Die Ökonomie Gottes
Predigt am 5. Oktober 2008 (Erntedankfest) zu Hebräer 13,15-16
15 Durch Jesus nun wollen wir Gott ein immer währendes Dankopfer darbringen: Wir wollen ihn preisen und uns zu seinem Namen bekennen. 16 Und vergesst nicht, Gutes zu tun und einander zu helfen. Das sind die Opfer, an denen Gott Freude hat.
Das sind zwei Sätze aus der biblischen Wirtschaftslehre. In der Bibel finden wir immer wieder solche Sätze, die Hinweise darauf geben, wie der Güteraustausch in der Schöpfung funktioniert. Und es hat immer damit zu tun, dass man den Strom des Segens, den Gott fließen lässt, nicht unterbricht.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Lesung vorhin – wie da breit dieser Strom des Segens beschrieben wird, aus dem alle Geschöpfe leben. »Du öffnest deine Hand, und alle werden satt«. Zum Erntedankfest feiern wir dieses Segnen, Schenken und Teilen Gottes. Seine guten Gaben stehen im Mittelpunkt des Gottesdienstes: anzuschauen in Früchten und Blumen, die an diesem Tag die Kirche schmücken.
Segnen, Loben und Teilen – das sind die elementaren Wirtschaftsprinzipien, auf denen Gott unsere Welt gebaut hat. Sein Segen ist die Grundlage von allem – ein ständiger Fluss von Zuwendung, von Liebe, von Leben, von Gedeihen und Wachsen. Der Segen hält alles am Leben, er sorgt dafür, dass die Schöpfung immer wieder neu wird, dass Schäden und Unglück immer wieder ausgeglichen und repariert werden.
Wir werden krank, aber unser Körper bringt das fast immer irgendwie wieder in Ordnung, wenn er ein bisschen Unterstützung und Ruhe bekommt. Es gibt Naturkatastrophen, Stürme, Brände, Überflutungen – aber das Leben kehrt zurück, und nach einiger Zeit ist nichts mehr von der Katastrophe zu spüren.
Leben ist eine ganz starke Kraft. Leben organisiert die tote Materie, so dass etwas aufblüht und wächst und die Öde abgelöst wird durch Farben und Freude und Fülle. Das Leben stammt ursprünglich von Gott, er hat sein eigenes Leben in die Schöpfung hineingelegt, aber das Leben hat immer noch Verbindung zu Gott, es ist nicht abgekoppelt von ihm, sondern es kommt auch weiterhin aus seiner Hand.
Deshalb heißt es in dem Psalm, den wir vorhin gehört haben: Doch wenn du dich abwendest, sind sie verstört. Wenn du den Lebenshauch zurück nimmst, kommen sie um und werden zu Staub. Leben ist keine unabhängige Energie, sondern es kommt Tag für Tag aus Gottes Hand, und wenn die Verbindung zur Quelle der Energie abreißt, dann wird das Leben mühsam und schwer und am Ende bleibt nichts mehr übrig als tote Materie. Alle Geschöpfe leben deshalb, weil tote Materie durch die liebevolle Zuwendung Gottes Anteil bekommt an Seinem eigenen Leben, und weil diese belebte Materie immer neu durch Gottes Segen mit ihm in Verbindung bleibt.
Und als Jesus gekommen ist, da hat er uns vorgemacht, wie man auch jetzt noch aus diesem Segen leben kann. Selbst in unserer Welt, wo so viel kaputt gegangen ist durch Misstrauen und Raffgier und Gewalt, selbst unsere Welt reagiert, wenn wir sie behandeln als die gute, gesegnete Schöpfung Gottes. Das hat Jesus getan, und um ihn herum wurde es wieder wie im Paradies.
Die grundlegende Frage der biblischen Wirtschaftslehre ist deshalb: wie kann der Segen wieder ungehindert durch die Schöpfung fließen? Was muss man tun, damit dieser Strom des Segens nicht blockiert wird? Und die Antwort ist immer wieder: ihr Menschen müsst auch nach diesen Regeln von Segnen, Loben und Teilen leben. Es hängt ganz stark von euch ab, dass diese Kreisläufe funktionsfähig bleiben.
In der Wirtschaftstheorie haben Danken und Loben und Schenken keinen Platz. Da wird der Mensch gesehen als jemand, der so viel wie möglich verdienen will. Aber wir alle wissen, dass es für Menschen noch ganz andere Antriebe gibt: Freude ist ein ganz starker Antrieb, Freude und Begeisterung für Arbeit zum Beispiel: die wenigsten Menschen möchten eigentlich innerlich kündigen und nur ihren Job irgendwie machen, sondern eigentlich möchten Menschen gute Arbeit abliefern, die nützlich für andere ist. Wir sind doch gar nicht so, dass wir am liebsten Tag für Tag vorm Fernseher liegen und Chips und Bier in uns reinschütten. Oder Danken: wenn ich jemandem etwas bezahlt habe, dann bin ich ja eigentlich mit ihm quitt, er hat sein Geld bekommen, und trotzdem ist es richtig, »Danke« zu sagen, weil über alles Bezahlbare hinaus da etwas von ihm selbst drinsteckt in der Ware oder in der Dienstleistung. Etwas, was er freiwillig da hineingelegt hat.
Offiziell ist das einfach ein wirtschaftlicher Austausch, und ich habe meine Pflicht erfüllt, wenn ich den Preis bezahlt habe, aber auf der Ebene darunter bin ich jemandem begegnet, der mir geholfen hat, Segen zu empfangen und hoffentlich auch weiterzugeben. Und das erkenne ich an, indem ich ihm etwas mehr zurückgebe als nur den Kaufpreis, nämlich Dank.
Achten Sie mal darauf, wie oft die Dinge auch bei uns nach dieser Ökonomie des Schenkens und Lobens laufen: in der Familie sowieso, das ist ein Raum, der noch ganz stark von persönlichen Beziehungen abhängt; aber auch in so vielen Fällen, wo man sich unter Kollegen einfach hilft, ohne gleich nach der korrekten Gegenleistung zu fragen; wo man sich als Schüler bei den Hausaufgaben aushilft; wo man sich in der Nachbarschaft leiht und hilft, ohne deswegen gleich eine Rechnung zu schreiben. Und all die vielen Menschen, die ihre Arbeit gut machen, auch wenn keiner hinter ihnen steht und ihnen auf die Finger sieht. Sie müssten es nicht, aber sie würden ihre Selbstachtung verlieren, wenn sie dauernd Schrott abliefern würden. Und diese ganze inoffizielle Ökonomie braucht so etwas wie Schmierstoff: Freundlichkeit, Dank, das Gefühl, nicht übers Ohr gehauen zu werden, Anerkennung, Lob, Vertrauen. Und auch das alles ist ein Ausdruck des Segens, der nicht berechenbar ist, aber ohne ihn läuft alles viel schwerer und manchmal gar nicht mehr.
Und in diesen letzten Tagen und Wochen haben wir in den Nachrichten mitbekommen, dass selbst in so einem hochkomplizierten System wie unter den Banken solche kleinen Freundlichkeiten das System am Laufen halten, so nach dem Motto: kannst du mir mal schnell bis übermorgen 30 Millionen leihen? Du kriegst es auch bestimmt wieder, Ehrenwort! Ganz ohne Sicherheiten und Vertrag, einfach so. Und wenn das nicht mehr funktioniert und das Vertrauen futsch ist, wenn die Banken sich nicht mehr über den Weg trauen, dann klemmt das ganze System.
So ein hochgezüchtetes, kompliziertes Gebilde wie die Finanzwelt, wo sich alles um den eigenen Vorteil dreht – und doch funktioniert es nicht ohne Rückgriff auf die grundlegenden Prinzipien von Geben und Vertrauen. Am Ende ist es doch viel realistischer, den Menschen als geschaffenes Wesen zu sehen, der vom Kreislauf des göttlichen Segens lebt, als den Menschen zum Gierschlund zu erklären, der so viel wie möglich zusammenraffen will, und das ist alles. Es ist viel realistischer, wenn man sich klarmacht, dass wir ohne Vertrauen in andere Menschen, ohne Vertrauen in das Leben und die Schöpfung gar nicht auskommen.
Deswegen erinnern diese Verse aus dem Hebräerbrief an grundlegende Haltungen, durch die Segen und Vertrauen bewahrt bleiben. Gutes tun, mit anderen teilen, anderen helfen, das hält den Kreislauf des Segens in Gang. Wenn ich mit jemand anderem etwas teile, dann bin ich nicht ärmer geworden, sondern dann habe ich den Segen vermehrt und eine neue, starke Beziehung dazugewonnen. Nicht nur, weil ich dann hoffentlich selbst irgendwann mal etwas zurückbekommen, sondern dann ist etwas mehr an Vertrauen und Freude und Liebe in der Welt entstanden.
Die normale Wirtschaftslehre sagt: die Güter sind begrenzt, und was ein anderer hat, das fehlt mir. Gottes Ökonomie funktioniert anders: wenn ich etwas verschenke, dann wird es mehr, dann gibt es mehr Segen in der Welt, und der kommt auch zu mir zurück. Nach Gottes Regeln kann ich den Kuchen verschenken und ihn trotzdem essen. Und die Armen sind nicht lästige Esser, für die man die Kosten möglichst niedrig halten sollte, sondern Armut entsteht, wenn irgendwo der Fluss des Segens gestoppt ist, weil jemand das, womit er beschenkt ist, nicht weiter gibt – entweder der Arme selbst oder jemand anders. Und wenn diese Sperre beseitigt wird, dann wird der Strom der Freude und des Segens stärker als vorher.
Aber ohne die Fülle des Lebens und des Segens wird auch das Helfen am Ende zu einem bürokratischen Versorgungssystem. Deswegen heißt es ganz am Anfang der Verse aus dem Hebräerbrief: wir wollen Gott beständig loben und uns zu ihm bekennen, durch Jesus. Wenn wir Gott loben, dann bestätigen wir damit, dass alles Leben von ihm ist; wir bestätigen unsere Verbindung zu ihm. Wir öffnen die Türen für den Segen nicht nur unter Menschen, sondern wir machen auch die Fenster zum Himmel weit auf. Wir sorgen dafür, dass auch auf dem kurzen Weg direkt von Gott her zu uns Segen und Gedeihen kommen kann und dann von uns weiterfließt in die Welt und zu vielen Menschen. Das wird uns vor dem Irrglauben bewahren, das Streben nach Geld und Gütern sei das eigentliche Wesen des Menschen.
In Wirklichkeit sind wir Geschöpfe, geliebte Geschöpfe mit einer unglaublichen Sehnsucht nach der großen Liebe Gottes, die uns ins Leben gerufen hat. Diese Sehnsucht ist so groß – manchmal gerät sie auf Irrwege und drückt sich dann aus in Gier: nach Geld und Gütern, nach Macht und Ansehen, oder was auch immer. Aber eigentlich geht es immer um dieses große Leben, zu dem Gott uns berufen hat, um den unbegrenzten Reichtum, den er verschenkt, um die neue Welt, in der der Segen unbegrenzt und ohne Störungen die Welt erfüllt.
Zonen dieser neuen Welt entstehen hier und heute, wo Menschen anfangen, in der Gemeinschaft, die Jesus gegründet hat, diesen Segen zu empfangen und weiterzugeben. Wir sollen jetzt davon leben, damit auch Menschen um uns herum, die Regeln entdecken, nach denen diese Welt funktioniert. Damit wir selbst und andere überzeugt werden, dass diese Welt immer noch die Schöpfung Gottes ist, der seine Hand öffnet und all seine Geschöpfe beschenkt mit Leben, Nahrung und Freude.