Bilder, die die Angst vertreiben
Predigt am 17. Juli 2016 zu Jesaja 2,1-5
1 Dies ist’s, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem:
2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, 3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. 4 Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Schwerter zu Pflugscharen
In Tagen voller Unfrieden und Gewalt hören wir dieses Wort von den Völkern, die nicht mehr für den Krieg trainieren, sondern ihre Schwerter umschmieden zu Pflugscharen. Niemand wird mehr sein Schwert erheben, sondern sie werden in großer Zahl zum Berg Gottes kommen, weil dort Gerechtigkeit und Weisung zu finden ist. Das ist ein großartiges Bild, die Verwandlung von Kriegswaffen in Werkzeuge zur Bekämpfung des Hungers. Und man kann das in die Gegenwart übertragen und sagen: Panzer werden zu Traktoren, Aufklärungsflugzeuge fliegen nur noch für die Wettervorhersage, und Menschen finden einen besseren Sinn für ihr Leben, als dem Tod und der Zerstörung zu dienen.
Diese große Hoffnung ist gemeint, wenn in der Bibel von den »Letzten Tagen« oder vom »Tag des Herrn« die Rede ist: dass der Gewalt ein Ende gemacht wird. Dass Menschen nicht mehr in Furcht leben müssen. Dass Menschen bessere Bilder in ihrem Kopf haben als die Bilder der Gewalt und Zerstörung. Denn worauf wir schauen, das bewegt unsere Gedanken. Worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, das prägt uns, das liefert uns den Rahmen, in dem wir denken und fühlen. Was ist unser Horizont, in dem wir denken, was für ein Bezugssystem haben wir, in das wir die Erschütterungen und die Gewalt einordnen, von der wir dauernd hören?
Ein Lebensgefühl der Angst?
Vielleicht haben Sie in der vergangenen Woche auch gelesen, dass 2015/16 das Jahr war, in dem in Deutschland laut einer Untersuchung das Angstniveau massiv in die Höhe gegangen ist. Und das hat vor allem zu tun mit den politischen Entwicklungen, mit den Kriegen und den Anschlägen. Ich zähle die Stationen jetzt nicht alle auf, und in der vergangenen Woche sind ja schon wieder genug neue Bilder dazu gekommen.
Das alles frisst sich hinein in das Denken und ins Lebensgefühl. Und genau das wollen ja die Urheber. Das heißt, ich weiß nicht wirklich, was in den Köpfen von Leuten vorgeht, die andere Menschen in möglichst großer Zahl in den Tod reißen. Aber es reicht, die Botschaft der Taten selbst zu lesen. Und die lautet: ihr sollt im Horizont von Gewalt leben, ihr sollt im Horizont von Gewalt denken, Gewalt ist die Wirklichkeit, die zählt.
Wir alle kommunizieren unser Weltbild mit der Art, wie wir leben. Wenn Menschen erst einmal ein Weltbild voller Gewalt entwickelt haben, dann kommunizieren sie das auch: mit Worten, mit Symbolen, und am Ende mit Taten. Und das ist ein ansteckendes Weltbild. Wir können das immer wieder erleben, dass Gewalt und Kriege in vielen Menschen ähnlich gewaltsame Reaktionen produzieren. Wogegen die sich dann richten, das spielt gar keine Rolle. Gewalt als solche steckt an. Die einen planen den Terror, die anderen führen Krieg gegen den Terror, und sie teilen miteinander den Glauben an die Gewalt und das Denken in diesem Rahmen. Und wir sind es, die da hineingezogen werden sollen.
Allianz der Gewaltgläubigen
Immer geht es um ein Weltbild der Angst, das als Lösung und Hilfe nur Gewalt kennt. Da sind sie sich alle einig: die Terroristen jeder Richtung genauso wie die, die den Krieg gegen den Terror führen und die, die den Hass gegen alle, die anders sind, verbreiten. Auf den ersten Blick sind sie sich spinnefeind, aber in Wirklichkeit sind sie auf einer tieferen Ebene Verbündete. Alle miteinander wollen sie uns hineinziehen in ihr kaputtes Denken. Und alle setzen sie darauf, dass die Bilder von Gewalt und Schrecken die beste Propaganda dafür sind.
Deswegen brauchen wir andere Bilder wie die von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, damit wir in einem anderen Horizont denken können. Ein bloßes Nein reicht nicht, wir müssen etwas Anderes und Besseres haben. Und deshalb geht dieses Bild durch die Welt, schon seit über zweieinhalb Jahrtausenden, und entfaltet seine Kraft, dass die ganze Energie, die Menschen in Krieg gesteckt haben, für Besseres genutzt wird. Und dass Menschen nicht mehr so hingebogen werden, dass sie andere töten.
Nicht mehr lernen, Krieg zu führen
Menschen sind ja nicht so geboren, dass sie darauf brennen, anderen das Leben zu nehmen. Menschen müssen dafür lange trainiert werden. Wie viele Soldatengenerationen sind mit Leid und Demütigung trainiert worden, mit endlosem Exerzieren, bis sie wie ein einziger Körper losgezogen sind, und am Ende dann auch im Gleichschritt in die Schlacht marschiert sind und auch mitten in Kampf und Todesgefahr funktioniert haben? Das Normale wäre, wegzulaufen, so schnell wie möglich. Da einfach weitermachen, das muss man erst mal können, das braucht langes Training. Und Menschen haben dieses Training dann mit nach Hause gebracht und waren fürs Leben geprägt. Die sind dann bei allen möglichen Gelegenheiten marschiert.
Heute ist Marschieren ja keine aktuelle Kampftaktik mehr, aber wenn moderne Einzelkämpfer aus dem Krieg nach Haus kommen, dann sind sie auf andere Weise geprägt und viele werden das auch ein Leben lang nicht los. Und auch bevor ein Mensch sich selbst und andere in den Tod reißt, muss er erst umgebogen werden oder sich selbst dazu fertig machen.
Hier bei Jesaja stoßen wir auf die Hoffnung, dass Menschen eines Tages diese ganze Last des Unfriedens einfach nur loswerden wollen. Dass sie sich wirklich wünschen, einen anderen Weg gehen zu können. So wie die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg in großer Breite gesagt haben: nie wieder Krieg! Das wollen wir nicht wieder erleben! Wer wieder ein Gewehr anfasst, dem soll die Hand abfallen! Das war so ein starker Wunsch, dass wir bis heute noch davon profitieren. Die ganze Friedensordnung in Europa ist damals begründet worden. Das ist ein kleines Modell für den großen Tag, an dem die ganze Menschheit endlich genug hat von dem Gewaltkreislauf, der so viel zerstört.
Hoffnung auf eine Alternative
Und die Hoffnung ist, dass sie sich dann fragen: wo können wir einen anderen Weg lernen? und sich umschauen und dann zum Berg des Herrn kommen, weil sie sich vom Gott Israels Weisung erhoffen. Weil sie ahnen, dass es dort eine Alternative gibt, die den Gewalthorizont durchbricht.
Es braucht also zwei Dinge, die zusammenkommen müssen: die Menschen müssen sich danach sehnen, endlich herauszufinden aus den ganzen Zerstörungen, die sie sich gegenseitig antun. Es muss erst einen Moment geben, wo sie nicht mehr auf den Sieg hoffen, sondern wo sie sich einfach nur noch wünschen, in Frieden leben zu können. Ein Moment, wo sie sogar bereit sind, buchstäblich meilenweit zu gehen, um zu hören, wie es anders geht. Wo sie merken, wie kostbar so eine Alternative ist.
Und auf der anderen Seite muss da ein Ort sein, wo diese Alternative zu finden ist. Wo gibt es eine Art zu leben, die anders ist? Dafür hat Gott sein Volk ins Leben gerufen und es über lange Zeit begleitet, hat es in einer langen Geschichte vorbereitet, damit es ein Hinweis sein konnte auf seine Alternative. Und immer wieder sind in dieser langen Geschichte Lichter aufgeleuchtet, die angezeigt haben, wo es hingehen sollte. Auch schon ganz früh, wie hier bei Jesaja.
Eine alte Hoffnung
Mehr als ein halbes Jahrtausend vor Jesus ist hier schon die Hoffnung da, dass es bei Israels Gott einen Weg des Friedens für alle Völker gibt. Da hätte noch keiner sagen können, wie das denn genau gehen könnte, aber die Hoffnung war da. Und bei Jesus hat das dann schon deutlich Gestalt angenommen. Wir haben vorhin in der Evangelienlesung (Matthäus 5,13-15) gehört, wie er seine Jünger mit der Stadt auf dem Berge vergleicht, die man nicht übersehen kann. Wieder die Hoffnung auf eine erkennbare Alternative. Und Jesus sagt das im Rahmen der Bergpredigt, wo er seinen Weg der Hoffnung auf Gottes großen Segen entfaltet, dem wir auch im Angesicht von Unrecht und Gewalt vertrauen sollen. Der Weg der Feindesliebe und des Schenkens. Da werden die Umrisse von Gottes Alternative schon sehr deutlich.
Und von da ab sind es die Jünger Jesu und viele andere gewesen, unter denen diese Alternative immer wieder Gestalt angenommen hat. Sie hat sich ihre Leute gesucht. Und auch da hat es diese Momente gegeben, in denen die Alternative stark war und ausgestrahlt hat und Spuren hinterlassen hat in der Welt. Und immer wieder kommt das auch zusammen, die Sehnsucht von Menschen, herauszufinden aus dem Gewalthorizont und die Alternative, die von Gott her in die Welt kommt. Immer wieder ist das ein Vorgeschmack auf den großen Tag, wo das endgültig zusammen findet und die Welt gestaltet.
Gestalten durch Ausstrahlung
Diese Vorstellung vom Berg Gottes, dem Zionsberg, dem Berg, auf dem dann der Tempel von Jerusalem erbaut wurde, die hat sich dann weiterentwickelt und ist in der Offenbarung des Johannes zum Bild vom Neuen Jerusalem geworden. Und ich habe mich immer gefragt: warum bleibt es auch in allen Visionen des großen, endgültigen Tages nur bei der Vorstellung eines Ortes? Warum ist es nicht die ganze Welt?
Und ich glaube, da zeigt sich ein Prinzip, das sich durch die Bibel hindurchzieht: die Welt wird von Gott nicht so geprägt, dass er sie beherrscht, so wie ein Staat eine Verwaltungsstruktur hat, die alles regelt, bis ins letzte Dorf hinein. Das schafft im Innern Sicherheit, aber nach außen führen dann solche Staaten vielleicht Krieg miteinander. Gott macht es anders. Er schafft ein Zentrum, von dem aus etwas ausstrahlt. Er überzieht die Welt nicht mit so einer Art Verwaltungsnetz, sondern er richtet seine Alternative auf, damit die am Ende dann alle zurückruft zu seinem Weg des Lebens.
Deshalb endet diese Passage damit, dass da steht: lasst uns leben im Licht des Herrn! Vielleicht ist das gar nicht von Jesaja, sondern vielleicht hat da ein Späterer die richtige Schlussfolgerung gezogen: wir sind nicht verantwortlich für die ganze Welt, sondern wir sind dafür da, dass eine deutlich erkennbare Alternative da ist. Wann der Tag kommt, wo die Menschen nach der Weisung Gottes suchen werden, so wie ein Verdurstender Wasser sucht, das liegt nicht in unserer Hand. Aber unsere Sache ist es, so gut es geht die Alternative zu verkörpern, damit die dann auch da ist, wenn die Menschen danach fragen.
Eine Zone der Freundlichkeit
Und da geht es keineswegs nur darum, ein bisschen nett zueinander zu sein. Es geht darum, auch in bösen Zeiten der Angst zu widerstehen, nicht der Propaganda der Gewalt auf den Leim zu gehen. Sich nicht von Hilflosigkeit beherrschen zu lassen. Klar zu bleiben statt in Panik zu geraten. Freundlich zu bleiben statt sich zu empören. Barmherzig zu bleiben statt zu schimpfen. Anzupacken und zu helfen statt sich zu bemitleiden. Gastfreundlich zu sein. Lieber Blut zu spenden als Blut zu vergießen. Und das alles so erkennbar, so deutlich wie möglich umzusetzen. Eine Zone der Freundlichkeit und Solidarität zu bilden, die ausstrahlt. Das wirkt. Unser Land sähe anders aus, wenn es das nicht an vielen Orten geben würde, groß oder klein.
Und die hat ihren Ursprung bei Gott und nicht bei Menschen. Wenn man auf Menschen schaut, dann ist vieles problematisch. Menschen und ihre Glaubwürdigkeit werden chronisch überschätzt. Unsere Glaubwürdigkeit reicht immer nur ein Stück weit, beim einen mehr, beim anderen weniger. Aber es ist Gott, der auch mit nur begrenzt glaubwürdigen Menschen etwas bewirkt.
Gott sendet sein Wort in die Welt, und es entfaltet seine Wirkung, Jahrhundert um Jahrhundert. Deswegen haben wir Hoffnung, Deswegen muss unser Angstpegel nicht in die Höhe gehen. Wir gehen zum Berg Gottes, dahin, wo seine Weisung und Gerechtigkeit zu finden sind. Das ist unser Weg und unsere Aufgabe. Und wenn der richtige Moment da ist, dann wird es Menschen geben, die genau danach suchen und froh sind, es beim Volk Gottes zu finden.