Der Gott, der Gerechtigkeit und Solidarität schafft
Predigt am 12. Februar 2017 zu Jeremia 9,22-23
22 So spricht der Herr: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums. 23 Nein, wer sich rühmen will, rühme sich dessen, dass er Einsicht hat und mich erkennt, dass er weiß: Ich, der Herr, bin es, der auf der Erde Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft. Denn an solchen Menschen habe ich Gefallen – Spruch des Herrn.
Der Prophet Jeremia lebte in einer Zeit der herankommenden Katastrophen. Er hat von Gott her gespürt, dass es nicht mehr lange gutgehen würde, er hat immer wieder sein Volk davor gewarnt, dass ihr Weg ins Unglück führt, aber niemand wollte es hören. Auch unser Abschnitt ist da eingebettet: vorher (8,1 – 9,21) eine Beschreibung von drohender Zerstörung, wo man sich an Bilder aus dem heutigen Syrien oder aus anderen Kriegsgebieten erinnert fühlt, und danach (10,1-16) geht es um die falschen Götzen, die Menschen sich zurecht machen, auf die sie vertrauen, und die doch bloß das Werk ihrer eigenen Hände sind, das niemandem nützen wird.
Jeremia hat es noch miterlebt, wie seine Albtraumvisionen Wirklichkeit wurden, wie Jerusalem zum Schutthaufen gebombt wurde und sein Volk beinahe ausgerottet und in alle Winde zerstreut wurde: verschleppt, vertrieben, geflohen, massakriert, verhöhnt, verhungert. Er hat Recht behalten, ohne dass ihm das irgendetwas genützt hätte, ohne dass er irgendwann triumphierend hätte sagen können: seht ihr, ich habe es euch gesagt! Es ist keine Freude, in den Trümmern seiner Heimat Recht zu behalten.
Erst spätere Generationen haben wenigstens gelernt aus dem, was Jeremia gesehen hat, und was seine Generation nicht von ihm hören wollte. Das hat das Volk Gottes zutiefst geprägt: das Wissen darum, dass die falschen Götzen erst eine falschen Sicherheit geben und anschließend in den Abgrund führen. Das hat es nie vergessen, auch wenn es sich nicht immer daran gehalten hat.
Was bedeutet »Rühmen«?
Mitten dazwischen stehen wie eine Scharnierstelle diese Sätze: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums. Was bedeutet dieses altertümliche Wort »rühmen«, das wir normalerweise kaum noch benutzen? Im Originaltext steht da der Wortstamm, der auch in »Halleluja« vorkommt, und da geht es darum, Gott zu loben und zu preisen. Dieser Wortstamm steht hier aber in einer Form, die sagt, dass jemand sich selbst lobt, sich selbst den Lobpreis bringt, den eigentlich Gott verdient. Am besten könnte man das übersetzen mit »sich selbst beweihräuchern«, weil da dieser religiöse, kultische Unterton mit dabei ist. Kurzum, das Wort hat eine große Spannweite: es kann »angeben mit« bedeuten, es kann heißen: »sein Selbstbewusstsein ziehen aus«, es kann heißen: »stolz sein auf«, es kann bedeuten: »sich verlassen auf«. Also: der Börsenguru meine nicht dass die Aktienkurse nach seiner Pfeife tanzen, die Spitzenmanagerin sei sich nicht sicher, dass sie den Laden im Griff hat, der Profi glaube nicht, seine Zertifizierungen schlössen katastrophale Fehleinschätzungen aus.
Macht, Reichtum und Wissen sind alles Hilfskonstruktionen, mit denen Menschen sich Mut machen, die sie hochhalten und sagen: hier hab ich was, das mich vor dem Absturz ins Nichts bewahrt! Ich stehe nicht mit leeren Händen da, ich bin nicht schutzlos, ich bin nicht irgendwer, ich habe doch was und ich kann doch was! Und trotzdem wissen wir alle im Grunde, dass das Sandburgen sind, die schon von der nächsten Welle weggespült werden können. Aber die Einen verschließen davor die Augen fester als die anderen.
Wieviel Reichtum ist schon zerbröckelt und verschwunden, großer und kleiner, wieviel Macht ist schon implodiert, manchmal in ganz kurzer Zeit. Wieviel anerkannte Gewissheiten sind binnen Kurzem zu Schnee von Gestern geworden. Ich kann mich noch erinnern an die Kommentare politischer Fachleute, die vor ein oder zwei Jahren im Brustton der Überzeugung darlegten, weshalb einer wie Trump in Amerika nie gewählt zum Präsidenten gewählt werden könne.
Was ist jetzt die Konsequenz? Allgemeine Verunsicherung? Davon haben wir ja schon genug, und die Leute klammern sich dann erst recht an ihr bisschen Gewissheit, an irgendwas Götzenähnliches, beweihräuchern sich gegenseitig, weil sie sonst nichts haben. Um an Gott zu glauben, dafür sind sie ja viel zu klug.
Gott, der auf der Erde Recht schafft
Aber Jeremia, der die Katastrophe sehr klar herankommen sah, sagt: wer sich rühmen will, wer nach irgendwas Ausschau hält, auf das er stolz sein kann, wer nach etwas sucht, worauf er sein Selbstbewusstsein gründen kann – hier ist es: sei einer, der Gott kennt und von ihm bewegt wird! Das ist das, worauf man stolz sein darf. Geh mutig und erhobenen Hauptes durch die Welt, weil du den wahren und lebendigen Gott kennst, gegenüber dem die toten Götzen aller Art nur billige Karikaturen sind!
Und das sagt gar nicht mal Jeremia selbst, sondern der gibt nur Gottes Wort weiter. Und da definiert sich Gott geradezu: »Ich, der Herr, bin es, der auf der Erde Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft.« Darauf kannst du dein Selbstbewusstsein gründen, dass wir einen Gott haben, der seine Schöpfung zurückholt in die umfassende Solidarität, zu der sie geschaffen ist. So beschreibt Gott sich selbst. Da hinein setzt er seine Ehre. Das ist das Stabile in all der Verwirrung und dem Chaos, das sich in der Welt ausbreitet: Gott holt sich seine Schöpfung zurück. Und das ändert sich auch nicht bei Jesus und im Neuen Testament, da wird es nur klarer, auf welchem Weg Gott das tut. Da wird klar, dass auch der Tod am Ende zurückweichen muss.
Der exzentrische Mittelpunkt
An dieser Stelle wird das Sich-Selbst-Beweihräuchern ad absurdum geführt: du darfst ruhig angeben, aber mit etwas, was du gar nicht tust. Du darfst stolz sein auf etwas, was gar nicht dein Verdienst ist. Du kannst dein Selbstbewusstsein bauen auf jemanden, den du nicht unter Kontrolle hast. Du kannst herausfinden, wer du bist, indem du von dir wegschaust. Du kannst dich in der Welt zurechtfinden, wenn du einen Kompass hast, der über die Begrenzungen dieser Welt hinausweist.
Gott hat uns geschaffen als Wesen, die auf ihn hin angelegt sind. Der Programmierer könnte sagen: wir haben eine offene Schnittstelle zu ihm. Als Astronom könnte man formulieren: Wir sind der Planet, dessen Bahn man nur versteht, wenn man die Sonne mit einberechnet, und diese Sonne, um die wir kreisen, ist Gott. Unser Wesen liegt außerhalb von uns selbst. »Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir« hat der Kirchenvater Augustinus gesagt. Unser Zentrum liegt nicht in uns, sondern in Gott, und wenn wir versuchen, uns selbst zum Zentrum zu machen, dann kommen wir aus dem Gleichgewicht und geraten ins Trudeln.
Seit dem Turm zu Babel wollen Menschen ihr Selbstbewusstsein auf etwas Hohes und Eindrucksvolles gründen, das sie selbst geschaffen haben. Dafür sind sie bereit, sich abzurackern und zu schuften, ihre ganze Energie zu opfern, und wenn das am Ende doch nicht klappt, dann folgen sie jedem aufgeblasenen Egomanen, wenn er nur verspricht, sie wieder groß zu machen.
Verlässliche Gewissheit
Aber in Wirklichkeit haben wir schon längst unsere Würde geschenkt bekommen, sie wartet auf uns, wir sind geliebt und geschätzt vom Schöpfer Himmels und der Erden, wir haben eine wunderbare Heimat für uns und alle Menschen, die trotz allem immer noch voller Schönheit und Wohlgeruch ist, wo Menschen immer wieder das Wunder der Anderen entdecken, das Wunder anderer Kulturen und Hautfarben, das Wunder des anderen Geschlechts und das Wunder anderer Lebenswege und anderer Charakterzüge, das Wunder aller Mitgeschöpfe von den kosmischen Makrostrukturen bis zu den kleinsten lebendigen Wesen; trotz allem, immer noch, alles geschenkt, von dem Gott, der uns nahe ist wie kein anderer, und der seine Geschöpfe nie aufgeben wird.
Wer Sicherheit sucht, wer nicht schutzlos dem Chaos in die Hände fallen will, der soll auf den lebendigen Gott bauen, der das große Netzwerk des Lebens geschaffen hat, durch das immer noch und trotz allem sein Segen fließt. In den guten und sicheren Zeiten kann man das vielleicht mal vergessen, da kann man glauben, man hätte alles unter Kontrolle, aber wenn die Zeiten schlechter werden, dann muss man unbedingt wissen, wie man Leben und Hoffnung aus den verborgenen Quellen schöpft. Wer in gefährlichen Zeiten immer noch glaubt, er könnte auf Geld, Macht und sein Bescheidwissen vertrauen, der wird von der Gefahr gefressen.
Bescheidenes Hören
Stattdessen hören wir bei Jeremia von »Einsicht«, von einem demütigen Hinhören und Hinsehen, um zu vernehmen, was Gott sagt. Wenn unsere Mitte gar nicht in uns selbst ist, wenn wir gar nicht vollständig sind ohne die anderen und ohne den Anderen, dann macht das aufmerksam. Wir müssen Hinschauen und Hinhören, wir sind bereit, uns überraschen zu lassen, wir ziehen in Erwägung, dass es alles noch einmal ganz anders sein könnte, und wir gehen trotzdem in Entschiedenheit unseren Weg. Wir wissen von den Aposteln und den ersten Christen, wie sehr wir die anderen brauchen, und wir sind trotzdem bereit, wie Jeremia ganz allein zu stehen und zu wissen, dass wir mit Gott zusammen die Mehrheit sind. Wir sind in großer Gefahr, und wir dürfen trotzdem ruhig schlafen wie Petrus in der Nacht bevor er hingerichtet werden sollte – und er lebte wirklich noch lange weiter. Es ist auf den ersten Blick alles widersprüchlich, aber es bekommt seine Ordnung und seinen Sinn, wenn Gott mit ins Bild kommt.
Liebe Freunde, wir müssen erst wieder lernen, dass das keine raffinierten Paradoxien sind, spitzfindige Formulierungen von Leuten, die gern mit Worten spielen, sondern dass das einfach die Realität ist, in der das Volk Gottes lebt. Haben wir uns da schon genug eingeübt, um vorbereitet zu sein, wenn die Welt ins Wanken gerät und die Sterne, nämlich die Stars und Sternchen, vom Himmel fallen? Wenn die Mächte im Großen und im Kleinen ins Wanken geraten, weil Gott kommt und sich seine Welt zurückholt? Wieviel Energie stecken wir da hinein, uns zu üben, Gott kennenzulernen, der auf der Erde Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft? Sind wir vorbereitet, um Gott zu erkennen, wenn er kommt und die Erde erschüttert?
Wer etwas haben möchte, worauf er wirklich stolz sein kann, der sei stolz darauf, dass er sich rechtzeitig vertraut gemacht hat mit dem Herrn der Welt, der unsere wirkliche Mitte ist.