Mächte: unsichtbar, aber real – und unter Christus
Predigt am 21. Mai 2020 (Christi Himmelfahrt) zu Epheser 1,19-23
22 Ja, Gott hat ihm alles unter die Füße gelegt, und er hat ihn, den Herrscher über das ganze Universum, zum Haupt der Gemeinde gemacht. 23 Sie ist sein Leib, und er lebt in ihr mit seiner ganzen Fülle – er, der alles und alle ´mit seiner Gegenwart` erfüllt.
Diesen Abschnitt fand ich schon immer besonders gut, weil das Thema der Mächte und Gewalten so aktuell ist. Das sind ja lauter politische Begriffe, die die Bibel hier verwendet: Hoheit und Gewalt, Macht und Herrschaft, und die »großen Namen«, die alle kennen. Da geht es um Macht. Und ich war immer froh, dass das so klar drinsteht in der Schrift, weil die moderne Zeit den Wirkungsbereich Gottes am liebsten auf das Innenleben und das Seelenheil beschränken möchte. Oder auch Gottes Gebote immer nur auf den Einzelnen bezieht.
Ein individualistisch verzerrter Gott?
Und das ist gerade heute fatal, weil unsere Welt ja nicht durch die Sünden Einzelner vor die Hunde geht, sondern durch kollektive Sünden, die sich keinem Einzelnen zuordnen lassen. Die Atmosphäre heizt sich nicht auf, weil du und ich mit dem Auto zum Brötchenholen fahren, und wir retten sie nicht dadurch, dass wir das Fahrrad nehmen oder zu Fuß gehen (tun sollte man es aber trotzdem). Aber dass der reichere Teil der Menschheit samt unseren ganzen Wirtschaftsstrukturen (und wir gehören da natürlich dazu) sich für die Fortbewegung aufs Autofahren verlegt hat, das hat katastrophale Folgen.
Jemand, der sich Sünde immer nur als Sünde Einzelner vorstellen kann (und dann natürlich dauernd an Sex denkt, im weitesten Sinn), der ist an diesem Punkt hilflos. Denn wir sind es eben nicht als Einzelne, die die Polarkappen zum Schmelzen bringen. Und wenn man sich dann Gott auch noch so vorstellt, als ob er sich immer nur um das Fehlverhalten Einzelner kümmert, dann sind nicht nur wir hilflos den kommenden Katastrophen ausgeliefert, sondern auch Gott scheint mit diesem Thema überfordert zu sein. Und dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als uns am Ende von dieser kranken Erde in den Himmel zu evakuieren, so wie die Bundesregierung schnell noch 250.000 deutsche Touristen nach Hause geholt hat, bevor sie in Brasilien oder auf den Malediven oder sonstwo zur fetten Beute von Corona werden.
Für die Bundesregierung war das eine ziemlich gute Leistung. Aber was wäre das für ein Gott, der nichts Besseres zustande kriegt? Ein Gott, dem in der Krise nichts anderes einfällt, als seine Leute zu evakuieren? Das wäre doch ein ziemlich hilfloser Gott.
Was ist bloß mit »Himmel« gemeint?
Zum Glück steht es in der Bibel anders, z.B. hier im Epheserbrief. Und so faszinierend ich solche Stellen schon immer fand, es gab etwas, was mich irritierte: nämlich die Rede vom »Himmel«. Natürlich weiß ich, dass damit nicht die Zone ab 10 km über uns gemeint ist, das beteuern ja seit mindestens 50 Jahren alle Kollegen zu Himmelfahrt immer wieder neu, und ich habe es auch schon ein paarmal getan. Aber dann bleibt immer noch die Frage: welche Art von Realität ist dann gemeint, wenn man christlich vom »Himmel« spricht? Solange man das nicht weiß, kann man ja eigentlich auch nicht erklären, was man zu Himmelfahrt feiern soll, und dann gehen die Leute eben doch lieber mit dem Bollerwagen los.
Ich hab dann eine Zeitlang gesagt: der Himmel ist die unsichtbare Seite der Welt, und das war zum Glück nicht falsch, aber irgendwie noch nicht so sehr erhellend. Aber je länger ich nachdachte, um so mehr wurde mir klar: du kannst die Bibel nicht verstehen, und du kannst auch das, was Jesus erreicht hat, nicht verstehen, solange dir zum Himmel nichts besseres einfällt, als dass der entweder so ein Wolkenkindergarten für pausbäckig musizierende Englein ist oder das Endlager für tote Menschen mit dem richtigen Glaubensbekenntnis oder beides.
Diese Bilder sind viel zu harmlos, wenn man bedenkt dass laut Bibel auch der Satan eine Zeitlang zum Himmel gehörte und dass er auch eine Art von Engeln hatte. Auch Paulus spricht nicht nur an dieser Stelle von »Hoheit und Gewalt, Macht und Herrschaft« als himmlischen Wesen. Und das sind Bezeichnungen, die alle politische Anklänge haben. Im Himmel scheint es um Macht zu gehen.
Kollektive, Gemeinschaften, größere Einheiten
Und damit kann man erst etwas anfangen, wenn man die Menschen nicht auf moderne Weise als lauter Einzelne betrachtet, sondern als Wesen, die immer schon größeren Einheiten organisiert sind: zB. als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, als Mitglieder eines Sportvereins, als VW-Belegschaft, als Klasse 4b, als Familie Hempelmann, als Kunden von Aldi oder Abonnenten von Netflix, oder wie auch immer. Ganz viel von dem, was wir tun, tun wir nicht als Einzelne, sondern als Angehörige eines Kollektivs, einer größeren Einheit.
Und das steuert unser Verhalten. Kein Menschen würde sich in der Familie so benehmen wie Aldi-Kunden, wenn es was besonders Günstiges gibt. Jedenfalls kaum jemand. Und kaum jemand würde sich am Arbeitsplatz so launisch verhalten, wie es manche in ihrer Familie tun. Und den Planeten verwüsten tun wir weder als Einzelne, noch als Klasse 4b, sondern als Angehörige der westlich-kapitalistischen Konsumkultur.
Aber haben Sie so eine größere Einheit, so ein Kollektiv schon mal gesehen? Natürlich, die Menschen, die dazugehören, die kann man sehen. Man kann auch die deutsche Flagge sehen, die Grenzpfähle oder den Bundespräsidenten. Aber die Bundesrepublik Deutschland? Sind Sie der schon mal begegnet? Haben Sie mit der schon mal ein Bier getrunken? Vielleicht schon mal auf Kosten der Bundesrepublik, aber nicht mit ihr.
Man kann Symbole sehen, z.B. den Bundesadler. Man kann die Gesetze lesen, die hier gelten. Man kann die Beamten sehen, die für den Staat arbeiten. Aber die Bundesrepublik Deutschland selbst, die ist unsichtbar. Sie ist trotzdem sehr real, aber es ist eine unsichtbare Realität. Das Gleiche könnte ich für Sportvereine, Familien, Schulklassen, Firmen und viele andere sagen: sie sind real, man kann die Menschen sehen, die dazugehören, man kann ihre Symbole sehen und ihre Wirkung spüren, aber diese Kollektive selbst, die sind unsichtbar. Sie bestehen aus Kommunikation, aus Gedankenbildern, aus Werten, aus Gewohnheiten, aber das sind alles Dinge, die nicht sichtbar sind. Genauso wie jeder Mensch einen sichtbaren Körper hat, aber ebenso eine Innenwelt, die man von außen nicht sehen kann.
Unsichtbar, aber höchst wirksam
Unsere Welt ist also so aufgebaut, dass sie eine unsichtbare Seite hat, die aber deswegen nicht bedeutungslos ist. Wenn es von Gott heißt, dass er »Himmel und Erde schuf«, dann geht es um diese beiden Seiten: Gott sorgte nicht nur für die materielle, sichtbare Seite der Schöpfung, sondern auch für die geistige, unsichtbare Seite. Und da geht es um Bedeutungen, um Sinn, um den Geist, in dem wir als organisierte, vielfältig verbundene Menschen zusammen sind. Und ob in einem Verein oder in einer Gemeinde oder in einem Staat ein guter oder ein schlechter Geist herrscht, das ist ganz wichtig, das entscheidet darüber, ob Menschen sich da wohlfühlen, aber sehen kann man diesen Geist nicht, höchstens spüren.
Was bedeutet es dann aber, wenn hier im Epheserbrief über Gott steht, dass er Jesus »im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat, hoch über jegliche Hoheit und Gewalt, Macht und Herrschaft«? Jesus ist auch für diese ganze himmlische Welt der Geister und unsichtbaren Mächte gekommen, um sie in den Gehorsam gegen Gott zurückzuholen. Jesus ist also nicht nur für uns als Personen und Individuen gekommen, sondern auch für die Kollektive, die Institutionen und Organisationen, in denen wir leben. Auch die sollen zum Gehorsam gegen Gottes Gebote und seine gute Lebensordnung gebracht werden.
Der Herr über allen Herren
Und das heißt, dass wir nicht den Mächten und Gewalten in unserem Leben gehören, sondern Jesus Christus. Und wir werden immer erst auf ihn schauen, wenn diese Mächte und Geister etwas von uns wollen, und wir werden immer erst schauen, ob er grünes Licht gibt oder nicht.
Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Es gibt so viele Menschen, die einfach tun, was ihre Firma, ihre Familie oder ihr Milieu von ihnen erwartet. Wie oft begegnet man Menschen, die einfach nur die Richtlinien ihrer Organisation herunterbeten und selbst mit dem Denken aufgehört haben. Und wenn ein Problem nicht in den Vorschriften vorgesehen ist, dann sind sie hilflos und sondern nur noch sinnlose Sprechblasen ab.
Christen üben sich darin, immer erst auf Jesus zu schauen, was er dazu sagt, weil er ja der oberste Chef ist. Wir sind weder schwache Gehorcher, die sich kein eigenes Urteil erlauben, noch prinzipielle Neinsager und Meckerer. Die prinzipiellen Gehorcher und die prinzipiellen Meckerer sind beide schwach, sie haben keinen eigenen Standpunkt. Sie haben nur eine Standardreaktion für alles. Aber wer mit Jesus verbunden ist, der bekommt Anteil an Gottes Kraft, an der Kraft der Auferstehung, und in dieser Kraft bekommt unser Urteil Tragfähigkeit und Gewicht. Dann ist man auch gewohnt, zu entscheiden, wenn es mal keine Vorschriften gibt.
Urteilen mit Grund und Gewicht
Man muss dann auch nicht dauernd herausstreichen, dass man ein selbständig denkender Mensch ist. Wer das dauernd macht, der hat es wahrscheinlich nötig. Uns wird man das hoffentlich anmerken, ohne dass wir es dauernd betonen müssen. Aber hier im Epheserbrief erinnert Paulus die Gemeinde daran, dass sie diese Kraft bitte nicht geringschätzen möge. Die Christen als Gruppe, die gewöhnt ist, alles daraufhin abzuklopfen, ob es bestehen kann in den Augen von Jesus, in den Augen des Herrn über alle Mächte und Gewalten – die Christen als Gemeinschaft, die gewöhnt ist, sich ein begründetes Urteil zu bilden und danach zu handeln – das ist eine gewaltige Kraft und eine enorme Irritation für all diese geistigen Mächte.
Dass Menschen meckern und maulen, das kennen sie, damit werden sie fertig. Aber ein ruhiges begründetes Urteil, das man durchhält, das sich auch durch Geschrei und Propaganda nicht erschüttern lässt, und Menschen, die deshalb nicht wie ein Blatt im Wind von jeder neuen Mode herumgetrieben werden – das ist ein Zeichen einer ganz anderen Stärke. Und davon lassen sich die Mächte und Gewalten durchaus beeindrucken. Denn darin erkennen sie Jesus wieder, der ihnen in solchen Menschen begegnet. Vor dem haben sie Respekt. Vor dem haben sich alle Dämonen gefürchtet. Und die Kirche ist sein Leib – Jesus hat auf der Erde einen Körper, durch den er wirkt. Wenn wir – zuerst gemeinsam, aber dann auch als Einzelne – von ihm bewegt und belebt sind, das – so ist die Hoffnung –, das wird die herrenlosen Gewalten am Ende doch noch davon abhalten, den Planeten endgültig zu verwüsten.