Gott loben und Gutes tun: der Weg zurück in die echte Heimat
Predigt am 6. Oktober 2002 (Erntedankfest) zu Hebräer 13,14-16
14 Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. 15 So lasst uns nun durch Jesus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.
Dieses Jahr haben wir mit dem Wetter wirklich Probleme gehabt. Soviel Regen, und dann auch noch zur falschen Zeit. Es ist viel weniger gewachsen als sonst. In früheren Jahren hätten wir uns jetzt wahrscheinlich Sorgen gemacht, ob wir genug haben, um durch den Winter zu kommen. Das müssen wir zum Glück nicht.
Aber wir haben auch durch das Hochwasser gesehen, wie sehr wir trotz allem abhängig sind von Faktoren, die wir nicht in der Hand haben. Mit den normalen Schwankungen von Wetter und Umwelt werden wir fertig, aber wenn sich die Bandbreite dieser Schwankungen auch nur ein bisschen verschiebt, dann kriegen wir auch heute heftige Probleme. Dass sich die Elbe und ihre Nebenflüsse in reißende Ströme verwandeln könnten, das hat sich keiner vorgestellt. Das war außerhalb der normalen Bandbreite, oder jedenfalls ziemlich an der Grenze.
Und es scheint ja so zu sein, dass wir einiges dazu getan haben, dass se dazu kommt. Ganz genau weiß man es noch nicht, aber dass die Bandbreite der Klimaschwankungen größer wird, das hat ja wahrscheinlich mit unserem Einfluss auf die Atmosphäre zu tun. Man könnte sagen: da zeigt sich etwas von der Größe, zu der der Mensch geschaffen ist. Selbst das Klima beeinflusst er. Nur leider ist es kein guter Einfluss. Aber so viel Größe und Herrlichkeit hat der Mensch trotz allem! Es ist schon erstaunlich!
Die nachdenklichen Menschen aller Zeiten sind immer wieder auf diesen Widerspruch gestoßen: dass der Mensch eigentlich nur ein Häufchen Staub ist und nach seinem Tode auch schnell wieder zu Staub wird -und auf der anderen Seite kann der Mensch das Gesicht der Erde verändern wie kein anderes Geschöpf. Die menschliche Größe und und die menschliche Vergänglichkeit liegen ganz dicht beieinander. Und deswegen sind wir auch in Gefahr, nur eine Seite zu sehen und die andere Hälfte zu vergessen: Entweder wir sehen unsere großen Möglichkeiten und werden stolz, oder wir schauen auf unsere Vergänglichkeit und fragen uns: welchen Sinn hat denn das Leben, wenn es so brüchig ist?
Wie kriegen wir das beides zusammen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren? Größe und Herrlichkeit einerseits, Vergänglichkeit und Ohnmacht andererseits! Man kann den Menschen nicht verstehen, wenn man ihn isoliert betrachtet. Der Mensch ist ein Beziehungswesen, und wir können ihn nicht verstehen ohne all das, was zu ihm gehört. Und gerade die Herrlichkeit des Menschen, seine Größe, die hat ihren Ursprung bei Gott, und ohne Gott ist sie nur noch ein schwacher Abglanz ihrer ursprünglichen Bestimmung.
Wenn man daran denkt, wie Adam im Paradies aufgefordert wurde, den Tieren Namen zu geben – das war ja etwas ganz anderes, als wenn wir unsere Tiere Susi oder Goldi oder Pummel nennen. Es war daran gedacht, dass Adam den Tieren sagt, wer sie sind, dass er ihnen den Namen gibt, in dem ihre Art und Individualität zum Ausdruck kommt.
Das eigentliche Bild von der Herrschaft des Menschen über die Schöpfung ist nicht der Jäger, der das schreckliche Raubtier zur Strecke bringt, sondern eher der Heilige Franz von Assisi, der einem gefährlichen Wolf gut zugeredet hat, bis der aufhörte, die Dörfer zu überfallen.
Ich will nicht darüber streiten, ob das vielleicht nur Legenden sind, ich will sagen: auch wenn es nur gut ausgedacht wäre, dann würde sich darin eine Ahnung von der eigentlichen Bestimmung des Menschen zeigen. Wir sollen nicht die Welt unterwerfen, sondern ursprünglich waren wir dafür vorgesehen, die Schöpfung mit dem Wort und in Freundschaft zu regieren.
Auch in dem modernen Bild vom Pferdeflüsterer findet man das noch, vielleicht haben Sie den Film gesehen: dieser Mann, der einen sechsten Sinn für die Pferde hat, mit viel Geduld und Liebe ihr Vertrauen gewinnt und sie von Panik und bösen Erinnerungen heilt. Es ist kein Wunder, dass das Buch und der Film so bekannt geworden sind: das ist eine Erzählung in der man die Luft des Paradieses atmet. Es tut uns gut, wenn uns jemand zeigt, dass das Paradies nicht ganz verloren ist, sondern dass sich hier und da noch Restbestände gehalten haben, Hinweise darauf, wie das einmal gemeint gewesen ist.
Und dann sieht man in dem Film auch, dass dieser Pferdeflüsterer in einer Familie lebt, wo Glauben und das Tischgebet ganz organisch dazugehören. Da leben Menschen in den Beziehungen, für die wir vorgesehen waren: in der Beziehung zur Schöpfung und in der Beziehung zu Gott, und dann kommt das alles wieder in Ordnung, soweit das unter den Bedingungen unserer Welt möglich ist.
Die Herrlichkeit und Größe des Menschen hat ihr Geheimnis darin, dass sie ein Abglanz der Herrlichkeit Gottes ist. Und nur, wenn wir uns von dieser Verbindung zu Gott abschneiden, dann wird das Nebeneinander von Größe und Ohnmacht des Menschen ein Problem. Erst dann kan der Schrecken und die Traurigkeit über uns Herrschaft gewinnen, wenn wir nicht mehr kontinuierlich angebunden sind an unseren Ursprung in der Güte Gottes.
In dem Bibeltext aus dem Hebräerbrief, den ich vorhin schon vorgelesen habe, da ist das alles beieinander:
das Bewusstsein, dass wir hier keine wirkliche Heimat haben, dass wir eigentlich fremd sind in dieser Welt jenseits von Eden. Eigentlich sind wir für das Paradies geschaffen, und wenn wir die Sehnsucht danach nicht mit Gewalt totschlagen, dann spüren wir sie ein Leben lang, gerade in unseren besten Augenblicken. Wir haben hier keine bleibende Stätte. Wir wissen aber, dass es sie eigentlich geben muss.
Und dann folgen die beiden Wege, auf denen wir uns wieder öffnen für die Beziehung zu Gott, damit wir neu in das gute Gleichgewicht kommen und nicht beständig zwischen unserem Glanz und unserem Elend hin und hergerissen sind:
Das Lob Gottes.
Es ist für uns zutiefst heilsam, wenn wir Gott loben und ihm gegenüber unsere Freude und Dankbarkeit ausdrücken. Es gibt so viel Griesgrämigkeit, soviel Gemeckere und Unzufriedenheit, und wir wissen im Grunde alle, dass das niemandem hilft. Natürlich stimmt es, dass die Welt voll Unannehmlichkeiten und voll Ungerechtigkeit ist, aber wer deswegen erfüllt ist von Klage und Anklage, der vermehrt nur das Übel. Davon werden nicht nur die krank, die sich das anhören müssen, sondern genauso die Unzufriedenen selbst. Und die beste Therapie dagegen ist es, wenn man sich einübt in ein Leben der bewussten Freude an Gott und der Freude vor Gott.
Es ist ja so, dass sogar Menschen, die wenig mit Gott zu tun haben wollen, trotzdem oft Musik lieben, in denen die Freude an Gott und der Dank zum Ausdruck kommen. Sie spüren einfach, dass das gut tut. Aber natürlich brauchen diese Freude und der Dank eigentlich den richtigen Adressaten.
Das ist ganz wichtig, dass wir uns nicht nur hin und wieder ein bisschen dieser Freude aussetzen, sondern dass wir gezielt dies Gegenüber, Gott, ansprechen. Wir sollen das Verhältnis von unserer Seite aus bewusst stärken, so wie wir auch gezielt Dinge tun, um das Verhältnis zu unseren Partnern, Kindern und Freunden zu pflegen.
Denn es sind nicht immer äußere Dinge da, die uns von sich aus zum Dank und zur Freude bringen. Die Schönheit des Gewachsenen, die Herrlichkeit Schöpfung, der Früchte und Lebewesen, das kann eben auch manchmal verdunkelt sein. Da kann es Jahre geben wie dieses, in denen die Natur uns gar nicht selten ein gefährliches Gesicht zeigt. Es kann sein, dass wir uns zuzeiten nur schwer an der Herrlichkeit der Schöpfung freuen können, weil wochen- oder monatelang graues Novemberwetter über dem Land liegt. Und wir können selbst in trübe Zeiten geraten, wo gar nichts innerhalb unseres Horizonts dafür sorgt, dass uns zum Loben und Danken zumute ist.
Wir können es uns eigentlich nicht leisten, nur ein allgemeines Gefühl der Dankbarkeit zu haben, anstatt uns zu freuen und zu preisen, dass es Gott gibt und dass er uns beschenkt. Das Gute kann sich in manchen Zeiten verdunkeln, aber wir preisen die Quelle des Guten, damit wir nicht von der Tagessituation abhängig sind. Und je mehr wir das lernen, seine Fülle mit Dank und Freude entgegenzunehmen, desto eher erkennen und entdecken wir sie auch in den mühsamen und schwierigen Zeiten. Dass wir jeden Atemzug Gott verdanken, dass unser Leben ein riesiges Geschenk ist, dass es uns gibt, und dass wir jedenfalls genug zu essen und noch viel mehr haben, auch die Ärmeren unter uns, das zu erkennen als einen Grund zum Lobpreis Gottes, das sollen wir in den ruhigen Zeiten einüben, damit die göttlichen Quellen der Lebenskraft dann fließen, wenn wir sie unbedingt brauchen.
Diese Einübung in den Kontakt mit der Herrlichkeit Gottes, die auf uns überfließen soll – diese Einübung geschieht einmal dadurch, dass wir Gottes Güte mit Dank und Jubel entgegennehmen. Zum andern dadurch, dass wir sie weitergeben:
Wir sollen weitergeben und teilen. Wir gehören zu einem großen, großzügigen Gott, und deswegen soll schenken und weitergeben zu unserem Lebensstil werden. Das ist für uns heute deshalb manchmal schwierig zu verstehen, weil wir heute auf vieles ein gesetzliches Anrecht haben, und das ist ja auch gut. Aber das führt dazu, dass Menschen manchmal eine enorme Anspruchshaltung entwickeln und das Gefühl haben: ich muss eigentlich um nichts mehr bitten, weil ich auf alles einen Anspruch habe, wen gegenüber auch immer. Und wo es nur noch Ansprüche gibt, da gibt es keine Geschenke mehr, über die man sich freuen kann. Deswegen müssen wir das gut auseinanderhalten: natürlich – gib den Menschen das, worauf sie einen Anspruch haben! Ansprüche können ja auch darin bestehen, dass jemand zuerst uns etwas geschenkt hat.
Aber wenn du alle berechtigten Ansprüche erfüllt hast, dann verschenke etwas, wozu du nicht verpflichtet bist. Etwas, was niemand bei dir einklagen kann, tue etwas, was wirklich einfach Freundlichkeit ist, tue es freiwillig, einfach, weil Gott dir so viel gegeben hat, weil du genug hast und gerne davon anderen weitergibst. Gott ist ein Gott der Fülle, und je mehr wir von der Fülle weitergeben, um so mehr kommt nach. Das ist kein beweisbares Gesetz, es funktioniert vielleicht nicht in jedem einzelnen Fall, aber normalerweise funktioniert es. Normalerweise ernten wir die Fülle, die wir säen.
Loben und Gutes tun, geistliche Ausrichtung auf die Herrlichkeit Gottes und ein Leben in Hilfe und Freundlichkeit: das gehört zusammen, es ist ein Lebensstil, der uns mit Gott verbindet. Wenn das in unsere Persönlichkeit übergeht, dann wächst auch die Vollmacht, und was seit dem Paradies verlorengegangen ist, das beginnt zurückzukehren.