Change – die Welt bleibt nicht so, wie sie ist
Besonderer Gottesdienst am 24. Januar 2010 mit Predigt zu Epheser 1,9-11
Der Gottesdienst begann mit einem Interview, in dem die Mutter eines ehemaligen Konfirmanden schilderte, wie ihr Sohn inzwischen für eine Firma, die Spezialprüfsysteme herstellt, weltweit unterwegs ist.
Einführung:
Was bedeutet das alles? Eine Welt, die sich rapide verändert, in der Zahlen, die lange ziemlich konstant geblieben sind, in kurzer Zeit steil nach oben gehen. Am bekanntesten ist das beim Wachstum der Weltbevölkerung: da gab es über viele 1000 Jahre wenig Wachstum, zwischen dem Jahr 0 und dem Jahr 1000 änderte sich die Zahl der Menschen fast gar nicht: es blieb bei schätzungsweise 300 Millionen Menschen. Um 1500 waren es dann vielleicht 500 Millionen. 300 Jahr später, um 1800, war die erste Milliarde erreicht. Bis zur 2. Milliarde dauerte es dann nur noch etwas mehr als 100 Jahre, nämlich bis 1927. 33 Jahre später, 1960, war trotz des 2. Weltkrieges die 3. Milliarde erreicht, und seit damals kommt etwa alle 12-14 Jahre eine weitere Milliarde dazu. 2012 sollen es dann sieben Milliarden Menschen auf der Welt sein. Das heißt, unter uns sind heute eine ganze Menge Leute, in deren Lebenszeit sich die Weltbevölkerung von drei auf sechs Milliarden Menschen verdoppelt hat.
So ein Wachstum nennt man »exponentielles« Wachstum. Da geht die Kurve auf einmal wie eine Rakete ab nach oben. Vorhin in dem Film ging es dauernd um solch ein exponentielles Wachstum: Das Wachstum des menschlichen Wissens, das Wachstum der Internetanschlüsse, das Wachstum der Bevölkerung. Man könnte noch dazunehmen das Wachstum der Güter, die Menschen herstellen: denn auch wenn es viel Armut und Hunger gibt, die drei Milliarden Menschen, die seit 1960 dazugekommen sind, die leben ja und verbrauchen und produzieren.
Was bedeutet das alles? Ich möchte die Veränderungen in drei Punkten zusammenfassen:
- Es gibt eine Gewichtsverschiebung in der Welt. Länder wie China und Indien bekommen einfach durch ihre Größe viel mehr Gewicht. In einem Land, nämlich China, lebt ein Fünftel der Weltbevölkerung. Indien umfasst 17 % aller lebenden Menschen. In der Europäischen Union und in den USA, das ist ja der größte Teil von dem, was man »den Westen« nennt, leben knapp 12 %. Und diese Länder mit großen Bevölkerungen sind ja immer weniger rückständig. Auch wenn es da viel Not und Armut gibt, so wie bei uns vor 150 Jahren, deswegen hocken die doch nicht alle in Lehmhütten. Die holen in ihrem ganzen Potential auf. Wir stehen ungefähr an dem Punkt, von dem an China z.B. mehr exportiert als der bisherige Exportweltmeister Deutschland. Diese Gewichtsverschiebung ist das erste.
- Das Zweite ist die weltweite Vernetzung, die durch das Internet seit ungefähr 15 Jahren eingetreten ist. Heute kann man überall, wo es Internet gibt, auf den gesamten Wissensschatz der Menschheit zugreifen. Um die Daten zusammenzustellen, die ich heute in diesem Gottesdienst schon genannt habe, hätte man vor 20 Jahren in allen möglichen Lexika nachschlagen müssen. Das hätte lange gedauert, und die Daten wären trotzdem nicht aktuell gewesen. Heute kann man das von jedem Computer aus in ein paar Minuten zusammensuchen.
Aber mehr: weil Menschen auf diese Weise weltweit miteinander Wissen teilen, entsteht immer schneller neues Wissen. Ein Wissenschaftler kann heute sofort auf die Forschungsergebnisse seines Kollege auf der anderen Seite des Erdballs zugreifen und damit weiterarbeiten. Früher hätte es Monate oder Jahre gedauert, bis er das irgendwann mal in einer Fachzeitschrift gelesen hätte.
Zu der Vernetzung gehört aber auch die Entwicklung des internationalen Verkehrs. Wenn Sie noch einmal an die Geschichte von Kim zurückdenken: wo hätte es das früher gegeben, dass jemand aus Europa kurz mal hinfliegt, um eine Maschine in Amerika zu reparieren? Als ich ein Kind war, da ist mein Vater einmal beruflich nach Rom geflogen, und das war eine große Sache. Er hat erzählt wie das im Flugzeug ist, und dass in den Restaurants in Rom geriebener Käse auf dem Tisch steht, von dem man sich auf die Spaghetti streuen kann, so viel man will. Und ich habe zugehört und gestaunt.
Heute ist es für jemanden, den wir vor noch gar nicht so langer Zeit hier in der Kirche konfirmiert haben, normaler Alltag, von einem Kontinent zum anderen zu fliegen und mit Menschen zusammen zu arbeiten, die aus einer ganz anderen Kultur kommen. - Und das ist das Dritte: Noch nie zuvor hat es so einen Austausch unter den Kulturen gegeben wie heute. Allein wenn man daran denkt, auf wie viele verschiedene Arten man heute in einer Großstadt essen kann. Und auch hier bei uns ist ein italienisches oder chinesisches Restaurant nichts Besonders mehr. Aber es geht ja nicht nur ums Essen: mindestens in einer Großstadt sind heute sämtliche Kulturen der Welt vertreten, alle Denktraditionen und Religionen. Als vor 150 Jahren die Hermannsburger Mission entstand, da mussten sie ein Segelschiff bauen, um das Evangelium zu den Heiden in Übersee zu bringen. Heute sagt mein Kollege in Bremen: ich habe sämtliche Religionen der Welt hier vor Ort in meiner Stadt.
Was also bedeutet das alles? Wir erleben eine unglaubliche Ermächtigung der menschlichen Fähigkeiten, ein derart rasantes Wachstum des menschlichen Potentials, wie es das nie zuvor gegeben hat. Und auch wenn das hier in unserer Lebenswelt vielleicht gar nicht so auffällt: an so einer Geschichte wie der von Kim sieht man, dass das auch bei uns die Lebenswege von Menschen ganz deutlich verändert.
Die Frage ist: wie stellen wir uns dazu? Es kann einem ja schwindlig werden bei diesem Tempo, und man könnte sagen: das ist mir alles viel zu schnell, viel zu kompliziert, vielleicht schaffe ich es ja, mir meine überschaubare Welt einigermaßen zu erhalten, sollen die Kinder und Enkel damit irgendwie fertigwerden, die schicken sowieso dauernd SMS und spielen am Computer, vielleicht verstehen die das mal besser als ich.
Nur: Unsere Kinder und Enkel werden ja mindestens noch mal so viel Wandel erleben wie wir heute. Die werden auch mal Kinder haben, die ihnen sagen: ihr mit euren SMS und Emails, das ist doch von gestern! Für die meisten von uns ist das wahrscheinlich keine realistische Perspektive, zu erwarten, dass wir unsere alte Welt schon irgendwie aufrechterhalten können. Wenn wir das als Einzelne oder als ganzes Land wirklich versuchen würden, dann würden wir einfach rückständig werden und von dynamischeren Kulturen abgehängt werden.
Die Alternative könnte sein, das einfach als Fortschritt zu bejubeln und zu sagen: das ist die Zukunft. So war das Lebensgefühl in den 50er und 60er Jahren, wo man glaubte, durch die moderne Technik würden sich bald alle Probleme lösen. Heute ist uns klar, dass Fortschritt immer seine Schattenseiten hat. Dieses rasante Wachstum wird schon sehr bald an die Grenzen unseres Planeten stoßen. Keiner weiß heute, wie das ausgeht. Keiner weiß, was passiert, wenn die bisherigen Energievorräte zu Ende gehen und die Erderwärmung sich beschleunigt.
Gibt es aber trotzdem eine Möglichkeit, ein positives Verhältnis zu den ganzen Verschiebungen zu gewinnen, die sich da abspielen, ohne sie einfach nur naiv zu bejubeln? Gibt es eine Möglichkeit, ein sinnvolles Verständnis von diesen Veränderungsschüben zu gewinnen?
Dafür möchte ich mit Ihnen auf eine kurze Passage aus dem Epheserbrief achten. Es ist erstaunlich, wie man manche Abschnitte der Bibel gerade in Zeiten wie unserer neu entdeckt, und das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass auch die Zeit Jesu und der ersten Christen eine Zeit voller umwälzender Veränderungen war. Also hören wir auf Verse aus Epheser 1:
9 Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, 10 um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist. 11 In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens.
Predigt:
Es ist das Ziel Gottes, alles in Christus zusammenzufassen, was im Himmel und auf Erden ist. Liebe Freunde, das hat einer geschrieben in einer Zeit, in der das römische Reich von einem funktionierenden Straßennetz durchzogen war, wie es das in vielen Teilen der Welt erst wieder im 19. und 20. Jahrhundert gegeben hat. Das hat einer geschrieben in einer Zeit, als Fisch vom See Genezareth in Fässern bis nach Rom exportiert wurde. Das hat einer geschrieben in einer Zeit, in der Großstädte entstanden und Menschen aus aller Herren Länder sich in ihnen vermischten. In dieser Zeit der frühen Globalisierung, noch ohne Strom und Internet, da hat einer geahnt, dass Gott die Menschheit, ja die ganze Schöpfung, in einer ungeahnten Weise zusammenfassen, also vernetzen will. Und er hat gesagt: Gott macht das »in Christus«, so wie er auch die Welt in Christus und auf ihn hin geschaffen hat. Das heißt, er hat von Anfang an die Welt so eingerichtet, dass sie zu Jesus passt, er hat sie gebaut wie ein Schloss, zu dem Jesus Christus der Schlüssel ist.
Und die ersten Christen erlebten das so, dass gerade dort, wo die frühe Globalisierung am weitesten war, nämlich in den Großstädten, dass die Gemeinden dort am besten wachsen konnten. In Städten, wo zusammengewürfelte Menschen lebten, entwurzelt, oft traumatisiert, auf jeden Fall äußerst multikulturell, da waren es die Christen, die all diese Menschen integrieren und aufnehmen konnten. Als Paulus nach Korinth kommt, wahrscheinlich eine verrufensten Hafenstädte der Antike, das genaue Gegenteil von ländlich-sittlich, da sagt Gott zu ihm: ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.
Die frühen christlichen Gemeinden hatten eine Antwort auf die Probleme der Globalisierung. Die Antwort war nicht: wie bauen uns einen Schrebergarten mit einer hohen Mauer drum herum, sondern die Antwort war: alle sind hier geschätzt und willkommen, die Griechen und die Barbaren, die Männer und die Frauen, Freien und die Sklaven. Wir sind alle gemeinsam eins in Jesus Christus. Wir hier in der Vielfalt unserer Kulturen und Lebenswege, wir sind der Anfang der neuen Menschheit, die Gott schafft. Die Widersprüche unserer Welt bleiben nicht draußen, sie kommen auch in die Gemeinde hinein, aber wir hier können sie lösen, in Christus. Wir sind die rechtmäßigen Erben dieser globalisierten Welt, für uns, die wir zu Jesus Christus gehören, hat Gott das alles auf den Weg gebracht. Das fällt uns nicht in den Schoß, das bedeutet oft Arbeit und Konflikt und Mühe, aber da, wo Jesus Christus die Mitte ist, da kann eine Lösung gefunden werden.
Und es ist doch kein Zufall, dass diese ganze Vernetzung der Welt hier vom Westen ausgegangen ist, dass all die Technik, die das möglich gemacht hat, in einer zutiefst christlich geprägten Kultur entstanden ist. Die echte Gefahr ist nicht, dass uns diese ganze Modernisierung überrollt, sondern dass wir nicht das christliche Erbe erkennen, dass auch in der Technik drin steckt, und dass wir das dann denen überlassen, die von Gott nichts wissen, und die deswegen nicht verstehen, worum es dabei geht.
Natürlich hat die Veränderung große Gefahren und Schattenseiten. Auch im Internet gibt es mittlerweile Kriminalität, auch da wird inzwischen um Macht und Einfluss gekämpft. Und wenn Kulturen sich begegnen, geht es nicht immer friedlich und freundlich zu. Aber entschlüsseln und verstehen kann man das Ganze eigentlich nur von diesem Plan Gottes aus, dass in Christus die Fülle wohnen soll.
Im Mittelalter hat man deshalb auf den alten Weltkarten oben und unten und an den Seiten den Kopf und die Füße und die Hände Jesu eingezeichnet. Und man wollte damit sagen: diese ganze Welt ist eine Entfaltung des Reichtums, der in Jesus Christus verborgen liegt.
Wir haben heute wesentlich genauere Landkarten von jedem Fleck der Erde. Und wenn man auch noch die Verkehrsverbindungen, die Pipelines und die Nachrichtenverbindungen einzeichnen würde, wäre es noch komplizierter. Aber es geht immer noch darum, dieses unendlich komplizierte Geflecht zu verstehen als die Entfaltung des Reichtums, den Gott mit Blick auf Jesus Christus in seine Schöpfung hineingelegt hat. Und das alles für Jesus zu durchdringen und von ihm her zu gestalten. Ja, so wie die ersten Christen eine mutige Antwort waren auf die Globalisierung ihrer Zeit, so sollen wir eine sein in unserer Zeit, die der Zeit der Bibel so überraschend ähnlich ist.
Wir sind die Erben, heißt es im Epheserbrief. Und im Kolosserbrief heißt es: nur in Jesus Christus kann all das seinen Frieden finden. Visionen von vor 2000 Jahren, bei denen wir erst heute langsam anfangen zu verstehen, was sie wohl konkret bedeuten könnten. Aber der Weg ist noch lang. Es ist gut, ihn zu erkennen. Vor allem aber sollen wir ihn gehen. Dann werden wir wirklich verstehen, was das alles bedeutet.