Der Weihnachtsfriede von 1914
Predigt am 24. Dezember 2014 (Heiliger Abend) zum Weihnachtsspiel der Konfirmandengruppe
In zwei Gottesdiensten am Heiligen Abend zeigte unsere Hauptkonfirmandengruppe ein 25 Minuten langes Stück zum Weihnachtsfrieden von 1914: deutsche und alliierte Soldaten an der Westfront stellten auf eigene Faust das Feuer ein und feierten zwischen den Gräben miteinander Weihnachten. Man wünschte sich frohe Weihnachten, sang Weihnachtslieder, tauschte Geschenke aus, zeigte sich Bilder der Familien, begrub gemeinsam die Gefallenen, feierte manchmal Gottesdienste zusammen oder spielte Fußball. Die überraschten Heeresleitungen zogen es vor, diesen selbstorganisierten Frieden zu ignorieren. Nur wo anschließend zu oft in die Luft geschossen wurde, verlegte man die Einheiten an andere Stellen der Front.
Zum Stück gehörte auch ein Gottesdienst mit Predigt, so konnte die folgende Predigt kurz sein.
Gigantische Militärmaschinen prallten im ersten Weltkrieg aufeinander. Millionen von Menschen gehörten dazu, und sie waren mit der modernsten Technik ausgerüstet. Die Soldaten waren nur Rädchen im Getriebe, ihr Leiden und Sterben wurde von den Planern einfach einkalkuliert. Um so bemerkenswerter ist es, dass heute vor genau 100 Jahren, ungefähr um diese Tageszeit, Tausende von Soldaten an der Westfront sich vorsichtig aus ihren Gräben wagten, weil sie auf die gemeinsame Tradition des Weihnachtsfestes vertrauten. Alle kannten die Weihnachtsgeschichte. Auf allen Seiten wussten sie, dass die Engel von Bethlehem verkündet hatten: »Friede auf Erden«. Auf allen Seiten wussten sie eigentlich, mindestens in einem Winkel ihres Herzens, dass es nicht richtig war, gegeneinander Krieg zu führen. Auch wenn ihnen dauernd erzählt wurde, dass Gott natürlich auf ihrer Seite stünde.
Aber mitten in diesem schrecklichen Krieg half ihnen die Erinnerung an die Geburt Jesu dazu, sich dem Griff der Militärmaschinen wenigstens für ein paar Stunden oder Tage zu entwinden. Vielleicht haben sie sogar für einen Augenblick verstanden, dass die eigentlichen Feinde nicht die Soldaten im anderen Schützengraben waren, sondern diese gewaltigen Machtzusammenballungen, die gnadenlos ihren Tod einkalkulierten. Auf jeden Fall erinnerte sie Weihnachten daran: Menschen sind nicht dazu geschaffen, einander zu Feinden zu werden. Es sind die großen und kleinen Mächte, die uns gegeneinander aufbringen. Aber Jesus ist gekommen, um uns aus ihrem Griff zu befreien, er ist gekommen, damit wir ihnen nicht mehr glauben, ihnen nicht mehr auf den Leim gehen. Der wahre König der Welt, Jesus, wird als einfacher Mensch geboren, er hetzt Menschen nicht gegeneinander auf, sondern verbindet sie. Hätten das damals noch viel mehr Menschen verstanden, dann wäre der Krieg zu Weihnachten 1914 zu Ende gewesen, und Millionen Menschen hätten ihr Leben behalten.
Heute leben wir zum Glück nicht mehr in einer so militarisierten Gesellschaft wie vor 100 Jahren. Heute sind es andere Mächte, die sich zu Herren unseres Lebens machen wollen: die Globalisierung macht Menschen auf der ganzen Welt zu Konkurrenten, und die Willkür der Finanzmärkte ruiniert ganze Länder und Völker. Und wir sind immer in Gefahr, uns dann in Feindschaft zu anderen Menschen hineintreiben zu lassen. Wir sind in Gefahr, die Fremden und Anderen als Feind anzusehen, die aus dem anderen Schützengraben sozusagen.
Aber in Wirklichkeit sind es diese Mächte, die heute viel weniger sichtbar sind als vor 100 Jahren, die versuchen, uns für ihre Zwecke einzuspannen. Und Jesus ist gekommen, uns so miteinander zu verbinden, dass wir uns ihrem Griff entwinden können, dass wir ihnen nicht mehr glauben.
Die Soldaten, die am Ende des Stücks nach dem Anschiss durch den General dennoch »Auld lang syne« singen, der Geistliche, der wenigstens sein Kreuz bei seinen Leuten im Graben zurücklässt – es sind alles Zeichen von Menschen, die den Mächten nicht mehr glauben. Ja, der Krieg ist weitergegangen und hat noch Millionen in den Tod gerissen, ja, wir leben bis heute in einer Welt voller Gewalt und Krieg. Aber solange das noch so ist, gründet Jesus Gemeinschaften des Friedens, Gemeinschaften von Menschen, die sich nicht zu Feinden machen lassen, und die den Versprechen und Drohungen der Mächte nicht mehr glauben. Gemeinschaften von freien Menschen, die solidarisch zusammen halten.
Seit der Geburt Jesu ist dieses Neue in der Welt. Das ist der Kern der Weihnachtsfreude. Gott macht die Welt neu. Und einfache Menschen wie du und ich und ihr, wir sind dazu berufen, dabei zu sein. Gott tut etwas unglaublich Gutes mitten unter uns. Aber er will es nicht ohne uns tun. Er will, dass wir Menschen des Friedens werden, er lebt unter freien Menschen, die sich zu niemandes Feind machen lassen.