Frieden statt Angst
Predigt am 9. Juni 2024 zu Epheser 2,17-22
17 Jesus ist gekommen und hat die gute Botschaft vom Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18 Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
Als Jesus gekommen ist, da hat er die Grenzen zwischen den Kulturen überwunden. Alle, die zu ihm gehören und in denen sein heiliger Geist wohnt, die gehören zusammen, auch wenn sie aus ganz unterschiedlichen Ecken der Welt kommen. Und die Frage: gehörst du zu Jesus Christus? – diese Frage ist wichtiger als die Frage: welche Sprache sprichst du und in welcher Kultur bist du aufgewachsen?
Angst vor Fremdem
Wir erleben es heute, dass mit der Angst vor Fremden Politik gemacht wird. Es gibt die einen, die diese Angst schüren, und eine ganze Menge andere, die gerne auf dieses Thema einsteigen. In einer Welt mit ganz vielen ungelösten Problemen ist für viele Menschen der Gedanke verlockend, dass alles gut wird, wenn wir nur die Fremden irgendwie loswerden. Und es ist klar, wenn man nur lange genug Misstrauen sät und Menschen aufeinander hetzt, dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass das irgendwann eskaliert und Mord und Totschlag daraus entsteht.
Aber der Friede Christi wird zwischen unterschiedlichen Kulturen geschlossen. Hier im Epheserbrief steht: Jesus hat Frieden verkündet: Frieden denen, die fern waren, also in einer anderen Kultur zu Hause, und Frieden denen, die nahe waren, die also zur eigenen Kultur gehören. Jesus hat eine neue Basis geschaffen, auf der man auch über Kulturgrenzen hinweg zueinander gehören kann.
Als Paulus das schrieb, da hatte er ganz besonders den Unterschied zwischen den Juden und den anderen Völkern im Blick. Die Juden sind die Nachkommen Abrahams, den Gott erwählt hat. Die konnten zu Recht sagen: wir sind etwas Besonderes. Und um diesen religiöse Sonderstellung herum hat sich natürlich auch ein kultureller Unterschied entwickelt. Die Juden hatten ihre eigene Art zu leben, und da war immer ein Graben zwischen ihnen und den anderen Völkern. Aber Jesus hat hier und da diese Grenze schon überwunden, und als er auferstanden war, da war die Grenze von Gott aus nicht mehr nötig, und er hat seine Jünger über diese Grenze hinaus in die ganze Welt geschickt.
Eine neue Menschheit im Kleinen
Da merkten sie: der Heilige Geist kommt nicht nur zu uns, sondern auch zu den anderen. Und wenn Gott uns durch den heiligen Geist verbindet, dann können wir uns doch nicht voneinander fernhalten. Denn das war die neue Verbindung der Christen untereinander: die Erfahrung des Heiligen Geistes, durch den alle mit Gott vertraut und bekannt sind. Nicht mehr einen bestimmten Lebensstil entwickeln, eine Kultur, die möglichst gottgefällig ist, sondern seinen lebendigen Willen kennen, Tag für Tag, sein lebendiges Wort hören und tun. Das können Menschen aus allen Kulturen. Und das Schöne ist, wenn man über alle Kulturgrenzen hinweg merkt, dass es derselbe Geist Jesu ist, der uns bewegt.
Gott wollte, dass in der Gemeinde eine Menschheit im Kleinen so zusammenlebt, wie er sich das für die ganze Welt wünscht. Gott will, dass der Unterschied der Kulturen kein Problem ist, sondern eine Bereicherung. Gott wollte eine bunte und vielfältige Welt: deswegen schuf er unzählige Sorten von Blumen und Früchten und Lebewesen, deswegen schuf er die Erde mit soviel verschiedenen Klimazonen von den Tropen bis zum ewigen Eis, und deswegen sorgte er dafür, dass die Menschheit einen Reichtum an ganz unterschiedlichen Kulturen entwickelt. Und jede Kultur zeigt uns eine andere Seite der Vielfalt, die Gott in den Menschen angelegt hat.
Das ist mir immer zuerst durch das Essen aufgefallen. Es gibt so viele verschiedene Arten des Essens, und fast alle sind wunderbar zum Kennenlernen. Das Essen ist ein leicht erkennbares Zeichen dafür, wie bereichernd die Vielfalt der Kulturen ist. Und über das Essen geht es auch am schnellsten mit dem gegenseitigen Kennenlernen, wenn man miteinander kocht und zusammen isst.
Die böse Macht in der Welt will die Unterschiede zwischen den Kulturen nutzen, um Misstrauen zu schüren und Menschen gegeneinander zu hetzen, so dass die einen die anderen nicht kennen und einer vor dem anderen Angst hat. Die böse Macht will die Menschen trennen, so dass sie sich gegenseitig unheimlich werden. Und es gibt leider viele, die gerne dabei mitmachen. Aber Jesus ist in diese Welt voller Misstrauen gekommen, um Frieden zu bringen. Und er will, dass auch seine Gemeinden für dieses Ziel arbeiten. Denn das fällt nicht einfach so vom Himmel. Dafür kann man etwas tun.
Grenzen überwinden ist Arbeit
Denn es ist ja zuerst wirklich eine unsichere Situation, wenn man Menschen aus anderen Kulturen kennenlernt und nicht genau weiß: wie ist das mit denen? Wie meinen die das? Wie denken die? Und ich will doch nichts falsch machen, und ich will auch nicht, dass ich missverstanden werde. Ich weiß noch, wie unsicher ich zuerst war, als wir 2002 in der Gemeinde plötzlich ein Kirchenasyl hatten. Und wir mussten uns vorsichtig aufeinander zu bewegen und verstehen, wie wir ticken. Ich habe mich am Anfang mit zwei Kirchenvorsteherinnen um die Familie gekümmert, und die dachten zuerst, das wären meine beiden Frauen. Hinterher konnten wir gemeinsam darüber lachen.
Und dann wieder, als 2015 die vielen Flüchtlinge nach Groß Ilsede in die Gebläsehalle kamen. Das ist eine Situation, wo man zuerst nicht weiß, was man von diesen unbekannten Menschen zu erwarten hat, und die wissen das ja auch nicht von uns. Aber dagegen hilft nur: ausprobieren, sich trauen, und hingehen, auch auf die Gefahr hin, dass man sich zuerst sehr unwohl fühlt und es vielleicht auch wirklich Missverständnisse und Probleme gibt. Und dann habe ich es tatsächlich erlebt, dass wir mitten in dieser ganzen provisorischen Situation in der Gebläsehalle auf einer Matratze auf dem Fußboden saßen, und wir haben zusammen in der Bibel gelesen und diskutiert, mit Mühe wegen der Sprachbarriere, aber trotzdem.
Gott sagt nicht, dass es in der Gemeinde diese Unsicherheit zwischen den Kulturen nicht geben wird. Die zaubert er nicht weg. Aber wo sein Geist dabei ist, da gibt es eine Basis, auf der man diese Unsicherheit überwinden kann, weil man weiß, dass wir verbunden sind durch den Geist Jesu, der in uns wohnt. Und das ist die Basis für Frieden und Vertrauen. Auf dieser Basis kann man sich kennenlernen und irgendwann merkt man: die Menschen aus anderen Kulturen sind in Wirklichkeit genauso unterschiedlich wie die Deutschen auch. Da gibt es welche, mit denen man gern zusammen ist und andere, die einem eher unsympathisch sind und viele andere irgendwo dazwischen.
Genau hinsehen
Die Welt ist nämlich in Wirklichkeit viel komplizierter, als uns diese einfachen Einteilungen glauben machen wollen. Sie kennen das doch sicher auch, dass es heißt »die Deutschen sind so und so«, also z.B. pünktlich, ordentlich, pingelig und so weiter. Vielleicht stimmt das ja sogar statistisch, aber wenn du mit einem chronisch unordentlichen Deutschen zusammenlebst, der nie den Müll runterbringt und im Kühlschrank uralte vergammelte Milch hortet, dann nützt es dir gar nichts, dass die Deutschen im Allgemeinen als besonders ordentlich gelten.
Im Grunde sind all diese Einteilungen höchstens für eine grobe Orientierung gut: Deutsche und Ausländer, Männer und Frauen, »die Jugend« und »die Alten«, Bayern und Preußen, Gebildete und Ungebildete, und was für Etiketten es noch alles gibt. Die konkreten Menschen sind dann immer noch ganz anders, wenn du ihnen begegnest.
In der vergangenen Woche gab es viel Aufmerksamkeit für den Mann, der in Mannheim einen Polizisten erstochen hat. Der wurde dann von einem anderen Polizisten ganz professionell mit einem einzigen sicheren Schuss gestoppt. Was in der ganzen Aufregung untergegangen ist, ist die Tatsache, dass auch dieser Polizist offenbar einen Migrationshintergrund hatte. Der eine greift einen Menschen an, der andere stoppt ihn, bevor er noch mehr Schaden anrichten kann. Was sagt das über Migranten im Allgemeinen? Gar nichts. Es geht in Wirklichkeit immer darum, was für ein Mensch du bist.
Und das sollen wir in der Gemeinde lernen. Ja, es gibt böse Menschen, es gibt gute Menschen und es gibt jede Menge Mischungen aus beidem. Und alle brauchen es, dass sie in der Gemeinde ein Umfeld haben, wo man aufeinander zugeht und sich kennenlernt und sich miteinander von Jesus prägen und verwandeln lässt. Und dann wird man merken, dass es zwischen Menschen viel wichtigere Unterschiede und Probleme gibt als Geburtsort, Sprache und Kultur.
Angstarme Zonen des Friedens
Und wenn wir das in der Gemeinde schaffen, dann ist das eine wichtige Hilfe für die ganze Gesellschaft. Wir sollen Zellen des Muts und der Zuversicht sein, wo Menschen nicht von ihren Ängsten bestimmt werden. Nicht von der Angst vor Fremden, aber auch nicht von der Angst vor Veränderung, vor der Zukunft, vor Bakterien, vor der eigenen Größe, vor der Inflation, vor den Außerirdischen und wovor man sonst noch alle möglichen Ängste entwickeln kann. Gemeinden als angstarme Zonen des Friedens.
Gott möchte in der Gemeinde eine versöhnte Menschheit im Kleinen schaffen, die in Frieden miteinander lebt. Das war eine Grunderfahrung der ersten Christen: wir sind verbunden über alle gesellschaftlichen Trennungen und Unterschiede hinweg. Und das ist eine Erfahrung, die tiefe Freude auslöst, wenn man sich da erstmal rantraut. Ich glaube, dass wir als Gemeinden deshalb froh sein sollen, wenn wir heute durch die Fremden aus vielen Ländern quasi die ganze Welt in unsere Nachbarschaft bekommen. Diese Welt, die so zerrissen ist durch Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit und Unglück. Aber wir können es erleben, dass im Geist Jesu Frieden möglich ist. Wir können dabei sein, wenn Gott Wunden heilt und Feindschaft überwindet. Und das ist großartig und ermutigend. Das lässt niemanden kalt.
Denn Gott möchte die Wunden heilen. Er möchte Frieden machen, wo alles hoffnungslos zerrissen aussieht. Er will eine neue Menschheit ins Leben rufen, nein, er hat es schon getan, in Jesus Christus, der ist der erste neue Mensch. Der ist gestorben an den heillosen Gegensätzen, die unsere Welt durchziehen, aber Gott hat seinen Weg bestätigt, Gott hat den Tod besiegt, er hat ja gesagt zu Jesus, und jeder, der auch Ja sagt zu Jesus, der gehört zu dieser neuen Menschheit dazu, und auf dieser Grundlage geht dann die Arbeit los, zu lernen, wie man miteinander leben kann, Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern. Und dazu gehört auch, dass man den Schmerz teilt, der auf den Geschwistern lastet, die auf gefährlichen Wegen hierher geflohen sind. Das ist ja auch Gottes Schmerz. Und wenn du da sein willst, wo Gott ist, dann musst du auch diesen Schmerz kennen und dahin gehen, wo Gott Gräben zwischen Menschen und Kulturen überwindet.
Dieser Friede zieht Kreise
Vielleicht erreicht das ja irgendwann auch die Menschen, die Angst haben vor den Fremden und aus dieser Angst heraus heute ihre Stimme abgeben, und die Politiker, die aus diesem Geist der Angst und Abwehr heraus Gesetze machen. Wir sollen Frieden verbreiten, gerade da, wo sich die Gegensätze in der Welt vor unserer Haustür melden.
Was könnte das für ein Segen sein für unser Land und für die ganze Welt, wenn die Gemeinde Jesu insgesamt da deutlich erkennbar vorangehen würde. Da könnten wir mal so richtig relevant sein! Und wie viel von diesem Segen würde zu uns zurückkommen! Gott möchte, dass der Frieden, der in seiner neuen Menschheit herrscht, anderen Mut macht, es auch zu wagen, und dass sein Friede schließlich ausstrahlt in die ganze Welt.