Gott global ganz nah
Predigt am 5. Mai 2016 (Himmelfahrt)
Als Titel haben wir über unseren Gottesdienst heute geschrieben: »Gott global – ganz nah«, weil das beides zusammengehört: Jesus Christus ist der Herr der ganzen Welt, und gleichzeitig ist er ganz nah an jedem Einzelnen dran. Das ist kein Zufall und erst recht kein Widerspruch: weil Gott so nah an Menschen dran ist, deshalb regiert er die ganze Welt – auf eine Weise, die man vorher nicht kannte.
So nah an den Menschen dran zu sein, dass er bei uns ist, in uns wohnt, zu uns spricht, uns leitet und unser Herz berührt, das ist seine Art, wie er in der Welt herrscht. Wenn Gott herrscht, dann definiert er das Wort »Herrschen« neu. Er herrscht gerade nicht mit den Methoden, die man sonst benutzt, wenn man ein Herrscher ist.
Sie haben bestimmt auch schon mal gehört, wie jemand sagt: ich mag dieses Wort »Herrschen« nicht, schon gar nicht, wenn es um Gott geht! Das klingt so niederdrückend, da fühle ich mich eingeengt und kontrolliert! Aber diese Sorge ist ganz unnötig. Wenn die ersten Christen davon gesprochen haben, dass Gott »herrscht« oder »regiert«, dann wollten sie damit gerade sagen: was die Kaiser, Herrscher, Präsidenten, Tyrannen und alle anderen ihres Schlages tun, das ist kein echtes Regieren. Das ist Unterdrücken und Ausnutzen. Jesus war sehr klar, wenn er mit seinen Jüngern solche Sachen besprochen hat. In der Welt, in der die Bibel entstanden ist, wussten die Leute gut, wie Unterdrückung funktioniert. Das war viel offener und brutaler als wir das heute kennen.
Trotzdem hatten sie keine Probleme damit, Jesus einen »König« zu nennen, oder von ihm zu hören, dass er »alle Macht im Himmel und auf Erden« hat. Sie haben ja ganz miterlebt, dass seine Macht anders funktioniert.
Sie haben erlebt, wie Menschen in seiner Gegenwart gesund und neu wurden. Sie haben erlebt, wie am Tisch Jesu Menschen beieinandersaßen, die sich sonst gehasst oder verachtet hätten. Sie haben erlebt, wie Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten sich in einer neuen Gemeinschaft zusammenfanden. Nicht, indem sie sich gegen einen gemeinsamen Feind abgrenzen, sondern weil sie im Namen Jesu zusammengehören.
Jeder, der Macht in der Welt hat, muss mit den Gräben und Verwerfungen unter den Menschen umgehen. Manche schüren die Vorurteile noch, andere versuchen, sie auszugleichen. Jesus hat eine Grundlage geschaffen, auf der sie überwunden werden. Das ist seine Art von Macht. Macht, die die Geschäftsgrundlage verändert, die aller Herrschaft zugrunde liegt.
In der alten Welt, in der die ersten Christen lebten, gehörte jeder irgendwo hin. In eine Familie, in ein Haus, in einen Clan, einen Stamm oder irgendwo anders. Und es gab einen Chef, der entschied. Die Sklaven hatten nichts zu sagen, die Frauen nicht, die Söhne nicht, nur der älteste Sohn, der wurde irgendwann der Nachfolger vom Chef, und dann hatte der das Sagen. In manchen Teilen der Welt ist das bis heute so.
Wenn aber jemand aus so einem Haus Christ wurde, dann hatte er seine ganz eigene Entscheidung getroffen. Gott hatte sich ihm zugewandt, und er hatte geantwortet – er selbst, nicht der Chef. Er selbst, für sein eigenes Leben. Und so bekommen der Sklave Tertius und die Frau Julia ihr eigenes Profil, ihre eigene Geschichte. Sie sind nicht mehr Anhängsel eines Clans: nein, sie sind eigenständige Menschen. Gott hat sie dazu erweckt.
Ich glaube, wir können uns das heute gar nicht mehr vorstellen, was das damals für ein Schritt war. Für uns ist das heute selbstverständlich – die zentrale Bedeutung der Menschenwürde ist sogar im Grundgesetz festgeschrieben. Damals war es unglaublich: Ein Gott, der selbst der Letzten und dem Kleinsten noch zutraut, dass seine Entscheidung und ihre Verantwortung wichtig ist. Ein Gott, der jedem eine Würde zuspricht. Unabhängig davon, aus welchem Land er kommt, unabhängig von Status, Kultur, Bildung, Arbeitskraft und Vermögen. Ein Gott, der daran arbeitet, dass jeder Mensch seine Verantwortung für die Schöpfung erkennt und ausüben kann.
Natürlich haben sie damals noch nicht übersehen, wo das noch alles hinführt. Und wir sollen nicht glauben, wir heute wüssten das schon ganz genau, nur weil wir auf diesem Weg schon ein Stück weiter gegangen sind. Erst nach und nach haben Menschen begriffen, was da alles dranhängt, dass Gott jeden Menschen gleich im Blick hat und jedem ganz nah begegnen will. Unsere ganze europäische Geschichte von Menschenwürde, Demokratie und Menschenrechten hat da ihre Basis.
Wir erleben heute, wie das in alle Ecken der Welt vordringt und immer noch die Welt erschüttert. Wenn Menschen Rechte und eine Würde haben, die Gott ihnen zugesprochen hat, dann muss man auf sie hören und kann sie nicht mehr unterbuttern, noch nicht mal, wenn sie eine Minderheit sind. Sie hören auf, Anhängsel zu sein, die nie gelernt haben, eigene Gedanken zu denken und für ihr Leben Verantwortung zu übernehmen. Das verändert die Art, wie in dieser Welt regiert wird. Und wir erleben heute einen großen Kampf darum, ob das wirklich so sein soll.
Wenn Gott auf dem Sprung ist, jedem Menschen ganz nah zu kommen, dann ändert das die Welt global und fundamental. Davon werden wir gleich noch mehr hören.