Die Welt hat sich geändert

Predigt am 9. März 2025 zu Hebräer 4,14-16

14 Da wir nun einen großen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns entschlossen am Bekenntnis zu ihm festhalten. 15 Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat. 16 Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.

Jesus wird vom Satan versucht (Holzschnitt)
Bild von Gordon Johnson auf Pixabay

Dieser kurze Text setzt ein mit der Versicherung, dass sich in der Welt etwas Grundlegendes geändert hat. Wir haben einen großen Hohepriester. Unsere Schwächen und Probleme kommen nachher auch noch, und die Hilfe, die wir brauchen ebenso, aber es beginnt nicht mit uns und unseren Problemen, sondern mit der Botschaft: in der Welt hat sich etwas Fundamentales geändert.

Moral hilft nicht

Deswegen kann man auch beim Predigen nicht anfangen mit einer Analyse unserer Probleme, oder mit einer einfühlsamen Beschreibung unserer gegenwärtigen Stimmung, die ja angesichts der Weltlage im Augenblick eher gedämpft sein wird. Bevor der Hebräerbrief zu unseren Befindlichkeiten und Stimmungen kommt, steht hier die Botschaft: die Welt hat sich durch Jesus geändert. Sie ist nicht mehr so, wie sie früher mal war und wie sie jetzt oft noch zu sein scheint. Wir haben jetzt einen Hohenpriester, der die Himmel durchschritten hat. So fasst der Hebräerbrief die christliche Kernbotschaft zusammen.

Wir erwarten heute oft, dass wir vom Christentum gesagt bekommen, was wir tun oder lassen sollen. Trenn deinen Müll, rede nicht schlecht über andere, trink nicht zuviel, schlag deinen Ehepartner nicht, engagier dich in guten Projekten, reduzier deinen Süßigkeitenkonsum, spende etwas für gute Zwecke, wähl nicht die CDU und erst recht nicht die AfD, verbring nicht so viel Zeit vorm Fernseher und im Internet und glaub nicht daran, dass man um so glücklicher wird, je mehr Geld und Besitz man hat. Fast alles davon ist gut und richtig, ich könnte das Allermeiste davon unterschreiben, aber das ist nicht der Kern der christlichen Botschaft. All diese Aufforderungen sind Moral. Und mit der Moral ist das so eine Sache: Wir finden die meistens alle richtig, und grundsätzlich wollen wir uns auch dran halten, aber im entscheidenden Moment ist die Lage dann doch so, dass wir gerade jetzt eine große Tafel Schokolade brauchen, oder was auch immer. Moral ist wunderbar, aber wenn es wirklich darauf ankommt, hilft sie uns nicht.

Deswegen ist das Christentum in seinem Kern nicht Moral, sondern es ist die Botschaft, dass die Lage sich geändert hat. Die Welt ist durch Jesus eine andere geworden. Und wenn wir das wirklich verstanden haben, dann brauchen wir die Trostschokolade nicht mehr, oder was auch immer es ist, von dem wir bisher glaubten, dass wir da leider nicht drum herumkämen.

Was heißt „die Himmel durchschreiten“?

Wir haben einen Hohepriester, der die Himmel durchschritten hat. Ich gebe zu, das ist für uns heute nicht beim ersten Hören verständlich. Für die Menschen, an die der Brief ursprünglich gerichtet war, war das eine klare Aussage. Die stellten sich die unsichtbare Seite der Welt, also den ganzen himmlischen Bereich, so vor, dass er aus hintereinander gestapelten Sphären besteht, meistens sieben. Und Gott ist ganz hinten zu finden, man muss erst durch diese ganzen Himmelssphären durch, bis man zu ihm kommt.

Aber das schafft man eigentlich nicht, weil diese verschiedenen Himmelsabteilungen nicht Räume sind, wo es immer prächtiger wird und das Essen leckerer, die Musik berauschender und die Bewohner immer wunderbarer. Nein, in diesen ganzen himmlischen Gemächern hausen die Symbole von dem, was auf der Erde groß und mächtig ist. Das waren die Götter, die die einzelnen Völker hatten: die Römer sahen ihre toten Kaiser als Götter an, die Babylonier hatten ihren Marduk, der das Symbol der Babylonischen Großmacht war, die Germanen ihren Wotan mit dem Hammer, der ebenso rauflustig war wie die wilden Germanenhorden. Heute würden sich viele vielleicht so einen Himmel als Shopping-Passage vorstellen, wo du am Anfang eine Kreditkarte mit unbegrenztem Guthaben bekommst, und dann stürzen sich die einen in die Klamottenläden, die anderen in den Baumarkt, und das wäre eben der Himmel des Götzen »Ich will alles, und zwar sofort«.

Oder um es etwas ernster zu sagen: für die ersten Leser des Briefes standen die Himmel für den Geist der Mächte, die diese Welt beherrschen. Damals war das vor allem militärische Macht, bei uns ist es wahrscheinlich eher der Mammon, die Macht, die in Geld und wirtschaftlicher Potenz steckt, mit all den Verlockungen, die mit dem Mammon kommen. Und wir sind als Menschen nicht stark genug, diesen Verlockungen wirklich zu widerstehen. Wir werden da mit hineingezogen. In irgendeinem dieser Himmel bleiben wir hängen. Moral kommt dagegen einfach nicht an. Irgendwann braucht man eben doch die Trostschokolade, oder die neue Küche, oder die Luxusyacht. Oder was auch immer.

Jesus hat widerstanden

Aber der Hebräerbrief sagt: einer ist da durchgegangen, hat sich von den Verlockungen und Drohungen der Götzen nicht beeindrucken lassen, sondern ist durchgebrochen zu Gott. Durchgebrochen zu dem Gott, der das wahre, volle Leben ist und keine billige Kopie davon. Das war Jesus, der Hohe Priester. Und weil ein Priester stellvertretend für seine Leute vor Gott steht und stellvertretend mit Gott spricht, deshalb hat Jesus das nicht für sich selbst getan, sondern für alle, die zu ihm gehören. Für uns. Er hat der Macht der Mächte widerstanden, und wenn wir zu ihm gehören, gilt das auch für uns. Die Welt hat sich verändert, die Macht der Mächte ist am entscheidenden Punkt gebrochen. Wir müssen uns nicht mehr von ihnen beherrschen lassen.

Damit beschreibt der Hebräerbrief auf seine Weise das, was wir vorhin aus dem Matthäusevangelium (4,1-11) gehört haben über die Versuchungen Jesu. Es geht um dieselbe Sache, aber sie wird auf eine andere Weise erzählt. Der Versucher bietet Jesus an, etwas zu tun, was erst einmal gar nicht schlecht klingt. Wer aus Steinen Brot macht, kann ja nicht nur seinen eigenen Hunger stillen, sondern auch den aller anderen. Wer Kaiser über die ganze Welt wird, kann ja vielleicht gut und segensreich regieren. Und selbst dieser komische Sprung vom Tempeldach, der Jesus berühmt machen würde, den kann man ja immer noch als notwendige Öffentlichkeitsarbeit für den guten Zweck verbuchen.

Aber der Punkt war jedes Mal, dass Jesus all die guten Dinge nicht aus der Hand Gottes entgegennehmen sollte, sondern ohne Gott. Alle Versuchungen bestehen darin, dass wir uns etwas, was eigentlich in sich etwas Gutes ist, ohne Gott nehmen wollen. Oder in diesem Bild aus dem Hebräerbrief: dass wir nicht bis zu Gott selbst vordringen, sondern uns schon mit einer der ersten Himmelssphären begnügen, wo die Herren dieser Welt ihre Verlockungen und die Symbole ihrer Macht aufrichten.

Was „Bekenntnis“ bedeutet

Dagegen sagt der Hebräerbrief: lasst uns am Bekenntnis festhalten! Damit ist das Glaubensbekenntnis gemeint, das Menschen damals bei ihrer Taufe sprachen. In seiner Urform lautet es: Jesus ist der Herr! Nicht der Kaiser, nicht der Ruhm, nicht das neue Auto, nicht meine Familie, nicht die Gesundheit, nicht unser Vaterland, nicht das Wirtschaftswachstum ist das Wichtigste, sondern Jesus ist der Herr! Er allein, und durch ihn kommen erst alle anderen guten Dinge an ihren richtigen Platz. Zu ihm will ich gehören, und dadurch bekomme ich Anteil an seinem Durchbruch. Durch ihn kann dann auch ich an meinem Ort die Macht der gottlosen Mächte durchbrechen. Denn ich falle nicht mehr herein auf ihr Drohen und Locken.

Versteht ihr, das ist keine Moral. Es ist eine Beschreibung der neuen Machtverhältnisse, die durch Jesus eingetreten sind. Und wenn wir auf dem Grund unserer Seele wissen, dass die Welt anders geworden ist, dann werden wir uns auch anders verhalten. Verhaltensänderungen geschehen, wenn sich die Realitäten verändert haben und das bei uns angekommen ist. Jesus hat die Versuchungen zurückgewiesen, er hat die Himmel durchschritten, und zuletzt hat er sich selbst unter dem Druck des Kreuzes nicht von seinem Vertrauen auf Gott abbringen lassen. Das ist die entscheidende Niederlage der Mächte. Dass wir an diesem Sieg Jesu Anteil bekommen, darum geht es.

Und erst nachdem das klar ist, redet der Hebräerbrief auch von unseren Schwächen und Ängsten. Ja, wir lassen uns immer wieder einfangen von den Versuchungen, wir scheuen den echten Konflikt mit den Götzen der Zeit, wir machen ein bisschen Rebellion, aber nicht zu sehr. Und jedes Mal, wenn wir spüren, dass wir es nicht hingekriegt haben, schämen wir uns. Und dann fühlen wir uns schlecht und brauchen die nächste Tafel Trostschokolade.

Kein schlechtes Gewissen, aber Hilfe

Deswegen heißt es hier im Hebräerbrief, dass Jesus Verständnis hat für unsere Schwachheiten. Er weiß, wie groß der Druck der Mächte ist und wie groß die Versuchung, sich in ihren Sog reinziehen zu lassen. Jesus hat sich dem auch mit aller Kraft entgegenstellen müssen. Er schlägt deshalb nicht die Hände über dem Kopf zusammen, wenn wir versagen. Er hält uns keine Strafpredigt. Das wäre alles kontraproduktiv und führt nur zu neuen Tafeln Trostschokolade. Stattdessen lässt Jesus uns durch den Hebräerbrief sagen: Halte fest an dem Bekenntnis. Bleib bei dem, was irgendwann mal für dich klar war, oder mach es dir jetzt erstmals richtig klar: Die Welt hat sich geändert. Die Macht der Mächte ist gebrochen. Sie sind Scheinriesen. Aus der Ferne trumpfen sie auf, aber je näher du gemeinsam mit mir mutig auf sie zugehst, um so mehr erkennst du, dass sie leere Fassaden sind, hinter denen sie schon lange schrumpfen.

Und ganz zum Schluss steht dann das Wort »Hilfe zur rechten Zeit«. Ja, die Welt sieht im Moment so aus, dass wir Hilfe wirklich nötig haben. Die Tyrannen in Ost und West erheben sich und rotten sich zusammen, die Menschenfeindlichkeit und die Verachtung der Schwachen wird wieder modern, und es sieht furchteinflößend aus. Wir werden Hilfe brauchen. Aber sie fällt nicht einfach vom Himmel, sondern sie kommt durch Menschen, die am Bekenntnis festhalten und die Scheinriesen entzaubern. Vielleicht gehören wir ja zu diesen Menschen, die festhalten am Bekenntnis, dass Jesus der Herr ist, der auch durch menschliche Bosheit, Dummheit und Verwirrung hindurch regiert.

Der große Theologe Karl Barth hat das am Abend vor seinem Tod, vor über 56 Jahren so formuliert: »Ja, die Welt ist dunkel. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns! – Es wird regiert!«. Was soll ich dazu noch anderes sagen als: Amen.

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