf dem Berge wird nicht übersehen werden. Gott wird dafür sorgen.
Und so ist das tatsächlich unsere Aufgabe, kleine Filialen des Zion zu sein. Nicht in dem Sinn, dass wir einfach auszuführen hätten, was in Jerusalem oder Rom oder Hannover beschlossen wird, sondern so, dass unter uns etwas zu lernen ist, wie man das hier an unserem Ort und in unserer Zeit macht: in Gerechtigkeit und Frieden leben. Das betrifft einmal den Umgang mit Gewalt. Denn man kann einen Menschen nicht nur mit Waffen angreifen, sondern auch mit spitzer Zunge und Kritisieren und Nörgeln. Und da gibt es auch im kleinen Rahmen viel zu lernen, wie man darauf reagiert und wie man selbst davon frei wird.
Aber es geht weiter. Zum Frieden gehört heute unübersehbar auch das Verhältnis zur Schöpfung dazu. So wie uns im Kalten Krieg die Gewalt beinahe dazu gebracht hätte, die Erde unbewohnbar zu machen, so sind wir im Augenblick dabei, durch Gewalt gegen die Schöpfung unseren Planeten zu ruinieren. Und damit wir uns daran nicht gewöhnen, brauchen wir wieder Visionen, die an unseren Herzen arbeiten, und wir brauchen das Wissen, wie wir persönlich gerecht und fair leben können, ohne das Klima noch mehr zu belasten und ohne schuldig zu werden an bedrückenden Arbeitsbedingungen irgendwo in China oder Indien. Wir brauchen Wissen darüber, wie wir uns ernähren können, ohne dass Tiere dafür grausam gehalten und gnadenlos getötet werden. Es ist wichtig, einigermaßen sicher zu sein, dass man durch seinen Lebensstil nicht zur Vergiftung der Welt beiträgt. Und es muss einen Ort geben, wo die Freude an der Schöpfung ihren Raum hat, wo man Gott lobt für das tägliche Brot, wo man für den Frieden und das Brot zu danken lernt, damit wir auch in uns selbst gesund werden und bleiben und nicht vergiftet werden mit der täglichen Dosis Gedankenmüll, die von überall her bei uns abgeladen wird.
Denn die großen Entscheidungen der Regierungen, national und weltweit, die sind ja nicht willkürlich und beliebig, sondern sie sind angebunden an das Denken der Völker. Im Guten wie im Bösen kann keine Regierung ganz andres handeln, als wie es dem Volk entspricht, für das sie handelt. Und wenn die Menschen lernen, wie man gerecht und friedlich lebt, dann kann keine Regierung das ignorieren. Wenn es hier in Europa bei den Menschen nicht z.B. so eine verbreitete Abneigung gegen Gentechnik gäbe, dann wäre sie auch bei uns schon längst schrankenlos erlaubt. Und andersherum: wenn die Menschen sagen »ist mir doch egal, wenn die Küste ölverpestet wird, Hauptsache mein Tank ist voll«, dann kommt auch eine gute Regierung da kaum gegen an.
Deswegen ist es so enorm wichtig, dass wir Christen lernen, wie man mehr Freundschaft mit der Schöpfung, mit dem Leben entwickelt und das Tag für Tag umsetzt. Die Sache ist so kompliziert, dass es ein Einzelner da sehr schwer hat, sich in die Materie einzuarbeiten. Aber gemeinsam können wir das. Miteinander können wir lernen, wie man Tag für Tag gerecht und in Frieden mit der Schöpfung lebt.
So ein geniales Bild wie das von den Schwertern und den Pflugscharen in die Welt setzen, das ist Gottes Sache. Und das dann im richtigen Moment in die Gedanken und Worte vieler Menschen zu bringen, das muss auch der Heilige Geist tun. Aber wir können die kleineren Dinge tun: nachdenken, miteinander reden, beten, hören, uns ändern, umkehren, für Gott offen sein, dafür Zeit und Kraft einsetzen. Das wird Gott nicht unbeachtet oder unbeantwortet lassen.
Das Bild von der Stadt auf dem Berg, vom Zion und seinen kleinen Filialen, ist auch so Bild, das unsere Fantasie und unsere Energie aktivieren soll. Lebendige Zellen, in denen eine Alternative nicht nur behauptet, sondern gelebt wird. Die beste Kritik an schlechten Verhältnissen besteht ja darin, es besser zu machen. Jede gute Alternative entzieht der schlechten Realität ihre Macht. Es liegt nicht in unserer Hand, wann Menschen das wahrnehmen und danach fragen. Möglicherweise muss es dazu alles erst noch viel bedrohlicher werden. Aber wenn es so weit ist und Menschen es wirklich wissen wollen, dann sollen sie es auch bei uns finden können.