Gott schaut das Herz an
Predigt am 31. Dezember 2002 (Sylvester) zu 1. Samuel 16,7 (Jahreslosung 2003)
Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.
Dieses Wort sollte sollte man sich nicht nur in diesem Jahr groß an die Wand schreiben. Es beschreibt nämlich den grundlegenden Blick Gottes auf uns. Gott schaut auf unser Herz. Das gehört zum christlichen ABC, sich das immer wieder klar zu machen.
Und auf der anderen Seite: Menschen schauen auf das, was vor Augen ist, plakativ gesprochen: auf die Fassade. Gott schaut auf das Herz, Menschen schauen auf die Fassade.
Und daraus ergibt sich sofort die Frage: wen willst du beeindrucken? Bei wem willst du Wirkung haben? Zum Glück ist das nicht immer eine Alternative. Es gibt viele Dinge, die Gott gefallen, und die Menschen spüren auch, dass da etwas Gutes passiert. Jesus hat lange Zeit nicht nur bei Gott Wohlgefallen gehabt, sondern auch Menschen fanden gut, was er tat, und in der ersten Gemeinde war es genau so. Aber trotzdem muss jeder bei sich Klarheit haben: wenn das mal nicht zusammengeht, wenn du dich entscheiden musst, wessen Beifall dir wichtiger ist:weißt du, wen du dann wählst?
An dieser Stelle spricht die Bibel davon, dass man Gott mehr fürchten soll als die Menschen. Wenn du eine Entscheidung treffen musst, wovor hast du dann mehr Angst: dass Menschen deine Entscheidung missverstehen oder missbilligen könnten, oder dass du aus Gottes Willen herausfällst? Ist dein erster Gedanke: Gott, was willst du jetzt von mir? Oder ist dein erster Gedanke: was werden die Leute sagen? Egal, ob das die Familie ist, die Nachbarn, Kollegen, Freunde oder wer auch immer.
Ich habe neulich einen bekannten Gemeindeleiter gehört, wie er davon erzählt hat, dass er sich immer wieder auferlegt, kleine unauffällige Dienste in der Gemeinde zu tun, von denen er niemandem erzählt, die er nicht als Predigtbeispiele benutzt, sondern die er ganz bewusst tut, ohne dass es irgendwer erfährt, damit er sich immer wieder daran erinnert, dass sein Herz auf Gott hin ausgerichtet ist und nicht auf die Anerkennung durch Menschen. Er hat auch nicht verraten, was es ist, aber er hat gesagt: weil ich so stark im Rampenlicht stehe und so stark in Versuchung bin, Dinge für die äußere Optik zu tun, deshalb brauche ich einen Bereich, von dem keiner weiß, und wo ich mir ganz sicher bin, dass ich das für Gott tue und niemanden sonst.
Verstehen Sie, Gott möchte uns selbst begegnen, unseren wirklichen Gedanken, unseren tatsächlichen Ängsten, unserer echten Größe und unseren eigentlich Bedürfnissen. Und er kann uns nicht begegnen, wenn wir von uns selbst so weit weg sind, weil wir dauernd damit beschäftigt sind, eine Rolle für die Augen anderer zu spielen. Er kann uns nicht begegnen, wenn wir uns selbst nicht mehr richtig kennen.
Es gibt eine Stelle in uns, die darüber entscheidet, wer wir wirklich sind, und das ist unser Herz. Man kann sein eigenes Herz nicht unter Kontrolle kriegen. Man kann das eigene Herz einsperren und es nur noch mit dem Wasser und Brot der Pflicht und Schuldigkeit versorgen. Das erleben wir ja oft, wie Menschen sich zusammenreißen und sich entschließen, einfach zu funktionieren, und manchmal sieht es ja auch so aus, als ob ihnen keine andere Wahl bliebe, aber ihr Herz bleibt auf der Strecke.
Man kann auch sein eigenes Herz auf falsche Wege locken und ihm einreden, dass das Glück sich mit dem neuen Auto oder der renovierten Wohnung einstellen wird, oder wenn alle mit mir zufrieden sind oder wenn ich so beschäftigt bin, dass ich nicht mehr auf dumme Gedanken komme.
Aber wirklich kontrollierbar ist weder das eigene Herz noch das Herz anderer. Wir würden es gerne haben, dass es nach unseren Vorstellungen funktioniert. Aber stattdessen spiegelt es wider, wer wir in Wahrheit sind, und wir können es immer nur vorübergehend manipulieren oder zum Schweigen bringen. Wir hatten es schon so schön gezähmt, und auf einmal meldet es sich: es spürt einen Ruf, es sehnt sich nach Freiheit, es ist von Freude bewegt oder es verliebt sich. Oder es meldet sich mit Angst, mit Bitterkeit, mit Müdigkeit und Erschöpfung, wir spüren Ärger und Wut, auf einmal melden sich Erinnerungen, die wir schon längst erledigt hatten, und wir müssen viel Kraft aufwenden, damit das Herz nicht dauernd stört. Aber es lässt sich nicht zum Schweigen bringen.
Denn das Herz hat einen Verbündeten, und er arbeitet daran, das Herz zu befreien aus dem Gefängnis, in das wir es gesperrt haben und aus den Verstrickungen, in die wir es gelockt haben. Gott sieht das Herz an und er ist der Anwalt unseres Herzens, und er lässt nicht locker, weil er ein lebendiges Herz in uns will, ein Herz, das ihn kennt und ihn liebt und frei dazu ist, seine Kraft in unser Leben fließen zu lassen. Die Kraft unseres Herzens soll nicht fehlgeleitet werden, wir sollen damit keine Fassade bauen und keine Rolle spielen, mit der alle zufrieden sind. Und – kann sein – Gott bringt uns in Bedrängnisse und Nöte, er lässt das auf uns los, was wir fürchten, um endlich doch das Gefängnis zu knacken, in dem unser Herz schmachtet und schreit.
Dieses Wort von Gott, der das Herz ansieht, das stammt aus der Geschichte von der Berufung des Königs David. Da kommt der Prophet Samuel zu Isai und soll auf Gottes Anweisung einen von Isais Söhnen zum künftigen König über Israel salben. Gott hat mit König Saul schlechte Erfahrungen gemacht, denn der war von Menschenfurcht geprägt und schielte mehr auf die Meinungsumfragen statt nach Gottes Willen zu fragen. Und jetzt will Gott einen anderen König für Israel vorbereiten.
Deshalb kommt also Samuel zu Isai und lässt sich alle seine Söhne vorführen. Gleich der erste, Eliab mit Namen, ist so ein Prachtkerl von Mann, groß, kräftig, mit dicken Muskelpaketen an den Armen, man kann sich vorstellen, dass der den Leuten mal sagen wird, wo es langgeht. Und Nathan denkt sofort: klar, der ist es! Eindeutig! Aber zum Glück ist er schon lange Prophet und ist geübt darin, in solchen Situationen zuerst auf Gott zu hören. Und von Gott hört er ein Nein: den Eliab will ich nicht.
Und dann kommt dieser Satz: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an. Gott sagt: zuerst schaue ich auf das Herz. Hat er ein Herz, das auf mich hört? Natürlich hat er auch Gaben und Fähigkeiten, aber was nützen die tollsten Gaben, wenn nicht zu erwarten ist, das er sie mir unterstellt und sie in meinem Sinne benutzt? Menschen haben großartige Begabungen, Gott kennt die genau, er hat sie ja gegeben, er möchte, dass wir tüchtige und fähige Menschen sind, aber worauf er sich zentral konzentriert, das ist unser Herz: ist da ein aufrichtiges Herz ohne Falsch, ist da ein geradliniges Herz, das Gott fürchtet und nicht die Menschen?
Gott hat von Anfang an auf unser Herz geschaut. Er kennt die verschlungenen Wege, auf denen es gegangen ist, und über die wir manchmal rückblickend in Psychotherapien Klarheit suchen, er kennt die Wunden und Verletzungen, die Narben, die unser Herz im Laufe der Jahre empfangen hat, und auch das Gift, das sich manchmal dort ausbreitet. Und er sieht und segnet das Leben, das dort immer noch seinen Platz hat. Was auch immer er dort sieht, wenn er auf einen Menschen schaut, dann schaut er zuerst auf sein Herz und die Geschichte seines Herzens.
Und so schaut sich nun also Samuel die ganzen sieben Söhne Isais an, einer prächtiger als der andere, aber jedesmal sagt Gott nein, bis Samuel überhaupt nichts mehr versteht. Was will denn Gott nun? Und dann macht es klick, und er fragt: sind das wirklich schon alle? Und Isai sagt: ach ja, einer ist noch da, der Jüngste, der hütet die Schafe, den haben wir ganz vergessen. Und Samuel sagt: her mit ihm! Und als er dann kommt, da hört Samuel sofort das Ja von Gott, die Ampel steht endlich auf grün, und Samuel salbt den Jungen sofort zum König über Israel. Und das war natürlich David, der größte König Israels und Stammvater Jesu.
Wenn Gott einen Menschen für eine große Aufgabe sucht, dann schaut er auf das Herz. Ist das ein Herz, das für mich offen ist? Ein Herz, das zuerst und vor allem mich fürchtet? Das Herz von David war ja damals noch gar nicht zu Ende entwickelt, er war in einem Alter, wo der Charakter noch gebildet wird, aber Gott hat offensichtlich in ihm etwas gesehen, was dann im Lauf der Jahre herangewachsen ist und woraus schließlich der feste Glaube geworden ist, der David fast immer getragen hat.
Und David wurde ja damals noch längst nicht König, sondern Gott bereitete ihn mit allen möglichen Kursen auf seine Aufgabe vor. Der erste Kurs bestand im Schafehüten, da trainierte David schon mal die Abwehr von Löwen und Bären, und der Abschlusstest war der Kampf mit dem Philister Goliath. Der nächste Kurs bestand im Leben an König Sauls Hof, wo David Fallen und Intrigen studieren konnte und einen Blitzkurs in angewandter Psychologie besuchte, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Dann kam ein mehrjähriges Überlebenstraining unter verschärften Bedingungen in der Wüste, wo er von den Soldaten König Sauls gejagt wurde. Dann ein Auslandspraktikum bei den Feinden Israels, den Philistern, und ein Test in Führungsqualitäten, als seine Männer kurz davor waren, ihn aus Enttäuschung zu steinigen. Das ist noch nicht alles, aber vielleicht haben Sie jetzt einen Eindruck bekommen, was Gott alles auffährt aus einem einzigen Grund: es kommt ihm auf das Herz von David an, und in all diesen Belastungen bildet er ein Herz heran, das gelernt hat, in Freude und in Angst auf Gott zu vertrauen und zuerst nach Gottes Willen zu fragen. Und als es dann soweit war, konnte er König des Gottesvolkes werden.
Natürlich hat David nebenbei auch kämpfen gelernt, und er ist sicher auch körperlich fit geworden und kannte das Einmaleins des Soldatenhandwerks im Schlaf. Alles, was Menschen beeindruckt, das hatte David auch. Aber Gott ist mit ihm diesen langen Weg gegangen, weil es ihm auf Davids Herz ankam.
Denn wie wird ein Menschenherz zu einem Herzen, das Gott gefällt? Nur so, dass es immer wieder Gott begegnet, ihn versteht und in ihm den Schöpfer erkennt, dem wir unser Leben verdanken. Wenn Menschen Jesus begegnet sind, dann brannte ihr Herz, weil es diese Sprache versteht, weil Jesus uns aus dem tiefsten Herzen spricht, weil wir da die Stimme hören, die uns schon ins Leben gerufen hat. Und wenn wir dann dem Sehnen unseres Herzens folgen und wenn wir ihm erlauben, dem Ruf der Stimme zu folgen, immer und immer wieder, dann wird unser Herz ein Herz, das Gott wohlgefällt.
Als David über Jahre hin in allen Höhen und Tiefen seines Lebens gelernt hatte, mit seinem Herzen auf Gott zu hören und seinen Willen zu tun, da konnte er König von Israel werden. Aber als er in einem schwachen Moment auf die Stimme der Versuchung hörte, da kam Unheil über ihn und über das ganze Land.
Gott sieht das Herz an, und wir sollen ebenso unserem Herzen die Aufmerksamkeit schenken, die es verdient. Es ist der Motor unseres Lebens, die Quelle, aus der Ströme lebendigen Wassers fließen, wenn Jesus dort wohnt. Es ist der Monitor, auf dem sich zeigt, wer wir wirklich sind. Es ist der Ort der großen Freude und auch die Stelle, wo die Misstöne zu hören sind, wenn wir nicht mit uns selbst und mit Gott in Übereinstimmung sind. Es ist unser Freund, der sich nicht täuschen lässt, auch wenn wir die Menschen alle an der Nase herum führen. Es ist der Ratgeber, den wir morden oder hinter Schloss und Riegel setzen müssen, um seine Stimme zum Schweigen zu bringen.
Wir sind Tag für Tag damit beschäftigt, uns selbst und anderen etwas vorzuspielen. Wir sind damit beschäftigt, unser Herz auf Irrwege zu locken. Aber kostbarer als alles andere ist ein Herz, das in Gott verankert ist; ein einfältiges Herz, wie es frühere Genaerationen genannt haben, ein Herz, das nicht falsch ist, nicht doppeldeutig, kompliziert und schwankend, sondern klar und übersichtlich in seiner Ausrichtung, ehrlich und fest. Das ist das Kostbarste, was wir hier auf Erden erwerben können. Das ist es, was wir vor allem anderen behüten sollen. Darauf schaut Gott, und auch wir sollen lernen, mit seinem Blick auf Menschen zu sehen.