Durchhalten bis zum Ziel
Predigt am 24. März 2002 zu Hebräer 12,1-3
1 Alle diese Zeugen, die uns wie eine Wolke umgeben, spornen uns an. Darum lasst uns durchhalten in dem Wettlauf, zu dem wir angetreten sind, und alles ablegen, was uns dabei hindert, vor allem die Sünde, die uns so leicht umgarnt! 2 Wir wollen den Blick auf Jesus richten, der uns auf dem Weg vertrauenden Glaubens vorausgegangen ist und uns auch ans Ziel bringt. Er hat das Kreuz auf sich genommen und die Schande des Todes für nichts gehalten, weil eine so große Freude auf ihn wartete. Jetzt hat er den Platz an der rechten Seite Gottes eingenommen. 3 Denkt daran, welche Anfeindung er von den sündigen Menschen erdulden musste! Das wird euch helfen, mutig zu bleiben und nicht aufzugeben.
Dieser Abschnitt ist eigentlich eine Gebrauchsanweisung für die Passionszeit, eine Kurzbeschreibung davon, was in der Passionszeit passieren soll: eine Neuausrichtung für unser Herz und unseren Glauben. Aber damals gab es ja noch keine Passionszeit, und deshalb ist es formuliert als Aufruf zur Neuausrichtung und zur Überprüfung unserer geistlichen Verfassung, die wir von uns aus in Angriff nehmen sollen. Wenn die Passionszeit uns dabei hilft, um so besser.
Hier wird der Weg eines Christen beschrieben als ein Langstreckenlauf. Es muss kein Marathonlauf sein, aber es ist ein beanspruchender Lauf, der alles von uns fordert. Langstreckenläufer müssen ja immer wieder mit sich selbst kämpfen, gegen den Wunsch, einfach aufzuhören, gegen Erschöpfung und Mutlosigkeit. Und so geht es ja auch denen, die auf dem Weg Jesu laufen, dass unterwegs diese Momente kommen, wo man sich fragt: warum mache ich das eigentlich? Warum mache ich mir das Leben so schwer? Ich könnte doch leben wie jeder andere, einfach mitschwimmen im Strom, dann hätte ich viel Ärger weniger. Und ich hätte mit mir selber mehr Ruhe ich müsste mich nicht immer wieder korrigieren, ich könnte einfach mit mir, so wie ich bin, zufrieden sein und müsste nicht erleben, wie Jesus beständig mein Herz und meinen Charakter formt.
Der Hebräerbrief geht an Leute, die sich so fragen. Er sagt, warum das trotz allem sinnvoll ist. Im Kapitel 12 hat er an die Menschen in der Geschichte Israels erinnert, die geglaubt haben. Und an die denkt er hier wieder und sagt: seht ihr, alle die, die uns so vorangegangen sind, die umgeben uns auch heute, wie eine Wolke. Und wenn wir unseren Weg gehen und unseren Kampf kämpfen, dann schauen sie uns zu. Aber nicht wie Zuschauer, die das selbst nie erlebt haben und trotzdem alles besser wissen. Nein, die kennen das ja aus eigener Erfahrung. Also, wenn du gerade in Gefahr bist, auf deinem Weg den Glauben an Gottes Hilfe zu verlieren und eine unerlaubte Abkürzung zu nehmen, dann schaut dir Abraham zu. Und er erinnert sich daran, wie er damals nicht mehr daran geglaubt hat, dass Gott ihm den versprochenen Sohn schenken wird, und wie er dann stattdessen versucht hat, mit Hagar einen Sohn zu bekommen. Und er sieht dich und sagt: ja, genau wie ich damals! Und er versteht dich, er weiß, wie sehr man anfängt an Gott zu zweifeln, wenn die Jahre vergehen und es scheint nichts zu passieren. Als ob Gott es vergessen hätte. Aber Abraham weiß jetzt auch, dass Gott am Ende Wort hält. Und er schaut dir zu und hofft, dass du durchhältst, damit du am Ende Gottes Treue erfährst. All die großen Männer und Frauen des Glaubens, sie schauen dir zu und hoffen, dass es dir am Ende gelingt, deinen Weg gut zu Ende zu bringen.
So versucht der Hebräerbrief uns dahin zu bringen, dass wir die Perspektive dieser Menschen einnehmen und uns klar machen, wie unser Leben wohl in ihren Augen aussieht. Und dann wird uns klar, dass wir nicht die ersten sind, die in der Gefahr sind, den Elan und die Hoffnung auf ein gutes Ende zu verlieren. Das gehört dazu, dass man zwischendurch glaubt, es wäre alles sinnlos, und man hätte sich getäuscht. Deswegen ist der Weg Abrahams und all der anderen aufgeschrieben, damit wir wissen, dass solche Erfahrungen dazugehören. Damit wir aber auch wissen, wie gut es ist, durchzuhalten und nicht aufzugeben, weil Gott es gut machen wird.
Und dann ist da natürlich noch Jesus, der stärker als alle anderen unter Druck geraten ist und dessen Glaube am Kreuz in unvergleichlicher Weise auf die Probe gestellt worden ist. Die Passionszeit als eine Zeit der Erinnerung an seinen Tod – damit ist ja nicht gemeint, dass wir ein bisschen depressiv werden sollen im Rückblick auf seinen Tod, oder dass wir büßen und fasten sollen als Strafe für unsere Sünden. Die Passionszeit macht doch nur Sinn als eine Zeit, in der wir für uns lernen, in den Konflikten standzuhalten, in die die Nachfolge Jesu uns bringt. Wo wir lernen, so deutlich Ja und Nein zu sagen, wie Jesus es getan hat. Oder jedenfalls: es etwas besser zu lernen.
Und wenn wir an Jesus denken, dann sehen wir, dass sein Leiden keine passive Sache war, die einfach über ihn kam. Nein, er hat die Initiative ergriffen, er ist ganz bewusst darauf zugegangen, weil er wusste, dass diese Auseinandersetzung sein Auftrag war. Er war kein wehrloses Opfer, er hat das bewusst gewählt.
So sollen wir auch die Initiative ergreifen und nicht darauf warten, bis Gott uns unmissverständlich auffordert, von falschen Wegen umzukehren. Natürlich tut Gott das immer wieder, und wenn wir die Konsequenzen unseres Handelns schmerzhaft spüren, dann fangen wir an, uns zu besinnen und umzukehren. Aber wir sollen eigentlich schon von uns aus vorher aktiv werden und uns von allem trennen, was uns auf unserem Glaubensweg behindert.
Das Bild ist dabei wieder der Wettlauf: wie ein Leichtathlet nicht mit einem Koffer in der Hand auf die Laufbahn geht, so sollen wir uns von allem hinderlichen Gepäck trennen. Die Taschen durchforsten, ob wir da nicht noch irgendetwas mit uns herumschleppen, was uns unnötig Kraft kostet. Die Sünde klebt an uns, sie dringt wie Unkraut, wie Schlingpflanzen überall ein, wo ein kleiner Riss ist. Und wir sollen sie herausreißen aus unserem Herzen und unserer Seele. Weil sie uns zu viel Kraft kostet und dann die Müdigkeit erst produziert, wo wir uns dann fragen: hat das denn alles noch Sinn?
Es geht dabei eigentlich nicht darum, mit zusammengebissenen Zähnen gute Vorsätze durchzuhalten. Es geht eher darum, dass wir uns immer wieder zurückholen lassen in die Sichtweise, die wir doch eigentlich alle schon einmal hatten. Und wenn uns dann einer erinnert, wie es doch eigentlich ist, dann sagen wir: ja, natürlich, klar so ist es. Aber ich hatte es aus den Augen verloren. Besser ist natürlich noch, wenn wir es gar nicht erst aus den Augen verlieren, weil wir von uns aus dafür sorgen, dass wir rechtzeitig erneuert werden.
Ich habe einen guten Bekanten, der sehr zu kämpfen hat, weil ihn die Altlasten aus seinem Leben immer wieder weit weg von Gott bringen. Und es hat gar keinen Zweck, dann zu sagen: ja, es war doch klar, du darfst eben dies und jenes nicht mehr tun, lass es sein, dann wird es dir besser gehen. Das ist zwar richtig, und das weiß er selber. Nur – es nützt nichts, es hilft ihm nicht. Was ihm hilft, das ist: ihn erinnern an die Sicht, die er doch schon einmal gehabt hat, ihm die Worte sagen, die ihn wieder zurückholen in die Gegenwart Gottes. Die Argumente müssen auch da sein, weil verstandesmäßige Argumente uns hindern können, uns für Gott zu öffnen. Aber das Ziel ist, dass er die Welt wieder aus der richtigen Perspektive sieht, natürlich auch mit dem Verstand, aber vor allem mit dem Herzen. Dass der ganze Mensch wieder richtig ausgerichtet ist.
Mit Willenskraft können wir die äußerlichen Voraussetzungen schaffen, damit wir immer wieder an die richtige Sichtweise erinnert werden. Wir können die richtigen Menschen aufsuchen, wir können Bücher lesen, die uns zurückholen in die richtige Sichtweise, wir sollen zum Gottesdienst gehen, damit wir jede Woche wieder unseren Blick richtig einstellen, wir sollen mit Energie und Initiative die äußeren Voraussetzungen schaffen, damit wir als ganze Menschen wieder neu ausgerichtet werden.
So eine Erinnerung an die richtige Sichtweise ist es auch, wenn der Hebräerbrief sagt: schaut auf Jesus. Alle haben sie versucht, ihn von seinem Weg abzubringen, aber er hat die richtige Sichtweise behalten. Erinnert euch daran, wie viele Leute versucht haben, ihm mit List oder mit Gewalt eine andere Sicht aufzuzwingen, aber sie haben es nicht geschafft. Jesus hat im Blick behalten, wie es wirklich ist, dass es nämlich das allerwichtigste ist, an Gott festzuhalten und mit ihm in Übereinstimmung zu bleiben.
Und dann wird gefragt: was war sein Motiv dafür? Er schaute ganz fest auf das Ende, nämlich auf die kommende Freude. Er wusste, dass nichts anderes sich mit der Freude messen kann, wenn die Verheißungen Gottes nach der harten Durststrecke eintreffen. Jesus war auch in seinem Leiden ganz realistisch, er hielt seine Perspektive auf die Welt fest, trotz allem und mit letzter Kraft. Das wollte er sich nicht rauben lassen.
Und wenn wir darum kämpfen, dass wir an unserem Weg festhalten, dann geht er uns voran, und wir können auf einem Weg gehen, den er uns gebahnt hat. Wir können an ihm sehen, dass dieser Weg tatsächlich richtig ist und ans Ziel führt. Solange wir auf dem Weg bleiben, solange wird uns immer wieder die Kraft Gottes erreichen und uns weiterhelfen. Es geht ja immer wieder um die Frage, ob unser Herz so ausgerichtet ist, dass es offen ist für Gottes Kraft.
Und wenn wir mit unserer Initiative dafür sorgen, dass unser Herz in dieser Ausrichtung bleibt, dann werden wir die Freude erleben, dass uns die Dinge gelingen. Dann wird Segen auf unserem Weg liegen, dann werden wir etwas ausstrahlen, was auch anderen Segen bringt, dann wird der Glanz Gottes unsere Tage begleiten, dann wird auch das Schwierige und Problematische in uns immer weniger werden und es wird immer öfter keine Macht mehr über uns haben.
Wenn wir nochmal zurückdenken an die Szene, wie Jesus nach Jerusalem kommt und sie ihm alle zujubeln. Da haben sie gemerkt, wie von ihm etwas Königliches ausging, und sie haben ihn zu Recht so begrüßt. Was war es, was sie gespürt haben? Dass er nicht geflohen ist, dass er das Problem nicht ignoriert hat, sondern dass er, als es so weit war, darauf zugegangen ist. Er hat gewartet, bis seine Stunde gekommen war, aber dann gab es kein Zögern mehr, dann ging er geradewegs darauf zu.
Wenn wir rechtzeitig die Initiative ergreifen, um uns von dem zu trennen, was uns in unserem Lauf behindert, dann wird auch zu uns etwas Königliches gehören. So was kommt nicht durch äußere Insignien, sondern durch die Bereitschaft, rechtzeitig sich den Dingen zu stellen, die sonst zwischen Gott und uns treten könnten.